Sommertage
Nun sitze ich hier mitten in der Nacht allein in meiner dunklen Wohnung an meinem Schreibtisch und starre vor mich hin. Es ist eine dieser Sommernächte in denen es so warm und schwül ist, daß man es kaum aushalten kann. Nicht einmal das Fenster kann ich öffnen, da der Straßenlärm noch unerträglicher als die Hitze ist und so sitze ich und nur mit einem T-Shirt bekleidet da und grüble nach. Die Hitze ist aber nicht der einzige Grund, weshalb ich nicht im Bett liege und schlafe oder zumindest versuche zu schlafen, nein es sind auch meine Gedanken die mich quälen. Immerwieder durchlebe ich in Gedanken die letzten Tage, in denen ich doch so glücklich war.
Ich hatte sie erst vor ein paar Wochen kennengelernt, ihr Name war Isabelle, sie gehörte nicht unbedingt zu den schönsten Mädchen, doch sie hatte eine gewisse Ausstrahlung, die mich sofort fesselte als sie sich in der Bibliothek zu mir an den Tisch setzte. Ich spürte ihre musternden Blicke und ich wünschte mir, daß wir ins Gespräch kommen würden, doch ich traute mich nicht recht den ersten Schritt zu machen. Sie mußte das Buch über astronomische Phänomene, das ich las gesehen haben, denn sie übernahm den ersten Schritt und sagte, daß sie sich auch für Astrologie interessiere. In den nächsten Minuten, in denen wir uns über Sternbilder unterhielten wurde mir schnell klar, daß sie geflunkert hatte, da ich aber froh war, daß sie das Gespräch begonnen hatte wechselten wir einfach das Thema. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch und nach einer ganzen Weile, in der wir unzählige Gesprächsthemen diskutierten, verabredeten wir uns für den nächsten Tag.
So verbrachten wir die nächsten Sommertage, wir hatten frei und somit viel Zeit, manchmal lagen wir auf einer Wiese im Park, gingen Eis essen, machten Spaziergänge und abends waren wir im Theater, im Kino oder saßen einfach in einer Bar und erzählten von unserer Vergangenheit, es kam jedenfalls nie Langeweile auf. Die Zeit mit ihr wirkt im Nachhinein so herrlich unbeschwert, sie störte sich zum Beispiel nie an meiner langatmigen Rederei und ich ignorierte dafür ihre Zigaretten. Unvergesslich sind für mich vor allem die Zärtlichkeiten. Die Küsse, die Umarmungen, das gemeinsame Aufwachen.
Es war erst gestern gewesen, als ich auf der Bank gesessen und auf sie gewartet hatte, Isabelle war schon ein paar Minuten überfällig gewesen, da sah ich sie auf der Straße mit ihrem Fahrrad angeradelt kommen. Sie war so voller Freude gewesen mich zu sehen, daß sie eine Hand vom Lenker nahm und mir zuwinkte, doch in ihrem Eifer verlor sie das Gleichgewicht und stürzte auf die Straße. Es war zuwenig Zeit für sie um sich aufzurappeln und genausowenig Zeit für den Fahrer des Autos, der mit voller Geschwindigkeit auf sie prallte und ein paar Meter weiterstieß. Als ich zum Unfallort kam, bewegte sie sich nicht. Die Ärzte die sie später untersuchten sagten sie hätte einen Genickbruch gehabt und sei sofort tot gewesen.
Ich trauere seitdem um Isabelle und darüber, daß ich sie nicht länger kennenlernen durfte. Doch ich versinke genauso im Selbstmitleid und frage mich wie es sein kann, daß man so zufrieden mit sich und der Welt ist und im nächsten Augenblick alles weg ist und man wieder von vorne anfangen muß. Es scheint mir manchmal, daß man für die schönen Momente im Leben auch genauso hart bezahlen muß. Vor allem bleibt für mich die Frage, ob ich jemals wieder dieses Glücksgefühl haben werde.
Nun sehe ich von meinem Tisch herüber zum Fenster in den klaren Nachthimmel hinaus und muß wieder an unser Gespräch über die Sternbilder denken.