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Spektrale Neigungen

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28.05.2001
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Spektrale Neigungen

Spektrale Neigungen

Von Anna Krösche und Alpha O'Droma

Gerlinde Meyer-Schultze-Heringsdorff war gerade im Begriff, sich in ihr neontürkisfarbenes Abendkleid zu zwängen, als es drängend an der Tür klopfte. Obschon ungehalten darüber, daß sie bei ihrer Abendtoilette gestört wurde, zeigte sie sich dennoch geistesgegenwärtig, zupfte das grelle Nichts flink zurecht, kniff sich in die Wangen und flötete verführerisch: „Herein!“

Herein stürmte ihre völlig aufgelöste Nachbarin, Fräulein Klopstock von Appartement 16 C. Der sonst so korrekt wirkenden Oberstudienrätin hingen graue Strähnen wirr ins Gesicht, und ihr Atem rasselte wie der einer jamaikanischen Jungfrau in der Hochzeitsnacht. Ihre weiße Stehkragenbluse, auf der hellrotes Blut ein unregelmäßiges Muster gezeichnet hatte, hing unbotmäßig über den Bund des gräulichen Glencheck-Rocks. Während sie mit fliegenden Händen versuchte, ihre Kleiderordnung wieder herzustellen, keuchte sie in abgehackten Worten: „Er... er... ich... wir... es ist alles so furchtbar!“
„So beruhigen Sie sich doch, setzen Sie sich! Was, um Himmels Willen, ist denn geschehen?“
Fräulein Klopstock, die gewiß auch einen Vornamen besitzt, der den Autoren jedoch nicht bekannt ist, weil er nach dem Tod von Fräulein Klopstocks Mutter in Vergessenheit geriet, also jenes Fräulein Klopstock ließ sich schicksalsergeben zu einem pinkfarbenen, seelenverwandten Ikea-Armsessel führen, der Sven hieß, jedoch seinen Nachnamen verloren hatte, nachdem die Sitzgruppe Hellström aus dem Sortiment genommen worden war (eine tragische Geschichte), jedenfalls, sie ließ sich willenlos in Svens fleischfarbene Arme sinken und seufzte: „O weh! Und das mir!“
Gerlinde Meyer-Schultze-Heringsdorff, die, wie Ihnen vielleicht bekannt ist, Wert darauf legt, Michelle genannt zu werden, was durchaus Sinn macht, schaute auf ihre neonorange Swatch, wo ein mobiles Stilleben neonroter Tomaten bereits eine Scheibe nach Neun anzeigte. Verdammt! Sie war um Punkt neun Tomaten verabredet gewesen. Ließ der Mistkerl sie etwa sitzen? Wenn er nicht in spätestens zwei Scheiben auftauchte, würde sie ihm ihre neonblauen Fingernägel durch seine widerlich grinsende, arrogante Fresse...
„Frau Meyer-Schultze-Heringsdorff?“
„Nennen Sie mich Michelle!“
„Sie wirkten so abwesend, äh, es ist auch nicht meine Art, jemanden um diese Uhrzeit zu belästigen, aber ich war einfach in Panik und ich... äh, wir... nein, er... es ist alles so furchtbar!“
Michelle, der die Autoren den Gefallen tun wollen, sie so zu nennen, verdrängte das aufkommende Gefühl eines Dejavús, ihre Ungeduld und das Bild neonblau lackierter Fingernägel, an denen in schönem Kontrast blutrote Hautfetzen klebten: „Was ist geschehen?!“
„Er ist tot, ich habe ihn umgebracht!“
„Wen haben Sie umgebracht?“
„Das weiß ich doch nicht?“
„Bringen Sie wahllos Leute um?“ (Michelle wurde nun langsam wirklich ungeduldig.)
„Ich bitte Sie! Ich geriet in Panik. Ich war gerade draußen am Müllschlucker, als die sich Aufzugtür öffnete. Es war ein junger Mann, so um die Dreißig. Er lächelte mich an, überreichte mir einen schmalen Karton, an dem mit einer Lackschleife eine rote Rose befestigt war, und gestand mir, er hätte sich auf den ersten Blick in mich verliebt. Ich war völlig perplex, so perplex, daß ich ihn in mein Appartement ließ. Ich weiß ja auch nicht, was mich geritten hat – er war halt sehr charmant...“
Michelle lief es heiß und kalt den Rücken herunter. Konnte es sich um ihr Blind Date handeln? Tobias, der Architekt mit der sexy Stimme? Groß, blond und Widder, genau ihr Typ?
„Wie sah der Mann aus?“, fragte sie mit bebender Stimme.
„So 1,75, lockiges schwarzes Haar, sehr distinguiert. Bitte begleiten Sie mich! Wir müssen etwas tun, die Polizei anrufen...“
Michelle atmete hörbar auf: „Gut, ich hole nur meine Schuhe. Aber warum, wenn Sie mir die Frage gestatten, haben Sie den Mann umgebracht?“
„Er veränderte sich schlagartig, kaum, daß wir in meiner Wohnung waren; er wurde grob, riß an meinen Kleidern. Als ich mich wehrte, hatte er plötzlich Handschellen bereit.“
„Das ist ja furchtbar!“, raunte Michelle ehrlich bestürzt und schlüpfte in ihre schwarz-weiß karierten Pumps, „Lassen Sie uns gleich die Polizei rufen!“
„Es ist alles noch wie ein schlechter Traum. Bitte! Vielleicht lebt er ja noch... Wollen wir nicht erst nachsehen?“
Michelle schnappte sich ihr neonrosafarbenes Handy und tippte schon mal 110 ein: „Gut, sehen wir nach!“
Sie verließen Michelles Appartement (16 B! (Achtung, Stilmittel!)) und begaben sich vorsichtigen Schrittes zur gegenüberliegenden Tür. Fräulein Klopstock wirkte jetzt gefaßter, lauschte jedoch zuerst einen Moment, bevor sie ihre Wohnung betrat. Dagegen schien Michelles Gesicht das nervöse Neontürkis ihres Kleides widerzuspiegeln: „Wie haben Sie ihn denn umgebracht?“
„Ich.. äh... er... er hat mich auf den Schreibtisch geworfen, ich wußte nicht, was... er hat... ich habe... sehen Sie selbst!“
Und Michelle sah. Sie sah den Schreibtisch, den eigenartig verrenkten Mann, den Brieföffner, der bis zum Heft in seiner Schläfe steckte und fühlte erneut Erleichterung. Nein, das war eindeutig nicht Tobias, der Snowbard fahrende, Wildwasser raftende, Fallschirm springende, dynamische, durchtrainierte Gewinnertyp. Das hier war ein leicht untersetzter Spießer mit schlecht sitzendem Baumwollsakko und einem Brieföffner im Kopf. Sie drückte die neongrüne Taste und ließ sich mit der Polizei verbinden.

„Sie sind schon unterwegs. Keine Sorge, Fräulein Klopstock, das ist ein klarer Fall von Notwehr. Es kommt alles ins Lot.“
„Ich danke Ihnen, meine Liebe. Tut mir leid, wenn ich Ihnen den Abend verdorben habe. Sie hatten doch heute sicher etwas vor?“
Michelle lächelte gequält und setzte gerade zu einer Erklärung an, als ein grauenhafter Schrei erklang.

Da die Neugier – zumindest bei Frauen – eindeutig stärker ausgeprägt ist als Vorsicht oder Diskretion, spähten die beiden Damen keine zwei Sekunden später in den Flur. Sie erblickten einen jungen Mann, der sich von einem völlig in schwarzes Gummi gekleideten Wesen zu befreien versuchte: „Lassen Sie mich in Frieden! Sie sind wohl bescheuert!“
„Willst Du mich verarschen, Kleiner? Kriegst Du keinen hoch, oder was?“
Der junge Mann riß sich los und stürmte den Flur hinunter.
„Scheiß Freier!“, zeterte Frau Koschnik aus Appartement 16 D, öffnete den Reißverschluß an ihrem Hinterkopf, nahm die Gummimaske ab und schlug wütend die Tür hinter sich zu.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ok, Anna, ich kann jetzt wirklich gut schlafen. Die Kritiken oder Kommentare sind echt "interessant". Die Geschichte... mal ehrlich, noch mehr Alpha geht nicht. Das sage ich nicht nur, weil ich zufällig sehe, dass Alpha online ist oder so oder anders! Ich bin einfach nur kritisch-genau-ehrlich. Gute Nacht!

P.S.: Jaaaaaa, auf all eure Fragen.

 

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