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Sprachlos
Für Sigrun
Mir ist das unangenehm, wenn sie sich nackt vor uns hinlegen wird, womöglich sogar räkelt, damit wir unsere Fotoaktstudien betreiben können. Ich habe wenig Mut, auf Menschen zuzugehen, und nun muss ich direkt vor- und vielleicht über ihr stehen, sie mir genau ansehen, sie überall betrachten, anstarren; um sie herumgehen, taxieren, fixieren. Das alles, damit ich einen gelungenen Blickwinkel finde. Unpassenderweise beschert mir diese bevorstehende Szenerie eine lästige Erektion, dabei ist das Modell noch nicht einmal im Atelier.
Ich konzentriere mich beim Fotografieren auf die geheimnisvolle Welt der Strukturen:
knorrige Baumrinden, die im Makrobereich zu Bergen und Tälern werden und mystische Figuren auferstehen lassen; kräuselnde Bewegungen des Wassers, wie die Spuren einer nervös über den See tänzelnden Ballerina; Wolkenfelder, die endlose Möglichkeiten zu Interpretationen bieten oder Blüten, die fast ein eigenes, kleines Universum preisgeben.
Menschen aber hole ich nur mit dem Teleobjektiv näher an mich heran. Mir fehlen die Worte.
Jemand hat eine große, weiche Decke aus rotem Samt mitgebracht und sie auf dem meterhohen Podestwürfel aus Sperrholz drapiert. Einer aus dem Kurs richtet die starken Strahler direkt darauf aus.
„Wir brauchen indirektes Licht, stell ihn um. Das Modell kommt in zehn Minuten, seht mal, dass ihr dann soweit seid“, kommt die Stimme unserer Dozentin aus dem Hintergrund.
Ich versuche, das Zittern meiner Hände durch geschäftiges Hin- und Herschrauben der Objektive zu vertuschen. Das Weitwinkel bleibt zuletzt im Gewinde.
„Das ist aber nicht die erste Wahl für den heutigen Abend, Ingo, nimm mindestens das 50er“, kommt der gutgemeinte Tipp von einer Kollegin.
Hitze kriecht mir von den Lenden bis zu den Schultern hoch.
Es war Eva, die ich als Einzige nackt gesehen, in meinen Armen gehalten und mit ihr geschlafen habe. Drei Jahre meines Lebens habe ich mit ihr geteilt, so, wie es sich für eine Beziehung wohl gehört. Mittlerweile sind die Details verblasst. Vielleicht kam ihre spröde Art durch die Arbeit beim TÜV, mit der ich aber, angetan von ihrem Ordnungssinn, leben konnte.
Wir ergänzten uns, bis ich eines Tages laut von Ehe und Kindern zu träumen begann. Am darauffolgenden Tag war sie weg. Als ich nach Hause kam, war meine Wohnung auf- und von ihren Habseligkeiten ausgeräumt. Nichts war mehr Gewohnheit.
Das Modell ist da. Brigitte führt sie ohne ihr übliches Geplapper zum Podest. „Meine Freundin Stefanie“, ist das einzige, was sie uns mit Blick in die Runde preisgibt.
Groß ist sie, auch ohne Schuhe. Rasch zieht sie sich aus und legt ihre Jeans, Bluse und Unterwäsche sorgfältig nacheinander zusammen auf einen Stapel, den ihr Brigitte abnimmt und danach den Gasheizer näher rückt. Stefanies Haarschnitt verleiht ihr etwas Asiatisches, aber ihr Auftreten verwässert diesen Eindruck sofort. Selbstsicher besteigt sie das Podest. Ihre Knie berühren durch den weichen Samt den Boden, den Po lässt sie auf die Fersen sinken. Sie präsentiert sich mit geradem, leicht nach hinten gewinkeltem Oberkörper und festem Blick auf die gegenüberliegende Wand. Trotzdem wirkt sie entspannt, wie sie die Finger spreizend hinter sich in den Stoff gleiten lässt.
„Ich habe ihr schon geschrieben“, drängt sich unsere Dozentin in meine Gedanken, „dass sie einfach mal so sitzen und liegen soll, wie sie es als angenehm empfindet. Umso entspannter ist sie. Denkt dran, dass ich keine Fotos vom Atelier, sondern von ihr sehen will – also geht nahe ran.“
Hat jemand mein Schlucken gehört? Zu viert stehen wir nun um sie herum. Ich schlüpfe aus meinem Pullover. „Der Gasheizer“, erkläre ich ungefragt. Wenigstens hat das Zittern aufgehört, wenn auch immer noch Enge in meiner Jeans herrscht.
Den ersten konzentrierten Blick führe ich wie bei einer scharfen Serpentine über die leicht gespannten Oberschenkel hin bis zu den Füßen, die zur Hälfte von ihren Pobacken bedeckt werden. Der karamellfarbene Teint schmeichelt ihr sehr. Schade, dass wir nur schwarzweiß fotografieren. Ich lenke den Sucher horizontal auf den Oberschenkel- und Wadenbogen, ohne Anfang und Ende, stelle die Blende ein und drücke auf den Auslöser.
Es funktioniert. Ich muss mich nur konzentrieren. Schritt für Schritt nehme ich fotografierend einen Bogen hinter ihrem Rücken: der feste runde Po über den doch kleinen Füßen; viele Muttermale auf der gepflegten Haut, ihre knochigen Schultern; der Übergang vom langen Hals zum Kopf, leicht durch den Pagenschnitt verdeckt. Sie hält erstaunlich still. Einige Male muss ich ein paar Schritte zurückgehen, um meinen Kollegen Platz zu machen.
Ob sie mich beobachtet, wenn ich ihren Busen im Visier habe? Die Hitze ist fast ganz aus meinem Gesicht gewichen und ich fühle mich durch das gezielte Arbeiten etwas sicherer. Nun stehe ich genau vor Stefanie. Als ich ihren Blick gefunden habe, sieht sie mitten durch mich hindurch. Braun sind ihre Augen und ich will genau nur diesen Moment bannen. Wo sind ihre Gedanken?
Ich traue mich fast nicht, auf den Busen zu sehen. Kaum betrachte ich die eher kleinen, aber festen und knospenden Brüste, wird mir augenblicklich wieder wärmer. Wie gerne würde ich mit meinen Lippen über diese beiden wundersamen Hügel streichen, zwischen ihnen die Nase an dieser Haut reiben und ganz langsam tief einatmen. Sie riecht nach Vanille und Jasmin, da bin ich mir sicher. Die Rundungen der einen Seite, parallel versetzt beide; ich wechsle kaum merklich einige Zentimeter meinen Standort, spiele mit der Blende und den Verschlusszeiten und suche immer neue Varianten, dieses schöne Detail von ihr in allen Facetten zu fotografieren.
Plötzlich hebt sie die rechte Hand und wir stehen alle kurz still. Sie spricht nicht, aber wechselt ihre Position. Nun liegt sie der Länge nach auf dem Rücken, ihre Arme sind unter dem Kopf verschränkt. Der Brustkorb wird dadurch leicht nach oben gedrückt, ihr Busen wird noch praller. Ich lege fahrig einen neuen Film ein und brauche Ewigkeiten, weil das Einfädeln lange nicht klappt. Ganz nahe gehe ich an ihre Seite, fast ist mein Kopf über ihrem Oberkörper. Sie blickt mit einem leichten Lächeln an die Decke.
Aus der Vogelperspektive will ich einen Ausschnitt zwischen ihrem kleinen Bauchnabel bis zum Dekolletee. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Schuhe abzustreifen und auf das Podest zu klettern. Ohne Rücksicht auf die anderen nehme ich ihre Oberschenkel zwischen meine Füße und versuche diesen wunderbaren Körper aus einer sinnigen Perspektive in das Rechteck des Suchers zu fassen. Ich drücke ab und spanne; noch einmal zur Sicherheit in gleicher Position, einige Zentimeter näher an sie heran:klick. Noch näher, im Sucher bleiben nur die Brüste: klick. Mein Wechsel von der gebeugten zur knienden Haltung geht fließend. Mein Hintern schwebt über ihren Hüften, gerade noch bekomme ich die Brustwarzen scharf: klick.
Schweiß kommt aus allen Poren, ich ziehe den Ärmel des T-Shirts eilig über meine Stirn. Das Objektiv kapituliert an der Nähe und ich knipse nun nur noch sinn- und planlos darauf los. Riechen möchte ich sie, ich muss noch näher kommen.
„Ingo, können wir auch noch einmal?“
Ich zucke zusammen. Meine Nase berührt fast ihren Bauchnabel.
„Entschuldigt“, murmele ich und taumele das Podest herunter. Die Ohren surren, meine Knie sind weich. Mir ist schwindelig. Ich greife nach dem Pullover und ziehe ihn über, während ich schon dem Ausgang entgegenstolpere.
Auf der Treppe vor dem Atelier kommen eine Weile später die anderen dazu. Vertieft in Fachsimpeleien nehmen sie mich kaum wahr. Stefanie taucht kurz darauf auf und geht weiter bis zum Bürgersteig. Dann dreht sie sich um, winkt und lächelt in mein Gesicht.
Ihr fehlen die Worte.