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Stempel drauf
Da isser: Rempelt mich an. Dabei sind noch mindestens neun Meter Platz auf jeder Seite. Rempelt und guckt mich auch noch schräg von der Seite an. Ein fetter Fleischkloß, Glatze und Bart, bestimmt kommt er nicht mal durch die Gesichtskontrolle im Fitnessstudio. Und zu anderem Sport ist das Vieh zu dämlich, selbst zum Laufen, also sitzt es nur zu Hause vorm Fernseher und stopft sich voll, das stumpfe Ungetüm, bis es total verdickhäutert ist. Und wenn es sich mal auf die Straße wagt, vermutlich hat es sich auf der Suche nach dem Klo verirrt, dann schwankt es vor lauter Blähungen und Verwerfungen in der Körpertektonik so hilflos hin und her, dass es nicht mal mehr im Schrittempo einer Wand ausweichen kann.
Nein, nein, nein. Das reicht mir bereits - da wird der Stempel gezückt. Den habe ich mir anfertigen lassen. Zehn Zentimeter breit, Druckbuchstaben. Noch mal schnell aufs Stempelkissen gedrückt, dann hole aus und stempele den Fettkloß. Auf die hohe Stirn. Der Schriftzug prangt. Er prangt nicht nur, er prangert. Stempel drauf: DOOF.
Verdutzt steht das Monster da. Eben wollte es noch zum Schnellrestaurant und hundert Hamburger auffressen, und nun ist es für immer gebrandmarkt. Bevor das Ungeheuer auch nur merkt, wie ihm geschieht, bin ich schon weg, und die Stempellust hat mich vollends gepackt
„Alter, weissu wer der korrekteste ist?“ So tönt es. „Ich schwöre!“ Ja, redet man denn so, wenn man kein dämlicher Hund ist? Oder trägt man solche Hosen oder sitzt da an der Bushaltestelle mit einem Käppi schräg oben hinten hochgezogen und lose festgezurrtem Trikot und gestikuliert wie ein paarungswilliger Bonobo? Dem blüht der Stempel, keine Frage. Weiß der denn nichts mit seinem Leben anzufangen, als mit zwei anderen Deppen im Wartehäuschen zu sitzen und mittels verfaulter Sprachreste zu schwadronieren? Den lieben langen Tag Gebrabbel und gelegentlich Drogen respektive Dresche als Lebensinhalt, vielleicht auch noch mal zwischendurch dem Kassettenrekorder zuhören, aus dem ein MC erklärt, warum er besser ist, als ein anderer MC. Wohin soll das noch führen? Na klar: Geradewegs zum Abstempeln! Und da ist er auch schon herniedergesaust auf den Kopf des Primaten, geradewegs unter den Rand der Trottelkappe. Stempel drauf: DOOF.
Etwas außer Atem und einige Blocks weiter das nächste Ärgernis: Kaffeekränzchen auf offener Straße. Erna, oder vielleicht Emma im Putzfrauengewand, und Gertrud respektive Anneliese kommt gerade vom Markt mit frischem Sellerie in der Tragetasche. Unfassbar. Wie kaputt muss die Existenz eines Menschen sein um solch ein geblümtes Kopftuch zu tragen? „Der hat Krepps.“ „Was du nicht sagst!“ Oh Mann, die werden Bekanntschaft mit dem Stempel machen. Selber Schuld. Waschen und bügeln und putzen und bohnern und tratschen und für Erwin am Feierabend Kohlsuppe kochen als einzige Perspektive im Leben, das schreit ja förmlich nach dem Stempel. Einmal im Jahr auf den Campingplatz nach Thüringen, dann kommt der Tod zu Besuch. Ein Leben in gepunkteter Schürze und Pantoffeln. Das muss markiert werden. Kurz Luft holen, Stempel drauf: DOOF.
Und dann der Mensch im Buchladen. Steht da mit Brille und Fettmähne und einem Stapel Bücher an der Kasse und schaut sich auf armseligste Weise um, um sicherzugehen, ob ihn auch ja einer sieht. Klar, wenn man kein Geld für einen Benz hat, muss eben das volle Bücherregal als Statussymbol herhalten. Aber das wird dem affektierten Waldschrat auch nicht aus seiner Kümmerexistenz mit Hilfsarbeiterjob raushelfen. Ha, der verlotterte Soziologie-Studienabbrecher hat sich auf der Uni einen faulen Lenz gemacht, aber jetzt ist das süße Leben vorbei. Hörst du? Hier im wirklichen Leben gibt es freilaufende Stempel, und einer davon hat dich im Visier, Freundchen. Ja so ist das. Keine Freundin, kein Geld und eine Karriere als Versuchskaninchen für neue Medikamente: Nein danke! Da bleibe ich lieber bei meinem Stempel. Und der kommt wieder zum Einsatz. Keine Gnade. Stempel drauf: DOOF.
DOOF, DOOF, DOOF. Und weiter geht’s. Ein Stempel für den Industriebaron, der seine Sekretärin vögelt und illegal Abgase im Ozean verklappen lässt. Ein Stempel für den Handyman, der in der U-Bahn laut telefoniert und sich von früh bis spät nur Klingeltöne herunterlädt. Ein Stempel für den Radfahrer, der sich mit über 50 vorm Herzinfarkt fürchtet und einen auf jugendlicher Sportler macht. Ein Stempel für den Fernsehgucker vor dem Schaufenster des Elektronikfachmarktes, der zuhause immer nur in seiner Dachkammer hockt und sabbernd Gameshows anstarrt. Ein Stempel für die Schlampe, die es mit jedem Penner treibt und schon dreitausend mal abgetrieben hat. Auf jeden Topf passt ein Deckel, und auf jeden Kopf ein Stempel. DOOF, DOOF, DOOF.
Ein anstrengender Tag geht zu Ende. Jede Menge neuer Bekanntschaften an diesem Tag, und allesamt haben sie sich mit meinem treuen Begleiter getroffen, dem Stempel. Nun macht sich die Müdigkeit breit. Ich bin fix und alle.
Wahrscheinlich werden sie sich jetzt fragen: Hat der Mann nichts besseres zu tun, als den ganzen Tag herumzulaufen und den Leuten seinen Stempel aufzudrücken? Sollte er sich nicht vielleicht besser mal selbst stempeln?
Und wissen sie was? Sie haben Recht! Stempel nummer zwo aus der Tasche gekramt, kurz gegähnt und Zack, da sitzt der Stempelabdruck auch schon, mitten auf der Stirn, wo es jeder sehen kann.
Stempel drauf: ERLEDIGT.