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Spaltkind

Monster-WG
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18.06.2015
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Spaltkind

Gestern Nacht ist mein Bruder verschwunden und dieses Mal hat er einen Rucksack vom Estrich geholt und den Reisepass eingesteckt. Ich suche in seinem Zimmer nach einem Hinweis. Ein Zettel, auf dem steht, wohin er gegangen ist. Eine versteckte Botschaft. Aber da ist nichts. Vater meint, der Strolch komme bald wieder zurück, also liegt er auf dem Sofa und sieht sich die Tagesschau an, während Mutter in der Küche steht, rauchend aus dem Fenster starrt und dabei nichts sehen kann, außer sich selbst. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange und sage, sie solle sich keine Sorgen machen. Dann nehme ich ein Messer aus dem Küchenschrank und gehe in Jans Zimmer, um die oberste Schublade seines Schreibtischs aufzubrechen.
Ich finde zwanzig oder dreißig Zeichnungen, alle mit Bleistift gefertigt. Zur Hälfte sind Tiere darauf zu sehen, Raubkatzen und Klapperschlangen, so realistisch, dass ich beinahe zurückzucke. Die andere Hälfte sind Portraits von mir. Stundenlang muss mein Bruder daran gearbeitet haben, doch ich bin ihm nie Modell gesessen. Mir wird klar, weshalb er mich ständig fotografiert, obwohl ich ihm gesagt habe, er solle das sein lassen. Die Zeichnungen sind schön, auf allen lächle ich, sehe glücklich aus. Weshalb hat er mir nie davon erzählt? Ich suche weiter, finde leere Blätter, ein unberührtes Skizzenheft und ganz zuunterst ein Buch. Als ich es dort aufschlage, wo ein Lesezeichen zwischen den Seiten steckt, sehe ich, dass ein Satz unterstrichen ist. Der Hässliche aber begehrt, woran es ihm mangelt.

Mein Bruder ist ein Spaltkind. Bei seiner Geburt waren Oberlippe und Gaumen durchbrochen, Mund- und Nasenhöhle verbunden. Als er drei Monate alt war, wurde die Lippe zusammengenäht. Weitere Eingriffe folgten, man setzte ein Stück seiner Rippe in den Kiefer ein. Die letzte Operation dann mit sieben, um den harten Gaumen zu verschließen. Die Ärzte machten ihre Arbeit gut, doch es blieben Spuren. Narbengewebe. Jans Nase steht schief. Er hat eine verwaschene Aussprache, machte trotz Logopädie nur langsam Fortschritte. Wann genau er begann, unter all dem zu leiden, kann ich nicht sagen. Aber ich denke nicht, dass seine Mitschüler die ersten waren, die ihm das Gefühl gaben, entstellt zu sein.

Das Lämpchen an meinem Smartphone leuchtet auf. Ich hab's auf stumm geschaltet, damit meine Eltern nichts hören, falls Jan anruft oder eine Nachricht reinkommt. Und tatsächlich.

Ich komm nicht wieder

Echt?​
Diesmal nicht, kannst glauben
Wohin gehst?​
Sag ich, wenn ich dort bin
Okay​
Erzähl den Alten nichts

Ich schicke ihm einen Smiley mit zugeklebtem Mund, er antwortet mit einem Kuss. Stolz darüber, dass er mir vertraut, nehme ich die Zeichnungen vom Boden und lege sie zusammen mit dem Buch zurück in die Schublade. Dann erst begreife ich, was er geschrieben hat. Was, wenn er tatsächlich nicht zurückkommt? Ich schleiche mich aus dem Haus und gehe die Straße hoch, bis ich mir sicher bin, dass meine Eltern mich nicht hören können. Unter den Laternen sieht man keine Insekten schwirren, dafür ist es noch zu früh im Jahr, die stecken alle noch im Boden, als Larven. Es ist kühl, ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke hoch und wähle Jans Nummer. Er geht nicht ran. Ich versuche es noch einmal, zähle mit, während es klingelt. Zwei Minuten später eine Nachricht:

Nicht jetzt

Wann? Mama macht sich Sorgen​
Mir egal

Es gibt so Vereinigungen für die Eltern von Spaltkindern, doch das kam für Mutter nie in Frage. Stattdessen begann sie Dinge zu sammeln. Mein Bruder und ich wuchsen zwischen Ziertellern und toten Seepferdchen auf. Mit Eulen, die sich rosa verfärben, bevor der Regen kommt. Auf dem Kaminsims standen Ballerinen aus Porzellan, in Glitzerkleidchen und auf stabilen Sockeln. Und die Engel, all die Engel, die in Reih und Glied den Schlaf der Familie bewachten, uns beim Essen zusahen und beim Scheißen. Jan nannte sie goldgelockte Idioten. Als er elf war, begann er die Engel umzudrehen, wenn er aufs Klo musste. Gespült und die Figürchen wieder zurechtgerückt. Später dann ließ er die Engel mit dem Gesicht zur Wand stehen. Mutter sagte nichts, aber jedes Mal, wenn Jan zur Toilette ging, grinsten sie ihn aufs Neue an.
„Verfluchte Engel“, sagte er zu mir.
„Warum?“
„Mutter stellt die hin, weil sie mich nicht ansehen mag. Weil sie mich so hässlich findet.“
Damals musste ich darüber lachen, ich sah da keinen Zusammenhang. Heute bin ich mir sicher, dass Jan recht hatte, er besitzt ein gutes Gespür, wenn es um solche Dinge geht. Auf alle Fälle waren ihm die Engel ein Dorn im Auge. Einmal steckte er zwei davon in eine mit Seidenpapier ausstaffierte Schachtel Cornflakes und vergrub sie im Garten. Das war eine Art Entführung, die Engel waren noch heil, als er sie, nachdem er von meinem Vater eine Tracht Prügel erhalten hatte, wieder ausgrub und zurück ins Wohnzimmer brachte.
Später lieferten sich Jan und meine Mutter einen Wettkampf des schlechten Geschmacks. Es begann, als er sein Zimmer neu einrichten durfte, meine Eltern ließen ihm bei der Wahl der Möbel freie Hand. Am Ende sah es aus wie in einer Gefängniszelle. Das Bett in der einen Ecke, in der anderen ein Pult. Ein Wandschrank aus Metall. Sonst nichts. Kein Teppich, keine Bilder, außer einer Genesungskarte, die er übers Bett gepinnt hatte, und auf der Minnie Mouse zu sehen war, wie sie einen Luftballon in der Hand hielt.
„Wenn er es so will“, sagte mein Vater. Mutter zuckte mit den Schultern, griff nach dem Versandkatalog und bestellte zwei Frösche aus Keramik.
Danach kamen die gehenkten Kinder. Mein Bruder hatte das Bild in einem Kunstkatalog gefunden, den er sich in der Schulbibliothek ausgeliehen hatte. Es zeigte eine Installation, man sah drei Jungen, die hübsch angezogen waren, so wie es meinen Eltern gefallen hätte. Der eine trug eine Latzhose aus Jeansstoff, der andere ein gestreiftes Hemd in blassem Blau und der dritte einen dunklen Pullover. Niedliche Jungs mit gepflegten Frisuren. Nur dass sie barfuß waren, das passte nicht. Und dass sie zwischen den Ästen eines Baums hingen, mit Stricken um ihre Hälse, das passte noch weniger. Erst wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass es sich bei den Toten um Wachsfiguren handelte. Jan ließ Farbkopien machen. Eine davon klebte er außen an die Tür seines Zimmers. Die anderen legte er überall hin, wo es für ihn Sinn machte, in den Wandschrank zwischen T-Shirts und Pullis. Auf dem Pult sollten sie als Schreibunterlage dienen. Und sie hingen an der Wand hinter seinem Bett. Vier Kopien, das machte zwölf am Strick baumelnde Knaben.
„Sind sie nicht schön?“, fragte er Mutter, als sie nach Hause kam. „Hundertmal schöner als jeder Engel. Tausendmal schöner als ich!“ Mutter schwieg, stellte die Einkaufstaschen auf den Boden und verpasste meinem Bruder eine Ohrfeige. Es war das einzige Mal, dass sie ihn schlug. Ich stand daneben und begann vor Schreck zu heulen, Jan starrte sie bloß an, blinzelte nicht einmal. Die Bilder blieben, wo sie waren. Mutter sagte, sie weigere sich, sein Zimmer zu betreten, solange er diese Schweinerei nicht weggeräumt habe. Jan fragte mich, ob ich seine Aktion verstehen könne. Ich sagte Ja, aber das war eine Lüge.

Wind zieht auf, irgendwo schlägt ein Fensterladen gegen die Hauswand. Wo könnte Jan sein? Ob er bei diesen Temperaturen im Freien übernachten will? Er hat mich zur Verbündeten gemacht, ohne mich wirklich einzuweihen. Nun stehe ich draußen im Dunkeln, hundert Meter von meinen Eltern entfernt, und weiß nicht, was ich tun soll. Alles wäre einfacher, hätte ich meinen Bruder nicht so gern. Ich brauche Jan nicht zu verstehen, um ihn zu lieben. Ich denke daran, wie er mit dem Finger über meinen Rücken fährt und ich die Tiere errate, die er dabei skizziert. Wir liegen unten am Baggersee, ich schaue auf das Wasser. Wir haben Schlamm aufgewühlt, als wir darin badeten, langsam sinken die Partikel wieder auf den Grund. Die Sonne wärmt unsere Körper und ich erzähle, dass ich mal einer Spinne die Beine ausgerissen habe, um zu sehen, wie viele davon sie wirklich braucht. Jan lacht und dann werfen wir uns gegenseitig vor, verrückt zu sein.
Und wie mein Bruder zeichnen kann! Mit wenigen Strichen erfasst er das Wesen eines jeden Dings. Häufig setze ich mich neben ihn und schaue zu, wie der Bleistift über das Papier gleitet, es ist Zauberei. Wenn er zeichnet, ist Jan ganz bei sich. Er wirkt dabei so friedlich, dass mir oft die Augen zufallen, während ich noch immer neben ihm sitze.

Ich beschließe, Marc anzurufen. Zuvor trage ich etwas Lippenstift auf, das Smartphone verwende ich als Spiegel. Das tue ich immer, bevor ich mit ihm telefoniere, das ist etwas seltsam. Aber Menschen am Telefon, die wedeln mit der freien Hand wild herum und runzeln die Stirn oder ziehen die Augenbrauen hoch. Da darf ich mich auf jeden Fall schön machen, bevor ich meinen Freund anrufe.
„Hey Nora!“ Marc hat eine tiefe Stimme, beinahe wie ein erwachsener Mann. Im Hintergrund höre ich Sufjan Stevens. Ich trete aus dem Lichtkegel der Straßenlampe und blicke nach oben. Man kann Sterne sehen, nur die hellsten zwar, aber immerhin. Mein Atem geht etwas ruhiger. Ich erzähle Marc, was los ist.
„Und deine Eltern?“ Er dreht die Musik leiser.
„Vater schläft und Mama kaut sich die Nägel von den Fingern.“
„Was soll ich jetzt tun?“
„Hab' ich gesagt, du müsstest was tun?“
„Ne, dachte nur.“
„Ich mein', dieses Mal ist nicht gut, ich spüre das.“
„Weshalb?“
„Ich weiß es einfach.“
„Der taucht wieder auf. Soll ich vorbeikommen und so tun, als wolle ich bei dir übernachten? Dann steht er bestimmt gleich auf der Matte. Zehn Sekunden.“
„Haha.“
„Ja, sorry. Ist halt nicht witzig, wenn du vom Bruder deiner Freundin, aber ist egal. Wenn du möchtest, komme ich vorbei. Um zu quatschen.“

Wir sind seit drei Monaten ein Paar. Wen hätte ich sonst anrufen sollen? Aber es fühlt sich an, als hätte ich meinen Bruder verraten. Er hasst Marc. Als er mich das erste Mal zusammen mit ihm sah, rastete er beinahe aus. Wir standen vor dem Schulhaus, Marc hatte den Arm um meine Schultern gelegt, wir lachten. Auf einmal kam mein Bruder angerannt, aus dem Nichts, denn ich hatte gedacht, er sei zu Hause.
„Fass sie nicht an!“, schrie er und ich musste ihm erklären, dass das für mich in Ordnung sei. Das war echt peinlich. Doch ich bin selbst daran schuld, denn ich habe Jan die Beziehung zu Marc verschwiegen, weil ich weiß, was man sich über den Jungen mit den vollen Lippen und den braunen Augen erzählt. Dass er oberflächlich sei. Dass er den Verstand eines Wiesels habe, den er einzig und allein dazu einsetze, Mädchen rumzukriegen. Und dass er abhaue, nachdem er zum Schuss gekommen sei. Alle sagen, ich solle mich in Acht nehmen. Sie irren sich. Marc war vielleicht mal so, aber jetzt nicht mehr. Obwohl, ganz sicher bin ich mir nicht, denn zusammen geschlafen haben wir noch nicht.
Vor allem aber habe ich meinem Bruder deshalb nichts erzählt, weil er mir leidtut. Ich bin fünfzehn, Jan siebzehn, und er hatte noch nie eine Freundin. Ich kenne viele Mädchen mit älteren Brüdern und die werden dauernd gefragt, was die Brüder so machen und ob sie solo seien. Nach Jan fragt keine. Nicht, dass sie sich über ihn lustig machen. Aber es ist, als gebe es meinen Bruder nicht, da kann man nichts dagegen tun. Einmal wollte ich von ihm wissen, ob er schon mal ein Mädchen geküsst habe. Er schüttelte den Kopf. Ich sagte, er müsse halt noch ein wenig warten. Sagte ihm, dass er doch gar nicht so schlimm aussehe, dass alles gut werde, wenn einmal die Nase operiert sei, dass Joaquin Phoenix ja auch eine Narbe an der Lippe habe. Und was weiß ich, was ich sonst noch sagte.
„Willst du tauschen?“, fragte er mich.
Meine Befürchtungen haben sich bestätigt. Seit er von Marc weiß, piesackt mich mein Bruder, wann immer er kann. Ob schön und dumm meinen Geschmack treffe? Ob wir schon hätten? Es ist, als habe mein Bruder einen Stachel im Leib, der sich nicht herausziehen lässt.

Mir wird kalt, ich laufe zurück ins Haus, hänge meine Jacke an die Garderobe und gehe zur Küche. Mutter steht genauso da wie zuvor. Rauchschwaden hängen unter der Deckenlampe.
„Ich rufe jetzt die Polizei an“, sagt sie.
„Warte bis morgen.“ Ich habe Angst, mich zu verraten, meine Stimme zittert. „Bestimmt ist er bei Tom oder mit Jonas unterwegs.“ Mutter lacht bloß.
„Er geht nicht ans Telefon“, sagt sie.
„Macht er doch nie, wenn er abhaut.“
„Diesmal ist es anders.“ Sie schaut mich an. Ihre Augen sind rot, die Wangen grau. „Hat er dich angerufen?“
„Nein“, sage ich und bin froh, dass es keine Lüge ist. Dann schiebe ich Mutter zur Seite und werfe die Zigarettenstummel, die in der Spüle liegen, in den Müll.

Mutter raucht fast zwei Päckchen am Tag. Irgendwann erfuhr Jan, dass sie weitergeraucht hatte, als sie mit ihm schwanger war. Er fand heraus, dass es einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Gaumenspalten gibt. Zu wenig Sauerstoff für das Kind, erhöhtes Risiko einer Missbildung. Jan zeigte mir Internetseiten mit Bildern und Statistiken, danach holte er ein Frotteetuch, ging ins Wohnzimmer, wo meine Eltern auf dem Sofa saßen, warf Mutter das Tuch über den Kopf, zog es nach hinten und hielt es an beiden Enden fest.
„Atme!“, schrie er. „Wie ist es, wenn man keine Luft kriegt?“ Vater sprang auf und hob die Fäuste, aber die Zeiten, in denen er Jan einfach so hätte verprügeln können, waren da bereits vorbei. So stand er bloß da und starrte meinem Bruder in die Augen, dann setzte er sich wieder hin, um meine Mutter zu beruhigen, die am ganzen Körper zitterte.

Ich streiche mit dem Handrücken über ihre Wange.
„Mach dir keine Sorgen, Mama.“
Nachdem ich einige Gläser weggeräumt und den Tisch saubergemacht habe, gehe ich in mein Zimmer und docke das Smartphone am Lautsprecher an. Ich fühle mich müde, trotz der Aufregung, lege mich aufs Bett und denke an Marc. Die Mädels sind ganz schön neidisch. Ich mag es, wenn wir uns küssen, seine Zunge ist flink wie eine Eidechse, das kitzelt und es wird warm zwischen meinen Beinen. Aber mehr liegt nicht drin, das muss ich ihm zweimal die Woche erklären. Eine aus meiner Klasse hat erzählt, ihr Freund sei mal vor sie hin gestanden, nackt, mit steifem Penis und voller Stolz. Sie sei auf dem Bett gelegen, habe ihr T-Shirt ausgezogen und es in der Mitte gefaltet. Dann habe sie das Shirt über sein Glied gehängt und gefragt, ob er es bitte ins Bad tragen könne, zum Wäschekorb. Daran muss ich jedes Mal denken, wenn Marc fragt, was nun sei. Mir ist das zu viel, ich bin dafür noch nicht bereit.
Es klingelt. Ich renne nach unten, öffne die Tür und falle Marc um den Hals.
„Bis halb elf, spätestens“, höre ich Mutter sagen.
„Ja“, rufe ich zurück und wir gehen nach oben. Vor Jans Zimmer bleiben wir stehen.
„Sind die noch immer da?“, fragt Marc und zeigt auf die gehenkten Kinder. „Macht ihr euch keine Sorgen?“
„Ja, sag' ich doch.“
„Schon. Aber das hier, ich meine, das ist doch echt krank. Da muss man ja Angst haben, dass …“ Er streicht mit dem rechten Zeigefinger quer über sein linkes Handgelenk.
„Weshalb sollte er dann seinen Pass mitnehmen, du Hirni?“ Tränen rinnen über mein Gesicht.

Meine früheste Erinnerung an Jan ist, wie ich ihn besuche, zusammen mit unseren Eltern, da war ich drei oder vier. Als wir das Krankenhaus betraten, drückte mir meine Mutter die Karte in die Hand, die später in seinem Zimmer hängen sollte. Minnie Mouse, mit ihren großen schwarzen Ohren und diesem Lächeln, als sei die ganze Welt aus Zuckerwatte gemacht. Weiß der Himmel, was sich Mutter dabei dachte, aber Jan bezog das Motiv nicht auf sich, sondern auf seine Schwester, die ihm die Karte aufs Tischchen neben das Bett gelegt hatte. Von da an sagte er Minnie Mouse zu mir. Er kennt hundert verschiedene Arten es auszusprechen, bei einigen davon ist sein Näseln kaum zu hören. Minnie Mouse ist klein und süß. Achtung, Minnie Mouse, hier kommt der hungrige Kater! Und dann kitzelt er mich, bis ich vor Lachen fast in Ohnmacht falle.
Mit neun stellte ich eine Salbe her. Ringelblumenblüten, Bienenwachs und Olivenöl. Die Konsistenz war nicht gut, viel zu flüssig, also nahm ich einen Pinsel, um die Salbe auf Jans Lippen aufzutragen. Ich nannte es Noras geheime Mixtur. Jan tat so, als wirke sie Wunder, und jeden Abend schlich ich mich in sein Zimmer, um sein Gesicht zu heilen, so lange, bis das kleine Konfitürenglas leer war, in dem ich die Salbe aufbewahrte, so lange, bis ich erkannte, dass es nichts half. In dieser Zeit dachte ich, ich sei die Einzige, die meinen Bruder wirklich mochte, und womöglich war es tatsächlich so.
Wir stritten uns dennoch. Jan war empfindsam wie Springkraut, neidisch auf die Freundschaften, die ich hatte, neidisch auf die guten Noten, die ich nach Hause brachte. Nach seinen Wutanfällen saß er zusammengekauert auf dem Boden und wimmerte. Dann setzte ich mich zu ihm und legte meinen Kopf an seine Schulter. Bis auf dieses eine Mal. Jan hatte mir vorgeworfen, dass ich hinter seinem Rücken über ihn rede. Statt mich zu verteidigen, nahm ich einen Engel von der Kommode und warf ihn gegen die Wand. Das Ding zerbarst in tausend Stücke und ich wusste, dass mir Vater glauben würde, wenn ich sagte, es sei Jan gewesen. Als er verprügelt wurde, war ich auf meinem Zimmer und ließ Musik laufen, um seine Schreie zu übertönen. Später kam Jan herein und sagte, falls er sich einmal umbringe, sei ich daran schuld.

Ich krampfe meine Zehen zusammen, das hilft. Marc nimmt meine Hand, küsst mich auf die Lippen.
„Ich wollte dich nicht beunruhigen.“
„Schon gut.“
„Dein Vater pennt vor dem TV?“
„Er denkt, dass Jan bald wieder heimkommt. War ja auch so, bisher.“
„Okay.“
„Ist doch gut, wenn Vater Ruhe bewahrt, bringt ja nichts.“
„Hmm.“
„Ich mein', schon klar, so dicke wie Mama und ich sind die beiden nicht.“
„Wie nennt er ihn schon wieder?“
„Den Strolch.“
Wir legen uns nebeneinander aufs Bett und hören Coldplay. Marc streichelt mein Ohr, ich hab' ihm einmal gesagt, dass ich das mag. Mein Körper hat sich entspannt, ich stelle mir vor, wie Jan am Pult sitzt und Porträts seiner Schwester zeichnet, mit konzentriertem Blick und einem Lächeln auf dem Gesicht. Ich schließe die Augen und bin kurz davor, einzuschlafen.
„Dein Smartphone blinkt“, sagt Marc. Ich zucke zusammen. Die Nachricht ist von Jan.
Kannst du kommen?
„Was ist los?“, fragt Marc.
„Moment.“ Ich stehe auf, setze mich ans Pult und tippe:
Wohin? Alles klar?
Kreuzung Waldrand
Das ist ziemlich nah, vielleicht drei, vier Kilometer. Ich bin erleichtert.
Warum?
Will mich verabschieden
Ich sende zwei traurige und einen verwirrten Smiley und schaue zu Marc hinüber, der noch immer auf dem Bett liegt.
„Jan will mich treffen.“
„Okay.“
„Kommst du mit?“ Marc verdreht die Augen. Ich schreibe:
Jetzt? Warum kommst du nicht her?
Hast du Kohle? Gebs dir zurück
Wo bist du?
Erklär ich später
„Komm bitte mit,“, sage ich zu Marc. Er nickt.
Okay. Halbe Stunde
Kohle?
Ich schau mal
Keine Ahnung, ob es eine gute Idee ist, Marc mitzunehmen. Aber ich will nicht allein zum Wald fahren und in diesem Moment ist mir auch egal, was mein Bruder davon halten wird. Ich bin wütend. Will mein Bruder tatsächlich abhauen? Sich ganz abwenden?
Natürlich, er hat schon immer Dinge getan, die mir fremd sind. Manchmal drischt er unvermittelt auf Dinge ein, die ihm im Weg sind, kickt gegen Wände und tut sich dabei weh. Dann wieder zieht er sich zurück, sitzt in seinem Zimmer, ist nicht ansprechbar. Daran habe ich mich gewöhnt. Aber letzte Woche erzählte er mir stolz, dass er ein Mofa gestohlen und in den Fluss geworfen habe. Ich fragte ihn, weshalb er das getan habe, und er antwortete, wer hässlich sei, der werde auch hässlich in der Seele. Dann zog er ein Messer aus seiner Jackentasche, sagte, ich solle mit dem Finger über die Klinge streichen.
„Wozu brauchst du ein Messer?“
„Man kann nie wissen.“ Er streckte den Ellenbogen durch, stach einem unsichtbaren Gegner in den Bauch.
„Du machst mir Angst.“
„Gut.“
Am nächsten Tag fing mich Jan nach der Schule ab. Ich solle mitkommen, er wolle mir etwas zeigen. Wir gingen zum Friedhof. Jan blickte sich um und als er sah, dass wir alleine waren, kramte er einen Luftballon aus seiner Jackentasche. Er begann zu kichern, musste sich zusammenreißen, um das Ding aufzupusten. Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte, bis ich das aufgedruckte Motiv sah. Minnie Mouse vor rotem Hintergrund, so wie man sie kennt, je drei Striche als Wimpern, lila Schleife im Haar. Und über Minnies Ohren stand Gute Besserung in Schnörkelschrift. Jan zog eine Schnur hervor, knüpfte das eine Ende am Ballon fest und wickelte das andere um ein Kreuz, so dass Minnie Mouse über einem der Gräber hing.
„Lass uns Fotos machen!“, rief er.
„Was soll das?“
„Den Toten gute Besserung wünschen!“
„Schon klar. Warum Minnie Mouse?“
„Warum nicht?“
„Hat das was mit mir zu tun?“
„Ist witzig. Ich lach' mich tot.“
„Ja, okay, ich find's nicht gut. Lass uns gehen, bitte.“
„Hast du Schiss?“ Jan packte mich an den Schultern und drückte mich zur Seite, bis ich neben dem Grab stand. „Lächeln, bitte!“
„Idiot!“ Ich rannte los, rannte durch die halbe Stadt nach Hause. Verwirrt, weil ich nicht begriff, was in meinem Bruder vorging. Als ich daheim ankam, schmerzte meine Lunge so sehr, dass ich dachte, ich müsse sterben.

Ich ziehe den Pyjama an und stopfe meine Kleider in eine Plastiktüte, die ich Marc in die Hand drücke. Er solle schon mal nach unten gehen, sage ich zu ihm, und als er das Zimmer verlassen hat, stecke ich vier Hunderter, die ich zwischen den Seiten von Lady Punk aufbewahrt habe, zusammen mit einer Halskette und den goldenen Ohrringen meiner Großmutter in einen Stoffbeutel. Ich gehe nach unten und halte den Beutel hinter meinem Rücken versteckt.
„Stehen meine roten Schuhe draußen?“, frage ich Marc und während er die Tür öffnet und nachsieht, verstaue ich Geld und Schmuck in meiner Jackentasche.
„Nö.“
„Okay, dann nehme ich die anderen“, flüstere ich. Danach verabschieden wir uns gut hörbar und nachdem Marc die Tür hinter sich geschlossen hat, gehe ich zur Küche, wünsche meiner Mutter gute Nacht, trample die Treppe hoch, tripple auf Zehenspitzen wieder hinunter und schleiche mich nach draußen. Marc wartet auf der anderen Straßenseite. Ich ziehe meine Kleider an, Marc steigt auf sein Fahrrad und ich setze mich auf den Gepäckträger.
Wir fahren an den letzten Häusern der Siedlung vorbei und dann über die schlecht beleuchtete Landstraße. Die Sterne sind weg, der Himmel schwarz. Schon wieder tränen meine Augen, aber diesmal wegen der kalten Luft. Die Straße steigt an, Marc beginnt zu schnaufen. Ich klammere mich an ihn und wir schaukeln den Hügel hoch. Oben auf der Anhöhe steht ein einsamer Baum und ich zucke zusammen, weil ich zwischen den Ästen etwas hängen sehe. Wir fahren an einem Bauernhof vorbei, ein Hund bellt und ich erschrecke schon wieder.
Als wir den Waldrand erreichen, ist es kurz nach elf. Wir steigen ab, stellen uns unter die einzige Straßenlaterne, die es dort gibt, und blinzeln in die Dunkelheit. Nichts. Marc reibt sich die Hände warm. Dann höre ich ein Rascheln, es kommt aus dem Wald, wo ich auf einmal ein Licht aufflackern sehe.
„Was hat der hier zu suchen?“ Jan steht vielleicht zwanzig Meter von uns entfernt. Seine Stimme überschlägt sich.
„Marc war gerade bei mir. Okay?“
„Nicht okay. Er soll weg.“ Ich schaue Marc an.
„Ich geh' mal da rüber“, sagt er. „Du rufst, wenn was ist.“ Ich gebe ihm einen Kuss.
Mein Bruder sieht schlecht aus. Seine Haare sind zerzaust, Kratzer auf Gesicht und Händen.
„Nicht schlimm“, sagt er. „Ich hätte den Weg nehmen sollen, statt durchs Unterholz …“ Er dreht sich um und blickt zum Wald. „Da hinten hat's einen Schuppen. Für den Forstwart, mit Werkzeug drin. Da kann man rein, die schließen nie richtig ab.“
„Und da willst du übernachten?“
„Ja.“ Jan lächelt.
„Ach so“, sage ich.
„Wenn ich's nicht mehr aushalte, weißt du? Ist ein guter Ort, um nachzudenken. Und dann geht's meistens wieder.“
„Diesmal nicht?“
„Nein.“
„Ist etwas geschehen?“
„Ich will nicht darüber sprechen. Ich brauche nur etwas Zeit, weißt du?“
Was soll ich darauf antworten? Große Brüder müssen ihre Schwestern trösten, nicht umgekehrt. Ich will Jan sagen, dass er nach Hause kommen soll, aber ich schweige.
„Hast du Geld?“, fragt er. Ich gebe ihm die Scheine und den Schmuck. Er steckt alles ein und schaut mich an. „Nicht weinen, Minnie Mouse“, sagt er und nimmt mich in die Arme.
„Die Schule und alles. Du kannst das nicht einfach so hinschmeißen.“
„Ich nehme den ersten Zug morgen früh.“
„Wohin?“
„Ich melde mich, versprochen.“
„Wann kommst du wieder?“
„Wenn es mir besser geht.“ Eine Weile stehen wir da, ich spüre, wie sich Jans Brustkorb hebt und senkt, ich will meinen Bruder nicht loslassen. Aber dann tue ich es doch.
„Tust du mir einen Gefallen?“, fragt er.
„Okay?“
„Sag Marc, er soll sich verpissen. Schick ihn in die Wüste.“
„Wie?“
„Er ist nicht gut für dich“, sagt Jan und bevor ich antworten kann, steht Marc neben uns.
„Arschloch!“, schreit er. „Was hast du gesagt?“
„Dass du dich verpissen sollst.“ Jan hat seine Hände in die Jackentaschen gesteckt und spuckt Marc vor die Füße.
„Ich dachte, du willst dich verpissen?“, sagt Marc und legt seinen Arm um meine Schultern. Ich finde das keine gute Idee und mache einen Schritt zur Seite.
„Vielleicht nicht“, sagt Jan. „Vielleicht müssen wir das zuerst klären.“
„Ach ja? Dann klär' mal.“
„Echt jetzt?“, rufe ich dazwischen, doch Jan scheint mich nicht zu hören. Er geht auf Marc zu, so als sei der gar nicht da, läuft mit gesenktem Kopf einfach in ihn hinein. Marc wirkt überrumpelt, macht zwei Schritte rückwärts und fällt beinahe um. Dann aber schubst er meinen Bruder von sich weg.
„Wichser!“ Jan lässt sich nicht beirren. Diesmal ist Marc jedoch vorbereitet und nimmt ihn in den Schwitzkasten, hält ihn umklammert und sagt, er solle mit dem Scheiß aufhören. Mein Bruder keucht, aus seinem Mund tropft Speichel, ich denke, er gibt auf, denn er lässt sich auf einmal hängen, es scheint, als würde er in sich zusammensacken. Doch genau in dem Moment, da Marc seinen Griff lockert, tritt ihm mein Bruder mit voller Wucht gegen das Schienbein. Marc krümmt sich vor Schmerzen. Er blickt nach oben.
„Verfluchter Spast. Hast du sie noch alle? Du verfickte Hasenscharte!“, sagt er.

Wenn man vom Fünfmeterbrett springt, wenn der Kopf ins Wasser taucht, da hat man dieses Sirren im Ohr und die Welt ist weg, als habe man sie verschluckt, oder umgekehrt, und es gibt nur noch einen selbst. Oder wenn jemand ein Glas fallen lässt und es hat noch nicht aufgeschlagen, aber man kann nichts mehr dagegen tun. Alles geht ganz schnell und ich stehe daneben und schaue zu. Jan greift in die Jackentasche und auf einmal hat er etwas in seiner Hand und ich höre ein Klicken. Dann stürzt er sich mit einem scheußlichen Krächzen auf Marc, der seine Hände vors Gesicht hält. Bestimmt gibt es gar kein Geräusch, als das Messer seine rechte Handfläche aufschlitzt, aber ich höre ein Ratsch, so laut wie das Gekreische meines Bruders. Marc geht in die Knie, er blickt auf seine Hand, als gehöre sie einem anderen. Dann beginnt er zu stöhnen, Blut tropft auf den Boden. Ich schaue zu Jan, der dasteht, als habe er mit alldem nichts zu tun. Er sieht aus wie ein Verrückter.
„Mach was!“, schreie ich, aber mein Bruder lässt bloß das Messer fallen und erstarrt. Ich ziehe die Jacke aus und wickle meinen Pullover um Marcs Hand.
„Scheiße“, wimmert er. „Mir wird schlecht.“ Er steht auf und hält seinen Arm in die Höhe. Gleich verfärbt sich mein Pulli rot, denke ich. Dann hole ich das Rad und Marc setzt sich auf den Gepäckträger. Er wirkt ziemlich weggetreten.
„Geh' nach Hause!“, rufe ich meinem Bruder zu, der noch immer dasteht, als sei er gelähmt.
Wir fahren los. Ich habe Angst, dass Marc bewusstlos wird und vom Rad fällt, frage alle fünf Sekunden, ob es ihm gut gehe und ob er Schmerzen habe, er krallt seine unverletzte Hand in meine Hüfte. Als wir in unser Quartier einbiegen, beginne ich zu schreien, bei den Nachbarn geht das Licht an. Wir steigen ab, Marc setzt sich auf den Randstein und ich renne ins Haus, um meiner Mutter zu sagen, dass sie ihn ins Krankenhaus fahren müsse.

Während Marc verarztet wird, sitze ich alleine im Warteraum, auf einem dieser orangen Stühle. Mutter hat sich auf die Suche nach einem Getränkeautomaten gemacht. Ich starre auf den Linoleumboden und auf meine Beine, die noch immer zittern. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Ich greife nach meinem Smartphone und wähle Jans Nummer. Er geht nicht ran. Mein Magen beginnt sich zu verkrampfen. Ich solle Marc verlassen, hat er gesagt und ich begreife, dass Jan wegen mir weggerannt ist. Minnie Mouse hat einen Freund. Drei Monate lang hat mein Bruder es ertragen, aber jetzt nicht mehr. Es liegt nicht daran, dass Marc einen schlechten Ruf hat, sondern bloß daran, dass es jemanden gibt, den ich mag. Und ich mag Marc wirklich. Aber ich verstehe, dass ich noch warten muss mit den Männern. Dass mein Bruder noch nicht so weit ist. So eine Scheiße! Mir wird übel, ich stehe auf, gehe zur Toilette und muss mich übergeben.
Kurz vor Mitternacht kommen Marcs Eltern, sie betreten den Warteraum gleichzeitig mit meiner Mutter, die den beiden erklärt, dass die Hand genäht werden müsse, aber sonst alles in Ordnung sei. Marcs Vater fragt, was geschehen sei und Mutter meint, das könne man später klären.
Zehn Minuten später betritt eine Ärztin den Warteraum, sie sieht nett aus. Marc gehe es gut, sagt sie und wir folgen ihr auf den Flur, wo mein Freund steht und mich anlächelt. Wir umarmen uns, er will mich küssen, aber ich drehe meinen Kopf zur Seite.
„Du hast ihn Hasenscharte genannt“, sage ich.

Als Mutter und ich nach Hause kommen, ist Jan bereits auf seinem Zimmer. Vater hört sich an, was geschehen ist und meint, man müsse warten, ob es eine Anzeige gebe und dann müsse man sich überlegen, was mit dem Strolch geschehen solle.
„Warum hat er das getan?“, fragt er mich.
„Er wollte mich beschützen.“
Ich gehe nach oben, putze mir die Zähne und lege mich völlig erschöpft aufs Bett. Kurze Zeit später klopft Jan an meine Tür und kommt herein.
„Schläfst du?“, fragt er.
„Nein.“
„Wie geht es Marc?“
„Er wird's überleben.“
„Es tut mir leid“, sagt er, setzt sich auf den Rand meines Bettes, streicht mit der Hand über die Decke.
„Ich habe Schluss gemacht.“
„Warum?“
„Warum? Du fragst mich, warum?“ Ich richte mich auf und kneife meine Augen zusammen. Jan legt seine Hand auf meine Schulter und ich beruhige mich wieder.
„Das ist gut.“, sagt er.
„Ist es nicht.“
„Er hätte dich verletzt, da kannst du dir sicher sein.“
„Woher willst du das wissen?“
„Schöne Menschen sind so.“ Jan lacht. „Nur du bist anders.“ Er zieht seine Hand zurück und dreht den Kopf weg.
„Ich bin müde, Jan. Lass uns morgen darüber sprechen.“
„Meinst du, ich bin verrückt?“, fragt er.
„Mach dir keine Gedanken.“
„Du hast die Schublade aufgebrochen.“
„Ich habe mir Sorgen gemacht.“
„Die Zeichnungen?“
„Sie sind toll.“
„Es macht dir nichts aus?“
„Wieso sollte es?“
„Minnie Mouse ist das beste Motiv.“
„Ja“, sage ich.
„Du bist wunderschön, Nora.“ Jan beugt sich nach vorne und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Seine Augen sind feucht.
„Geh' jetzt schlafen“, flüstere ich. Jan nickt. Dann steht er auf und geht in sein Zimmer.

 
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Hey Zantje

Ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut.

ich hätte es interessant gefunden, mehr über Jan zu erfahren und warum er so wütend ist. Das Ende kommt mir etwas falsch vor. Die Attacke auf Marc war 'nur' ein weiterer Ausraster, wenn auch offensichtlich einer, der für Nora einiges ändert. An Jans Situation ändert sich aber nichts. Es ist für mich ein wenig schwierig, die Geschichte so zu verlassen.

Ja. Gekauft, auch im Lichte anderer Kommentare. Ich wollte hier den Leser die Arbeit machen lassen - so schätze ich das retrospektiv ein. Was in Jan vorgeht, soll erschlossen werden, aber dafür liefere ich viel zu wenig Material, zu wenig Info. Ich merke, dass es mir einfacher fällt, Figuren einzuführen und sie zu zeigen, wie sie sind, als ihre Entwicklung spürbar zu machen. Das gilt auch für die Entwicklung von Nora. Das ist noch ne ziemlich Baustelle, aber ich werde auf alle Fälle daran arbeiten. Dass dir der Text insgesamt gefallen hat, motiviert mich sehr, da noch mal richtig was reinzustecken. Danke!

Lieber Gruss
Peeperkorn

Hey Jimmy

Ich bin ziemlich baff. Was für ein toller Kommentar! Aber machen wir uns an die Auseinandersetzung:

Für mich ist das der Kern der Geschichte.

Ich merke, wie ich es versäumt habe, für mich selber diesen (oder einen) Kern wirklich klar herauszuschälen. Ich denke, wenn ich da deutlicher sehe, werde ich die Elemente besser arrangieren, das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen können. Bei früheren Texten habe ich mir jeweils eine Notiz gemacht, die den Kern expliziert. Diesmal nicht und es hat sich gerächt.

Mir fehlt auch der Konflikt. Warum passiert das alles nicht vorher? Warum ist Jan jetzt unter Zugzwang? Da hat Ane schon auch Recht, in ihrem Kommentar hat sie das gut ausgeführt, diese Belastung die er als Spaltkind hat, die kommt nicht so rüber, die wirkt in der Geschichte, in den Figuren nicht nach. [...] Aber diese Abweisung kann nicht deutlich werden, weil du sie nie zeigst, die ist dem Text immanent, darauf müssen wir uns als Leser einfach verlassen bzw wir bekommen es aus zweiter Hand erzählt. Das müsstest du einfach mehr einbinden.

Und das ist, glaub ich, der Kern des Problems. Da war diese Idee: Die Erzählerin plappert und erzählt und es wird schon klar, dass sie die Dramatik des Geschehens ein wenig mitbekommt und das auch kommuniziert. Aber dann erkennt der Leser die wahre Dramatik, spürt diesem Jan selbst nach, ergänzt den inneren Konflikt Jans, seine Entwicklung und was sonst noch fehlt ... und während ich das schreibe, merke ich, dass das nicht funktionieren kann, dass ich als Verfasser nicht einfach die Hände in die Hosentaschen stecken und auf den Leser hoffen darf. Ich denke, das war auch die Stossrichtung von Anes Kommentar, die ich erst jetzt so richtig kapiere - hoffe ich zumindest.

Ich befürchte, ich habe dieses ganze Erklären - Zeigen - Andeuten - Verschweigen - Ding noch nicht durchdrungen, flüchte vor dem Erklären ins Verschweigen etc.

Das ist so ein seltsamer Rhythmus, ich meine, nicht sprunghaft, sondern sie muss dem Leser alles erklären, sie reflektiert sehr viel, aber zeitgleich passiert auch eine Menge, und das wirkt dann halt nacherzählt. Du beraubst dich hier auch einer deiner Stärken, nämlich der verknappten Szenerie mit wenigen Details und guten Dialogen. Das fehlt mir hier völlig, weil diese eingeschobenen inneren Monologe, die eigentlich tolle Szenen beinhalten, aber eben nur als kurze Andeutung.

Finde ich ebenfalls eine hilfreiche Analyse. Das ist wirklich sehr inkongruent: Einerseits will ich diese unmittelbare Stimme, Nora, die im Geschehen drin steckt, und andererseits muss Nora ständig Dinge aus der Vergangenheit präsentieren. Ich hoffe, dass ich das mit dem Wechsel der Erzählstimme besser hinkriege. Eine einzige grosse Rückblende, die sich szenisch entfaltet, wird hoffentlich weniger Probleme bereiten.


Ich denke, du wolltest hier einen flüssiges Erzählstück haben, weil es eben auch länger ist, aber wenn du da nochmal rangehst, wirst du es nochmals entschieden länger machen müssen, mehr Raum wird diesem Text gut tun.

Ja, das denke ich auch. Ich bin verdammt ungeduldig, wenn's ums Schreiben geht, aber will versuchen, disziplinierter zu arbeiten.

Auch die erste Szene mit den Gräbern, auf dem Friedhof, da würde ich sie dabei sein lassen, er tut es ja auch für sie, so bestärkst du eine Verbindung, die ja sehr tief ist, aber diese Tiefe sieht und spürt man nie, die ist einfach gesetzt.

Gute Idee. Zeigt, in welche Richtung das gehen könnte.

Dafür ist die Erzählerin einfach zu passiv, das stört mich richtig beim Lesen.

Was dann auch dazu führt, dass nicht nur die Entwicklung von Jan, sondern auch die von Nora nicht spürbar wird, sie geschieht ihr einfach, wird am Ende behauptet.

Dann das Ende. Mir ist das zu versöhnlich.

Wenn ich die grundlegenden Dinge angehe, Perspektive ändere, die Konflikte spürbarer, Nora aktiver mache, dann - so hoffe ich - wird sich ein zwingenderes Ende fast automatisch einstellen. Du stellst ja auch diesen Zusammenhang zwischen Erzählstimme und dem Ende her. Jetzt ist Noras Horizont zu begrenzt (auch zeitlich), um ein gutes Ende wirklich erzählen zu können.

Also, die Anlagen sind alle da, der Text ist auch so schon gut, ich habe den gerne gelesen, der Rest ist alles Feintuning.

Das stimmt mich zuversichtlich und ich habe echt Lust, daran zu arbeiten.

So. Jetzt habe ich im Wesentlichen deine Gedanken zum Text wiederholt und etwas weitergesponnen. Du weisst, dass ich recht bockig sein kann, wenn's um meine Texte geht. Aber was will man bei einem solchen Kommentar schon tun, ausser sich zu bedanken und zu sagen, dass man gedenkt dranzubleiben und es besser zu machen. Das war glasklar und messerscharf, merci!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Lieber Peeperkorn

den Text habe ich vor ein paar Tagen bereits gelesen und jetzt noch mal. Kann das gar nicht genau einordnen, was ich davon halte. (und habe die bisherigen Kommentare komplett ignoriert :lol:)

Geschmeidig formuliert, elegant und sprachlich durchdacht. Selbst die Rolle der Minniemouse gelungt über weiter Passagen ganz gut.

Warum bleibt trotzdem ein Unbehagen?
Ich führe mal die Punkte an, die mich beschäftigen.

Vater meint, der Strolch komme bald wieder zurück, es sei ja nicht das erste Mal, kein Grund sich aufzuregen. Also liegt er auf dem Sofa, guckt die Tagesschau und sieht müde aus. Mutter steht in der Küche und raucht, die Asche klopft sie in die Spüle.
Du beginnst in diesem Text nicht mit Landschaftsverortung, sondern mit Personenverortung. Vater, Mutter, Jan und die Erzählerin.
In der Folge spielen Vater und Mutter so gut wie keine Rolle mehr. Der Vater ist der Typ, der vor dem Fernseher hockt, mehr nicht. Die Mutter pafft eine nach der anderen. Mehr nicht. Der einzige Fixpunkt der Erzählerin ist der Bruder und ein ihr Freund. So ist das nicht ganz bei Pubertierenden. Da fehlt mir das Schwankende. mal zu den Eltern, mal zu den Freunden orientierte.

By the way: (ich finde die Stele gerade nicht): als sie drüber nachdenkt, dass ihr Freund ja evtl auch mehr von ihr will als küssen, holst du das pädagogisch wertvolle Allgemeinkiischee raus: es ist für mich noch nicht die richtige Zeit, ich will nur küssen... das erinnert mich zu sehr an Ragteberliteratur, richtig grässlich ist das...

Und vor allem die Wut von Jonas. Dadurch, dass du die nur von außen und innerhalb eines kurzen Zeitraum erzählst, verstehe ich die nicht komplett. Da fehlt was. Das reicht nicht. So wird seine Qual nur durch seine "Behinderung" ganz indirekt sichtbar, aber ohne ausreichende Hinweise.

Insgesamt ein interessanter, ja guter Text, der ausbaufähig ist :Pfeif:
Hoffe du kannst was mit anfangen
liebe Grüße
Isegrims

 

Liebe isegrims

Witzig, dein Kommentar ist eingetrudelt, während ich an der Rückmeldung zu deiner Geschichte geschrieben habe. Freut mich und danke, dass du den langen Text gelesen hast.


Insgesamt ein interessanter, ja guter Text, der ausbaufähig ist

Danke und ja, ich werde das in Angriff nehmen. Dein Kommentar hilft mir dabei.


Und vor allem die Wut von Jonas. Dadurch, dass du die nur von außen und innerhalb eines kurzen Zeitraum erzählst, verstehe ich die nicht komplett. Da fehlt was. Das reicht nicht. So wird seine Qual nur durch seine "Behinderung" ganz indirekt sichtbar, aber ohne ausreichende Hinweise.

Das trifft sich mit einigen anderen Kommentaren und ist als Hauptschwäche des Textes identifiziert. Gut, dass du in Unkenntnis dieser Kommentare auch noch mal den Finger da drauf legst.


Du beginnst in diesem Text nicht mit Landschaftsverortung, sondern mit Personenverortung. Vater, Mutter, Jan und die Erzählerin.
In der Folge spielen Vater und Mutter so gut wie keine Rolle mehr.

Stimmt, war mir gar nicht so bewusst. Ich werde den Text entweder anders beginnen, oder den beiden Eltern mehr Gewicht verleihen.

als sie drüber nachdenkt, dass ihr Freund ja evtl auch mehr von ihr will als küssen, holst du das pädagogisch wertvolle Allgemeinkiischee raus: es ist für mich noch nicht die richtige Zeit, ich will nur küssen... das erinnert mich zu sehr an Ragteberliteratur, richtig grässlich ist das...

Du hast ja einen ausgepägten Klischee-Radar, fast will ich schreiben, eine entsprechende Allergie. Aber du hast schon recht, jetzt, da ich darüber nachdenke. Für mich stand die Szene in ganz anderem Kontext, wie erwachsen, wie reif ist Nora? Und ich wollte das Thema "Sex" anschneiden, damit es mitschwingt, auch wenn es um die Beziehung zwischen Nora und Jan geht. Das erklärt zwar die Genese dieser Passage, rechtfertigt sie aber nicht gegenüber deinem Einwand. Das werde ich auf alle Fälle im Auge behalten, wenn ich den Text überarbeite.

Ja, Isegrims, damit kann ich sehr viel anfangen, herzlichen Dank!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peeperkorn!

Ehrlich gesagt kann ich die Einwände von Isegrim überhaupt nicht nachvollziehen! Man sollte auch mal drüber nachdenken, was man so schreibt ...

Zitat Isegrim:Und vor allem die Wut von Jonas. Dadurch, dass du die nur von außen und innerhalb eines kurzen Zeitraum erzählst, verstehe ich die nicht komplett. Da fehlt was. Das reicht nicht. So wird seine Qual nur durch seine "Behinderung" ganz indirekt sichtbar, aber ohne ausreichende Hinweise.
Ich halte diesen Vorwurf für Unsinn! Die Schwester erzählt das Ganze ja aus ihrer 14jährigen Sicht, sie muss und kann noch nicht alles verstehen. Trotzdem kann ich sehr gut nachvollziehen, warum Jan so wütend ist: Der ist sechzehn, hätte sicher auch gerne ein Mädchen und weiß aber gleichzeitig, dass er da wenig Chancen hat. Genau deswegen mag er Marc auch nicht - der kriegt das, was er selbst auch gerne hätte. Da fehlt überhaupt nichts.
Damit ist doch alles klar:
Aber das habe ich ihm verschwiegen, ich weiß auch nicht, es ist irgendwie fies, dass ich einen Freund habe. Ich bin erst vierzehn und Jan ist sechzehn und hatte noch nie 'ne Freundin. Ich kenne viele Mädels, die ältere Brüder haben, und die werden dauernd gefragt, was die Brüder so machen und ob sie solo seien, aber ich werde so was nie gefragt. Also, die machen keine blöden Sprüche, aber sie tun so, als gebe es Jan nicht.
Daraus bezieht die ganze Geschichte ihre Spannung: Das Problem, das Jan mit seiner Behinderung hat, ist spannungsvoll auf die erste Verliebtheit seiner Schwester bezogen. Da spürt man einen Zusammenhang. In der Schwester vereinigt sich Dreierlei: Sie ist das "bessere", weil gelungenere Kind, sie ist ein Mädchen, eines, wie Jonas es sicher gerne hätte, und er liebt sie aber natürlich auch als Bruder.
Die ganze Geschichte klingt so, als würde das Mädchen es ihrem Tagebuch erzählen oder einer Freundin sogar. Ich würde mal probieren im Perfekt zu erzählen, was die rückschauenden Passagen betrifft, und nicht im Präteritum, weil man umgangssprachlich eben das Perfekt verwendet.
Zitat Isegrim: In der Folge spielen Vater und Mutter so gut wie keine Rolle mehr. Der Vater ist der Typ, der vor dem Fernseher hockt, mehr nicht. Die Mutter pafft eine nach der anderen. Mehr nicht. Der einzige Fixpunkt der Erzählerin ist der Bruder und ein ihr Freund. So ist das nicht ganz bei Pubertierenden. Da fehlt mir das Schwankende. mal zu den Eltern, mal zu den Freunden orientierte.
Aber das stimmt doch gar nicht! Klar, die Hauptfiguren sind Jan, seine Schwester und ihr Freund. Aber gerade die Mutter ist doch eine sehr wichtige Figur, über das Verhältnis zwischen Jonas und ihr reflektiert die Erzählerin doch recht intensiv, erzählt verschiedene, problematische Szenen zwischen Jan und der Mutter! Das Fehlverhalten der Mutter während der Schwangerschaft ist vermutlich der Grund für Jans Behinderung - und gegenüber der Mutter zeigt Jan erstmals gewalttätige Züge - er hindert sie mit einem Handtuch am Atmen. Auch wird die Mutter mit der ganzen Engelsache gut charakterisiert.

Auffällig ist, dass du vor der Höhepunktszene immer wieder den Blick ablenkst und den Spannungsbogen unterbrichst - einmal schiebst du eine vergangene Szene zwischen Jan und der Schwester ein (da wird ja auch das Messer auf den Tisch der Geschichte gelegt), einmal beginnt sie innerlich von Marc zu schwärmen, nachdem Jan ihr gesagt hat, sie soll Marc verlassen. Dieses Hin und Her intensiviert die Spannung noch oder macht sie plastischer. Das passiert in einem Dreierschritt - es gibt noch eine ganz kurze Ablenkung auf das Gefühl am Sprungbrett im Schwimmbad oder wie es ist, wenn man ein Glas fallen lässt. Ich finde das wirklich gut gemacht!
Und dann verwendet Jan das Messer, eigentlich erstaunlich, dass die Schwester so überrascht davon ist, der Leser ist es nicht. Die Geschichte ist ja ganz klar auf diesen Höhepunkt zugeschnitten, nur die naive Sicht der Schwester macht es indirekter, aber deswegen ist die Wut und Gewaltbereitschaft von Jan nicht unverständlicher.

Zitat Isegrim: By the way: (ich finde die Stele gerade nicht): als sie drüber nachdenkt, dass ihr Freund ja evtl auch mehr von ihr will als küssen, holst du das pädagogisch wertvolle Allgemeinkiischee raus: es ist für mich noch nicht die richtige Zeit, ich will nur küssen... das erinnert mich zu sehr an Ragteberliteratur, richtig grässlich ist das...
Bitte, hier ist die Stelle:
Ich mag es, wenn wir uns küssen, seine Zunge ist flink wie eine Eidechse, das kitzelt und es wird auch ganz schön warm zwischen meinen Beinen, das ist ein echt gutes Gefühl. Aber mehr liegt nicht drin, das habe ich ihm gesagt und sag' es ihm zweimal die Woche. Tina aus meiner Klasse, die erzählt immer so Dinge. Neulich hat sie behauptet, ihr Freund sei mal vor sie hin gestanden, nackt und mit einem Steifen, voller Stolz. Sie sei auf dem Bett gelegen, habe ihr T-Shirt ausgezogen und es in der Mitte gefaltet. Dann habe sie das Shirt über den, also über das Glied gehängt und gefragt, ob er es bitte ins Bad tragen könne, zum Wäschekorb. Daran muss ich jedes Mal denken, wenn Marc fragt, wie das nun sei mit Kuscheln und mehr. Mir ist das zu viel, das muss noch warten, und mir ist auch egal, was die Mädels sagen, ich lüg' die nicht an, wegen dem.
Warum sollte sowas gleich ein "pädagogisch wertvolles Allgemeinklischee" sein, wenn ein Mädchen mit 14 noch nicht mit ihrem Freund vögeln will? Kapier ich nicht. Man muss halt auf die Kleinigkeiten achten, sie mag das Wort "Schwanz" nicht sagen, da stoppt sie und sagt dann "Glied" - woraus ich schließen kann, dass ihr das noch fremd ist, dass es ihr vielleicht noch Angst macht usw.

Ich glaube, das Problem der Geschichte ist etwas anders gelagert. Der Ton der Geschichte ist wenig subjektiv. Es ist schwer, aus der Sicht einer 14jährigen zu erzählen: Hat man in diesem Alter schon genug Persönlichkeit entwickelt, um überhaupt "subjektiv" reden zu können? Ich glaub, darin liegt auch der Grund, dass die Geschichte wenig berührt, wie jemand angemerkt hat. Es ist ein Durchschnittsmädchen, das hier spricht. Vielleicht ist das aber auch Absicht - Jan und seine Schwester sind ein komplementäres Geschwisterpärchen: Sie ist körperlich gelungen, aber ansonsten wenig interessant oder eben "normal", während er eine Hasenscharte hat, dafür aber sehr viel Talent hat und kreativ ist ( die ganze Friedhofsaktion, das muss einem erstmal einfallen). Von ihrer eher unspektakulären Schablone hebt er sich damit umso schillernder ab.

Die Frage ist aber auch, will die Geschichte überhaupt berühren? Das ist doch ein coming-of-age-Text, wie das Ende nahe legt. Oder im Gegenteil: Die Erzählerin kann beiden Jungs nicht verzeihen, weil sie eben beide (noch?) nicht verstehen kann. Ist sie wirklich aus ihrer Larve geschlüpft? Man könnte vielleicht verkürzt sagen: Sie begreift das Mannsein noch nicht oder will es nicht begreifen.

Gruß
Andrea

 
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Andrea H.

Ehrlich gesagt kann ich die Einwände von Isegrim überhaupt nicht nachvollziehen! Man sollte auch mal drüber nachdenken, was man so schreibt ...
Zitat Isegrim:Und vor allem die Wut von Jonas. Dadurch, dass du die nur von außen und innerhalb eines kurzen Zeitraum erzählst, verstehe ich die nicht komplett. Da fehlt was. Das reicht nicht. So wird seine Qual nur durch seine "Behinderung" ganz indirekt sichtbar, aber ohne ausreichende Hinweise.
Ich halte diesen Vorwurf für Unsinn! Die Schwester erzählt das Ganze ja aus ihrer 14jährigen Sicht, sie muss und kann noch nicht alles verstehen.

usw. usw.

Hä? Warum wird das jetzt persönlich?

viele Grüße lieber Peeperkorn und entschuldige, dass ich off-topic meine Verwunderung ausdrücke

 

Liebe Andrea

Ich würde mal probieren im Perfekt zu erzählen, was die rückschauenden Passagen betrifft, und nicht im Präteritum, weil man umgangssprachlich eben das Perfekt verwendet.

Das finde ich eine gute Idee, werde ich prüfen, wenn ich überarbeite.

Aber das stimmt doch gar nicht! Klar, die Hauptfiguren sind Jan, seine Schwester und ihr Freund. Aber gerade die Mutter ist doch eine sehr wichtige Figur, über das Verhältnis zwischen Jonas und ihr reflektiert die Erzählerin doch recht intensiv, erzählt verschiedene, problematische Szenen zwischen Jan und der Mutter!

Ja, aber beim Vater muss ich Isegrims recht geben, der wird eingeführt und taucht kaum wieder auf - bis auf eine Ohrfeige in der Vergangenheit. Allerdings wird er auch so eingeführt, dass ziemlich klar ist, dass er nicht wieder auftaucht.

Zu den anderen Punkten. Ich bin wahnsinnig froh, dass du mir diesen Kommentar geschrieben hast, der von einer äusserst genauen Lektüre und einer intensiven Auseinandersetzung zeugt und mich viel mehr gefreut hat als so manches uneingeschränkte Lob. Weil ich mich verstanden fühle. In meiner Intention und Ambition. Danke!

Was folgt, ist Off-Topic und gehörte vielleicht besser in den Jammer-Thread. Aber für mich gehört es eben zu dieser Geschichte und vielleicht kann ja auch jemand eine Erkenntnis für sich daraus ziehen.

Es stellt sich nämlich die Frage, weshalb ich nicht selber geschrieben habe, was du ausgeführt hast, weshalb ich meine Intention nicht expliziert und die Idee des Textes verteidigt habe. Die Antwort ist einfach: Ich habe es selber nicht mehr geglaubt. Ich habe auch keine Energie mehr gehabt, ganz ehrlich. Und die Einwände, die vorgebracht wurden, die sind ja alle sehr überzeugend.

Auf alle Fälle ist es die Diskrepanz zwischen Aufwand und Ertrag, zwischen Anspruch und Resultat, der mich zur Zeit ratlos macht und frustriert. Da schreibt man an einem Nachmittag eine Geschichte, geht am nächsten Tag noch mal drüber und die Sache kommt ganz wunderbar an, während eine wochenlang erkämpfte und erarbeite Geschichte viele Kommentatoren, wenn überhaupt, nur in ihren Ansätzen zu überzeugen vermag.

Ich mache mir zur Zeit viele Gedanken dazu, wie ich meine Abhängigkeit vom Urteil und von der Anerkennung anderer auf ein vernünftiges Mass reduzieren kann. Was ich eigentlich mit meinen Texten möchte. Ob gute Texte berühren müssen. Klar ist, dass das Entwickeln einer eigenen Stimme sehr viel mehr Zeit und Energie braucht, als ich gedacht habe - und ich finde nicht, dass ich diesbezüglich naiv an die Sache herangegangen bin.

Danke noch mal für deine Worte!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Ich mache mir zur Zeit viele Gedanken dazu, wie ich meine Abhängigkeit vom Urteil und von der Anerkennung anderer auf ein vernünftiges Mass reduzieren kann.

Da solltest du dich von frei machen. Man wird nie immer allen gefallen, und du solltest dich, also so sehe ich das, auch immer selbst in deinen Texten wiedererkennen. Außer du möchtest eben wirklich mainstream schreiben und damit eine Menge Kohle verdienen. Oder Preisträgerliteratur schreiben.

 
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Hallo Peeperkorn,

ein Text, der sich sehen lassen kann. Rührende, vielschichtige Charakterzeichnung. Krudes psychosoziales Beziehungsgeflecht, treffend in Handlung gegossen. Goldgelockte, sorry, »holdgelockte Idioten«, die gehängten Kinder, Minnie-Mouse-Ballons auf dem Friedhof. Morbide. Und das in einer naiven, jugendlichen Sprache rübergebracht, also keine Frage, das hat was. Auch wenn das Ende "logisch" ist, vorhersehbar war es für mich nicht, spannende Geschichte. In meinen Augen kamen alle Figuren zu ihrem jeweiligen Auftritt, die Bedenken meiner Vorkritiker teile ich nicht. Der Vater, gut, außer dass er das Verschwinden des Sohnes lethargisch aussitzt, außer der Ohrfeige ... andererseits, brauchts den überhaupt?

Etwas Textkram
Sieht mehr aus, als es ist. Such dir raus, was dir einleuchtet und lass den Rest für andere liegen. :)

  1. Letzte Woche hat mein Bruder was Schräges getan, richtig unheimlich war das.
    • Vorkritiker haben die Naivität der Protagonisten angemerkt. Beim nochmaligen Lesen ist es zum Beispiel dieser Satz, der mich dazu bewegt, ihnen zuzustimmen. "richtig unheimlich war das" klingt kindlich-naiv. Würde eine vierzehnjährige das sagen, wenn überhaupt nicht abgeschwächt durch Adverben wie "irgendwie" oder "schon"?
    • Die Zeitwahl scheint mir auch nicht ganz richtig. Im Unterschied zur wörtlichen Rede, wo das Präteritum stark zurückgeht, zumal aus dem Mund eines Teenies, ist das Perfekt hier nach meiner Meinung und meinen literarischen Maßstäben fehl am Platz, die Ballons sind ja nicht mehr da.
  2. Dumm nur, dass ihn jemand dabei beobachtet und die Polizei gerufen hat. Die räumten natürlich alles weg.
    • Ich bezweifle (habe aber keine Ahnung), dass die Polizei das tat. Das wird entweder jemand von der Friedhofsverwaltung gemacht haben, oder Jan selbst, pädagogischer Effekt der Wiedergutmachung und so.
    • Wieder Zeitfehler >> Dumm nur, dass ihn jemand sah und die Polizei rief.
  3. Also ein Spaltkind, mein Bruder. Wer übrigens Hasenscharte sagt, kriegt von Jan eins in die Fresse.
    • Korinthe: "in die Fresse" muss Jan ja ziemlich weh tun, wegen der Zähne. Kann aber gut sein, dass man halt nicht in ganz D "auf die Fresse" sagt.
  4. Ich komm nicht wieder
    Fuck. Ich gehe nach oben in mein Zimmer und tippe:
    Echt?
    Diesmal nicht, kannst glauben
    Wohin gehst?
    Sag ich, wenn ich dort bin
    Okay.
    • Angelehnt an der Konvention bei Bidichats von Smartphones, die Sprechparts wechselweise links und rechts auszurichten, könntest du auch mit Einrückungen arbeiten. Schreib ich nur, weil ich hier immer hängenbleibe.
  5. Offline auf WhatsApp. Zwei Minuten später eine SMS:
    • Mit Markennamen und Abkürzungen würde ich vorsichtig umgehen, wenn die nicht Jahrzehnte alt sind. Okay, SMS ist etabliert, aber vielleicht bald schon vergessen. Damit büßt man "Zeitlosigkeit" ein. >> "Jan (offline)" steht auf dem Display. Zwei Minuten später doch eine Nachricht. -- Auf welchem Kanal eine Nachricht gepostet wird, ist nicht wichtig, meine ich.
  6. Mutter mag alles, was bunt ist und glänzt, da unterscheidet sie sich in nichts von einer Elster.
    • Ja, hm, falsch ist es nicht. Genau betrachtet stehen "da" (Spezifizierung) und "in nichts" (Pauschalisierung) derart in Konflikt, dass ich dir bescheinige: Das ist kein Peeperkorn-Satz ;). Wobei diese Pauschalisierung ja gleich im nächsten Satz wieder zurückgenommen wird. Warum nicht einfach >> da ist sie wie eine Elster.
  7. Jan nennt sie holdgelockte Idioten.
    • Auf die Gefahr hin, dass ich bildungsbürgertümlerisch rüberkomme: holdgelockt kenn ich nicht. goldgelockt würde ich gelten lassen. Laut meinem ethymologischen Wörterbuch (Kluge, 24. Aufl.) bedeutet hold ursprünglich "zugeneigt", und mit dieser Bedeutung assoziiere ich es mit einem Hauch Ergebenheit und Treue auch in meinem Wortschatz. Wie können Locken zugeneigt sein, und wem? Wenn du das Wort bewusst gewählt hast, lass es ruhig, Ethymologie wirkt gegen die Kunst eh trocken und fad.
    • Wenn das bewusst war, würde ich "holdgelockte Idioten" in Anführungszeichen setzen.
  8. Schön, dass Marc noch vorbeikommt. Er hat braune Augen, ganz dunkle, und ist fast einen Kopf grösser als ich.
    • Diese Figurenbeschreibung wirkt etwas plump und unbeholfen. Überlege, ob sie überhaupt wichtig ist. Wenn überhaupt in den Handlungskontext einbinden à la >> Er sieht mich mit seinen dunklen Augen fest an. EDIT: Vergiss das, sie haben sich ja noch gar nicht getroffen.
    • >> größer
  9. Zwischen den Seiten von Lady Punk liegen vier Hunderteuroscheine, die hab' ich gespart.
    • Der Deppenbindestrich macht weniger übliche Komposita von mehr als zwei Wörtern, in denen das erstere auf einem Konsonant endet und das nächste mit einem Vokal beginnt, doch übersichtlicher >> Hundert-Euro-Scheine. Oder nein, vergiss es, eigentlich meine ich, so recht bedacht >> Hunderter.
  10. Jan weiß nicht, dass ich das weiß, Tom hat's mir anvertraut, sein Kumpel.
    • "anvertraut" balanciert auf der Grenze zum Stilbruch. Und trifft auch inhaltlich nicht ganz zu, oder hatte sie eine Affäre mit ihm? Nimm besser >> verraten. Besser noch, um zu umschiffen, dass der Leser sich fragt, warum Tom ihr sagen sollte, was Jan nicht weiß, sie aber schon. >> Hab mich mal mit seinem Kumpel unterhalten, dabei habe ich das herausgefunden.
  11. „Da hinten hat's einen Schuppen. Für den Forstwart, mit Werkzeugen drin.
    • >> Werkzeug. Singularetantum. Hätte ich jetzt geschrieben, aber der Duden besagt, dass Werkzeug im Sinne von "Gesamtheit von Werkzeugen" keinen Plural hat, im Sinne einzelner, bestimmter Werkzeuge aber schon. Richtig wäre es gewesen bei "mit verschiedenen Werkzeugen drin", was den Fokus auf das Werkzeug richtet, was du hier nicht willst.
  12. „Nein, diesmal nicht.“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
    • Neuer Absatz nach der wörtlichen Rede des Antagonisten, da sich das folgende nicht auf ihn bezieht.
  13. Er blickt nach oben, in seinen Pupillen kann ich die Spiegelung der Laterne sehen.
    • Ne, nicht wirklich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie darauf achtet. Für mein Gefühl versteifst du dich hier zu sehr darauf, die Sache filmisch zu inszenieren.
  14. „Aua!“, rufe ich.
    • In ihren Adern dürfte Adrenalin literweise fließen. Herabgesetzte Schmerzempfindung. Am nächsten Morgen findet sie vielleicht noch Blutergüsse an der Hüfte.
  15. Wir umarmen uns, er will mich küssen, aber ich drehe meinen Kopf zur Seite.
    • Das fände ich ein sehr gutes Ende. Alles weitere ist Nachbetrachtung, die du ebensogut dem Leser überlassen könntest.
  16. Wenn Marc nicht sein[e] Hände vors Gesicht gehalten hätte.
    • Den Satz würde ich entweder mit einem Ausrufezeichen oder einer Ellipse schließen

 

Hallo peeperkorn,

das ist ein großartiger Text, für mich sind alle Charaktere gelungen, die 14jährige Erzählerin ist halt 14, ist entsprechend ihrem Alter überhaupt nicht naiv. Habt ihr mal Aufsätze von 8.Klässlern gelesen? Den Vorwurf brauchst dir nicht gefallen zu lassen.
Ich hätte die Geschichte vielleicht mehr ausgebaut, mehr die Beziehung der beiden beleuchtet, und klar könnte man den Vater noch einbringen, aber das muss man auch nicht. In vielen kgs bekommen nicht alle Charaktere ihren Raum und das ist okay. Für mich ist der Vater eine Randerscheinung und völlig überfordert mit Jan, deswegen hält er sicj raus. Die Mutter fühlt sich schuldig und die Erzählerin hält das Familiengefüge zusammen.
Mir hat insbesondere die Beschreibung der Einrichtung gefallen, wie die Mutter versucht, da Friede, Freude, Eierkuchen vorzugauckeln und Jan boykottiert das, weil das eben nicht sein Innenleben widerspiegelt, da kann et sich mehr mit gehängten Jungen identifizieren.
Eventuell könntest du auch eine Szene zeigen, wo er auf dem Schulhof noch doof angemacht wird, aber mein Gott, das kann ich mir auchvorstellen. Ich finde das alles sehr gut und die Geschichte hat aus meiner Sicht ne fette Empfehlung verdient.

 
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Hey floritiv

Hab vielen Dank für deinen Kommentar. Du bist der Erste, der konkreten Textkram mitbringt, vielleicht auch, weil ich schon früh geschrieben habe, dass ich den Text grundsätzlich, d.h. mit Wechsel der Erzählperspektive, überarbeiten möchte. Mittlerweile lautet der ambitionierte Plan, zwei Versionen zu erstellen. Eine basierend auf der bisherigen, mit einigen Anpassungen aber unter Beibehaltung der bisherigen Erzählstimme - und da werden deine Anmerkungen sehr hilfreich sein. Wenn ich Zeit und Nerven habe, werde ich dann noch eine Version schreiben, in der Nora als Erwachsene erzählt.
Es freut mich sehr, dass der Text für dich funktioniert hat, ich greif mal die Wörtchen "vielschichtig" und "spannend" heraus, die mich besonders gefreut haben.

Zum Textkram: Ich komm zur Zeit nicht dazu, das alles einzuflechten, aber ab nächste Woche werde ich mich dransetzen. Ich gehe aber jetzt schon mal auf die einzelnen Punkte ein.

Vorkritiker haben die Naivität der Protagonisten angemerkt. Beim nochmaligen Lesen ist es zum Beispiel dieser Satz, der mich dazu bewegt, ihnen zuzustimmen. "richtig unheimlich war das" klingt kindlich-naiv. Würde eine vierzehnjährige das sagen, wenn überhaupt nicht abgeschwächt durch Adverben wie "irgendwie" oder "schon"?

Ich habe sicher ein Dutzend "irgendwie" aus dem Text gestrichen, hier vielleicht eines zuviel. Ich werde auf alle Fälle noch einmal die ganze Niveau/Naivitäts-Geschichte durchgehen, zigga hat hierzu ja auch einige Tipps gegeben.

Die Zeitwahl scheint mir auch nicht ganz richtig. Im Unterschied zur wörtlichen Rede, wo das Präteritum stark zurückgeht, zumal aus dem Mund eines Teenies, ist das Perfekt hier nach meiner Meinung und meinen literarischen Maßstäben fehl am Platz, die Ballons sind ja nicht mehr da.

Da habe ich mich echt schwer getan, immer wieder hin und her gewechselt. Ich müsste mir vielleicht die Erzählsituation genauer vergegenwärtigen und das im Text evtl. sogar durchscheinen lassen. Wenn der gesamte Text nämlich ein gesprochener ist, dann könnte ich das Perfekt häufiger verwenden (wie es Andrea H. vorgeschlagen hat). Oder ich mach das zu einem eindeutig schriftlichen Text, dann geh' ich in die Richtung, die du hier vorschlägst.

Ich bezweifle (habe aber keine Ahnung), dass die Polizei das tat. Das wird entweder jemand von der Friedhofsverwaltung gemacht haben, oder Jan selbst, pädagogischer Effekt der Wiedergutmachung und so.

Gute Idee. Lasse ich Jan machen.

Angelehnt an der Konvention bei Bidichats von Smartphones, die Sprechparts wechselweise links und rechts auszurichten, könntest du auch mit Einrückungen arbeiten. Schreib ich nur, weil ich hier immer hängenbleibe.

Ich werd's mal versuchen und schauen, wie das aussieht.

Mit Markennamen und Abkürzungen würde ich vorsichtig umgehen, wenn die nicht Jahrzehnte alt sind. Okay, SMS ist etabliert, aber vielleicht bald schon vergessen. Damit büßt man "Zeitlosigkeit" ein. >> "Jan (offline)" steht auf dem Display. Zwei Minuten später doch eine Nachricht. -- Auf welchem Kanal eine Nachricht gepostet wird, ist nicht wichtig, meine ich.

Wieder was gelernt. Und dein Vorschlag überzeugt.

Ja, hm, falsch ist es nicht. Genau betrachtet stehen "da" (Spezifizierung) und "in nichts" (Pauschalisierung) derart in Konflikt, dass ich dir bescheinige: Das ist kein Peeperkorn-Satz ;). Wobei diese Pauschalisierung ja gleich im nächsten Satz wieder zurückgenommen wird. Warum nicht einfach >> da ist sie wie eine Elster.

Ach, das ist so wunderbar pingelig, da hüpft mein Herz. Hast mich überzeugt.

Auf die Gefahr hin, dass ich bildungsbürgertümlerisch rüberkomme: holdgelockt kenn ich nicht. goldgelockt würde ich gelten lassen.

Ich hab's gegoogelt, ein paar Stellen gefunden und nicht weiter drüber nachgedacht. Wenn ich es jetzt noch mal google, dann erscheint an fünfter Stelle oder so "Spaltkind und Minnie Mouse". Häufig ist's also nicht. Ich schau mal, was ich damit mache.

Diese Figurenbeschreibung wirkt etwas plump und unbeholfen. Überlege, ob sie überhaupt wichtig ist.

Gekauft. Ebenso die Hunderter, das "verraten" statt "anvertraut" und das Werkzeug.

Ne, nicht wirklich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie darauf achtet. Für mein Gefühl versteifst du dich hier zu sehr darauf, die Sache filmisch zu inszenieren.

Ertappt. Werde ich wohl streichen müssen, diesen darling.

Das fände ich ein sehr gutes Ende. Alles weitere ist Nachbetrachtung, die du ebensogut dem Leser überlassen könntest.

Okay. Werde ich drüber nachdenken, finde ich spannend. Der Konsequenz-Aspekt ist für mich noch der schwierigste. Krise und Klimax schreibt sich relativ leicht im Vergleich, aber wie stark die Konsequenz ausgebaut werden sollte, das bin ich bei jeder Geschichte unsicher.

Floritiv, das war ein sehr hilfreicher Kommentar für den ich mich noch mal herzlich bedanke.

Lieber Gruss
Peeperkorn


Hallo JoBlack

Ich hätte die Geschichte vielleicht mehr ausgebaut, mehr die Beziehung der beiden beleuchtet

Ja, ich glaube, einige Dinge dürften noch etwas mehr Raum bekommen, die Beziehung, wie du sagst, oder die Entwicklung von Jan, bzw. Nora. Das werde ich bei der Überarbeitung auf alle Fälle berücksichtigen.

Eventuell könntest du auch eine Szene zeigen, wo er auf dem Schulhof noch doof angemacht wird, aber mein Gott, das kann ich mir auch vorstellen.

Daran habe ich tatsächlich gedacht, aber dann habe ich mir überlegt, wie oft ich eine solche Szene schon gelesen oder gesehen habe, und es sein lassen.

Es freut mich riesig, dass die Geschichte gerade dir so gut gefallen hat. So verschieden die Geschichten in vieler Hinsicht sind, ich hatte in der Konzeptphase auch die Königin mit gespreizten Beinen vor meinem inneren Auge, als Vorbild gewissermassen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Liebe Wortkrieger

Endlich bin ich dazu gekommen, das Spaltkind anzugehen, mittlerweile existieren davon drei Versionen. Wenn jemand Zeit und Lust hat, sich den doch ziemlich langen Text (nochmal) anzuschauen, wird mich das freuen, aber das soll nicht der Grund für diesen post sein. In erster Linie will ich sichtbar machen, dass all eure wunderbaren Kommentare nicht ins Leere gelaufen sind.

Zunächst habe ich die Geschichte aus der Perspektive der 18-Jährigen Nora, also vier Jahre nach dem Geschehen, umgeschrieben. Danke, Ane für die Anregung und jobär für entsprechende konkrete Vorschläge. Aber die Unmittelbarkeit ging da etwas verloren, auch führten die Rückblenden zu drei verschiedenen Zeitebenen, das schien mir etwas sperrig. Das liegt nicht an eurem Vorschlag, sondern an meinem Unvermögen, das auf die Reihe zu kriegen.

Aber im Rahmen dieser Neufassung habe ich das sprachliche Niveau anheben und die Erzählstimme hoffentlich einheitlicher gestalten können. Anschliessend habe ich das wieder «zurückübersetzt» und Nora ein Jahr älter gemacht. Sie erzählt jetzt also wieder im Präsens mit einigen Rückblenden. Die Gefahr dabei ist natürlich, dass man die Erzählstimme jetzt als wenig authentisch wahrnimmt.
In dieser Version habe ich die Vorschläge von zigga (Marc früher als Abschlepper problematisieren, keine zu heftige Reaktion von Jan, als er seine Schwester zum ersten Mal mit Marc zusammen sieht) übernommen, ebenso die Idee von jimmysalaryman, Nora bei zentralen Ereignissen (Ballon im Friedhof, das Messer) dabei sein und somit den Konflikt etwas stärker werden zu lassen. Auch der Kern der Geschichte, die Abhängigkeit Noras von ihrem Bruder, wird jetzt hoffentlich deutlicher herausgeschält. Die konkrete Textarbeit von dir, floritiv konnte ich ebenfalls sehr gut einbinden, ich glaube, das meiste konnte ich übernehmen.

Dann habe ich versucht, das Leiden Jans und auch Noras, ihren Konflikt spürbarer zu machen, auch das Ende klarer zu gestalten, was viele von euch angesprochen haben. Hier bin mir nicht sicher, ob das gelungen ist. Auf alle Fälle entwickelt sich in meinen Augen nun eine leicht andere Dynamik zwischen den beiden, der Schwerpunkt hat sich etwas verlagert.

Vielen Dank euch allen für die Kommentare, nicht zuletzt auch denjenigen, die geltend gemacht haben, dass der Text es wert sei, dass man da noch mal Arbeit reinsteckt.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

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