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Sperling
Sperling
Auf ihrem Dach sitzt jeden Tag, abends kurz vorm Abendbrot, ein Spatz.
Er hockt dann da und piepst nicht, oder tut sonst irgendetwas Nennenswertes. Eigentlich, so scheint es, ist er nur damit beschäftigt an den Abenden auf ihrem Dach zu sitzen und Spatz zu sein. Aber es ist kein Spatz wie andere Spatzen, das spürt man sofort.
Dabei ist es dem Spatz an sich gar nicht an zu sehen.
Er ist vielleicht ein bisschen kleiner als andere Spatzen oder ein bisschen grauer. Vielleicht hat er einen etwas kürzeren Schnabel und eventuell sind auch seine Schwanzfedern etwas stärker gesträubt... Nichts desto trotz würde er, sofern man es nicht besser wüsste, allerorts als völlig normaler Spatz durchgehen.
So ungewöhnlich, dass es unbedingt auffällig wäre, ist ja nun auch sein Verhalten nicht. Spatzen sitzen eben, wenn sie nicht gerade fliegen oder hüpfen. Auch wenn es eigentlich wohl eher eine Art Stehen ist; sie sitzen halt. Und dieser Spatz ist zweifellos ein ganz vorzüglicher Sitzer.
Er sitzt und sitzt, bis irgendwann der nächste Tag ist, - oder vielleicht auch schon ein wenig vorher - auf jeden Fall aber bis der Abend verstrichen ist, - oder sie einfach nicht mehr an ihn denkt - einfach da und ist ein Spatz.
Das macht er, wie vorweg bereits angemerkt, sehr still - richtig tonlos - aber stumm kommt er einem nicht vor. Es ist ja auch keine große Überraschung, dass er nichts von sich gibt; er ist ja nicht in Gesellschaft.
Ab und an klappt er den kleinen dunklen Schnabel ein wenig hoch - vielleicht um die Luft zu spüren oder einfach nur so - und schließt ihn aber auch bald wieder, ganz ohne einen wirklichen Laut. Dabei sieht er zufrieden aus, sofern man dabei von Aussehen sprechen kann; Eigentlich wirkt er eher zufrieden, als dass seine Zufriedenheit irgendwie augenscheinlich wäre. Vielleicht ist er nur friedlich.
Seine Augen sind eigentlich nicht bemerkenswert. Oder vielleicht eher nicht derart bemerkenswert, dass sie sich auf eine Weise hervorhöben und daher zwangsläufig bemerkt würden. Es sind die normalen, schwarz gerahmten, dunklen Pailletten, so wie Spatzen sie eben im Kopf tragen. Bewegungslos scheinen sie immer geradeaus zu sehen und dann dreht der Spatz den Kopf ein bisschen.
Im Verhältnis zu seinem Kopf sind die Augen vielleicht doch bemerkenswert, wenn man sich nicht schon so sehr daran gewöhnt hätte, dass Spatzenaugen proportional ungleich größer sind, gemessen an dem Kopf in dem sie stecken, als zum Beispiel die Augen von ihr. Auch der Spatzenkopf ist um einiges größer - verhältnismäßig natürlich - und so einen Schnabel hat ja auch nur ein Spatz.
Für einen Spatzen gewöhnlich; nicht bemerkenswert.
Genau so wenig wie eigentlich alles an dem kleinen Kerl, der da jeden Abend im Stehen sitzt und keinen Laut von sich gibt.
Von Zeit zu Zeit bläst ihm der Wind das Gefieder etwas auf und er scheint leicht zu zittern, oder er zuckt verhalten mit den Flügeln. Aber das geht vorbei und dann sitzt er wieder so da wie zuvor. Wenn es dann Abendbrot gibt, beachtet sie ihn gar nicht mehr wirklich. Dann rüttelt sie die Pappe beiseite, zündet sich ein Feuer an, schleift die graue Decke über den Beton, dreht den Kopf ein bisschen und hält, inmitten der zitternden Schatten, das, was sie sich aus den Taschen kramt, nah an die Hitze der aufsteigenden Flammen.