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Sonntag riecht kein Glück

Seniors
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19.05.2008
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Sonntag riecht kein Glück

Als ich meinem Vater offenbarte, dass ich verrückt wäre und von nun an in Sicherheitsverwahrung leben würde, konnte er es kaum glauben. „Ich habe es auch nicht kommen sehen“, sagte ich. Sonntag stellte mir die gleiche Frage wie mein Vater und ich erzählte dasselbe wie damals. Ja, ich stellte mir vor, ich spräche mit meinem alten Herrn. Anders hätte ich das auch nicht gekonnt. Ich sprach von den Blumen, die ich meiner Mutter jeden Freitag ans Grab gelegt hatte und wie die angefangen haben, nach den abscheulichsten Widerwärtigkeiten zu stinken. Da denkt man nicht sofort an seine Nase. Da denkt man an seine Mutter und daran, dass sie vielleicht keine Lilien mehr möchte. Die liebte sie zwar zu Lebzeiten, aber nach dem Tod konnte man seinen Geschmack schließlich ändern, nicht wahr? Also habe ich ihr andere Blumen gebracht, aber auch die haben gestunken. Irgendwann hab ich keine mehr hingelegt und es hat trotzdem gestunken. Alles fing an zu stinken: Die Menschen, die an mir vorbeiliefen, auch die Frauen, selbst die jungen. Die Hände, die ich schüttelte; das Wasser, mit dem ich meine wusch. Das Käsebrot, die Wurst und die Äpfel, die ich aß oder wegwarf – alles stank. Selbst der Müll stank mehr als sonst. In der Arbeit fragte ich Lisa, die einzige Frau zwischen all den Müllbunkern der Verbrennungsanlage, ob ich an ihr riechen dürfte. „Wo?“, wollte sie wissen und ich sagte, wo es nur ginge. Sie schaute sich um und zog mich in eine der vielen Kabinen, von denen aus man den jeweiligen Filterprozess steuern konnte. Sie knöpfte sich das Hemd auf und ich schaute auf ihre Brüste, die aus dem BH quollen. „Von Anstarren hast du nichts gesagt“, lächelte sie und drückte mein Gesicht zwischen ihre Titten. Ich schloss meine Augen und atmete tief ein, schnupfte die Mischung aus Schweiß und Giftstoffen, die ihr auf der Haut klebte. Doch als ich ihren Geruch in mir hatte, stieß ich sie mit einem lauten Schrei von mir: „Du stinkst!“ Und noch einmal: „Du stinkst ganz sonderlich!“ Das hatte ihr freilich nicht gefallen und sie fing an, ihr Hemd wieder zuzuknöpfen. Ich versuchte währenddessen, den elenden Gestank aus meiner Nase zu bekommen, ihn herauszubohren. Dann stand sie vor mir. „Ich würde dir jetzt gerne ins Gesicht schlagen, aber ich weiß, dass meine jämmerlichen Hände mehr schmerzen würden als dein perfektes Knochengesicht. Aber morgen komme ich mit einem Hammer und schlage dir den Schädel ein und das meine ich nur ein bisschen als Witz.“ Am nächsten Tag ging ich nicht zur Arbeit. Nicht wegen Lisa und ihrem Hammer, sondern weil ich zu einem Nasenarzt wollte. „Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir die Nase aus dem Gesicht zu schneiden, aber ich habe mir schon gedacht, dass das nichts ändern würde, ich bin ja nicht dumm“, erklärte ich dem Arzt, der eine in Titan gefasste Brille trug und in einem frisch gebügelten Kittel steckte, der nach verfaulten Eiern roch. Er schaute mir ins Nasenloch und stocherte mit seinen Blicken solange darin herum, bis ich das Niesen nicht mehr unterdrücken konnte. Mit beängstigend geistloser Miene nahm er seine Brille ab und wischte sich den Rotz aus dem Gesicht. Dann sagte er Wörter, die ich nicht verstand. Gewiss waren es Fachwörter, die mit meiner Nase zu tun hatten, aber für mich klangen sie wie Schimpfwörter, die mit mir zu tun hatten. Er beklopfte meinen Kopf und ich fragte nach dem Sinn dieser Untersuchung. Er winkte ab und notierte: Kakosmie. Kak hieß Scheiß und Osmie Geruch, glaube ich. Der Arzt sprach von Befürchtungen und schickte mich weg. Aufnahmen vom Inneren meines Kopfes wollte er haben, damit er die Befürchtungen in Tatsachen verwandeln oder verwerfen konnte. Also ließ ich welche machen und brachte sie ihm und da sagte er mir, dass ein Hirntumor meinen Riechnerv angegriffen hätte. Dass man operieren müsste. Ich musste an Lisa und ihren Hammer denken. Wieder hörte ich dieses Klopfen, aber dieses Mal kam es nicht von außen, sondern von innen, als würde jemand in meinem Kopf sitzen, recht ungeduldig und mit dem Bestreben, ihn schnellstmöglich zu verlassen. Man versicherte mir, dass ich nicht sterben würde. Man sagte mir aber auch, dass sich am Gestank nichts ändern ließe. Da konnte ich mich über das Nichtsterben gar nicht mehr so freuen. Sonntag nickte und sagte, dass er jetzt gehen müsse.
„Wollen Sie nicht wissen, wie es weitergeht?“
„Doch, doch. Aber erst morgen.“

Eine Frau mit Mädchengesicht und Mädchenbrüsten brachte mir den Spiegel. Ich durfte ihn nicht besitzen, nur am Morgen, und auch nur solange jemand hier war. Er log. Ich spiegelte mich in einem Lügner. Mehr als seitenverkehrt hing es vor mir: Ich; ein Puzzle aus Millionen Teilen, die einzeln betrachtet harmlos und eigentlich recht hübsch anzusehen waren. Draußen machte sich niemand die Mühe, es zusammenzusetzen. Auch hier nicht, auch ich nicht. Gestern habe ich ein Teil verloren, nicht liegen gelassen, sondern weggeschmissen, schon mit dem Gedanken, dass ich es nicht leicht finden würde, sollte ich danach suchen und natürlich habe ich danach gesucht. Gefunden hatte es vermutlich der Sonntag. Der hat es auf ein Blatt Papier geschrieben und in eine Akte sortiert, die meinen Namen trug. So machte das der Sonntag. Ich gab den Spiegel zurück in die Hand, die ihn mir gegeben hatte, und schaute der jungen Schwester lange ins Gesicht. Gewiss hätte es hinter ihren Ohren ganz wunderbar gerochen. Ich bat sie, in den Spiegel zu gucken und mir zu sagen, was sie darin sähe. „Mich“, sagte sie, beinah so als wäre das selbstverständlich.
„Bist du neu hier?“, fragte ich.
„Ja, aber ich bleib nicht lange. Ich mach nur ein Schnupperpraktikum.“
„Schade!“, sagte ich und bat sie, sich zu mir aufs Bett zu setzen.
„Ich weiß nicht, ob ich das darf.“
„Haben sie es dir verboten?“
„Nein.“
„Also darfst du, wenn du willst.“
Sie legte den Spiegel auf den Tisch und setzte sich neben mich aufs Bett. „Sie sind sehr freundlich.“ Sie schaute mich mit kindlichen und schüchternen Knopfaugen an. „Die meisten sind total irre. Die grabschen nach mir, wollen mich ausziehen und andere Sachen mit mir machen.“
„Schlimm“, sagte ich und stellte mir vor, wie sie nackt aussah.
„Was fehlt Ihnen?“
„Glück“, sagte ich und lächelte.
„Ich meine: Warum sind Sie hier?“
„Haben sie dir das nicht gesagt?“
„Nein.“
„Ich wusste nicht, was ich mit den Leichen machen sollte. Da haben sie mich erwischt.“
„Leichen?“
„Tote Frauen.“
„Schon klar.“ Sie lachte. „Wie viele denn?“
„Vier.“
„Nur vier?“
„Warum nur?“
„Naja, vier ist jetzt nicht so Mörder.“
„Stimmt schon.“
„Was hast du mit ihnen gemacht?“
„Getötet.“
„Nein, ich meine davor.“
„Ausgezogen.“
„Um sie zu vergewaltigen?“
„Nein, so bin ich nicht.“
„Warum dann?“
„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich dachte, dass man das so macht.“ Ob sie Sonntags Tochter war? „Bist du die Tochter vom Sonntag?“
„Nein, aber mein Vater segelt im Sommer immer mit ihm. Wie kommst du jetzt auf den?“
„Ich habe mich gefragt, warum du hier so unbekümmert sitzt. Nie hat eine Schwester mit mir gesprochen, ohne einen Aufseher hinter sich zu wissen. Entweder ist das ein Psychospiel von Sonntag oder die können dich hier nicht leiden.“

Ihr Lächeln wehrte sich, wollte nicht sterben.
„Kleines, ich fürchte, du bist Nummer fünf.“
Sie sprang auf, aber ich packte sie an ihrem Zopf, zog sie zurück ins Bett und zerschmetterte ihren Stimmapparat, bevor sie losschreien konnte. Ich wünschte, ich könnte diese Tränen küssen. Ich griff nach ihnen und zerrieb sie zwischen meinen Fingern. Sie schlug wild um sich. Es gelang ihr sogar, ihre gestutzten Fingernägel gefährlich nah an meinem Auge unter meine Haut zu schieben. Aber sie war gefangen in meinem Griff. Ausgezogen hatte ich sie nicht, obwohl ich ihre kleinen Brustwarzen gerne gesehen hätte. Ich richtete mich auf. Sie trat nach mir, aber es war ein leiser Kampf. Ich nahm den Spiegel und zerbrach ihn in ihrem Gesicht, suchte nach der tödlichsten Scherbe und zerschnitt die Adern an ihrem Hals, die mir ohnehin schon durch die dünne, helle Haut entgegenpulsierten. Das Blut fließsprudelte über ihre flache Brust. Für einen Augenblick verschwand das Klopfen in meinem Kopf. Für einen Augenblick atmete ich durch die Nase dieses bald toten Geschöpfs. Roch die Tränen, roch das Blut. Vergaß diesen abartigen Gestank und war für diesen einen Moment glücklich. Dann setzte ich mich auf den Stuhl und wartete auf die Aufseher. Sie schafften das tote Mädchen fort, reinigten das Zimmer und überzogen das Bett.


*


Am nächsten Morgen kam Sonntag. Ob ich gut geschlafen hatte, fragte er. Er gab mir denselben Spiegel, den mir gestern das Mädchen gegeben hatte und doch war es ein anderer. Es musste ein anderer sein.
„Sie sprachen von der Heilung Ihrer Krebserkrankung und Ihrer bestehenden Geruchsstörung.“
„Interessiert Sie denn gar nicht, was gestern vorgefallen ist?“
„Ich habe es notiert.“ Sein Gesicht war gesichtslos. Augen und Nase und Mund ergaben kein Gesicht, klebten bedeutungslos auf einer Fläche, die um seinen Kopf gewickelt war.
„Warum bekomme ich jeden Tag diesen Spiegel?“
„Ich möchte sehen, wie Sie sich sehen.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Das macht nichts.“
„Ich möchte es aber gerne verstehen.“
„Das möchten wir alle.“
„Haben Sie keine Angst vor mir?“
„Sie töten keine Männer.“
„Woher wollen Sie das so genau wissen?“
Er schaute auf seine Uhr. „Können Sie bitte fortfahren mit ihrer Erzählung.“
„Was, wenn ich schweige?“
„Wenn Sie schweigen, gehe ich.“
Ich schwieg. Er ging. Ohne Spiegel.

Später brachte mir eine Schwester das Frühstück. Sie grüßte nicht, wünschte mir keinen guten Appetit und sah mich nicht an. Auch der Aufseher stand nur stumm an der Wand. Alles war kleingeschnitten und mundgerecht portioniert, ohne Besteck essbar. Es roch wurmig und vorverdaut. Trotzdem würgte ich es in mich. Vater war damals sehr verärgert, als ich seinen Kuchen nicht angerührt hatte. Er wollte mir nicht glauben, dass die Zitronenglasur wie Insekteninnereien stank. Er hasste mich für die Frauen, die ich ermordet hatte, und den Grund. Dass der Kuchen wieder duftete. Dass alles gut war, für ein paar Sekunden zumindest. Er hatte mich aus dem Haus geprügelt und mir nachgebrüllt, dass sie mir nicht den Tumor rausgeschnitten hätten, sondern das letzte Stück Menschlichkeit. Und ich hatte Angst, dass er recht hatte. Mit fettigen Fingern griff ich nach dem Spiegel, schaute hinein und suchte.

„Gestern war Vollmond“, sagte mir eine Schwester am Nachmittag, fast heimlich. Als hätte das irgendetwas zu bedeuten. Sie sah aus wie das Mädchen, nur älter. Obwohl sie hinter dem Glas blieb und über das Mikrophon zu mir flüsterte, war sie ängstlich. „Warum sagen Sie mir das?“, fragte ich.
„Na, weil Sie doch kein Fenster haben.“ Ich nickte.
„Was denken Sie? Warum bringen sich Menschen hier um?“
„Weil sie irre sind?“
„Stellen Sie sich vor, Sie säßen hier auf meinem Bett.“ Sie zuckte zusammen. „Das immer gleiche Licht, die immer gleichen Wände. Die einzige Beschäftigung das Nichtstun. Es ist ja auch kein Warten, weil es nichts gibt, worauf man warten könnte. Sie könnten vielleicht noch ihren Gedanken zuhören, aber stellen Sie sich vor, selbst Ihre eigenen Gedanken sind leise und unverständlich. Würden Sie sich nicht in der Stille ertränken, die immerfort von der Decke tropft? Würden Sie warten bis ein Fenster in die Wand wächst, ehe Sie sich hinausstürzen?“
„Ich wollte Ihnen nur das mit dem Mond sagen“, sagte sie und verschwand.

„Spielen Sie manchmal mit dem Gedanken, sich selbst zu töten?“, fragte Sonntag später.
„Immerzu.“
„Warum haben Sie es noch nie versucht?“
„Manchmal bleiben Gedanken Gedanken. Ich ging, beispielsweise, mit einem Mädchen in die Klasse, die ich von ihrem ersten Lächeln an küssen wollte. Ich musste sie jahrelang jeden Tag sehen und jeden Tag dachte ich jahrelang daran, sie zu küssen. Aber unsere Lippen sind sich nie begegnet.“
„Würden Sie sie jetzt küssen?“
„Ich würde ihr den Kopf ausreißen und auf die Tränen warten, die mit ein bisschen Glück kommen würden. Die würde ich dann küssen, ja.“

Sonntag legte sein Notizheft auf meinen Tisch und ich las meine Worte in seiner Schrift und war schockiert, wie krank das alles klang, wenn es auf einem Stück Papier stand, obwohl es sich im Moment des Aussprechens so richtig anfühlte, so normal.

Früher war alles so unkompliziert. Da hätte ich auf Sonntags Frage, wie es mir ging, einfach „gut“ geantwortet. Aber ich hatte aufgehört, glücklich oder unglücklich zu sein.
„Sie lügen“, sagte Sonntag.
„Warum?“
„Sie waren in den letzten Tagen mindestens einmal glücklich.“
„Nein!“
„Schauen Sie in den Spiegel.“
„Der lügt!“
„Eben.“ Er blätterte in seinem Notizbuch. „Als sie Clarissa getötet haben, waren Sie glücklich.“
„Warum haben Sie mich das Mädchen töten lassen?“
„Ich musste es wissen.“
„Mörder!“
„Schauen Sie nicht in den falschen Spiegel.“ Er deutete auf das Bett. „Erzählen Sie mir, wie Sie es herausgefunden haben?“
„Warum sollte ich?“
„Wenn Sie schweigen, gehe ich.“
„Na und?“
Sonntag klappte sein Notizbuch zu, stand auf und hatte mein Zimmer in Gedanken schon verlassen, sprach schon mit jemand anderem, segelte vielleicht mit einem Nichtmehrvater.
„Ich habe Lisa getötet.“ Er drehte sich nicht um, folgte nicht seinen Gedanken, verharrte einfach im Hinausgehen. Die aus der Verbrennungsanlage fanden, dass ich meinen Triumph über den Tod feiern sollte. Also lud ich sie ein. Alle, auch Lisa. Ich hätte nicht gedacht, dass sie kommen würde, aber sie kam. Wir rauchten und sprachen von Müll, machten Männerwitze über Lisa, die immer wieder mit den Augen einer anderen zu mir blickte. Als alles leergesoffen war, brachen sie auf. Manche bedankten sich, andere vergaßen, sich zu verabschieden. Lisa war vorher schon gegangen. Ich lag bereits im Bett, als es nochmals klingelte. Geschlafen hatte ich nicht, deswegen war ich nicht wütend, sondern neugierig, wer um diese Uhrzeit vor meiner Tür stand. Es war Lisa. Ohne Umweg oder Pause ging sie an mir vorbei durch die Wohnung ins Schlafzimmer, wo sie aus ihrem Kleid schlüpfte und sich nackt auf mein Bett legte. „Ist das eine Falle?“, fragte ich. „Ich schnappe nicht zu, wenn du das meinst“, sagte sie. Ich traute ihr nicht recht, setzte mich neben sie und streichelte ihren Bauch. Ihre Brüste schwammen auf ihrem Körper wie Fremdkörper. Sie begann, mir das Nachthemd auszuziehen, und küsste meinen Rücken, schob ihre Hand in meine Hose. Länger konnte ich die Luft nicht anhalten. Ich stieß sie sanft von mir. Sie kicherte, schmiegte sich wieder vorsichtig an mich. Ein Bein hinter meinem Rücken, ein Bein auf meinem Schoß, rieb sie sich an mir. Ich spürte sie und fühlte, wie ihr Geruch in meine Nase stieg, sich in ein leises Jucken verwandelte. Meine Augen tränten. Ich versuchte, mir diesen Gestank wegzudenken, aber meine Nase fing an zu brennen. Blut tropfte auf Lisas Schenkel. Sie wischte es sich weg und schaute mich besorgt an. Es schien, sie würde in ihrer Erregung verfaulen, sich selbst zersetzen, um in den abscheulichsten Gerüchen zu verdampfen. Sie vergiftete mich und ich wusste nicht, wie ich mich dagegen wehren sollte. Ich schrie sie an, sie solle verschwinden. Aber sie blieb sitzen, dumm und unschuldig, immer mehr von diesen grässlichen Düften freisetzend. Es war nicht länger auszuhalten und ich musste sie, den Ursprung allen Ekels, beseitigen. Ich trat nach ihr, bespuckte und schlug sie. Aber sie sprang mich wieder an, umklammerte mich, als wüsste sie um meine Schmerzen. Also warf ich sie zu Boden, setzte mich auf sie, umfasste ihren Kopf mit beiden Händen und versuchte, ihn mit aller Kraft zu zerdrücken. Aber sie wollte nicht zerbrechen. Ich ließ von ihr ab und suchte nach irgendetwas Tödlichem. In ihrem Gesicht war nichts mehr von der Lisa übrig, die Kinderlieder summte oder ihren männlichen Kollegen mit Zweideutigkeiten den Kopf verdrehte. Statt ihr lag dort die Angst, verweint und verrotzt. Sie fasste sich an die Brust und spuckte Blut. Ihre zornigen Augen erinnerten mich an den Hammer, mit dem sie sich hatte rächen wollen. Ich ging in den Keller und kehrte zu ihr zurück, spaltete ihren Kopf so, wie sie meinen in ihrer Vorstellung gespalten haben musste. Den Anblick ihres aufgeplatzten Schädels konnte ich nicht ertragen. Ich schaltete das Licht aus und legte mich ins Bett, wartete auf die dunklen Gefühle, die kommen würden; die Trauer und der Selbsthass vielleicht. Aber es zog mir die Mundwinkel nach oben. Ich war so voll Glück und das konnte ich auch riechen. Ich konnte dieses Glücklichsein riechen. Leider verflog dieses Gefühl zu schnell, aber der Gestank, der zuvor von Lisa ausgegangen war, war verschwunden. Dann schlief ich ein. Als ich aufwachte, hatte ich freilich die Hoffnung, dass alles nur ein Traum gewesen war, aber Lisa lag dort, nackt und kaputt.
„Haben Sie es bereut?“, fragte Sonntag, der immer noch im Hinausgehen stand.
„Ich wollte es wiederholen.“
„Das haben Sie dann auch.“
„Ich habe es noch einmal gemacht, ja.“
„Wann?“
„Sechs Wochen später. Ich habe meine Tante und ihre zwei Töchter eingeladen.“
„Und sie sind gekommen?“
„Natürlich. Ich habe ihnen von einer Erbangelegenheit erzählt.“
„Warum Familie?“
„Es war leichter. Drei Frauen hätte ich trotz Glück und Zufall nie auf einmal in mein Haus bekommen.“
„Warum mussten es drei sein?“
„Ich habe mir gedacht, dass das Glücksgefühl länger anhalten würde, wenn ich mehrere Frauen hintereinander töte. Dass sich das Glück mit dem Tod multiplizieren würde.“
„War das der Fall?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Und: Warum keine Männer?“
„Ich schätze, das ist wie beim Sex. Genauso wie ich niemals mit einem Mann schlafen könnte, könnte ich einen töten.“
Ich wollte ihn noch etwas fragen, aber er war schon weg. Im Grunde war er nie da, aber nur in seiner Anwesenheit konnte ich so offen über alles sprechen. Vielleicht, weil er so wenig von einem Menschen hatte. Vielleicht auch, weil er nach nichts roch.

Manchmal fragte ich mich, warum ich hier zwischen all den großen und kleinen Fragezeichen saß und nicht hinter Gittern. Warum jemand mit mir sprach, auch mit dem ernsthaften Vorhaben, mich zu heilen. Dabei war mein Verhalten so unheilbar wie das Verhalten eines jeden anderen Menschen. Sonntag aber war anderer Meinung. Er verwandte keinen Konjunktiv, als er zu Beginn der Behandlung sagte: „Ich werde Sie heilen.“ Er wiederholte sich nicht und inzwischen glaubte ich, dass er sich seines großzügigen Blickes in die Zukunft nicht mehr so sicher war.

„Sie sagten, Sie werden mich heilen.“
„Das stimmt. Das habe ich gesagt.“
„Werden Sie es auch tun?“
„Ich weiß nicht, ob Sie das wollen.“
Sonntag hatte eine bewundernswerte Art und Weise, alles gleich zu betonen. Bei ihm klang ein Todesurteil nicht anders als ein Witz. Alles verschwamm in seinem bedeutungsleeren Tonfall.
„Natürlich will ich das“, sagte ich. Anders, beinah empört. „Alles andere würde bedeuten, ich röche aus Belieben jeden Duft nur schlecht. Wenn ich keine Heilung wünschte, wäre ich ein glücklicher Mörder.“
„Sind Sie denn ein unglücklicher Mörder?“
„Glücklich bin ich nur, wenn ich morde.“
„Sehen Sie.“
„Ich sehe nichts. Und nichts macht mich zu einem glücklichen Mörder, wenn ich hier sitze und mit Ihnen Dinge bespreche, die ich nicht verstehe und niemand ändern kann.“
„Sie wollen also, dass sich etwas ändert?“
Ich nickte.
„Dann wollen wir demnächst etwas ausprobieren. Allerdings weiß ich nicht, ob ich Sie damit umbringe.“
„Nichts übertrifft diesen mit Glück so unvereinbaren Gestank.“
Sonntag nickte bloß. Er nahm sein Notizheft und verabschiedete sich. Unter seinem sonst so stählernen Versteck von Gesicht glaubte ich, ein leises Lächeln zu sehen.

Eine Behandlung erforderte einen Parfümeriebesuch. Sowohl Hände als auch Füße waren mir gefesselt. Wir fuhren irgendwohin. Sonntag führte mich aus wie einen bissigen Hund. Seine Blicke waren zähmender als jede Leine. Freilich hätte ich einfach weglaufen können, aber ich wäre in eine Freiheit gestolpert, die nicht viel größer war als die Flasche Parfüm, die mir Sonntag vor die Nase hielt. Eine Assistentin, deren Namensschild „P. Lange“ schräg an der Brust steckte, reichte Sonntag einen Glasstab. Er besprühte ihn mit dem Parfüm und hielt ihn so, dass ich daran riechen konnte. Ich beugte mich nach vorne und zog den Duft vorsichtig in meinen Körper. Mir war, als hätte ich Schlamm geatmet, und am liebsten hätte ich ihm das Fläschchen mit dem Kopf aus der Hand geschlagen. Er reichte der Assistentin sowohl Fläschchen als auch Glasstab, trat einen Schritt zurück und nickte ihr zu. Mehr als einen Schritt konnte man in dieser Parfümerie kaum zurücktreten. Es war ein enges, aber nicht beengendes Geschäft, reichlich bespiegelt und spärlich dekoriert. Bis auf die leise Hintergrundmusik, die an einen Wartebereich in einem Flughafen erinnerte, war es still. Wie ich in dieses Duftgeschäft geriet und was sich davor und dahinter verbarg, wusste ich nicht. In dem Moment, als ich darüber nachdachte, betraten zwei weitere Assistentinnen den Raum. Sie trugen Sauerstoffmasken und hatten auch Fräulein P. Lange eine mitgebracht. Sonntag beobachtete die Szene wie ein Regisseur, der gespannt auf die Verwirklichung seines Skriptes wartete. Die jungen Frauen mit schwarzen Hemden und schwarzen Röcken und schiefen Namensschildern begannen jeweils zwei Parfümfläschchen aus den Regalen zu nehmen, um sie zu öffnen und diese - sich im Kreise drehend - zu versprühen. Ich lauschte den unterschiedlichsten Sprühgeräuschen. Bfff, pfff, psss, bsss, bsch, psch. Eine nach der anderen Flasche leerte sich. Das Unsichtbare schlang sich um meinen Körper und es roch wie die Geschichte aller Früchte, die je von einem Strauch oder Baum gefallen waren, ohne der faulenden Kraft der Zeit entfliehen zu können. Ich sank zu Boden. Eine der Schwarzhemden goss eine ganze Flasche Parfum über meinen Kopf, eine andere sprühte mir etwas ins Gesicht. P. Lange blieb so weit von mir entfernt, wie es der Raum erlaubte, wissend, dass mich jeder Duft erreichen würde. Ich warf mich zur Seite und versuchte mit meinen Händen die Nase zu verschließen. Aber es war zu spät. Längst atmete mein ganzer Körper. Jede einzelne Pore schluckte gierig nach den Düften, die mich zu ersticken drohten. Ich musste mich übergeben und kurz bevor ich in einem schwarzen Strudel der Geruchlosigkeit versank, sah ich Sonntag, der ohne Maske vor mir stand wie eine unverrückbare Statue.

Als ich erwachte, war ich ein bisschen enttäuscht, dass ich mich in der Zelle befand, in der ich so lange schon gelegen hatte, und nicht in einem Krankenhaus oder einem jenseitigen Ort. Die Zelle kam mir mehr und mehr vor wie ein Gehege. Nur hockte statt eines gefährlichen, traurigen Tieres ich darin.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Sonntag.
„Ich lebe“, sagte ich.
„Sehr gut“, sagte er. „Dann können wir mit dem letzten Test beginnen.“
„Muss ich dafür auch in eine Parfümerie?“
„Nein.“
„Finden Sie es komisch, mich mit Düften in die Bewusstlosigkeit zu quälen?“
„Sind Sie mir böse deswegen?“
„So böse wie dem Arzt, der mir als Kind einen Stab auf die Zunge gedrückt hat, um mir in den Rachen schauen zu können.“
„Der nächste Test ist völlig harmlos. Sie brauchen nur ein wenig Geduld.“

Er bat mich, ihm zu folgen. Dieses Mal würden wir das Institut nicht verlassen, denn Fesseln fehlten. Er führte mich in einen Raum, in dem ein großer Glaswürfel stand und sonst nichts. Die Wände waren in einem matten Schwarz bemalt. Sonntag forderte mich auf, mich auszuziehen und durch die offene Seite in den Würfel zu steigen. „Ihre Aufgabe ist es nun, alle Gerüche auszuklammern. Ich möchte, dass Sie nichts anderes riechen außer sich selbst.“ Sonntag setzte die fehlende Glasseite an den Würfel und verschloss ihn dadurch.
„Ich dachte, Sie sind Arzt und kein Hexenmeister.“
Jeder Vokal erzeugte ein böses Echo.
„Manchmal braucht es eben auch die Hexerei.“ Mit diesen Worten ließ er mich zurück. In diesem gläsernen Gefängnis war ich fast allein mit dem Gestank, der wie eine Narbe mein Gehirn zerfurchte. Der Eigengeruch des Glases und die Luft um mich herum flossen zu einem leisen Gestank zusammen. Mit jedem Atemzug wurde er lauter und stickiger. Ich konnte mich genauso wenig riechen, wie sich ein Blinder im Spiegel sehen konnte. Mir wurde schwindelig und ich fürchtete, wieder in einer Dunkelheit zu ertrinken. Kurz überlegte ich, das Glas einzuschlagen, aber ich wollte es zu Ende bringen. Ich beschnüffelte meinen Arm und wanderte mit der Nase Richtung Achselhöhle, verfolgt von dem Gestank, der meinem Kopf innewohnte. Wie sehr sehnte ich mich nach dem Duft von Schweiß, der sich wie eine Kletterpflanze um die Achselhaare schlang, mit Pheromonen durchtränkt und dieser kleinen, stechenden Note, die bei jedem Menschen unterschiedlich scharf war. Ich rieb über meine Haut und hoffte, dass sich die abgeschilferten Zellen zu einer wahrnehmbaren Duftwolke formen würden. Nachdem ich mir fast die gesamte Luft weggeatmet hatte, mir die Augenlider über die Sicht fielen und ich kaum noch einen Gedanke zu Ende denken konnte, flüsterte ich ein einziges Wort: „Nichts.“ Daraufhin stürmte Sonntag in den Raum und schlug mit einem Hammer auf das Glas ein, das mir fröhlich entgegensplitterte und mich aus der Atmungslosigkeit riss.
„Du bist bereit“, sagte Sonntag, griff nach meinem Arm und injizierte mir etwas, das mir endgültig die Lichter aus dem Weltbild schraubte.


*


Sonntag war das letzte, woran ich mich erinnern konnte. Ich erwachte auf einer Bank in einem Park. Eine schmale Schotterstraße durchschnitt das Grün und zog am Ende eine Schleife um einen prächtigen Springbrunnen. Dahinter erhob sich ein Gebäude, das ich als das Institut wiedererkannte, in das ich vor vielen Jahren getreten war und bis auf den Parfümeriebesuch nicht wieder verlassen hatte. Allerdings waren mir bei diesem Ausflug die Augen verbunden gewesen. Der Moment, in dem der Mond schon zu sehen war, obwohl die Sonne noch schien, Vögel zwitscherten und der Wind durch die Blätter der Bäume rauschte, fühlte sich an wie ein Déjà-vu und ich fürchtete, die ganze Zeit, die ich hier verbracht hatte, wiederholen zu müssen. Aber niemand kam, um mich zu holen. Die Vorbeigehenden schienen mich nicht wahrzunehmen. Nur der Mond ängstigte mich. Und die Freiheit. Ich stand auf und ging Richtung Institut. Aber im Gehen bemerkte ich den wahrhaften Ursprung meiner Angst. Jeglicher Gestank in meinem Kopf war verschwunden. Ohne Mord. Ich war geheilt.

Es gab keinen Grund mehr, zurückzukehren. Niemand würde mir Glauben schenken. Ich drehte um und stolperte den Schotter entlang, bis ich aus einem großen, schwarzen Tor auf eine Landstraße trat. Es dämmerte und bis auf vorbeifahrende Autos stand die Welt still. Als die Wagen bloß noch Lichter waren und ich im Dunkeln irrte, setzte ich mich neben die Straße und wartete, bis ein neues Licht aus der Finsternis tauchte. Ich sprang auf und winkte wild. Das Licht fuhr an mir vorbei, verlangsamte sich und blieb schließlich stehen. Ich lief auf den Wagen zu und schaute durch ein geöffnetes Seitenfenster einem jungen Paar entgegen, das mich nicht befragte, sondern mir unverzüglich einen Platz auf dem Rücksitz anbot, wo ich zwischen reichlich Reisegepäck und meiner neuen Geruchlosigkeit saß. „Wo soll es hingehen?“, fragte die hübsche Frau, während sie sich zu mir umdrehte und nicht aufhörte, mit dem Kopf zu der Melodie zu wippen, die aus den Lautsprechern drang.
„Irgendwohin, wo es Whiskey und Lärm gibt“, sagte ich. Die Frau drehte die Musik lauter, drückte dem Mann, der stumm am Steuer saß, einen Kuss auf die Wange und sagte: „Whiskey haben wir leider keinen.“ Gerne hätte ich ihr das Gesicht vom Kopf gepflückt. Sobald wir die nächste Stadt erreichten, fuhr der Mann an die Seite und bat mich, auszusteigen. Er wünschte mir viel Glück. Das war das einzige, was er zu mir sagte. Viel Glück. Ich bedankte mich und winkte dem kleiner werdenden Licht mit den Scheinen hinterher, die ich aus dem roten Koffer hinter dem Beifahrersitz entwendet hatte.

In einer Bar, in der es Whiskey gab und leise Musik gespielt wurde, unterhielt ich mich mit einem Barkeeper, dessen schief stehende Zähne bestimmt einen widerlichen Geruch gefangen hielten.
„Was darf ich Ihnen einschenken?“, fragte er.
„Whiskey“, sagte ich. „Den billigsten.“
„Warum zum Kuckuck kommt ein Fremder in eine Bar und bestellt sich den billigsten Whiskey?“
„Dem Fremden könnte man Pisse ins Glas gießen und er würde es trotzdem mit einem Lächeln schlucken. Außerdem hat er kaum Geld“, sagte ich. Die dritte Person gefiel mir.
„Wissen Sie was? Der Fremde trinkt heute umsonst den teuersten Whiskey, den es in dieser verdammten Bar gibt.“
„Wunderbar“, sagte ich. „Jetzt braucht der Fremde nur noch ein Telefon.“
Der Barkeeper zeigte auf die gegenüberliegende Seite, wo die Bar sich in eine dunkle Nische ausstülpte. An dem Tisch davor saßen drei Männer, die Kautabak kauten, an ihrem Bier schlürften und sich wunderten, warum statt einer Frau ein schiefmäuliger Bastard an der Bar hockte. Ich ging auf sie zu und fragte höflich, ob sie mir einen der Scheine in Münzen wechseln würden. „Brauchen keine Scheine“, grunzte einer von ihnen mit ausgebeulter Wange. „Ihr könnt mir das Kleingeld auch einfach so geben.“ „Einen kleinen Witzbold haben wir da. Einen kleinen Witzbold, nicht wahr? Wir wollen aber keinen Witzbold. Auch keinen kleinen. Schon gar nicht geben wir dem kleinen Witzbold irgendwas.“
„Was gebt ihr mir, wenn ich das austrinke?“ Ich deutete auf die Schale, in die sie den Kautabak gespuckt hatten. „Der kleine Witzbold gefällt mir. Lass ihn den Dreck trinken.“ „Meinetwegen. Wenn du alles aussäufst, darfst du so lange telefonieren, wie du willst. Wie klingt das, kleiner Witzbold?“ Ohne zu antworten, nahm ich die Schale, führte sie zum Mund und entleerte sie in einem Zug. Niemand sagte etwas. Einer rülpste. Ein anderer gab mir kopfschüttelnd das Geld.

Die einzige Nummer, die ich in meinem Kopf hatte, gehörte meinem Vater. Ich wählte und wartete gespannt auf seine trockene, verschlafene Stimme. Doch statt meines Vaters hob eine Frau ab. „Wer ist da?“, fragte sie, piepsend und ein bisschen so, als überschlügen sich ihre eigenen Worte. „Wer sind Sie?“, fragte ich zurück. „Hör zu! Ich hab keine Lust auf Spielchen oder so. Entweder sagst du mir, was zur Hölle du von mir willst, oder ich lege auf.“ „Ich will meinen Vater sprechen.“ „Vater gibt’s hier keinen.“ „Aber es ist seine Nummer. Er wohnt da.“ „Davon wüsste ich wohl. Was weiß ich, was mit deinem Vater passiert ist. Vielleicht ist ihm beim Kacken das Herz stehen geblieben. Hier ist er jedenfalls nicht. Nacht!“ Kurz vor dem Klicken hörte ich sie noch fluchen, verstand sie aber nicht.

Zurück an der Bar schüttete ich den Whiskey in meinen Hals. Es war durchaus beängstigend, wie der Geschmack der Flüssigkeit aus der Schale dem aus dem Glas ähnelte. Nichts und nichts trennte nicht viel. „Wie kommt es, dass Sie nichts schmecken?“, fragte der Barkeeper. Ich tippte an meine Stirn und sagte: „Kopfsache.“ Danach schlüpfte ich zurück in die Dunkelheit.


*


Das Haus meines Vaters sah so aus, als wohnte er immer noch darin. Das wuchernde Beet im Vorgarten, der von den Wänden abblätternde Putz und das „Frohes Fest“-Schild an der Haustür, das er nie abgehängt hatte, weil er darauf beharrte, dass Weihnachten keine Frage des Datums sei. Sogar die gelben Gardinen, die mich - seitdem Mutter sie aufgemacht hatte - an einen Teppich aus Raupenhaut erinnerte, leuchteten aus den hohen Fenstern hervor. Ich klopfte an der Tür.

„Du?“, sagte dieselbe piepsige Stimme, die mir in der Bar ins Ohr geleckt hatte. Sie gehörte einem jungen Frauenzimmer, dessen hübscher Kopf aussah, als hätte man ihn irrtümlich auf den falschen Körper gesteckt. Sie trug ein blasses, trägerloses Kleid. Ihre Haut glich der abblätternden Fassade und hatte eine Farbe, die nicht von der Sonne, sondern von innen kam. Ich schubste sie und schlug ihr mit einem Brett, das vor Kurzem noch Teil des Zaunes war, so lange ins Gesicht, bis ihr das nervende Piepsen entwichen war. Dann schloss ich die Tür und schleifte sie ins Wohnzimmer vor jenen Esstisch, an dem ich einst Vaters Zitronenkuchen verschmäht und ihm mein Geständnis vorgetragen hatte. Ein Ventilator kreiste an der Decke und erzeugte ein kratzendes Geräusch. An der Wand hingen Bilder von glücklichen Menschen. Eines nahm ich ab. Es zeigte Sonntag mit einer Frau. Ich ließ es fallen und sah mich um. Fragte mich, ob nun Sonntag in dem Haus meines Vaters wohnte und ob es seine Frau war, die dort auf dem Teppich lag und gleichmäßig dem Leben entgegenatmete. Es klang beinahe schön. Ich schüttelte sie, bis sie die Augen aufschlug und wieder anfing, loszupiepsen. Sie sträubte sich gegen meine Hände, die sie auf den Boden drückten. „Wohnst du hier mit Sonntag?“, brüllte ich sie an. Ängstliche, verstörte Tränen tropften auf den Teppich, der sie durstig aufsog. „Ich kenne keinen Sonntag“, piepste sie. Ich tastete nach dem Bild, dessen Glas leicht gesprungen war, und hielt es ihr hin. „Der Mann. Wohnt der hier?“ Sie drehte ihren Kopf zur Seite und versuchte, sich aus meinem Griff zu winden. „Kennst du ihn?“ Ich rammte ihr mein Knie in den Bauch und legte meine Finger um ihre Kehle. „Nicht mehr“, flüsterte sie bloß. Dann verlor sie erneut das Bewusstsein. Nicht mehr, nicht mehr.

Ich überlegte, zurück ins Institut zu fahren, um Sonntag selbst zu fragen. Doch was Sonntag zu sagen hatte, war nicht länger entscheidend. Ich musste nur nach dem bewusstlosen Stück Glück greifen, das vor mir lag. Mit einem Messer schnitt ich ihr das Kleid und den Büstenhalter vom Leib. Danach zog ich ihr den Slip aus. Ihre schmalen, fast eckigen Brustwarzen guckten mich ausdruckslos an. Ich setzte die Klinge unter die rechte Brust und schob sie vorfreudig in ihr Herz. Kurz öffnete sie noch einmal die Augen und verabschiedete sich mit einem ungläubigen Blick. Ich umklammerte den Griff des Messers mit beiden Händen und drehte die Klinge, tiefer ins sterbende Gewebe dringend. Als mir das Blut entgegen sprudelte, lehnte ich mich zurück und wartete mit geschlossenen Augen auf das, was kommen würde. Auf den letzten Geruch, der mir geblieben war: Glück.

Aber ich roch und fühlte nichts. Ich sah nur eine tote Frau und ihr Blut an meinen Händen. Ich zog ihr das Messer aus der Brust und grub meine Nase hinein. Ich wollte in sie kriechen. Irgendwo dort drinnen musste sich der Geruch verstecken. Ich beschnüffelte ihren ganzen Körper, spreizte ihre Beine und steckte meine Nase dazwischen. Ich schnitt ihr den Bauch auf, befingerte ihr Gedärm und hob es an, stocherte mit der Klinge darin, hoffend, den Geruch aufspießen zu können. Schließlich zerschnitt ich ihr das Gesicht und grub mich in ihren Schädel, um den fliehenden Duft mit einem letzten Atemzug zu fangen.

 
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Hallo,

zum Titel: Ich hätte es nicht angeklickt, wenn es nicht von dir gewesen wäre. Ich bin normal bei Titeln nicht so pingelig, aber das klingt ja echt nach einer Degeto-Produktion mit dieser Weight-Watchers-Tusse.

Irgendwann hab ich keine mehr hingelegt und es hatte trotzdem gestunken.
„Hat“ reicht

Die Hände, die ich schüttelte; das Wasser, mit dem ich die meinen wusch.
„die meinen“ - zu gewählt; „mit dem ich meine wusch“

Aber morgen komme ich mit einem Hammer und schlage dir den Schädel ein und das meine ich nur ein bisschen als Witz.
Was für eine schöne Frau! Vom Motorboot fahren lassen, bis zu dem Satz hier – echt ein starker Auftritt.
(Warum der Protagonist der Frau da wirklich ins Gesicht spucken muss – das find ich übertrieben – auch dass er sagt „Du stinkst“ - es wär, glaub ich, viel besser, wenn er sich zusammenreißen würde, sie aber trotzdem den Ekel erkennt. Das ist wahrscheinlich schwerer zu schreiben, aber doch die viel bessere Szene, oder? Glaubwürdiger, er „rechnet“ ja damit, dass sie stinkt und er versucht sicher nicht, sie zu verletzen.)

Jau, ist auf jeden Fall ein Maulvoll deine Geschichte. Ich fand's gut, schräg, unvorhersehbar, anregend und interessant. Kann denn eine imaginäre Person jemanden dazu missbrauchen, seine Exfrau umzubringen? Das war so eine Frage für mich und dann dass der Erzähler wirklich ein Mörder sein soll, und zwar ein Lustmörder, ein mehrfacher, das war schräg. Meine Lieblingssituation war, als er "geheilt" ist, und im Auto mit zwei Fremden sitzt und unschuldig denkt, der Frau würde er gern mal den Kopf abknipsen. So wie er vorher gedacht hat: Die würde ich gern küssen; oder: Deren Brustwarzen würde ich gern mal sehen.
Und auch dieses Gespräch mit der Praktikantin, die so unschuldig noch sagt, sie mache hier ein Schnupperpraktikum, und da einen Nervenkitzel verspürt, sich mit so einem schrägen Typen zu unterhalten, der angeblich 4 Frauen umgebracht hat.
Ich denke, was hier beschrieben wird, ist so eine Art Zivilsationsangst. Das ist so Galileo-Wissen. Geruchshalluzinationen sind die ersten Anzeichen eines Hirntumors. Ich denke jedesmal, wenn ich irgendwas Verbranntes rieche: Oh Oh, Hirntumor! Dabei grillt nur der Nachbar. Aber das denke ich auch bei gereizter Kopfhaut: oh oh! Hirntumor.
Und irgendwie ist dann aus dieser Zivilisationsangst dein Text hier entsprungen, ich weiß gar nicht, ob es einen Punkt gibt, wann der von Gleisen springt, aber es passiert schon sehr früh. Es ist im Surrealen auch wieder surreal. Dass die Figuren nicht greifbar werden, dass dieser Sonntag durch die Geschichte spukt, und der Rest ihm bedingungslos zu gehorchen scheint, obwohl der offenbar, wenn es ihn gibt, kein bisschen vertrauenswürdig ist. Die Praktikatin wird da geopfert aus keinem nachvollziehbaren Grund.
Auch eine schöne Szene, wie dann die nächste Schwester am nächsten Tag Small-Talk mit ihm macht, und beim Angebot, sich doch zu setzen, sich schnell verzieht. Durchaus Humor in der Geschichte, wobei durch die doppelte Surrealität ist so eine Geschichte letztlich ja immer nur Spielerei und interessant, also ich hab das belustigt gelesen, interessiert, und auch schnell mit so einem gewissen – durchaus positivem – Überdruss. Also ich war nach 2 Absätzen schon pappsatt und bin trotzdem noch bis zum Dessert geblieben.
Ich find die Geschichte ist am stärksten in 2 ganz unterschiedlichen Momente. Einmal, wenn sich der Erzähler komplett in irgendwelche Gedankenspielchen verrennt und sprachliche Salti schlägt – das gefällt mir, auch weil es nicht zu oft vorkommt. Und dann wenn er sich in einer Situation, die für jeden Beteiligten normal erscheint, wie ein Alien verhält.

Was mich an der Geschichte beeindruckt ist die Souveränität, mit der sie erzählt wird.
Es ist jetzt in meinem Naturell – und das geb ich auch gerne zu, dass das eine Schwäche ist – ich hätte dann gerne am Ende, für mich, eine Auflösung, einen stärkeren Hinweis darauf, was ich da gelesen habe. Ich weiß das ist sehr unchic so was bei einem derartigen Text haben zu wollen, aber das entspricht eben meinem Naturell. Ich bin nicht chic, ich hab grillende Nachbarn und meine Kopfhaut juckt.

Ja, keine Ahnung, ich würd nicht sagen, das ist jetzt ein Meisterwerk und ein Geniestreich, aber das ist zumindest ein sehr interessanter Fabtupfer, der wahrscheinlich in den einzelnen Facetten der Geschichte wesentlicher sinnvoller ist, als zusammengesetzt.
Ich hab vorhin eine Doku über den bayrischen König Ludwig II gehört und da sprach man von einer überreizten Phantasie. Das ist doch eine Diagnose, die man deiner Geschichte auch stellen könnte.

Gruß
Quinn

 
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Hey Quinn,

ich denke, du hast den Titel in einem falschen Moment gelesen, vielleicht hättest du ihn auch immer gleich gelesen, immer behaftet mit den komischen Menschen von Weight Watchers, aber ich mag den Titel eigentlich und ich denke, dass man ihn auch anders lesen hätte können. Deine Kritik sitzt mir jetzt im Kopf wie ein Ohrwurm und wenn ich den Titel lese, denke ich nicht mehr an den Mond und an das Glück, sondern daran, ob ich die Pommes jetzt noch essen darf. Glücklicherweise konnte dich wenigstens mein Name in die Geschichte locken und du scheinst es auch nicht bereut zu haben. (edit: Die letzten Tage des Glücks?)

(…) Wobei durch die doppelte Surrealität ist so eine Geschichte letztlich ja immer nur Spielerei und interessant, also ich hab das belustigt gelesen, interessiert, und auch schnell mit so einem gewissen – durchaus positivem – Überdruss. Also ich war nach 2 Absätzen schon pappsatt und bin trotzdem noch bis zum Dessert geblieben.
Bei einer Geschichte, bei der man wegen der Länge und wegen des Inhalts mehrmals darüber nachdenkt, ob man sie überhaupt hier einstellen soll, tut so ein Feedback wahrlich gut.

„die meinen“ - zu gewählt; „mit dem ich meine wusch“
Habe mir schon gedacht, dass das rausfällt. Die Stelle gehört zu jenen, die ich erst kurz vor dem Einstellen noch einmal geändert hatte. Vorher stand da Geld, mit dem ich bezahlte und bezahlt wurde. Dann habe ich die simple Formulierung einfach überdacht – im verkehrten Sinne von überlesen. Danke für den Hinweis!

(Warum der Protagonist der Frau da wirklich ins Gesicht spucken muss – das find ich übertrieben – auch dass er sagt „Du stinkst“ - es wär, glaub ich, viel besser, wenn er sich zusammenreißen würde, sie aber trotzdem den Ekel erkennt. Das ist wahrscheinlich schwerer zu schreiben, aber doch die viel bessere Szene, oder? Glaubwürdiger, er „rechnet“ ja damit, dass sie stinkt und er versucht sicher nicht, sie zu verletzen.)
Darüber habe ich auch nachgedacht, aber du hast selbst geschrieben, dass er sich in manchen Situationen wie ein Alien verhält. Es stimmt schon, dass er mit einem unangenehmen Geruch gerechnet hat, aber der Gestank, der in dann erreicht, übertrifft und überrascht im negativsten Sinne. Wenn dir jemand sagt, fass das mal an, das ist echt heiß und du fasst es an, schon mit der Voraussicht, es wird heiß, aber dann verbrennst du dir komplett die Hand, da wirst du auch nicht sagen: „Oh, das ist jenseits meiner Indifferenztemperatur.“ Allerdings stimmt es, wenn du sagst, dass es die viel bessere Szene wäre, dieses Zusammenreißen. Dass er seinen Schreck irgendwie anders kompensiert. Ich werde das mal probieren zu schreiben. Schlimmstenfalls funktioniert es nicht.

Auch wenn mich die Begrifflichkeit „Maulvoll“ etwas irritierte, gefiel mir deine beschreibende Zusammenfassung „schräg, unvorhersehbar, anregend und interessant“. Vor allem, dass „unvorhersehbar“ und „interessant“ – in einer Szene sagt der Ich-Erzähler: „Ich; ein Puzzle aus Millionen Teilen, die einzeln betrachtet harmlos und eigentlich recht hübsch anzusehen waren.“ Du schreibst am Ende, dass die Geschichte „ein sehr interessanter Farbtupfer [ist], der wahrscheinlich in den einzelnen Facetten der Geschichte wesentlicher sinnvoller ist, als zusammengesetzt.“ und damit genau das Gegenteil von seiner Persönlichkeit. Ich finde selbst, dass die einzelnen Szenen gehaltvoller geraten sind, als das ganze Konstrukt am Ende. Ein eigenartiger Mechanismus, den ich nicht ganz verstehe, aber nun gut.

Kann denn eine imaginäre Person jemanden dazu missbrauchen, seine Exfrau umzubringen? Das war so eine Frage für mich und dann dass der Erzähler wirklich ein Mörder sein soll, und zwar ein Lustmörder, ein mehrfacher, das war schräg.
Ich mag es, dass du ein Leser bist, der nicht missversteht. Genial ist es natürlich, wenn du das surrealistische Spiel in eine prägnante Frage verwandelst. Ich denke, nicht jeder würde die Existenz von Sonntag anzweifeln und dass es sich am Ende um eine ihm nicht fremde Person handelt – daran lesen bestimmt auch einige vorbei. Schön, dass das funktioniert hat. Ich weiß, dass dieses Rätselhafte an der Geschichte noch ausbaufähig ist, aber es beruhigt mich, dass am Ende mehr bleibt als ein großes Fragezeichen. Du sehnst dich nach einer Auflösung und ich empfinde das nicht als Schwäche. Wo säßen wir denn, wenn wir nicht nach Auflösungen strebten? Vermutlich nicht einmal in einer Höhle. Der Grund, warum ich meine Geschichte so enden lasse, wie sie enden, ist ein Zwilling. Zum einen mag ich Enden, die nicht alles aufklären und abschließen, weil meine eigenen Gedanken und auch die des Lesers noch weiter gehen, man setzt keinen Punkt im Kopf. Auf der anderen Seite fehlt mir einfach noch das Werkezeug, ein solches Konstrukt – auch in glaubwürdiger Art und Weise – zu beenden.

Meine Lieblingssituation war, als er "geheilt" ist, und im Auto mit zwei Fremden sitzt und unschuldig denkt, der Frau würde er gern mal den Kopf abknipsen.
Das ist wirklich absurd, ja.

Jetzt kommt was, das hat mich hart getroffen:

Das ist so Galileo-Wissen.
Ich weiß nicht, ob du dass auf alles beziehst, oder nur auf die Tatsache „Geruchshalluzinationen sind die ersten Anzeichen eines Hirntumors.“ Freilich ist mir der Kern der Geschichte nicht nach einem Galileo-Abend in den Sinn gekommen, sondern nach einer Vorlesung über Geruch und Geruchsstörungen. Ich habe sehr darauf geachtet, nichts allzu Medizinisches in den Text zu packen. Niemand will von Fila olfactoria lesen oder wie es bei einem chirurgischen Eingriff dazu kommt, dass Kortexareale, die beispielsweise das planvolle Handeln beinhalten, geschädigt werden. Auch, weil es aus der Sicht eines Laien erzählt wird.

Dass die Figuren nicht greifbar werden, dass dieser Sonntag durch die Geschichte spukt, und der Rest ihm bedingungslos zu gehorchen scheint, obwohl der offenbar, wenn es ihn gibt, kein bisschen vertrauenswürdig ist. Die Praktikantin wird da geopfert aus keinem nachvollziehbaren Grund.
Ich möchte nicht zu viel verraten, aber wenn es Sonntag nicht gibt, ist es genau diese „nicht nachvollziehbare“ Logik, die ihm das Morden erlaubt. „Schauen Sie nicht in den falschen Spiegel.“

Es ist im Surrealen auch wieder surreal.
Das klingt fast so, als hätte ich bemüht an der Realität vorbei geschrieben. Tatsächlich ist es so und auch wenn ich mich natürlich gegen deine letztstehende Diagnose wehren würde, auch mit Hammer und Messer und so, trifft es wohl zu, dass ich die Phantasie hier etwas überreizt habe. Deswegen habe ich mich auch gegen Horror entschieden. (Auch gegen Romantik.)

Was mich an der Geschichte beeindruckt, ist die Souveränität, mit der sie erzählt wird.
HELL YEAH!!!


Die psychisch fragwürdige Spielerei und die sprachlichen Salti scheinen dir gefallen zu haben und so bleibt mir nicht viel mehr, als Danke zu sagen für deine Zeit und deinen Kommentar, der wie immer feinfühlig durch die Zeilen streicht und mir Dinge sagt, die ich nicht wusste oder schon wieder vergessen hatte.

DANKE!

Beste Grüße
markus.

 
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Hallo Markus

Bei einer Geschichte, bei der man wegen der Länge und wegen des Inhalts mehrmals darüber nachdenkt, ob man sie überhaupt hier einstellen soll, tut so ein Feedback wahrlich gut.

Ich bin froh, dass du die Geschichte eingestellt hast. Finde das einen tollen Text, den ich gern gelesen habe. Obwohl er Assoziationen zu anderen Geschichten bei mir geweckt hat - allen voran Das Parfum und American Psycho - finde ich die Geschichte individuell und originell.

Sonntag stellte mir die gleiche Frage wie mein Vater

Da musste ich 3x lesen, bis ich kapiert hab, dass Sonntag ein Name ist - übrigens ein gut gewählter, wie ich finde, nachdem ich es verstanden hatte.

erklärte ich dem Arzt, der eine in Titan gefasste Brille trug und in einem frisch gebügeltem Kittel steckte,

einem gebügelten Kittel

Er winkte ab und notierte: Kakosmie. Kak hieß Scheiß und Osmie Geruch, glaube ich.

Trotz des ernsten Themas und der recht explizit beschriebenen Mord-Szenen (von denen sich einige Horror-Geschichten eine Scheibe abschneiden könnten) lockert der Humor die Geschichte auf. Meist erscheint er etwas subtiler wie im zitierten Beispiel, aber das hätte auch leicht in die Hose gehen können, im Sinne einer unfreiwilligen Komik. Dass das hier gelingt, bedeutet, du hast die richtige Balance gefunden. Kompliment dafür.

Kakosmie habe ich gegoogelt, ich kannte den Begriff nicht. Finde es gut, dass du nicht allzu medizinisch wirst, trotz deines vorhandenen Wissens in diesem Bereich, aber das hätte der Geschichte bestimmt nicht gut getan.

„Ich meine: Warum sind sie hier?“

Anreden groß: Sie. Da musst du nochmal durch die Dialoge, das ist öfter kleingeschrieben.

Die Szene mit der Krankenschwester fand ich richtig krass. Du lullst den Leser hier ein, ich hab das erst für einen (morbiden) Spaß gehalten, wie die Schwester wohl auch:

„Schon klar.“ Sie lachte. „Wie viele denn?“*
„Vier.“*
„Nur vier?“*
„Warum NUR?“*
„Naja, vier ist jetzt nicht so Mörder.“*

(das "nur" würde ich kursiv setzen statt Großbuchstaben)

Das kommt so harmlos rüber, und dann plötzlich packt er sie und metzelt sie nieder, also das hat mich recht überrascht.

Das Blut fließsprudelte über ihre flache Brust.

fließsprudelte - schöne Konstruktion.

Vergaß diesen abartigen Gestank und war für diesen einen Moment glücklich.

Später wird es deutlicher, aber mir hat das Motiv gefallen, das du ihm gibst, die Verbindung zu den Gerüchen. Die schlechten Gerüche, die er loswerden will, der gute Geruch (sein eigenes Glück), nach dem er sich sehnt - das ist bizarr, aber du bringst das gut und glaubhaft rüber. Das ist auch so eine Kunst: einer absolut durchgeknallten Person nachvollziehbare Motive zu geben. Ist gar nicht so einfach, deshalb auch dafür ein Kompliment.

Sie schafften das tote Mädchen fort, reinigten das Zimmer und überzogen das Bett.

Ich war hier der Meinung, das ganze sei nur seine Einbildung gewesen, wie ich übrigens auch den Sonntag am Ende für eine Einbildung halte. Aber das erklärt dann nicht, wie er (der Erzähler) das Institut verlassen kann. Zum Sonntag schreib ich weiter unten noch was.

Er hasste mich für die Frauen, die ich ermordet hatte, und den Grund.

Die letzten 3 Worte klingen wie ein unnötiges Anhängsel.

„Stellen Sie sich vor, sie säßen hier auf meinem Bett.“ Sie zuckte zusammen. „Das immer gleiche Licht, die immer gleichen Wände. Die einzige Beschäftigung das Nichtstun. Es ist ja auch kein Warten, weil es nichts gibt, worauf man warten könnte.

Hat mir auch gut gefallen, der Absatz. Das ist eine Stelle, die klingt absolut real, da bin ich dann davon ausgegangen, dass er sich in seiner Isolation die anderen Dinge bloß einbildet. Man hört ja öfter, dass Menschen, die lange allein sind, sich Gesprächspartner einbilden - der Protagonist in diesem Fall jemanden, der ihn heilen möchte.

Ihre Brüste schwammen formlos auf der Brust.

Klingt komisch. Vielleicht besser: schwammen formlos auf ihrem Körper (oder so).

„Sechs Wochen später. Ich habe meine Tante und ihre zwei Töchter eingeladen.“
„Und sie sind gekommen?“
„Natürlich. Ich habe ihnen von einer Erbangelegenheit erzählt“

Punkt am Ende - da musste ich auch grinsen, ist wieder so eine Stelle mit einer Prise Humor.

Die Szene in der Parfümerie hat mir nicht so gut gefallen. Glaube das war der einzige Absatz in der ganzen Geschichte, den ich unnötig finde, vielleicht, weil ich ihn ein Stück zu surreal finde, selbst für diese Geschichte. Die Szene in dem dunklen Würfel ist dann eine schöne Analogie zu Das Parfum, wo Grenouille ja auch in einer Höhle bewusst wird, dass er keinen eigenen Geruch besitzt - und er daraufhin seine Isolation beendet, so wie auch deine Figur im Anschluss wieder auf die Welt losgelassen wird. Keine Ahnung, ob das absichtliche Parallelen sind, ich fand das jedenfalls gut dargestellt.

Ab dann hat sich auch mein Bild von deinem Erzähler gewandelt: Trotz seiner "Heilung" mordet er weiter (und damit ist nicht nur der letzte persönliche Mord gemeint, sondern auch der Wunsch, der fremden Frau "das Gesicht vom Kopf zu pflücken"), obwohl er die schlechten Gerüche nicht mehr wahrnehmen kann. Hier verschiebt sich das Motiv des Erzählers, erst standen die schlechten Gerüche im Vordergrund, jetzt sind es eher die guten. Es scheint sich so eine Art Sucht nach dem Geruch des eigenen Glücks eingestellt zu haben.

„Du?“, sagte dieselbe piepsige Stimme, die mir in der Bar ins Ohr geleckt hatte.

Erst dachte ich an die Mutter, aber die ist ja schon tot, und im nächsten Satz wird die Frau als jung bezeichnet, also wohl wirklich seine Frau. Was bedeutet, dass ... er selbst Sonntag ist? Aber würde er sein eigenes Gesicht nicht erkennen? Oder ist das der Grund, warum ihm der (eingebildete) Sonntag die ganze Zeit Spiegel brachte ... mysteriös, aber auf eine wohlig-angenehme Art. Ich denke ich werde die Geschichte noch ein 2. oder 3. Mal lesen, mal schauen wie sie sich dann präsentiert.

Ja, Markus - also Kompliment, wirklich. So schräge Sachen sind nicht immer mein Ding, ich hab es gern geradlinig und klar, aber entweder bin ich grad in der richtigen Stimmung für diesen Text, oder er hat halt wirklich meinen Nerv getroffen. Von der Sprache her super, nicht zu schlicht, nicht zu überbordend, dem Thema gerecht werdend. Mir hat das wirklich außerordentlich gut gefallen, ich find nicht mal was zum Meckern ;) (abgesehen von der Parfümerie-Szene vielleicht).

Also echt, super Text :)!

Grüsse,
Schwups

 

[…]
Bei ihm klang ein Todesurteil nicht anders als ein Witz.
[…]
„Einen kleinen Witzbold haben wir da. Einen kleinen Witzbold, nicht wahr? Wir wollen aber keinen Witzbold. Auch keinen kleinen. Schon gar nicht geben wir dem kleinen Witzbold irgendwas.“
[…]

Hallo Markus,

ein seltsam mörderisches Schelmenstück legstu hier vor auf die stinkende Welt, die (die oder das) Halle verlassen hat, denn es ist m. E. der Antipode – sofern man auf kg.de von Gegenfüßern überhaupt sprechen kann – zu Deinem

„eigentlich egal“

Wieder einer dieser Tage, an denen ganz Halle stinkt. Sogar Marie riecht heute nicht gut. Weil sie mit der Bahn fährt. Durch diese Stadt. An diesem Tag. Ich will, dass sie sich diese Stadt und diesen Tag abduscht und sie sagt, Das geht nicht. Dann küsst sie mich. Es schmeckt okay.

Wie kann eine Stadt nur so stinken?, frage ich mich und tauche mit meiner Nase in ihr Haar. Vielleicht ist Halle die einzige Stadt, in der man schmutzige Gedanken riechen kann. Und ich mag die Vorstellung, dass sie stinkt, weil sie schmutzig denkt


und genau die Einleitung wird nun auf mörderische statt einer romantischen Geschichte fortgesetzt. Auch die Geschichte gelingt … so gut, dass sie nicht einmal stinkt, trotz der Ausrufe
„Du stinkst!“ Und noch einmal: „Du stinkst ganz sonderlich!“,
sondern ein Jucken in den Fingern erzeugt, aber eins nach dem andern und erstmal vorm Andern.

Ich hab die Geschichte gestern mit nach Haus genommen (Du wirst mir verzeihn), hab also den Stand vor Deinen Änderungen gleichentags, Änderungen also noch nicht berücksichtigt - also beginnen wir mit der Fälle-Falle (wie immer ein Beispiel, es sei denn, es kommt das gleiche Problem mit andern gepaart):

Nicht wegen Lisa und ihrem Hammer, …
„Wegen“ als genitiregierende Präposition erlaubt - wie de Duden behauptet - in der gesprochenen Sprache den Dativ. Nun ist es aber weniger gesprochen als geschrieben ... behauptet jedenfalls mein inneres Ohr (wenn ich mal in mich hineinhorche).

eher Flüchtigkeit hier

… oder einem jenseitigem Ort.

und nochmals ohne Duden
Doch statt meinem Vater hob eine Frau ab

Hier wäre (ich sag’s vorsichtig und ganz leise, Dein inneres Ohr wird mich verstehn und Dein inneres Auge sehn) der Konjunktiv vllt. (nee, übervorsichtig bräuchte ich nicht zu werden) besser angebracht, also statt
Ich bat sie, in den Spiegel zu gucken und mir zu sagen, was sie darin sieht
vllt.
…und mir zu sagen, was sie darin [sehe].

Dto. hier
… und stellte mir vor, wie sie nackt aussah,
wobei ich hier den Konjunktiv irrealis vorzöge ...

Hier wäre wörtl. Rede vllt. besser, ansonsten wie zuvor
Ob ich gut geschlafen hatte, fragte er.
"hätte"

„Was fehlt Ihnen?“
„Glück“, sagte ich und lächelte.
„Ich meine: Warum sind sie hier?“
Das Anredepronomen wird arg flüchtig behandelt wie hier "Ihnen ... sie"

Das Blut fließsprudelte über ihre flache Brust
Schöne Wortschöpfung. Aber! Ich bin überzeugt, dass „fließsprudeln“ nicht nur teilweise, sondern insgesamt gebeugt wird, schon des Gegensatzes stark/schwach und des seltsamen Partizps wegen, denn wie sähe denn ein „gefließsprudelt(e)“ aus – arg schräg.
Korrekt wäre m. E.
"fließsprudeln, flosssprudelte, geflossen(ge)sprudelt"

Hier ein kleiner Schwächeanfall (bei der Länge der Geschichte ein normal einzustufendes Ereignis im Widerstreit von Sein und Haben)

Lisa hatte war vorher schon gegangen.

Infinitvsätze lassen des Öftern das Komma links liegen, wie hier
Sie begann[,] mir das Nachthemd auszuziehen[,] und küsste meinen Rücken,

Hier ist mal der Punkt entflohen:

„Natürlich. Ich habe ihnen von einer Erbangelegenheit erzählt“
hier mal ein abschl. s
Allerding

Hier neben den Kommas die Verniedlichungsendung
Mir war[,] als hätte ich Schlamm geatmet[,] und am liebsten hätte ich ihm das Fläsch[ch]en mit dem Kopf aus der Hand geschlagen.

Wortspiel mit dem eigenen Namen oder ein s zu viel?

Glassseite

Es gab keinen Grund mehr, zurück zu kehren.
zurückzukehren


ob nun Sonntag in dem Haus meines Vaters wohre und ob es
Daas kann kein Tippfehler sein, jedenfalls nicht nach der Standardtastatur ...

Genug für heute und bis bald, sagt der

Friedel,
der noch'n schönes Wochenende wünscht!

 
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Hallo Schwups,

dein Kommentar ist ein schönes Kompliment, das ich zu beantworten versuche.

Allen voran: Danke fürs Zeigen der Fehlerchen – habe ich gleich geändert. Das „sie“ werde ich in „Sie“ ändern, wo ich es verpasst habe. Im Moment bin ich noch blind, wenn ich auf den Text gucke. Das mit den Brüsten habe ich gar nicht bemerkt, ich überlege es mir, ob sie weiterhin auf der Brust oder bald auf dem Körper schwimmen.

Die Parallele zu Parfum ist wohl unvermeidlich, wenn man über einen Mörder schreibt und über Geruch, umso mehr freut es mich, dass du meine Version des Geruchmörders originell und individuell gelesen hast. Ich finde, das Parfum ist eines der … ja, es ist nicht das beste Buch, das ich kenne, aber doch das stimmigste. Dass meine Erzählung viele Ähnlichkeiten mit der Grundidee des Süßkind-Romans hat, ist mir erst aufgefallen, als ich die Geschichte einige Male durchgelesen habe. Leider ist es so, dass scheinbar kreative Gedanken dem Unterbewusstsein entspringen und im Grunde nichts anderes als Neuinterpretationen etwas schon Dagewesenen sind.

Dass du den Namen, nachdem du über ihn gestolpert bist, gut fandest, ließ mich schmunzeln. Ganz wesentlich in deinem Kommentar ist, dass du eine Balance erkennst in meinem Schreiben. Explizite Mordszenen (Danke übrigens für die abgeschnittene Scheibe!) laufen Gefahr, schnell lächerlich zu wirken. Buchstaben kann man nicht einfach irgendwo reinstecken und dann spritzt Blut. Dass das letztendlich geklappt hat, freut mich. Ich habe mir mit dem Humor, den ich dazwischen gestreut habe, selbst ein Bein gestellt, aber auch hier scheine ich, nicht gestolpert zu sein. Zugegeben musste ich oftmals etwas streichen, um das hinzubekommen.

Ich möchte nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Ich habe mich wirklich gefreut, dass du mir bei dem zurückhaltenden medizinischen Wissen zugestimmt, schöne Formulierungen hervorgehoben und auch ganz viele andere Dinge so gelesen hast, wie ich sie geschrieben habe. Das habe ich alles mit einem Lächeln gelesen. Näher möchte ich auf zwei Dinge eingehen: auf jene Szene, die dir missfallen bzw. nicht ins Gesamtbild gepasst hat, und deine Sonntagsinterpretation.

Zur Parfümerie: Es stimmt schon, dass das ein surrealistischer Akt ist, und ich kann verstehen, wenn du dazu Nö! sagst. Das ist ja auch keine Entscheidung als Leser. Ich denke, die Geschichte würde nicht wesentlich verlieren, fehlte die Szene, aber ich möchte sie auch nicht ausschneiden, weil sie mir gefällt und die Geschichte wegen ihr nichts verliert. Vielleicht ein paar Worte zum Warum: Der zugrunde liegende Mechanismus ist das Flooding, die Überflutung seiner Sinne, eine Überreizung, die schließlich seine Wahrnehmung zurücksetzt. Ich hatte auch das Bild vor Augen, dass Sonntag (die unverrückbare Statue) versucht, den Mörder (in sich) zu töten.

Und damit sind wir schon bei unserem Protagonisten. Es war sehr interessant zu lesen, wie du von Absatz zu Absatz deine Meinung zu Sonntag weiter entwickelt hast. Dadurch konnte ich gut verfolgen, wie das auf den Leser wirkt. Danke für diesen Eindruck! Ich will den Lesern immer genügend Raum für seine Gedanken bieten und ich denke, du hast den Raum ziemlich gut ausgenutzt. =) Erklärungen sind wie immer schlechte Poesie und deswegen möchte ich dir nur sagen, dass alle deine Vermutungen über die Person Sonntag stimmen. Es ist auch krass, wie du dir deine Interpretation erspiegelt hast.

Ich habe sogar einen Lieblingssatz in deinem Kommentar:

Es scheint sich so eine Art Sucht nach dem Geruch des eigenen Glücks eingestellt zu haben.
Das beschreibt es sehr schön, finde ich.

Von der Sprache her super, nicht zu schlicht, nicht zu überbordend, dem Thema gerecht werdend.
Lob zur Sprache ist mir immer lieb, vor allem weil ich dazu neige, mich in den Salti (wie Quinn sie so treffend beschrieben hat) zu überschlagen. Dass auch du es als nicht überschießend und angemessen empfindest, freut mich.

Vielen Dank noch einmal für deinen schönen Kommentar. Der hat echt gut getan!

Und damit stolpre ich zu dir,

treuer Friedel,

und den vielen Dingen, die mich beschämt korrigieren ließen. Ich danke dir für deine Textarbeit, mit einigen Stellen muss ich mich noch etwas genauer beschäftigen. Cool fand ich, wie du mich zitierst und auf meine „Eigentlich egal“-Story verweist. Tatsächlich verhält sich ein Gedanke beinah spiegelbildlich, was sich leicht dadurch erklären lässt, dass sowohl in meinen Geschichten als auch in meinen Gedichten Geruch immer eine wichtige Rolle spielt. Begründet in der Tatsache, dass ich gute Gerüche gerne habe. Ich denke, das ist so ein Phänomen: Schriftsteller schreiben ein Leben lang immer wieder von wieder kehrenden Motiven und Literaturwissenschaftler benennen die Motive und wenn jemand Trakel hört, denkt er an Selbstmord und Trauer und Hässlichkeit und Bruder/Schwester-Verhältnis und ihm selbst war das vermutlich gar nicht bewusst. Jedenfalls lustig, dass du diese mörderische Romantik in einen Zusammenhang bringst.

Fehler, die ich ein paar Stunden später korrigiert habe, sind dir leider beim Drucken noch aufs Papier gerutscht. Die anderen versuche ich auszumerzen. Danke für das Zeigen, auch wenn es an manchen Stellen weh getan hat.

Glassseite? - Wortspiel mit dem eigenen Namen oder ein s zu viel?
An der Stelle musste ich herzlich lachen!

Es freut mich, dass du die Geschichte als gelungen empfindest und auch noch so gelungen, dass sie nicht stinkt und ein Jucken in den Fingern erzeugt. Es ist ja auch schon vorgekommen, dass du dich mit einem Jucken in der Nase von meinen Geschichten abgewendet hast.

Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende, von dem nicht viel mehr bleiben dürfte, als ein entspannter Sonntag.

Das wünsche ich freilich auch Quinn und Schwups, allen Lesern, selbst denen, die nach Befühlen der ersten Zeilen umkehren, um woanders zu schnuppern.

Beste Grüße
markus.

 

Hey Markus,

so, jetzt aber. Ich drück mich schon die ganze Zeit vor einem Komm., weil ich so gar nicht weiß, was ich so recht schreiben soll.

Also, ich habe die Geschichte in einem Zug gelesen, sie hat mich an keiner Stelle gelangweilt, sprachlich fand ich sie sauber, auch bin ich der Handlung interessiert gefolgt. Am Ende stellte sich jedoch kein so richtiges wow-Erlebnis ein und ich weiß nicht so recht, warum. Vielleicht, weil ich, wie Quinn, auf etwas gewartet habe, was über Unterhaltung hinausgeht, vielleicht, weil die Geschichte so oft Nahe legt, es gibt eine zweite Ebene, die sich mir jedoch nicht erschlossen hat. Ich weiß es nicht, und deshalb habe ich mich auch vor dem Komm. gedrückt, weil ich eigentlich wenig konstruktives zu sagen habe :).

Also, es ist sehr routiniert geschrieben, es ist so freakig alles, dass es dadurch auch einen sehr hübschen Reiz alles bekommt, meine Lieblingsszene ist übrigens die, wo das Mädel bei ihm im Zimmer ist, sie plaudern so daher und dann killt er sie. Die Heilungsgeschichte am Ende, die ist so, naja, so ich weiß auch nicht. So dran irgendwie. Warum heilt ihn Sonntag nicht schon früher? Allerdings ist dieses, alles stinkt und nur der Tod junger Mädchen riecht gut, und nun nehme ich Dir auch diesen letzten guten Geruch - ja, dass ist schon eine Lösung, denn wenn der Tod nicht mehr gut riecht, gibt es auch keinen Grund zum töten mehr - also, irgendwie ist das schon clever eingefädelt und durchdacht und richtig, und nun bleibt ihm eben allein der Gestank. Im Gegensatz zu Maueser hab ich die Parfümerie schon als Überflutung begriffen, die hat für mich schon Sinn gemacht, die Kiste jedoch weniger. Ich hab das mit der Kiste nicht kapiert und empfinde diesen Teil daher als überflüssig. Aber vielleicht muss ich das auch nochmal genauer lesen. Wollte ich dir nur als Rückmeldung nicht vorenthalten.

So, und jetzt muss ich schon wieder los. Ich setze das hier morgen fort. Tut mir leid, ich habe die Zeit verpeilt.

Bis zur Fortsetzung, Liebe Grüße

 

Hey Fliege,

schön, dass du mir trotz der Unschlüssigkeit einen Kommentar da gelassen hast. Und konstruktiv ist alles, was mich nicht beleidigt oder sinnlos lobt. Immerhin sprichst du einige Dinge an, die mich nach dem Schreiben beschäftigt haben, und vielleicht sind sie der Anstoß für eine weitere Bearbeitung. Ich bin neu auf diesem Gebiet, aber ich wollte einmal weg von den Küssen und den „Ich liebe dich“s. Du sagst, du empfindest das, was passiert und wie es passiert, als reizvoll und ich konnte ein Stück weit fesseln. Das freut mich wirklich, vor allem, weil du nicht unbedingt ein Fan von solchen Geschichten bist. Für dich ist sogar eine Lieblingsszene dabei. Auch Quinn und Schwups haben die Szene benannt, und leider enttäuscht dich das Ende, das die Fragezeichen nicht gegen Ausrufezeichen tauscht. Ich habe ja schon was dazu geschrieben und es tatsächlich so, dass ich es nicht in einem erleuchtenden Sinne abschließen konnte und wollte. Vielleicht versuche ich mich an einem Ende, das zumindest die meisten Deutungen ausschließt und auf das hinarbeitet, was in meinem Kopf passiert ist. Ich bin da am Ende nicht klar genug, das stimmt schon.

Dass du meine Sprache als routiniert einstufst, freut mich. Du weißt, wie viel mir das bedeutet.

Die Heilungsgeschichte am Ende, die ist so, naja, so ich weiß auch nicht. So dran irgendwie. Warum heilt ihn Sonntag nicht schon früher? Allerdings ist dieses, alles stinkt und nur der Tod junger Mädchen riecht gut, und nun nehme ich Dir auch diesen letzten guten Geruch - ja, das ist schon eine Lösung, denn wenn der Tod nicht mehr gut riecht, gibt es auch keinen Grund zum töten mehr - also, irgendwie ist das schon clever eingefädelt und durchdacht und richtig, und nun bleibt ihm eben allein der Gestank.
Da erklärst du es dir im Grunde selbst. Sonntag antwortet auf die Frage: „Ich weiß nicht, ob Sie das wollen.“ Und es gibt durchaus Krankheiten, bei dem der Patient sich nicht sicher ist, ob er den Eingriff wünscht, um von den Beschwerden befreit zu werden, denn meist ist die Heilung mit einer einschneidenden Einschränkung verbunden. Sonntag sagt auch: „Ich kann Ihnen auch nicht sagen, ob ich sie damit umbringe.“ Und letztendlich führt die Heilung, diese Abwesenheit von jeglichem Geruch, auch zu dem Tod des Ich-Erzählers. Die Logik freilich ist eine eigene, aber du schreibst auch, dass du es clever eingefädelt findest. Das einzige, was ich gegen diesen Widerspruch tun kann ist, diese Problematik schon anfangs zwischen die Zeilen zu schreiben. Dann wirkt es vielleicht nicht so angehängt, so prothesenhaft.

Im Gegensatz zu Schwups hab ich die Parfümerie schon als Überflutung begriffen, die hat für mich schon Sinn gemacht, die Kiste jedoch weniger. Ich hab das mit der Kiste nicht kapiert und empfinde diesen Teil daher als überflüssig.
Da musste ich ernsthaft schmunzeln. Dass Lesermeinungen auseinander gehen, ist mir vertraut, aber solch eine Spiegelbildlichkeit durfte ich noch nicht erleben. Der Glaswürfel ist – ohne dass ich beim Schreiben bewusst daran gedacht hätte – das Äquivalent zu der Szene in Parfum, als es um die Suche nach dem eigenen Geruch geht. Allerdings ist es stark surreal und wird dir möglicherweise auch nach erneutem Lesen und Nachdenken nicht schlüssig erscheinen. Man kann die Leser ja nicht in eine Logik zwingen, man kann sie ihm nur anbieten.

Danke jedenfalls für deine ambivalenten Gedanken. Überhaupt, dass du dir Zeit genommen hast. Vermutlich habe ich dich mehr verstört, als unterhalten, aber das darf man ja auch manchmal, nicht wahr?

Vorfreudig auf eine mögliche Fortsetzung,
grüßt dich lieb
markus.

 

Hej Markus,

ohne Schwups' Kommentar habe ich Sonntag als merkwürdig über allem schwebende Instanz wahrgenommen. Wenn es sich bei ihm um den Erzähler (im Spiegel?) handelt, dann wird für mich alles deutlicher (richtig klar isses trotzdem nicht, aber ist ja auch "Seltsam").
Selber wäre ich da eher nicht drauf gekommen (mir ist aufgefallen, dass ich eine Bar in Gedanken grundsätzlich mit einem hinter dem Tresen befindlichen Spiegel ausstatte, aber das nur nebenbei).

Ich find die Geschichte schon ziemlich gut, für mich hätte es gerne medizinischer und dafür weniger blutrünstig sein dürfen. Am besten gefallen mir die Szenen, in denen seine Not deutlich wird, die auf Normalität trifft. Die Szene mit Lisa oder auch das hier:

„Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir die Nase aus dem Gesicht zu schneiden, aber ich habe mir schon gedacht, dass das nichts ändern würde, ich bin ja nicht dumm“, erklärte ich dem Arzt, der eine in Titan gefasste Brille trug und in einem frisch gebügelten Kittel steckte, der nach verfaulten Eiern roch. Er schaute mir ins Nasenloch und stocherte mit seinen Blicken solange darin herum, bis ich das Niesen nicht mehr unterdrücken konnte. Mit beängstigend geistloser Miene nahm er seine Brille ab und wischte sich den Rotz aus dem Gesicht. Dann sagte er Wörter, die ich nicht verstand.

„Gestern war Vollmond“, sagte mir eine Schwester am Nachmittag, fast heimlich. Als hätte das irgendetwas zu bedeuten. Sie sah aus wie das Mädchen, nur älter. Obwohl sie hinter dem Glas blieb und über das Mikrophon zu mir flüsterte, war sie ängstlich. „Warum sagen Sie mir das?“, fragte ich.
„Na, weil Sie doch kein Fenster haben.“ Ich nickte.
„Was denken Sie? Warum bringen sich Menschen hier um?“
„Weil sie irre sind?“
„Stellen Sie sich vor, sie säßen hier auf meinem Bett.“ Sie zuckte zusammen. „Das immer gleiche Licht, die immer gleichen Wände. Die einzige Beschäftigung das Nichtstun. Es ist ja auch kein Warten, weil es nichts gibt, worauf man warten könnte. Sie könnten vielleicht noch ihren Gedanken zuhören, aber stellen Sie sich vor, selbst Ihre eigenen Gedanken sind leise und unverständlich. Würden Sie sich nicht in der Stille ertränken, die immerfort von der Decke tropft? Würden Sie warten bis ein Fenster in die Wand wächst, ehe Sie sich hinaus stürzen?“
„Ich wollte Ihnen nur das mit dem Mond sagen“, sagte sie und verschwand.

Die zwei Heilungsversuche und die Szene in der Bar waren nicht so meins.Wirkten auf mich wie Füllwerk. Teilweise wie altbekannte Motive. Hannibal Lecter sucht "das Parfüm".

Kleinigkeiten:

Ich weiß, dass man seine Gedanken hören kann, wenn man sie denkt, aber ich hörte nichts.
Der Satz verwirrt mich. "Gedanken hören", ist das die Krankheit, die da aus ihm spricht? Verstehen kann man sie aber "hören" ... macht man das nicht mit den Ohren und was haben die mit den Gedanken zu tun?
Ich stimme nicht zu, das ist als würde ich rückwärts in die Geschichte hinein stolpern. Witziger Effekt.

Die Hände, die ich schüttelte; das Wasser, mit dem ich die meinen wusch.
“Die Hände, die ich schüttelte; das Wasser mit denen ich meine wusch“ würd auch gehen und weniger episch klingen.

Dann stand sie vor mir, angezogen und doch so nackt.
Fand ich sehr aufmerksam von ihm, dass er ihre Nacktheit bemerkt. Obwohl er doch genug eigene Probleme hat.

Aber morgen komme ich mit einem Hammer und schlage dir den Schädel ein und das meine ich nur ein bisschen als Witz.“
Ohne das Fettgedruckte wäre auch klar, dass sie es nicht wirklich vorhat.
Sie scheint ein extrem humorvoller Mensch zu sein.


Manchmal bleiben Gedanken Gedanken.
Wenn ich diesen Satz mehrmals wiederhole, schäme ich mich fast ein wenig dafür ihn erstmal irgendwie geglaubt zu haben. Ich wünschte, Du würdest ihn streichen.

Wenn ich keine Heilung wünschte, wäre ich ein glücklicher Mörder.“
„Sind Sie denn ein unglücklicher Mörder?“
„Glücklich bin ich nur, wenn ich morde.“
„Sehen Sie.“
Ich übersetze es mir mal frei:
M. (der Mörder) sagt: "Der Wunsch, krank zu bleiben bedeutet, glücklich zu sein und zu morden."
Anders gesagt zeigt er, dass es zwei Seiten gibt, die irgendwie unvereinbar und deswegen schwer zu ertragen sind. Krankheit auf der einen, Mord und (kurzes) Glück auf der anderen Seite.
Interessante Stelle, aber S. fragt daraufhin: "Sind sie ein unglücklicher Mörder."
Da frag ich mich: Hat er nicht zugehört? Und wenn M. und S. ein und dieselbe Person sind, was bezweckt S. mit dieser törichten unmotivierten Frage?
M. erklärt es ihm nochmal und S. sagt: "Sehen Sie."
Puuh!
Ich versteh einfach nicht, was Du mir hier zeigen willst. Dass S. ignorant ist?

Das habe ich eben irgendwo gelesen, sonst wär es mir nicht aufgefallen:

Ihre Brüste schwammen formlos auf der Brust.
Wie wär's mit "auf ihren Rippen"? Das klingt immerhin nach Skelett.
Formlose Brüste kann ich mir nur schwer vorstellen ... es sei denn, sie sind explodiert (explodierte Brüste mag ich mir aber lieber nicht vorstellen).

Ich hoffe, es ist nicht zu negativ geworden. So ist es keinesfalls gemeint.

LG
Ane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Ane,

dass du Sonntag als eine „merkwürdig über allem schwebende Instanz“ liest, ist genauso richtig, wie Schwups Deutung, verschwommen bleibt jede Sichtweise für sich wahrscheinlich dadurch, dass ich beide zulasse. Unstimmigkeiten in Dialogen, die durchaus existieren dürfen, möchte ich nach deinem Kommentar noch einmal gezielt bearbeiten. Klar wird die Erzählung nie werden, aber klarer schon. Das bin ich dem Leser eigentlich schon schuldig, auch, weil ich Quinn und Fliege und vermutlich vielen anderen eine finale Auflösung verwehre.

(mir ist aufgefallen, dass ich eine Bar in Gedanken grundsätzlich mit einem hinter dem Tresen befindlichen Spiegel ausstatte, aber das nur nebenbei)
Dann hätte er da einen recht beschränkten Sonntag angetroffen. Den Freizeitsonntag, sozusagen. Außerdem zieht er sich hier kurz in die dritte Person zurück.

Ich find die Geschichte schon ziemlich gut, für mich hätte es gerne medizinischer und dafür weniger blutrünstig sein dürfen. Am besten gefallen mir die Szenen, in denen seine Not deutlich wird, die auf Normalität trifft.
Da steckt viel drin. Am Ende schreibst du – zum Glück – noch einmal, dass du die Geschichte trotz der zahlreichen Kritikpunkte und/ oder Pünktchen, gut findest. Freilich verliert man als Autor einen entscheidenden Satz aus den Augen, wenn mengenmäßig mehr kritisiert wird. Aber ich lese Sätze, wie den ersten im Zitat, mit einem Lächeln, und das verfliegt dann auch nicht, wenn ich den Rest lese. Ich freue mich immer wieder, wie sehr hier ins Detail gegangen wird. In deinem Kommentar sind auch sehr gute Hinweise drin. Hätte ich sie medizinischer verfasst, wäre sie wohl noch blutrünstiger geworden, aber ich habe mich bewusst für diese Variante entschieden. Auf der anderen Seite erlaubt Sonntags Wissen durchaus eine noch kühlere und exakt beschreibende Betrachtung des Ganzen. Das hätte auch etwas sehr Gruseliges. In Sabbaths Theater hat das einen sehr starken Effekt. Allerdings ist es eine große Herausforderung, das Lehrbuchwissen in eine literarisch, ansprechende Form zu bringen, um nicht zu informieren, sondern zu unterhalten.

Schön, dass du zwei Szenen raus gepickt hast, die mir persönlich auch sehr gefallen. Vor allem, die mit der Schwester, die vom Mond erzählt. Nun zu der Szene in der Bar: Sie ist tatsächlich Füllwerk. Zugegeben versuche ich nicht mehr allzu sehr, die Szenen möglichst kurz zu halten, ich möchte meine Geschichten immer länger werden lassen. Nicht strecken, sondern wachsen lassen. Das ist der Vereinbarkeit mit dem Forum leider (!) nicht zuträglich, aber ich bin da im Widerspruch, weil ich größere Formate anstrebe, aber auf die Rückmeldungen hier nicht verzichten möchte. Sie haben mich so weit gebracht, ich kann das manchmal selbst nicht glauben. Dennoch finde ich, dass die Szene schön zeigt, dass sich etwas in seiner Wahrnehmung verändert hat. Schade ist, dass du auch die Szene in der Parfümerie und mit dem Würfel nicht so gelungen findest. Damit ist deine Meinung die Summe von Flieges und Schwups‘ Leseeindruck diesbezüglich. Streng genommen sind es keine Heilungsversuche, sondern die Vorbereitung auf die Heilung. Das muss ich noch deutlicher gestalten.

Hannibal Lecter sucht "das Parfüm".
Das trifft es schon. Interessant ist – wenn ich das richtig verstehe – dass du die Geschichte eher als eine Hannibal Lecter Version gelesen hast, in der Elemente von „Das Parfum“ enthalten sind, und nicht anders herum.

Der Satz verwirrt mich. "Gedanken hören", ist das die Krankheit, die da aus ihm spricht? Verstehen kann man sie aber "hören" ... macht man das nicht mit den Ohren und was haben die mit den Gedanken zu tun?
Ich stimme nicht zu, das ist als würde ich rückwärts in die Geschichte hinein stolpern. Witziger Effekt.
Hören ist ein neurophysiologischer Prozess der mit dem Ohr beginnt und sich bis in die Heschl-Querwindungen erstreckt, das ist das primäre Hörzentrum, schläfenwärts, wenn man die Furche, die man an der Seite des Hirns findet, aufspreizt und hineinguckt. Gedanken, in Sprache verschlüsselt, entstehen zwar nicht dort, sind aber mit diesem Areal assoziert, und auch unabhängig davon finde ich, dass man seine Gedanken, wenn man sie denkt, hört. Aber an dieser Stelle könnte man eine philosophische Diskussion entfachen. Es ist auch eine Definitionssache dann: Wenn ich hier „hören“ schreibe, meine ich damit auch „verstehen“. Das ist so eine "Kill your darlings"-Sache. Die Geschichte würde rein gar nichts verlieren ... Das riecht mir nicht nach Glück.

“Die Hände, die ich schüttelte; das Wasser mit denen ich meine wusch“ würd auch gehen und weniger episch klingen.
Ups, ich dachte, ich hätte das schon überarbeitet. Ich stimme dir da total zu. Quinn hat das auch schon angemerkt. Mein Fehler, dass es da noch so unschön steht.

Fand ich sehr aufmerksam von ihm, dass er ihre Nacktheit bemerkt. Obwohl er doch genug eigene Probleme hat.
Du bist aufmerksam, hey! Das müsste eigentlich weg.

Aber morgen komme ich mit einem Hammer und schlage dir den Schädel ein und das meine ich nur ein bisschen als Witz.“
Ohne den zweiten Teil wäre klar, dass es ein Witz ist. Tatsächlich hat sie es ein wenig vor.

Manchmal bleiben Gedanken Gedanken.
Jetzt schäme ich mich, vor allem, weil ich immer noch nicht weiß, was falsch daran ist.

M. (der Mörder) sagt: "Der Wunsch, krank zu bleiben bedeutet, glücklich zu sein und zu morden."
Anders gesagt zeigt er, dass es zwei Seiten gibt, die irgendwie unvereinbar und deswegen schwer zu ertragen sind. Krankheit auf der einen, Mord und (kurzes) Glück auf der anderen Seite.
Interessante Stelle, aber S. fragt daraufhin: "Sind sie ein unglücklicher Mörder."
Da frag ich mich: Hat er nicht zugehört? Und wenn M. und S. ein und dieselbe Person sind, was bezweckt S. mit dieser törichten unmotivierten Frage?
M. erklärt es ihm nochmal und S. sagt: "Sehen Sie."
Puuh!
Ich versteh einfach nicht, was Du mir hier zeigen willst. Dass S. ignorant ist?
Ja, ich verstehe, was du meinst, und ich sehe es auch jetzt erst. Das muss anders sein.

Wie wär's mit "auf ihren Rippen"? Das klingt immerhin nach Skelett.
Formlose Brüste kann ich mir nur schwer vorstellen ... es sei denn, sie sind explodiert (explodierte Brüste mag ich mir aber lieber nicht vorstellen).
Das werde ich übernehmen. Das „formlos“ vielleicht streichen:
Ihre Brüste schwammen auf den Rippen.

Ich danke dir fürs Lesen, deine Zeit und die hilfreichen Anregungen! Und fürs Gutfinden.

Beste Grüße
markus.

 

Hallo Markus,

es ist ja nun schon viel zu deiner Geschichte gesagt worden, auch die Dinge, die ich im Kopf habe, wurden schon gut auf den Punkt gebracht. Daher kann ich kaum etwas Neues beisteuern, aber noch sagen, wie ich das Lesen fand, und einige Textsachen aufzeigen.

Mit "Seltsam"-Texten ist es bei mir immer so eine Sache: Entweder sind sie so seltsam, dass ich gar nichts raffe und mir das Lesen nichts gibt, oder sie sind so pseudoseltsam, dabei aber eher naiv-normal, dass sie mir auch nichts geben. Dein Text, und das ist ein großes Kompliment, liegt dazwischen und gibt mir so was. Er ist für mich stimmig, das Schräge, der Humor, die Sprache - das passt. Ich fand das Lesen interessant und unterhaltsam. Natürlich hat es mich auch an Das Parfüm erinnert, aber ich finde das nicht abgekupfert, sondern es hat auf jeden Fall was Originelles. Am Ende gab es auch bei mir nicht den Riesen-Aha-Effekt, aber ich finde das passend. Ich habe bei diesem Text nicht groß angefangen zu analysieren und den auseinanderzunehmen, weil er wie ein Bild ist, das man so als Ganzes auf sich wirken lassen kann. Da gibt es Skurriles, Horror, Humor, das ergibt echt eine einteressante Mischung. Es gab schöne Details, z.B. die Stelle wo er sagt, dass er ein Puzzle ist, dass draußen niemand zusammensetzt und er hier drinnen auch nicht, die hat mir gefallen.
Soweit zu meiner Leseerfahrung; in meinen Augen ein wirklich gelungener Seltsam-Text.

Textkram (meistens kleine Anrede und Vergangenheit statt Vorvergangenheit):

Die Menschen, die an mir vorbei liefen
vorbeiliefen

„Wollen Sie nicht wissen, wie es weitergeht?“ „Doch, doch. Aber erst morgen.“
Mach doch bei wörtl. Rede immer Absätze, lässt sich besser lesen

schon mit dem Gedanke, dass ich es nicht leicht finden würde, sollte ich danach suchen
Gedanken

Ich gab den Spiegel zurück in die Hand, die ihn mir gab, und
gegeben hatte

Ich bat sie, in den Spiegel zu gucken und mir zu sagen, was sie darin sieht.
sah (/sähe)

und zerschmetterte ihren Stimmapparat bevor sie losschreien konnte.
Stimmapparat, bevor

die mir ohnehin schon durch die dünne, helle Haut entgegen pulsierten.
entgegenpulsierten

Er gab mir denselben Spiegel, den mir gestern das Mädchen gab und doch war es ein anderer.
gegeben hatte

„Sie sprachen von der Heilung ihrer Krebserkrankung und ihrer bestehenden Geruchsstörung.“
2x Ihrer

„Ich möchte sehen, wie sie sich sehen.“
Sie

„Woher wollen sie das so genau wissen?“
Sie

Alles war klein geschnitten und mundgerecht portioniert
kleingeschnitten

„Stellen Sie sich vor, sie säßen hier auf meinem Bett.“
Sie

ehe Sie sich hinaus stürzen?“
hinausstürzen

Da hätte ich auf Sonntags Frage, wie es mir geht, einfach
ging

„Erzählen Sie mir, wie Sie es heraus gefunden haben?“
herausgefunden

Ich hätte nicht gedacht, dass sie kommt, aber sie kam.
kommen würde

Als alles leer gesoffen war,
leergesoffen

Ihre Brüste schwammen formlos auf der Brust.
Hat Schwups schon angesprochen; würd ich ändern.

immer mehr von diesen grässlichen Düften freisetzend.
Also Duft ist ja grundsätzlich ein wohlriechender Geruch. Du verwendest diesen Begriff an ein paar Stellen, wo das nicht passt, weil du Gestank meinst.

Sie fasste sich an die Brust und spuckte Blut; nicht nach mir, einfach Blut.
Passt für mich nicht zusammen; das erste bezieht sich auf den Ort des Spuckens, das zweite auf die Art der Spucke.

Ihre zornigen Augen erinnerten mich an den Hammer, mit dem sie sich rächen wollte.
hatte rächen wollen

aber der Gestank, der zuvor von Lisa ausging, war verschwunden.
ausgegangen war

Dann schlief ich ein, und durch.
Da stolpert amn, finde ich. Würd ich umformulieren; schlief ohne Unterbrechung oder so

Dass sich das Glück mit dem Tod multiplizieren würde“
.

Zukunft nicht mehr so sicher war.


„Sie sagten, sie werden mich heilen.“

Du hast immer Ein-Zeilen-Abstände bzw. die Sternchen. Hier sind das einzige Mal zwei Zeilen Abstand. Absicht? Außerdem: Sie

„Werden sie es auch tun?“
Sie

„Ich weiß nicht, ob sie das wollen.“
Sie

Sonntag hatte eine bewundernswerte Art und Weise alles gleich zu betonen.
Weise, alles

wenn ich hier sitze und mit ihnen Dinge bespreche, die ich nicht verstehe
Ihnen

begannen jeweils zwei Parfümfläschen aus den Regalen zu nehmen
Parfümfläschchen

verfolgt von dem Gestank, der meinem Kopf inne wohnte.
innewohnte

das mir fröhlich entgegen splitterte und mich aus der Atmungslosigkeit riss.
entgegensplitterte

Gebäude, das ich als das Institut wieder erkannte, in das ich
wiedererkannte

Der Moment, in dem der Mond schon zu sehen war, obwohl die Sonne noch schien, Vögel zwitscherten und der Wind durch die Blätter der Bäume rauschte, fühlte ich mich gefangen in einem Déjà-vu und fürchtete, die ganze Zeit, die ich hier verbracht hatte, wiederholen zu müssen.
Da stimmt was nicht

und bis auf vorbei fahrende Autos stand die Welt still.
vorbeifahrende

und wartete bis ein neues Licht aus der Finsternis tauchte.
wartete, bis

fuhr der Mann an die Seite und bat mich auszusteigen.
mich, auszusteigen

„Was darf ich Ihnen einschenken?“, fragte er. „Whiskey“, sagte ich. „Den billigsten.“
„Warum zum Kuckuck kommt ein Fremder in eine Bar und bestellt sich den billigsten Whiskey?“
„Dem Fremden könnte man Pisse ins Glas gießen und er würde es trotzdem mit einem Lächeln schlucken. Außerdem hat er kaum Geld“, sagte ich. Die dritte Person gefiel mir. „Wissen Sie was? Der Fremde trinkt heute umsonst den teuersten Whiskey, den es in dieser verdammten Bar gibt.“
„Wunderbar“, sagte ich. „Jetzt braucht der Fremde nur noch ein Telefon.“
Erst hatte ich nicht verstanden, wer da was sagt, jetzt glaube ich, dass er so eine Art Selbstgespräch führt, richtig? Würde ich deutlicher machen, ich bin da ziemlich gestolpert

Wange. „Ihr könnt mir das Kleingeld auch einfach so geben.“ „Einen kleinen Witzbold haben wir da.
Wieder Absätze..

darfst du solange telefonieren, wie du willst.
so lange

„Wie kommt es, dass sie nichts schmecken?“
Sie

„Frohe Fest“-Schild an der Haustür
Frohes

Brett, das vor kurzem noch Teil des Zaunes war, solange ins Gesicht, bis ihr das nervende Piepsen
Kurzem; so lange

ob es seine Frau war, die dort auf dem Teppich lag und gleichmäßig dem Leben entgegen atmete.
entgegenatmete

Schöne Grüße,
Maeuser

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maeuser,

hättest du beim Vortragen der Fehlerliste vor mir gesessen, wäre ich dir ins Wort gefallen, mit meinem ganzen Körper vermutlich, ich habe mich für die vielen Fehlerchen geschämt, aber es war mir auch unangenehm, dass du so viel Kopierarbeit wegen mir hattest. Jetzt ist es schon geschehen und ich danke dir dafür. In Zukunft werde ich darauf mehr achten. Das waren ja keine Flüchtigkeitsfehler, sondern welche, die ich immer mache. Die getrennten Wörter, das „so lange“ und das „Sie“, das ich einfach nicht mehr gesehen habe.

Ich möchte mich auch entschuldigen für die Stellen, die beispielsweise Quinn schon angemerkt hatte, und noch nicht korrigiert waren. Da ist irgendetwas beim Kopieren schief gelaufen. Ich finde das immer total blöd, wenn dadurch Dinge nochmals erwähnt werden müssen. Also noch einmal eine Entschuldigung dafür.

Nach dieser fast schmerzhaften Demutsgebärde möchte ich mich für deine Kritik bedanken. Manchmal ist es auch wichtig, bloß den anderen zuzustimmen. Zum Beispiel weiß ich nicht, ob nur Quinn den Titel daneben fand, oder alle, wenn sie sagen, dass sie den Vorrednern zustimmen.

Also Duft ist ja grundsätzlich ein wohlriechender Geruch. Du verwendest diesen Begriff an ein paar Stellen, wo das nicht passt, weil du Gestank meinst.
Das habe ich bewusst so gemacht, auch, dass sich der Leser fragt, hä, Duft riecht doch gut, und Gestank stinkt, aber bei ihm ist das ja vertauscht, jedenfalls was Düfte betrifft.

Mit "Seltsam"-Texten ist es bei mir immer so eine Sache: Entweder sind sie so seltsam, dass ich gar nichts raffe und mir das Lesen nichts gibt, oder sie sind so pseudoseltsam, dabei aber eher naiv-normal, dass sie mir auch nichts geben. Dein Text, und das ist ein großes Kompliment, liegt dazwischen und gibt mir so was.
Das freut mich. Mir geht es bei vielen Seltsam-Texten übrigens genauso. Und ist es nicht das Schönste, als Autor gesagt zu bekommen, dass der Text etwas gibt. Nicht nur Zeit und Konzentration und Kreativität fordert, sondern etwas zurückgeben kann.

Er ist für mich stimmig, das Schräge, der Humor, die Sprache - das passt. Ich fand das Lesen interessant und unterhaltsam.
Yeah! Danke! Das sind alles Dinge, die ich erreichen wollte.

Dass auch du findest, dass es Ähnlichkeiten mit „Das Parfüm“ hat, ohne abzukupfern, freut mich. Wie gesagt, ich habe beim Schreiben gar nicht daran gedacht. Wäre doof, wenn es sich im Nachhinein wie ein Abklatsch liest. Der fehlende Aha-Effekt ist so eine Sache, es ist halt ein Finale, aber kein aufklärendes. Aber daran hast du dich ja nicht gestört, du lässt das Bild auf dich wirken, ohne genau hinzusehen oder hinsehen zu wollen. Das erlaubt der Text an vielen Stellen auch gar nicht, schätze ich. Nur dann, wenn man alles andere ausblendet für einen Moment.

Da gibt es Skurriles, Horror, Humor, das ergibt echt eine interessante Mischung. Es gab schöne Details, z.B. die Stelle wo er sagt, dass er ein Puzzle ist, dass draußen niemand zusammensetzt und er hier drinnen auch nicht, die hat mir gefallen.
Schön, dass du das alles so empfindest. Das mit dem Puzzle ist der erste Satz, den ich geschrieben habe. Der hat mir auch sehr gefallen.

in meinen Augen ein wirklich gelungener Seltsam-Text
Mit diesem Lächeln stolpre ich heute in den Tag.

Vielen Dank dafür!

Beste Grüße
markus.

 

Hallo markus

Ich hatte gestern begonnen diese Geschichte zu lesen, brach dann aber nach etwa einem Drittel ab. Ich war mir zu dem Zeitpunkt nicht sicher, liegt es an der abstrusen Darlegung des Stoffes oder an meiner Tageskondition, sodass ich es verschob, um es ein andermal anzugehen.

Das Stück erschien mir wie ein Versuch, etwas im Rahmen des Théâtre de l'Absurde zu inszenieren, ohne an deren Autoren anzulehnen. Vage hat es vielleicht eine Annäherung an Apollinaires Faible zu neuen Wortbildungen, bei dir sind es Sätze, auf die ich noch eingehe.

Heute sehe ich klarer, was mich gestern aus der Bahn warf. In der Regel habe ich kein Problem damit, wenn in einem gewollten Fantasiestück die Realität geritzt wird, und schätze es, wenn sich beide Elemente in einer Geschichte harmonisch zusammenzufügen vermögen. Der Leser ist dann gefordert, die Grenzen selbst wahrzunehmen. Du eröffnest gleich mit abstrusem Geschehen, das wie sich später zeigt, noch einer Zeitraffung unterliegt, was mir den Nachvollzug der Handlung zu Beginn erschwerte.

Als ich meinem Vater offenbarte, dass ich verrückt wäre und von nun an in Sicherheitsverwahrung leben würde, konnte er es kaum glauben. „Ich habe es auch nicht kommen sehen“, sagte ich.

An den Anfang gestellt, glaubte ich erst, er beabsichtige sich selbst, eine Sicherheitsverwahrung aufzuerlegen. Im Kontext zum rückwirkenden Geschehen, das sich erst später eröffnet, macht seine ergänzende Bemerkung, er habe es auch nicht kommen sehen, dann wenig Sinn, es sei denn, man drehe es in die Zeit vor die Taten zurück.

Die liebte sie zwar zu Lebzeiten, aber nach dem Tod konnte man seinen Geschmack schließlich ändern, nicht wahr?

Mit solchen Sätzen erzeugst du mir schon ein herzhaftes Lachen. Die Verbindung von Syndromen und der gezeigten Entwicklung ist jedoch mehr als nur grenzwertig, sowie ganz und gar auf Humoreske ausgerichtet. Dadurch bekam ich den Eindruck, es sei zwanghaft bemüht Komik zu erzeugen, die Wirkung des Seltsamen wäre mir mehr gegeben, wenn allein der Protagonist seinen Zwängen erliegt.

Es roch wurmig und vorverdaut.

Dies ist einer dieser Sätze, die mir künstlich wirken, nicht kunstvoll, sondern eher Schein heischend. Da du zweifellos eine angenehme und gut lesbare Sprachform anwendest, ist mir nicht klar, welchen Zweck du damit beabsichtigst. Surrealismus? Apollinaire schuf u. a. neue Wortbildungen, er war – wenn ich mich nicht irre – als erster von surrealistischen Motiven geleitet. Deine eingeschobenen skurril wirkenden Sätze, die sich aus der klaren Sprache abheben, erinnern mich dagegen eher an semantische Wortspielereien, wie sie in einem germanistischen Seminar durchaus auftreten können, Grenzen des Verständnisses abtastend.

Der Kern der Geschichte selbst dünkt mich weniger seltsam, als denn ein pathologischer Abriss, der sich jedoch nicht an reale Konturen hält.

So war es mir merkwürdig zu lesen, das Unterhaltende kam mir abhanden, da es zu viel Konzentration dafür abforderte. Ich denke, für dich war das ein Stück des Experimentierens, ein Spiel mit Formen, das dir wahrscheinlich erheblich mehr gab als mir. Es findet aber sicher auch Leser, die gerade hierin ihre Erfüllung finden mögen.
Ich habe die andern Kommentare und deine erläuternden Antworten dazu noch nicht gelesen, werde es anschliessend aber noch tun. Vielleicht ergeben sich mir daraus noch Erklärungen, die sich mir bis anhin nicht erschlossen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

es ehrt dich, dass du es erst auf deine Tageskondition geschoben hast. Wenn mir ein Text nicht zusagt, ist immer der Verfasser dafür verantwortlich. Und so war es dann auch in diesem Falle ...

An den Anfang gestellt, glaubte ich erst, er beabsichtige sich selbst, eine Sicherheitsverwahrung aufzuerlegen. Im Kontext zum rückwirkenden Geschehen, das sich erst später eröffnet, macht seine ergänzende Bemerkung, er habe es auch nicht kommen sehen, dann wenig Sinn, es sei denn, man drehe es in die Zeit vor die Taten zurück.
So gelesen, stimmt der Widerspruch. Aber in diesem „Ich habe es nicht kommen sehen“ steckt so viel mehr drin, als die Zuversicht, dass eine bestimmte Zukunft zutreffen wird, oder nicht. Stell dir vor, ein Mörder sitzt in Sicherheitsverwahrung und sagt dir: „Ich habe es auch nicht kommen sehen“ – vielleicht ist das die Komik, die dir nicht gefällt. Ich fand es ziemlich verrückt, deswegen habe ich mich dafür entschieden. Und freilich ist das Experimentieren, ich wage mich ja sonst nicht weit weg vom Küssen und Geküsstwerden, zumindest in den letzten beiden Jahren. Ich werde mir auch eine Prise von dem Skurrilen hier in meine neue Erzählung nehmen. Und dass ich kein Realist bin und auch keiner mehr werde, weiß sogar Sonntag schon. Manchmal ist es als Leser schwer, in eine Scheinrealität einzutauchen. Das liegt meist an banalen Unstimmigkeiten. Dein letzter Text, beispielsweise, war von vorne bis hinten stimmig, angelehnt an einen Vorschreiber, das war rein. Mein Text ist kein Reinblüter, was das angeht.

Mit solchen Sätzen erzeugst du mir schon ein herzhaftes Lachen. Die Verbindung von Syndromen und der gezeigten Entwicklung ist jedoch mehr als nur grenzwertig, sowie ganz und gar auf Humoreske ausgerichtet. Dadurch bekam ich den Eindruck, es sei zwanghaft bemüht Komik zu erzeugen, die Wirkung des Seltsamen wäre mir mehr gegeben, wenn allein der Protagonist seinen Zwängen erliegt.
Das ist schade. Einige Vorredner haben genau diesen Punkt gelobt, aber ich denke, dass der Satz „Die liebte sie zwar zu Lebzeiten, aber nach dem Tod konnte man seinen Geschmack schließlich ändern, nicht wahr?“ von den Humoraugen in diesem Moment überlesen wurde. Ich mache mich da ja auch nicht lächerlich, es ist eine leise Ahnung – dass sich der Geschmack nach dem Tod ändert. Eine bloße, eine falsche Idee von unserem Protagonisten. Aber alles, was bemüht klingt, ist doof. Da kann ich schon verstehen, dass es dich rausgeschmissen hat.

Jetzt dreht sich – im Kreise der Sprache – der Spieß um: auch wenn dir mein Grundtonus zu gefallen scheint, stößt du dich an einigen Sätzen, die dir „Schein heischend“ und „künstlich“ vorkommen. Dabei sehe ich nicht, was an „Es roch wurmig und vorverdaut.“ so anders klingt. Das Wort vorverdaut vielleicht. Die Vorstellung daran fand ich ziemlich eklig, deswegen empfand ich es als passend.

Der Kern der Geschichte selbst dünkt mich weniger seltsam, als denn ein pathologischer Abriss, der sich jedoch nicht an reale Konturen hält.
Das ist eine ähnliche Diagnose, wie Quinn sie mir stellt. Nur steht es bei dieser mit der Prognose nicht so gut. Trotzdem habe ich das als eine berechtigte Zusammenfassung gelesen. Ich schreibe von einer Krankheit, halte mich aber nicht an sie, setzte sie fort, auch, wenn sie dort niemals hinführen würde. Aber genau das ist doch seltsam, nicht?

So war es mir merkwürdig zu lesen, das Unterhaltende kam mir abhanden, da es zu viel Konzentration dafür abforderte.
Es tut mir leid, dass ich dich nicht unterhalten konnte. Eine Analyse verwehrt der Text größtenteils, vermutlich auch deswegen, weil er sie nicht zulassen würde – widerspricht sich das; ich finde nicht. Auch tut es mir leid, um die Zeit, die ich dir verschwendet habe. Umso mehr freut es mich, dass du mir trotzdem deine Leseeindrücke vermittelt hast.

Nun müsste ich die kranke Geschichte heilen, aber dann wäre sie nicht mehr da.

Beste Grüße
markus.

 

„Bloß weil du nicht paranoid bist, heißt das
noch lange nicht, dass sie nicht hinter dir her sind“,

hieß es in den 1990-ern,

lieber Markus,

…, verfolgt von dem Gestank, der meinem Kopf innewohnte
vom ersten
„Du stinkst!“ Und noch einmal: „Du stinkst ganz sonderlich!“
bis zur letzten Tat leidet der Icherzähler unterm Verfolgungswahn, dabei bedeutet das Verb riechen ursprünglich „rauchen, dampfen, stieben, dunsten“ (Duden Bd. 7), hernach „ausdünsten, einen Geruch absondern“ wie auch sein Gegenteil, einen Geruch wahrnehmen.

Da kommt dem blauen Dunst, vor allem aber dem Gerücht besondere Bedeutung zu, selbst wenn es vom mhd. geruofte (= Geschrei [das wachsame Auge erkennt noch ein gebeugtes Rufen darinnen] abgeleitet ist: es ist verwandt mit dem Anrüchigen, dem Ruchbaren. „Wie Frauen den ungerührten paranoiden Mann anbeten, sinken die Völker vor dem totalitären Faschismus in die Knie“, sagen die Dialektiker der Aufklärung.Wer in diesem Geruch steht, hat einen schlechten Ruf. Man kann sich halt nicht riechen, und die Dialektik zitiert weiter: „In den Hingegebenen selber spricht das Paranoische auf den Paranoiker als den Unhold an, die Angst vor dem Gewissen aufs Gewissenlose, dem sie dankbar sind. Sie folgen dem, der an ihnen vorbeisieht, der sie nicht als Subjekte nimmt“, sondern als Mordsobjekt definiert - sollte man den Text doch analysieren können als Schelmenstück?

Aber die Kleinkrämerseele hatte noch einiges an Futter gefunden (in der Reihenfolge des Auftritts):

Also warf ich sie zu Boden, setz[t]e mich auf sie, umfasste ihren Kopf mit beiden Händen und versuchte[,] ihn mit aller Kraft zu zerdrücken.

Unter seinem sonst so stählernen Versteck von Gesicht glaubte ich[,] ein leises Lächeln zu sehen.

…, und am liebsten hätte ich ihm das Fläsch[ch]en mit dem Kopf aus der Hand geschlagen.
(ein Fläschchen hastu ja schon korrigiert ...)

…, und nicht in einem Krankenhaus oder einem jenseitige[n] Ort.

Nur hockte statt eine gefährlichen, traurigen Tier[(e)s] ich darin.

Statt regiert im Regelfall den Genitiv … (kommt nachher nochma’)

Mir wurde schwindelig und ich fürchtete[,] wieder in einer Dunkelheit zu ertrinken.

Da isset:
Doch statt meine Vater hob eine Frau ab.

„Du?“, sagte dieselbe piepsige Stimme, die mir in der Bar ins Ohr geleckt hatte. Sie gehörte einem jungen Frauenzimmer, de[ss]en hübscher Kopf aussah, …
Was beim Mädchen umgangssprachlich gang und gäbe wird (der gramm. Geschlechtswechsel) wird beim Zimmer (und sei’s für die Frau oder die Katz) nicht so einfach sein …

Trotz der Mordsgeschichte wünsch ich ein schönes Wochenende ...

Gruß

Friedel

 

Lieber Friedel,

heute fasse ich mich kurz: Ich danke deiner Kleinkrämerseele und schäme mich erneut. Ich schiebe das jetzt einfach mal auf mein Studium. Nicht generell, aber auf diese bestimmte Phase gewiss. Paranoid ist der Ich-Erzähler nicht. Er riecht sich nicht. Am Ende riecht er gar nichts mehr. Verfolgt wähnt er sich an keiner Stelle. Ich sehe in ihm eher einen Getriebenen. Nichts Verfolgendes, sondern etwas Treibendes verfolgt ihn. Ein Mordsschelmenstück vielleicht.

Eine schöne Woche wünscht
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Markus,

ich find die Geschichte fängt gut an. Die ersten Absätze. Und dann verlierst du mich irgendwo. Der Erzähler hat was Monotones im Klang, was Depressives und Geruchsloses - meinetwegen passt das, aber ja … wenn er mit Leuten spricht, die ihm da anders kommen, mit den naiven Schwestern, und die haben ne andere Stimmlage oder Denklage, dann ist da Konflikt und Potential und es kann was passieren - aber Sonntag hat mich genervt.

„Ich habe es notiert.“ Sein Gesicht war gesichtslos. Augen und Nase und Mund ergaben kein Gesicht, klebten bedeutungslos auf einer Fläche, die um seinen Kopf gewickelt war.
„Warum bekomme ich jeden Tag diesen Spiegel?“
„Ich möchte sehen, wie Sie sich sehen.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Das macht nichts.“
„Ich möchte es aber gerne verstehen.“
„Das möchten wir alle.“
„Haben Sie keine Angst vor mir?“
„Sie töten keine Männer.“
„Woher wollen Sie das so genau wissen?“
Er schaute auf seine Uhr. „Können Sie bitte fortfahren mit ihrer Erzählung.“
„Was, wenn ich schweige?“
„Wenn Sie schweigen, gehe ich.“
Ich schwieg. Er ging. Ohne Spiegel.

Hallo. Wie gehts?
Gut. Und dir?
Geht so. Es regnet.
Stimmt. Könnte besser sein.
Sonne würde helfen.
Die Sonne hat was.
Ich mag sie auch.
Die Wolken stören.
Scheiß Wolken.
Ich muss los.
Bist später.
Danke für das Gespräch.
Gerne.

Irgendwie so ist da die Gesprächsdynamik.

Früher war alles so unkompliziert. Da hätte ich auf Sonntags Frage, wie es mir ging, einfach „gut“ geantwortet. Aber ich hatte aufgehört, glücklich oder unglücklich zu sein.
„Sie lügen“, sagte Sonntag.
„Warum?“
„Sie waren in den letzten Tagen mindestens einmal glücklich.“
„Nein!“
„Schauen Sie in den Spiegel.“
„Der lügt!“
„Eben.“ Er blätterte in seinem Notizbuch. „Als sie Clarissa getötet haben, waren Sie glücklich.“
„Warum haben Sie mich das Mädchen töten lassen?“
„Ich musste es wissen.“
„Mörder!“
„Schauen Sie nicht in den falschen Spiegel.“ Er deutete auf das Bett. „Erzählen Sie mir, wie Sie es herausgefunden haben?“
„Warum sollte ich?“
„Wenn Sie schweigen, gehe ich.“
„Na und?“

Das hat was Robotermäßiges, find ich - Menschen reden so nicht. Wenn man alles rausfiltert, was zwischen zwei Menschen sonst so mitschwingt, und dann nur die Infos hinschreibt, die man übermitteln will ... dann klingt das vielleicht so. Total direkt und staccato und ohne nichts.

Wenn er mit den Frauen spricht, kommt ein bisschen eine andere Dynamik rein.. hinter den Worten steckt nochmal ein bisschen was, zumindest auf einer Seite, und wenn es nur Naivität ist.


Sonntag hatte eine bewundernswerte Art und Weise, alles gleich zu betonen. Bei ihm klang ein Todesurteil nicht anders als ein Witz. Alles verschwamm in seinem bedeutungsleeren Tonfall.


Ja, genau.

Ich denk, das ist einfach keine Geschichte für mich. Ich würds ja gern loben, weil du da echt was versucht hast, die Idee ist originell, fließsprudeln gefällt mir, paar andere Sachen auch, aber ich mag halt vor allem Figuren, und das ist mir dann alles zu affektverflacht. Dann müsste - für mich - der Inhalt das wirklich tragen können, dann müsste die Geschichte auf der intellektuellen Ebene irgendwie anfixen - so wie ein gutes Sachbuch oder so. Hier ist das halt ein bisschen schräg und direkt unlogisch manchmal und deswegen schwer zu folgen. Ich weiß nicht, ob die Gewichtung so ganz passt, also da, wo du dir Zeit lässt mit Details, wo man vielleicht spannungstechnisch bisschen spüren könnte ... okay, jetzt muss ich was Neues bringen, jetzt muss ich anziehen, eine Wendung andeuten oder so, sonst schlafen die mir ein. Mal laut klatschen zwischendurch, bisschen hoch und runter mit der Stimme oder so. Mach mal paar Absätze rein.

Also ich denk, es fängt wirklich gut an, aber irgendwann müsste das Ding einen Gang hochschalten und das kommt dann nicht. Man kann es gut lesen, ich hab es durchaus mit Interesse gelesen, mir gefällt, dass du da was gewagt hast und dass du solche Ideen hast, da ist schon viel zum Loben auch.

MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey JuJu,

verliere ich dich oder mich, wenn alles im bedeutungsleeren Tonfall von Sonntag verschwimmt und dich das nicht in die Geschichte treibt, sondern von ihr weg. Der Ton ist - wie du auch bemerkt hast - bewusst gewählt, und wenn du meine Dialoge mit

Hallo. Wie gehts?
Gut. Und dir?
Geht so. Es regnet.
Stimmt. Könnte besser sein.
Sonne würde helfen.
Die Sonne hat was.
Ich mag sie auch.
Die Wolken stören.
Scheiß Wolken.
Ich muss los.
Bist später.
Danke für das Gespräch.
Gerne.

vergleichst, tut mir das etwas weh. Die Dynamik mag deinem Beispiel vielleicht entsprechen, aber in den Dingen, die sie sagen, steckt doch wesentlich mehr. Da möchte ich jetzt auch gar nicht dagegensprechen, du schreibst auch selbst, das an anderen Stellen mehr Dynamik herrscht und mehr darin steht. Auch das "Robotermäßige" kann ich nicht leugnen. Ich kann deinen Kritikpunkt verstehen, vermutlich hätte ich mehr diesen Dialogstil anwenden sollen:

Sie legte den Spiegel auf den Tisch und setzte sich neben mich aufs Bett. „Sie sind sehr freundlich.“ Sie schaute mich mit kindlichen und schüchternen Knopfaugen an. „Die meisten sind total irre. Die grabschen nach mir, wollen mich ausziehen und andere Sachen mit mir machen.“
„Schlimm“, sagte ich und stellte mir vor, wie sie nackt aussah.

„Na, weil Sie doch kein Fenster haben.“ Ich nickte.
„Was denken Sie? Warum bringen sich Menschen hier um?“
„Weil sie irre sind?“
„Stellen Sie sich vor, Sie säßen hier auf meinem Bett.“ Sie zuckte zusammen. „Das immer gleiche Licht, die immer gleichen Wände. Die einzige Beschäftigung das Nichtstun. Es ist ja auch kein Warten, weil es nichts gibt, worauf man warten könnte. Sie könnten vielleicht noch ihren Gedanken zuhören, aber stellen Sie sich vor, selbst Ihre eigenen Gedanken sind leise und unverständlich. Würden Sie sich nicht in der Stille ertränken, die immerfort von der Decke tropft? Würden Sie warten bis ein Fenster in die Wand wächst, ehe Sie sich hinausstürzen?“
„Ich wollte Ihnen nur das mit dem Mond sagen“, sagte sie und verschwand.

Was du nicht übersehen darfst, und ich bezweifle, dass du es übersehen hast: Ein Großteil der Geschichte besteht aus dem Dialog mit Sonntag, den ich einfach aus den Klammern genommen habe. Und ich wiederhole mich: Ich sehe, was du meinst, und ich versuche, dass bei den nächsten Geschichten besser zu machen. Ein bloßer Austausch von Worten kann schon funktionieren, bei "Eigentlich egal" hat das ja seine Wirkung getan, aber dann müssen die Worte auch stimmen und nicht so banal sein, wie hier manchmal. Du hast schon recht.

Ich denke, das Seltsame wirft dich aus dem Text, und das liegt an der Logik der "Geschichte". Es war schon schwer, einen Geruchsmörder zu kreieren, seine Gedanken nachvollziehbar zu gestalten, und es mag sein, dass ich mich verrannt habe. Ich habe - nachdem ich mir die Erzählung durchgelesen habe - vieles von dem gelesen, was ich schreiben wollte, und diese vielen Unklarheiten haben meiner Meinung nach einen interessanten Effekt. Aber du reihst dich ein in die Schlange Tunnelenttäuschter, die den ganzen Tunnel zum Licht gegangen sind, nur um festzustellen, dass dort nur eine Kerze brennt und auch nicht für immer.

Freilich ist es schade, dass dir der Text nicht gefallen hat, aber ich konnte in deinem Kommentar erkennen, woran das liegt. Schön, dass du deine Kritik nicht mit einem zerschmetternden Ausrufezeichen enden lässt, sondern mit einem leisen, anerkennenden Applaus. Das hat mich sehr gefreut.

Danke für deine Zeilen, und die Zeit und die Gedanken, die darin stecken.

Beste Grüße
markus.

 

Hallo M. Glass,

ich habe deine Geschichte schon gestern gelesen und wusste nicht so recht, was ich dazu sagen sollte.
Gefallen hat´s mir auf jeden Fall. Sie war spannend, ungewöhnlich, unvorhersehbar und einige Szenen waren wirklich super. Auch sprachlich ist da viel dabei, das ich wirklich mochte.
Letztendlich fand ich es auch so ein bisschen verstörend - dieser Gestank, den dein Protagonist überall wahrnimmt. Noch verstörender fand ich allerdings das Fehlen jedwegen Gestanks.

Am Ende bin ich allerdings nicht so ganz schlau aus der Geschichte geworden. Aber ich denke, das war deine Absicht - das alles so ein bisschen in der Schwebe bleibt und der Leser selbst gefordert ist, ein bisschen zu interpretieren.

Tja, ich hab´s gerne gelesen und sorry, dass meine Kritik nicht konstruktiver ausfällt.

Viele Grüße
von Lau

 

Hey Lau,

zu entschuldigen, gibt es bei deinem Kommentar nichts. Es freut mich, dass du mir deinen Eindruck hier gelassen hast, auch wenn du dir selbst nicht so sicher warst, was die Geschichte mit dir gemacht hat. Und wenn du meine Geschichte mit Worten, wie "spannend", "ungewöhnlich", "unvorhersehbar", beschreibst, ist das eine tolle Sache für mich als Verfasser. Entscheidend ist das "verstörend" - das ist definitiv einer der Dinge, die ich mit der Geschichte erreichen wollte.

Vor allem freut mich, dass dir einige Szenen und die Sprache besonders gut gefallen haben. Es tut mir leid, dass auch dich das Ende ratlos und sogar ein bisschen enttäuscht zurückgelassen hat. Ich habe den anderen auch schon geschrieben, warum das so gekommen ist: 1. Ich mag surreale Geschichte ohne erhellendes Happy End, sondern einem Ende, das jeder Leser anders wahrnimmt. 2. Ich habe die Geschichte geschrieben und währenddessen bemerkt, dass sich mehrere Interpretationen anbieten, was Sonntag und den Gestank angeht. Da ich auf keine verzichten wollte, aber auch keine Auflösung finden konnte, die alle Interpretationen vereint, habe ich mich für dieses Ende entschlossen. Ob Sonntag dann einen zerbrochenen Spiegel beiseite legt und sich zu einem anderen Patienten setzt, oder was ganz anderes passiert, ist jedem offen.

Vielen Dank für deinen Kommentar!

Beste Grüße
markus.

 

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