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Spazieren gehen ist doof

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23.07.2003
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Spazieren gehen ist doof

"Spazieren gehen ist doof“, sagte Pia. „Stell dich nicht so an“. meinte ihre Mutter, „es ist so schönes Wetter, da kann man doch nicht in der Wohnung hocken. Außerdem können wir dich nicht allein zu Hause lassen, und Susanne und ich wollen nun mal spazieren gehen“.
Susanne war Mamas beste Freundin. Die beiden kannten sich schon, seit sie selbst noch Kinder gewesen waren. Mama freute sich immer sehr, wenn Susanne zu Besuch kam, und eigentlich fand Pia sie auch wirklich nett. Wenn sie nur nicht so versessen aufs Spazieren gehen wäre.
„Wo gehen wir denn überhaupt hin?“, fragte Pia. „Ach, ich denke in den Mühlenwald“, antwortete ihre Mutter, „da ist es schön ruhig“. Pia stöhnte vor sich hin: Waldspaziergänge fand sie besonders doof. Man sah nichts als Bäume, und es gab nicht einmal einen Kiosk oder so, wo sie vielleicht ein Eis bekäme. Aber sie wurde ja nicht gefragt, sondern die Erwachsenen bestimmten mal wieder alles.
Kurze Zeit später trottete Pia mit missmutiger Miene durch den Wald. Die beiden Frauen vor ihr unterhielten sich angeregt, doch plötzlich drehte sich Susanne zu Pia um: „Na, dir scheint’s ja nicht so richtig Spaß zu machen“. „Mir ist langweilig“, maulte Pia. Susanne sah sie mitfühlend an und fing dann auf einmal an zu lachen. Pia warf ihr einen wütenden Blick zu: Lachte Susanne sie etwa auch noch aus?
„Weißt du noch“, sagte Susanne zu Pias Mutter, „weißt du noch, was wir früher gespielt haben, wenn uns langweilig war?“. Ihre Freundin sah sie einen Augenblick verständnislos an, dann fing auch sie an zu lachen: „Meinst du etwa unser Stell-dir-vor-du-wärst-Spiel?“. Susanne nickte und rief dann: „Stell dir vor, du wärst ein Räuber!“.
Verblüfft sah Pia, wie ihre Mutter und Susanne den Weg verließen und ein kleines Stück in den Wald hineinliefen. Mama versteckte ich hinter einem dicken Baumstamm, und Susanne stand dicht hinter ihr. Vorsichtig sah Mama nach allen Seiten und huschte dann schnell zum nächsten Baum. Susanne folgte ihr, wobei sie sich immer wieder umsah. Verstohlen bewegten sich die beiden Frauen von Baum zu Baum und kamen dabei dem Weg, auf dem Pia stand, immer näher. Plötzlich stieß Mama Susanne an und wies dann auf Pia. Und ehe diese wusste, wie ihr geschah, stürmten die beiden auf sie zu. „Geld oder Leben“, rief Mama und hob die rechte Hand, wobei sie die Finger so legte, als ob sie eine Pistole hielt. „Geld oder Leben“, rief auch Susanne, die sich hinter Pia aufgestellt hatte. Pia sah Mama mit großen Augen etwas fragend an und hob dann langsam die Hände.
Doch nun rief ihre Mutter: „Stell dir vor, du wärst ein Wildschwein!“, und auf einmal waren die beiden ‚Räuber’ verschwunden und dafür trampelten zwei ‚Wildschweine’ quer durch das Unterholz. Zwei Wildschweine? Nein, es waren drei, denn Pia rannte ebenfalls durch das Gestrüpp, das zwischen den Bäumen wuchs und bemühte sich, dabei möglichst viel Krach zu machen. Das fand sie ziemlich leicht, aber als wesentlich schwieriger erwies sich dann die nächste Aufgabe: „Stell dir vor, du wärst ein Indianer!“.
Jetzt mussten sie nämlich versuchen, ganz leise durch den Wald zu schleichen, noch viel, viel leiser als es Mama und Susanne als Räuber getan hatten. Bei jedem Schritt setzte Pia ganz vorsichtig ihren Fuß auf und konnte doch nicht verhindern, dass hier ein Zweig knackte, dort alte Blätter raschelten und da ein paar Steinchen wegrollten. Den beiden Frauen ging es nicht besser, so dass Mama sagte: „Na, richtige Indianer werden aus uns wohl nicht mehr. Also: stell dir vor, du wärst ein Auto!“.
Und zurück ging es zum Weg, auf dem sie dann mit „Brmm, brmm, brmm“-Geräuschen entlang liefen. Auf einmal blieb Mama stehen, und Pia, die direkt hinter ihr war, prallte gegen sie. „Ein Unfall“, rief Susanne und ‚verwandelte’ sich mit „Tatü, tata, tatü, tata“ in einen Krankenwagen. Doch Pia hatte sich gar nicht richtig wehgetan. Und gegen den Schreck half, dass Mama sie fest in den Arm nahm.
Aber Pia war begierig, weiterzuspielen, löste sich daher schnell wieder aus der Umarmung und rief: „Stell dir vor, du wärst ein... ein.... ein...“. Ihr fiel überhaupt nichts ein, und je angestrengter sie nachdachte, umso leerer schien ihr Kopf zu sein. Doch das machte nichts, denn den beiden Frauen gingen die Einfälle nicht aus. „Stell dir vor, du wärst eine Feder!“, rief Susanne.
Pia begann, laut zu lachen, als Mama die Arme hob und den Weg entlang tänzelte, wobei sie sich langsam drehte. Das sollte eine Feder sein, die vom Wind durch die Luft getragen wird. Nur sieht das bei einer Feder leicht und anmutig aus, während es bei Pias Mama, nun ja, um es milde auszudrücken, weniger leicht und anmutig aussah. Um das Bild der ‚schwebenden Feder’ zu vervollständigen, lief Susanne hinter Pias Mutter her und pustete immer wieder in ihre Richtung. Das Ganze sah so komisch aus, dass Pia sich vor Lachen gar nicht mehr auf den Beinen halten konnte, sondern sich einfach auf den Boden plumpsen ließ. Sie stand aber ganz schnell wieder auf, denn nun wollte sie selbst eine Feder sein. Sie hob die Arme und begann sich langsam zu drehen. Während Susanne blies und blies und blies, drehte sie sich immer schneller, bis ihre Mutter rief: „Halt, stopp, dir wird noch ganz schwindelig. Stell dir vor, du wärst ein Hund!“.
Und schon begann sie selbst, laut kläffend, den Weg entlang zu laufen. Pia brauchte einen Augenblick, bis sie wieder ganz gerade auf den Beinen stand, und folgte ihr dann, ebenfalls bellend. Doch ein lauter Pfiff ließ sie abrupt anhalten. Er kam von Susanne, die nun rief: „Castor, Pollux, bei Fuß!“. Gehorsam lief Pia zu Susanne zurück, wofür sie mit einem liebevollen Streicheln über den Kopf und einem „Braver Hund“ belohnt wurde. Pias Mutter dagegen achtete nicht auf Susannes Pfiffe und Rufe. Erst als Susanne drohte: „Wenn du nicht sofort ‚Bei Fuß’ kommst, gibt es heute Abend keinen Knochen“, verwandelte sich ihr Bellen in ei ganz und gar unhündisches Kichern, und auch sie drehte nun um. Noch bevor sie Susanne erreicht hatte, rief diese: „Stell dir vor, du wärst ein Vogel!“.
Ale drei breiteten ihre Arme aus und ‚flogen’ den Waldweg entlang: Pia, indem sie die Arme auf- und ab bewegte, wie ein sehr kleiner Vogel, der heftig mit den Flügeln schlägt. Mama wie ein Adler, der langsam durch die Lüfte gleitet. Und Susanne, die ihre Armbewegungen durch ein „Tirili, tirili, tirili“ begleitete. „Bloß gut, dass keine anderen Spaziergänger hier sind“, meinte Pias Mutter, „die würden sicher denken, dass wir etwas verrückt sind“. Das brachte Susanne offenbar auf eine Idee: „Stell dir vor, du wärst ein ganz normaler Spaziergänger!“.
Einen Moment lang blickte Pias Mutter etwas verwirrt, dann hob sie die rechte Hand ein wenig, so als ob sie einen Wanderstock darin hielt, und begann mit langen, kräftigen Schritten zu gehen. Susanne, die neben ihr lief, sagte: „Oh, wie schön es hier ist. Diese Ruhe. Und diese wunderschönen Blumen. Und diese wunderwunderschönen grünen Bäume“. Pia folgte den beiden Frauen langsam, den Blick zum Boden gerichtet und ohne etwas zu sagen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte ihre Mutter. „Mir ist ja soooo langweilig“, antwortete Pia und begann dann zu kichern. Denn tatsächlich war ihr überhaupt nicht langweilig, sondern dieser Spaziergang war das Lustigste, was sie seit langem erlebt hatte.

 

Hallo Wossibär,
bin gerne mitgekommen auf Deinen lustigen Waldspaziergang. Schön, dass Pias Mutter und ihre Freundin sich an ihre eigene Kindheit erinnert haben und Pias Langeweile somit vertreiben konnten.
Die Geschichte liest sich locker und wird Kindern bestimmt gefallen. Ich wette, die wollen dann so bald wie möglich einen Spaziergang machen. :)

LG
Blanca

 

Hallo Blanca,

danke für deine positie Einschätzung. Genau das wollte ich mit meiner Geschichte erreichen.

Liebe Grüße

Andrea

 

Hallo wossibär,


Von einem `typischen´ Kinderproblem ausgehend hast Du eine schöne Geschichte entlang eines Waldweges gesponnen.
Hat mir gut gefallen, die Quintessenz der Geschichte lässt sich sicher nicht nur auf Spaziergänge übertragen…

LG,
tschüß… Woltochinon

 

Danke, Woltochinon (schwieriger Name, aber ich glaube, ich habe mich nicht vertippt). "Gesponnen" ist übrigens hier ein sehr treffender Ausdruck, weil die einzelnen "Aufgaben" und wie die Beteiligten sie "lösen" sich tatsächlich erst beim Schreiben nach und nach entwickelt haben.

Liebe Grüße

Andrea

 

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