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Steak versus Hirtensalat
„Ich liebe dich nicht mehr so wie früher!“
Irenes Worte rollen wie Steine in meinen Gehörgang. Ich schaue von meinem Steak auf.
Sie starrt über ihren Hirtensalat zu dem Blutbad auf meinem Teller. Ihr Kopf ist leicht gesenkt, die Lippen gepresst und nach innen gestülpt, dass von dem vollen Rot nur eine bleiche Linie übrig bleibt, und die verkniffenen Augen raffen feine Fächer. So habe ich sie noch nie gesehen.
„Das macht nichts“, will ich antworten, aber kein Laut verlässt meine Kehle.
Warum erzählt sie mir, ob und wie stark sie mich liebt? Liebe ist doch kein Gefühl, das man nur zu jemandem hat, der es mit gleicher Stärke zurückgibt.
Ahnt sie denn nicht, dass es mir genügt, sie zu lieben, ich nicht mehr als ihre Nähe brauche, ihre Stimme, ihr Lachen? Dass ich mich bereits montags darauf freue, sie am Wochenende beim Kochen zu beobachten, wie sie Zutaten aus Schränken und Einkaufskörben zusammenstellt, ihre Arme und Hände und ihr ganzer Körper allmählich in einen Rhythmus fallen, so als schriebe sie ihre Gedanken in die Luft oder übe nebenbei den japanischen Fächertanz?
Kann es sein, dass sie von meinen Gefühlen nichts weiß?
Hat sie denn nie bemerkt, wie innig ich sie in ihrem erschöpften Halbschlaf betrachte, darauf wartend, dass in meinen Lenden, dem Ort verglühter Nerven, der sich anfühlt wie ein Stück Niemandsland, wieder Leben entstünde?
Verärgert schüttele ich den Kopf. Meine Hand, die das Messer bis eben mit drei Fingerkuppen hielt, ballt sich um den schlanken schwarzen Griff zur Faust.
Da, schon verschärft sich Irenes Ausdruck banger Erwartung, so als ob das, was sie schon befürchtete, etwas Schlimmes, nie da Gewesenes, vielleicht ein Schlag ins Gesicht oder mein Steakmesser in ihren Leib, nun unausweichlich auf sie zu käme. Welch verrückte Fantasie.
„Entschuldige, das galt nicht dir“, sage ich rasch, lege mein Messer weg und lange nach ihrer Hand. Sie zieht ihre weg und verbirgt sie unerreichbar unter dem Tisch. Ich muss Irene beruhigen. Also lege ich meine Hand dort hin, wo zuvor ihre lag und streiche mit den Fingerspitzen über die weiße Tischdecke.
Wenigstens bringt das ihre Lippen wieder zum Vorschein.
„Du wirst doch nicht fortgehen, oder?“ Herrje, sind das eben meine eigenen Worte gewesen? So eine schicksalhafte Frage könnte ich mir niemals ausdenken.
„Ich liebe dich nicht mehr“, sagt sie und es klingt in meinen Ohren wie ein „Ja“.
„Aber ich war nie auf deine Liebe aus, immer nur auf dich.“
„Was? Wie kannst du mir so was sagen, nach ... “, sie stockt.
„11 Jahren, einem Monat und sieben Tagen“, helfe ich aus.
„Ja ... Nein, das stimmt nicht. Dieses Jahr hätten wir unseren neunten ...“
„Aber solange sind wir schon zusammen.“ Hat sie das vergessen?
„Und seit wann glaubst du, dass ich dich nicht liebe?“, fragt sie mich und Zorn mischt sich in ihre ängstlichen Gesichtszüge.
„Ich ...“
Ihre zarten Hände, deren Finger ich für geeignet halte, Schmetterlinge zu präparieren, kommen jetzt als empörte Fäustchen unter dem Tisch hervor und irritieren mich.
„... ich bin einfach zufrieden.“
„Du kannst mit jemandem leben, der dich nicht liebt?“
„Wenn du es bist.“
„Und ich, ich soll bei dir bleiben, auch wenn ich dich nicht liebe?“
Ich verstehe ihre Frage nicht.
Habe ich sie nicht immer wie eine Königin behandelt? Gegenüber Anderen zu ihr gehalten, auch wenn sie im Unrecht war oder etwas Dummes sagte? Habe ich sie nicht jedes Mal ermuntert, wenn ihr ein neues Hobby in den Sinn kam? Und ihr sofort die beste Kamera gekauft, die teuersten Ölmalfarben, samt Zubehör vom Pinsel bis zur Staffelei, die Tennisausstattung und die Golfausrüstung. Habe ich nicht jedes Mal ihren Körper zum Beben gebracht, sie überrascht, mal zart mal hart?
Genügt es ihr nicht, geliebt zu werden?
„Warum nicht?“
„Ich kenne mich mit dir nicht mehr aus“, antwortet sie und es klingt erschöpft, so als hätte sie zum Verständnis unter gewaltigen Anstrengungen selbst die geringste Möglichkeit zurate gezogen.
Sie spießt ein Salatblatt mit ihrer Gabel auf.
Ich nehme mein Messer, fasse es wie einen Geigenbogen, nicht, dass sie es wieder missversteht, steche mit der Gabel ins Fleisch, setzte die Klinge locker an, schön ruhig, nur keine Aggression zeigen, und fiedele mit langen Schwüngen und zartem Druck. Die Klinge teilt das Fleisch, die rosa Pfütze aus Blut und Fett, in der es liegt, zittert. Irene zuliebe habe ich mir sogar abgewöhnt, Kartoffeln darin zu zerdrücken. Was will sie noch? Was denkt sie sich?
Glaubt sie tatsächlich, dass ich sie nur dann bei mir haben will, solange ich zurückgeliebt werde?
Verflixt. Beinahe hätte ich sie wieder mit Kopfschütteln erschreckt. Seit wann hat sie Angst vor mir? Wahrscheinlich, seit sie sich mit mir nicht mehr auskennt, also seit ich meine Anstellung als Parfumdesigner hingeschmissen habe, um mich der Schriftstellerei zu widmen. Das versteht sie einfach nicht. Verdammt.
„Mir reichts jetzt mit Dir. Ich schlafe im Gästezimmer.“
Ihre Stimme ist mir plötzlich unbekannt, so anonym und tonlos wie an einen Fremden gerichtet. Ihre Gabel schmeißt sie mitten in den Salat. Was soll das? Jetzt steht sie auf. Ich sehe ihr nach, unfähig etwas zu denken, nur mit der Lust angefüllt, eine Kartoffel zu zerquetschen und die rosa Blutpampe vor ihren Augen zu verspeisen. Aber selbst dafür ist es nun zu spät. Sie geht bereits die Treppe hinauf.
Wie ihr zarter federleichter Körper sich schwer und ungewohnt gebückt bewegt. All die Gespräche, angeführt von ihrer Frage, warum ich meinen Job mit Spitzengehalt – das Spitzengehalt durfte ja niemals unerwähnt bleiben – einfach hingeschmissen habe, um mich ausgerechnet dieser fruchtlosen Schreiberei hinzugeben, scheinen zu einem Bleiklumpen in ihrem Kopf verdichtet und drücken sie nieder. Dass sie mich nun nicht mehr liebt, macht offenbar nichts leichter. Also was soll das Theater?
Ich könnte hinterher, sie an ihren dünnen Armen festhalten, aber alles, was ich ihr zu sagen habe, ist bereits gesagt. Vor Monaten habe ich sie noch beruhigen können. „Ich kann jederzeit in der Firma wieder anfangen. Die nehmen mich mit Kusshand. Vergiss nicht, ich bin der beste Parfumdesigner.“ Ich verschwieg lediglich, dass ich von dem ständigen Parfumgestank die Nase voll habe. Kleine Notlügen sind erlaubt, sind positiv fürs Zusammenleben. Den Artikel hätte sie mal lesen sollen. Dann säßen wir jetzt gemütlich beisammen.
Das Steak ist kalt. Auf der Treppe sind noch Irenes schlanke Beine zu sehen. Nie konnte ich mich entscheiden, ob es Mädchen- oder eher Knabenbeine sind. Sehr reizvoll. Aber wie jetzt ihr rechter Fuß sich mühsam von der Sohle auf die Zehenspitzen stemmt, ist für ihre leichte Figur um Maßen übertrieben.
Eine Tür klappt. Eindeutig die zum Gästezimmer. Dieses Geräusch trifft mich härter als die Aufkündigung ihrer Liebe. Was nun?
Sie sitzt nicht am Frühstückstisch. Nur ein Briefumschlag liegt dort. Ich nehme ihn mit zwei Fingern auf, wie einen dieser toten Spatzen auf der Veranda, der sich an der Panoramascheibe das Genick gebrochen hat.
An Martin
An Martin, und in Druckbuchstaben, wo sie doch sonst alles, ob Einkaufszettel oder Schadensbericht für die Versicherung, in ihrer hübschen, schnörkeligen Mädchenschrift zu Papier bringt.
Ich will diesen Brief nicht lesen.
Noch mehr Druckbuchstaben aus ihrer Hand kann ich nicht ertragen.