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Sind Texte im Präsens und/oder in der Ich-Perspektive unangenehm?

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Sind Texte im Präsens und/oder in der Ich-Perspektive unangenehm?

Liebe Leser, Autoren und garstige Chimären aus beidem,

hier habe ich mal die Meinung eines Kritikers gelesen, dass er Texte im Präsens gewöhnungsbedürftig fände. Es gibt auch Leute, diese sind aber vermutlich weniger, die Texte in der Ich-Perspektive ebenso gewöhnungsbedürftig finden.
Nun beschäftigt mich die Wahrnehmung der Leser in dieser Hinsicht aus aktuellem Anlass. Ich schreibe gerade eine Geschichte, die nur aus der Ich-Perspektive erzählt werden kann - das tue ich auch. Sie kann aber eigentlich auch nur im Präsens funktionieren, sonst kann man als Autor in Logikfehler tappen. Ich schreibe sie jedoch in der Vergangenheitsform. Einige Stellen musste ich tatsächlich deswegen korrigieren. Einige andere sind nur dann fragwürdig, wenn man sich die Kombination aus Ich-Perspektive und Vergangenheitsform vergegenwärtigt (ungeplanter Wortwitz). Allerdings gehe ich davon aus, dass die meisten Leser das nicht mal merken werden.
Es wurmt mich aber sehr.

Was meint ihr also insbesondere zum Präsens in Geschichten?

 

Hallo Leif,

ich persönlich mag den Präsens. Er eignet sich für schnelles Erzählen, ich habe einige Sachen in der Kombi Ich + Präsens geschrieben. Es ist ein Mittel, um Druck zu erzeugen, wenn ich dies mal so ausdrücken soll, also eine Sogwirkung, eine bestimmte Richtung. Ich lese auch gerne Sachen im Präsens.

Weiß nicht, ob es dir hilft.

Gruss, Jimmy

 

Hi Jimmy,

so schnell hatte ich jetzt mit keiner Antwort gerechnet! Klar hilft mir das. Das mit dem "Druck" und der "Sogwirkung" kann ich nachvollziehen. Danke.

 

Ein sehr interessante Frage, für deren Stellung ich Dir, auch aus Eigennutz, danke.

Zunächst: Ich persönlich mag den Präsens für kurze Geschichten und nicht allzu lange Romane, ebenso die Ich-Perspektive.
Dabei hat die Ich-Perspektive für mich immer so was amerikanisches (siehe vielleicht "Ich.darf.nicht.schlafen."). Du bist als Leser brutal nah dran, das macht den Roman schnell. Manchmal verlangt man das, das nächste mal wieder nicht. Ich wechsele auch im Kino gern zwischen mal einem Film mit mehr Action (Prometheus), dann wieder Bilderfluten und große Gefühle (Liebe, Silver Linings), anständig gemacht ist das alles Klasse.

Meine Lieblingsbücher, oft große, epische Werke (HDR, Science Fiction, King) sind ausnahmslos nicht in dieser Weise geschrieben, liegt aber oft daran, das diese Werke schon älter sind.

Zum Eigennutz: Nachdem ich die meisten meiner Geschichten und auch den ersten Roman nirgends in den Regalen unterbringen konnte, habe ich die Arbeit an einem Roman unterbrochen und einen neuen begonnen: Im Präsens! Außerdem spricht meine Protagonistin in der Ich-Perspektive. Ich habe eine Tochter in ihrem Alter und glaube, deshalb nahe genug dran zu sein an einem solchen Wesen - denn anderenfalls macht das wohl keinen Sinn.
Ich versuche das jetzt mal, das Ding geht demnächst an meinen Testleser (das Forum hier ist ja nicht geeignet ;)). Bin mal gespannt, wie die Sache ausgeht.

Deine Frage ist jedenfalls gut, mal sehen, was die anderen dazu sagen.

 

Hej Leif,

ich würd's einfach so schreiben, wie es sich für dich am besten anfühlt - es gibt da nämlich mal wieder keine allgemeingültigen Regeln "60% der Leser sind gegen das Präsens, 80% der Leser sind gegen die Ich-Perspektive, 95% gefällt das".

Ich persönlich finde (momentan) Ich+Präsens besser als 3.Person+Präsens.
Vor ein paar Jahren konnte ich grundsätzlich gar nichts ab, was im Präsens erzählt wurde, weil ich immer dachte - wenn das GERADE JETZT passiert, wer hat die Zeit, mir das zu erzählen?
Jetzt stört es mich nicht mehr, ich weiß nicht, warum.
Jetzt finde ich Präsens unmittelbar und lebendig.

Ich hab irgendwo mal gelesen, dass es als "unliterarisch" empfunden wird, im Präsens zu erzählen (in diesem Kontext war gemeint, Präsens wäre "minderwertig").

Bei John Irving hab ich mal irgendwo gelesen, "junge" Romanautoren würden fast immer mit Romanen in der Ich-Perspektive anfangen und irgendwann später darauf kommen, dass man mit anderen Perspektiven viel mehr anfangen kann.
Bei Andreas Eschbach hab ich mal gelesen (vermutlich auf seiner homepage, aber da bin ich mir nicht sicher im Moment), dass Romane in der Ich-Perspektive nicht gern gelesen werden. Ich mein, da gab es so eine Äußerung "im besten Fall hat die Ich-Perspektive nicht gestört, aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der die Ich-Perspektive bevorzugt liest".
Ich kenne vermutlich viel weniger lesende Menschen als Eschbach, aber ich habe einen Freund, der die Ich-Perspektive bevorzugt liest und sich Romane auch danach aussucht. :P

Wer soll dein Publikum denn sein?
Wenn es ein Text fürs Forum ist, ich hab den Eindruck, im Moment ist der Ich-Erzähler hier "in" und übers Präsens wird sich vermutlich auch keiner beschweren, hier gibt es viele Präsens-Texte.
Ist es ein Text für einen Wettbewerb oder den Buchmarkt oder so? Da könnte es tatsächlich sein, dass die Mehrheit deines Publikums über "ich" oder Präsens oder beides stolpert. Wenn du keine Möglichkeit hast, es bei dem angepeilten Publikum direkt herauszufinden, dann schreib es einfach so, wie es für dich am besten klingt und funktioniert.

 

Leif es gibt immer wieder Menschen, die ihre eigene Vorliebe wie ein Dogma vor sich herschieben und so tun, als müsse es allen so gehen. Die erzählen dann, die Ichperspektive sei unangenehm, Geschichten im Präsens ein Nogo.
Es gibt in allen Genres Geschichten in der ersten Person über kurze oder lange Distanz im Präsens oder in der Vergangenheit. Und es ist immer die Geschichte, die bestimmt, wie sie erzählt werden möchte. Der dienst du als Autor. ;)

Du fragst ja nur nach, sorry, aber ich mag solche Aussagen halt nicht und verstehe überhaupt nicht, warum sich irgendwer in seiner Gestaltungsfreiheit durch sowas einschränken lässt. :)

 

Ich sehe das wie sim.
Die Kombination aus Präsens und Ich-Erzählung ist eine Option, solange sich auch nur eine Geschichte denken lässt, die auf diese Weise erzählt werden kann.
Es gibt also keine Regel, die dagegen spricht, auch wenn diese Kombination meines Wissens im Vergleich zur Kombination von personalem Erzählen und Präteritum eher selten gewählt wird - es muss eben zur Geschichte passen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Also bei mir ist der Ich-Erzaehler im Praesens schon immer, seit ich meine ersten Geschichten, damals noch mit Igelprotagonisten, verfasst habe, meine Erzaehlperspektive. Ich kann da gar nicht legitimerweise von Wahlperspektive sprechen, denn bewusst dafuer entschieden habe ich mich eigentlich nie, obwohl man das wohl tatsaechlich auf den Text abstimmen sollte. Und wenn ich mal was anderes versuche, fuehlt sich das oft kuenstlich und fremd an.
Insofern stimmt das wohl, was Moechtegern von Irving zitiert:

Bei John Irving hab ich mal irgendwo gelesen, "junge" Romanautoren würden fast immer mit Romanen in der Ich-Perspektive anfangen und irgendwann später darauf kommen, dass man mit anderen Perspektiven viel mehr anfangen kann.
Wenn man relativ unreflektiert schreibt, oder zumindest perspektiviert, denkt man erstmal vom eigenen Erleben aus. Also ist meine Lieblingsperspektive wohl hauptsaechlich ein Symptom meiner postpubertaeren Egozentrik, aber auch so ein bisschen Realismusillusion: Jeder Mensch erlebt doch die Welt aus Ich-Perspektive im Praesens.
Klar kann man schriftstellerisch am meisten reissen, wenn man ueber das gesamte Repertoire an Perspektiven souveraen verfuegt, je nach Textintention halt. Aber ob man wirklich mehr mit anderen Perspektiven machen kann? Wahrscheinlich ist der auktoriale Erzaehlmodus da insgesamt am flexibelsten, weil dieser ja theoretisch alle anderen Perspektivformen (interne Fokalisierung etc.) passagenweise enthalten kann. Finde ich auch reizvoll. Aber es ist schwierig, dafuer eine moderne Form zu finden, die nicht zu artifiziell wirkt und sich vor allem auch in Kurzgeschichten umsetzen laesst.
Also ich schaetze den Ich-Erzaehler wegen seiner Unkompliziertheit (im Vergleich zu solchen Perspektivmischungen) und vor allem seiner Unmittelbarkeit. Das in andere Koepfe Hineinschluepfen ist fuer mich einer der Hauptreize von Schreiben und Lesen. Andererseits kann man Unmittelbarkeit ja auch in der 3. Person, stream of consciousness-maessig erzeugen. Die Reflektorerzaehlung ist ja Standard der realistischen Literatur. Einen Vorteil gegenueber der Ich-Erzaehlung sehe ich bei der Reflektorerzaehlung in der dritten Person eher dann, wenn sie leicht flexibel gehandhabt, die gewaehlte interne Fokalisierung also nicht streng durchgehalten wird und man auch andere Figurenwahrnehmungen oder versteckte Erzaehlerbewertungen mitbekommt (auch durch so Grenzfaelle wie free indirect speech), die die Wahrnehmung des eigentlichen Perspektivtraegers relativieren - also dann doch, wenn diese Perspektive insgesamt wieder leicht in Richtung Nullfokalisierung/auktoriale Erzaehlung tendiert.
Wenn der Erzaehler nicht identisch mit dem Perspektivtraeger ist, hat das natuerlich auch den Vorteil, dass man auch sprachlich flexibler ist. Man kann den Grad der Fokalisierung etwas variieren, darf nicht nur in einer Sprache sprechen, die genau der Sprache des Perspektivtraegers entspricht. Bietet sich zum Beispiel bei einfacher gestrickten Figuren an, wenn man sich sprachlich nicht so auf deren Ausdrucksmoeglichkeiten einschraenken will, wobei das natuerlich den Effekt der Unmittelbarkeit kompromittiert, wenn man sich sprachlich so von seiner Figur distanziert. Und Entlarvung des Sprechers durch seine Sprache ist eine meiner liebsten Schreib- und Lesetechniken, das wuerde ich ungern aufgeben.
Ein weiteres Problem beim Ich-Erzaehler koennte die Bestimmung der Erzaehlsituation sein: Aus welcher zeitlichen Position spricht der Ich-Erzaehler da zu wem? Ich glaube der Erzaehler in der dritten Person, also der der in der Reflektorerzaehlung selbst kaum in den Vordegrund tritt, ist in der Erzaehltradition so etabliert, das man sich diese Fragen nicht stellt, ihn nicht im vollen Sinne als Person mit bestimmbarer zeitlichen und raeumlichen Position wahrnimmt. Aber der Ich-Erzaehler ist ja eindeutig ein Mensch und da stellt man sich diese Fragen eher. Natuerlich kann man das loesen, indem man ihn raeumlich und zeitlich verortet, ihm einen Erzaehlrahmen gibt, in dem er seine Erlebnisse etwa aufzeichnet, oder einer anderen Figur erzaehlt, oder ihn zum Leser direkt sprechen laesst. Aber das ist nicht mein Weg, ich ignorier die Erzaehlsituation gerne und tue so, als beduerfe sie keiner Bestimmung, wie beim Erzaehler in der 3. Person.
Das Problem der Bestimmung der Erzaehlsituation stellt sich m.E. auch weniger beim Ich-Erzaehler im Praesens - also wenn man erst einmal die grundsaetzliche, unrealistische Tatsache, dass da einer denkt und wahnimmt und das zugleich in einen unbestimmten Raum hinein erzaehlt (wenn er nicht so ne betonte Plauderei mit dem Publikum inszeniert), als Erzaehlkonvention akzeptiert hat. Meine Ich-Erzaehler sprechen eigentlich immer im Praesens. Das ist wieder durch die Unmittelbarkeit begruendet. Ich will nicht, dass meine Ich-Erzaehler sich im Nachhinein von seinen Gedanken distanzieren. Das kann natuerlich auch sehr reizvoll sein, war es aber bisher fuer mich nicht so - und es bleibt ja immer noch der Rueckblick. Ich mag ja eh nicht, wenn Ich-Erzaehler so ueber sich selbst rumreflektieren und dem Leser das Denken abnehmen. Ich will den Leser moeglichst unmittelbar in die Situation mit hineinnehmen, dass er sieht was Ich sieht und fuehlt was Ich fuehlt und eben nur sieht, was Ich in der Situation denkt, nicht, was Ich im Rueckblick daraus macht. Also der Ich-Erzaehler im Praesens ist fuer mich das Maximum an Fokalisierung. Genette hat ja zurecht darauf hingewiesen, dass Ich-Erzaehler und erlebendes Ich ausser in der Ich Erzaehlung im Praesens erstmal zu trennen sind, weil der Ich-Erzaehler sich eben nicht zwangslaeufig fokal auf den Wahrnehmungshorizont des erlebenden Ichs einschraenken muss, weil er mehr weiss und im Nachhinein anders urteilen kann. Das erzeugt eben tendentiell Distanz.

Was war nochmal die Frage? Ach so, nee, Texte im Praesens und/oder der Ich-Perspektive finde ich persoenlich nicht unangenehm. Koennte mir nur vorstellen, dass manche nicht so gerne in den Kopf eines anderen hineingezwungen werden, passiert mir auch manchmal bei unsymphatischen Ich-Erzaehlern, aber das wuerde ich der Ich-Perspektive nicht grundsaetzlich anlasten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Findet Ihr nicht?
Doch, das finde ich auch. Gerade das Deutsche hat so wundervolle unregelmaessige Verben, wer wollte ihre Vokalwechsel missen. Also der Klang ist schon ein Argument fuer's Praeteritum. Aber es klingt andererseits auch immer literarischer, "manieriert" schreibst Du, weil kein Schwein im Alltag in der einfachen Vergangenheit spricht. Das erzeugt fuer mich neben oder durch den aesthetischen Effekt eben auch einen Distanzeffekt. Muss man halt abwaegen, was einem im jeweiligen Text wichtiger erscheint. Distanz kann ja auch, wie Du es fuer autobiografische Stoffe beschreibst, gewuenscht sein.
Es soll ja auch um Gottes Willen nicht alles zum perspektivischen Einheitsbrei werden. Insofern kann ich schon auch nachvollziehen, wenn sich manch einer von der popkulturellen Mode des Praesens genervt fuehlt. Aber das waere ja grundsaetzlich mit jeder Perspektive so, die zur Mode wuerde. Und so haben ja auch bestimmte Literaturepochen immer ihre eigenen, dominanten Erzaehlmodi und -tempora.

1. Offenbar glauben manche Schreiber, mit dem Präsens "unmittelbarer", authentischer, lebendiger, gegenwartsbezogener zu schreiben. Ich persönlich halte das aber für einen Trugschluss, ich finde sogar, dass die Texte an Dichte und an Spannung verlieren, aber das mag mein subjektives Gefühl sein.
Diese Auffassung bin ich ja zum Beispiel, meine das auch begruendet zu haben. Natuerlich kann man auch im Praeteritum durch bestimmte Stilmittel lebendig und dicht und wasauchimmer schreiben. Umgekehrt sollte man sich auch im Praesens nicht allein auf die Zeitform als Unmittelbarkeitsstifter verlassen. Strukturell und allgemein gesprochen ist zeitliche Distanz aber trotzdem erstmal Distanz, die ueberbrueckt werden will, wenn trotzdem ein Unmittelbarkeitseffekt erzeugt werden soll. Uebrigens sitzen doch auch klassische Texte, im astreinen Praeteritum erzaehlt, diesem "Trugschluss" auf, und springen dort ins Praesens, wo etwas ploetzlich geschieht. Dazu kommen dann klassischerweise noch Deiktika wie "da", die auch raeumliche Unmittelbarkeit suggerieren sollen. Irgendwas wird also schon dran sein.

Es ist einfacher, im Präsens zu schreiben.
Nu ja, aber wir sprechen doch hier nicht ueber Texte, die aus Not im Praesens stehen. Also, das ist natuerlich interessant und traurig, was Du da ueber Kinderbuecher erzaehlst, hat aber glaube ich mit der Forumsvorliebe fuers Praesens wenig zu tun.

 

Hallo Leif

Ich persönlich mag die ICH-Perspektive im Präsenz eigentlich nur in relativ kurzen Geschichten, dabei kommt es aber immer darauf an.

Ich schreibe gerade eine Geschichte, die nur aus der Ich-Perspektive erzählt werden kann ...

Es ist die Geschichte, die sagt, wie sie erzählt werden möchte, und ist diese Erzählform die angebrachteste, dann sollte sie auch gewählt werden und der Autor braucht sich nicht an anderen Meinungen und Aussagen stören.

... hier habe ich mal die Meinung eines Kritikers gelesen, dass er Texte im Präsens gewöhnungsbedürftig fände.

Ja, diese Meinung vertritt die eine Gruppe, eine andere liest es gern. Ich würde mir an deiner Stelle nicht so viele Sorgen machen. Letztendlich muss die Geschichte funktionieren, um überhaupt gelesen zu werden, und da ist es egal, ob Präsenz oder Präteritum.

LG
Nachtschatten

 

Vielen Dank für die Antworten, ich bin begeistert, wie vielschichtig und genau das Thema hier abgehandelt wird! Das geht in keinem anderen Forum so. Nach so viel habe ich eigentlich nicht gefragt, aber es wird ein gutes Nachschlagewerk für alle sein, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Morgen poste ich mal meine weiteren Gedanken dazu. Die sind aber schlicht.

 
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Nach so viel habe ich eigentlich nicht gefragt
Hehe, ja, ist mir schon klar, dass ich da ein bisschen ueber's Ziel hinausgeschossen bin. :D Ich musste mich ablenken, weil ich gerade versuche meine Schrottkarre zu verscherbeln und voellig verstoert davon bin, mit was fuer Un-Leuten ich mich in diesem Zusammenhang auseinandersetzen muss. Ganz, ganz schlimm.

Leider faellt mir gerade auch noch was zum Ich-Erzaehler ein, was fuer die Zwecke des armen Leif wahrscheinlich irrelevant sein wird. Und zwar: Die grosse, grosse Gefahr beim Ich-Erzaehler ist immer, dass der oft zu sehr um sich selbst kreist. Eben hautsaechlich die eigenen Befindlichkeiten bespiegelt und Gedankenspiele betreibt. Das nervt natuerlich sehr, wenn man so ner Nabelschau als Leser beiwohnen soll. Das Verhaeltnis von Introspektion und Weltbeobachtung muss schon sehr fein austariert sein. Ich tendiere sicherheitshalber immer zu Ich-Erzaehlern, die lieber gar nicht ueber sich selbst nachdenken und entsprechend viel verdraengen, was der Leser dann herausfinden muss. Also ich benutze sie als Wahrnehmungszentrum fuer den Blick nach aussen, nicht so sehr, hoechstens implizit nach innen - vielleicht ne Notloesung, die meine Protagonisten einander zu aehnlich werden laesst.

 
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Bei John Irving hab ich mal irgendwo gelesen, "junge" Romanautoren würden fast immer mit Romanen in der Ich-Perspektive anfangen und irgendwann später darauf kommen, dass man mit anderen Perspektiven viel mehr anfangen kann.
Bei Andreas Eschbach hab ich mal gelesen (vermutlich auf seiner homepage, aber da bin ich mir nicht sicher im Moment), dass Romane in der Ich-Perspektive nicht gern gelesen werden. Ich mein, da gab es so eine Äußerung "im besten Fall hat die Ich-Perspektive nicht gestört, aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der die Ich-Perspektive bevorzugt liest".

Ich habe mal in Regal gegriffen und ein paar Romane herausgezogen, die in Präsens und Ich-Form geschrieben sind: Zeruya Shalev „Späte Familie“; Anne Enright „Das Familientreffen“; Ketil Bjornstad „Die Frau im Tal“; David Guterson „Östlich der Berge“; Peter Hoeg „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“; Stefpan Thome „Grenzgang“; Norbert Scheuer „Überm Rauschen“.
Das sind sicher alles keine Anfänger und soweit ich das sehe, sehr erfolgreich dabei.

Mit Theorie kann ich leider nicht wirklich dienen, aber alles was ich gehört und gelesen habe, ist die Form der Ich-Erzählung die schwierigste und bedarf reichlich Erfahrung und handwerkliches Geschick. Ich persönlich finde, dies dann auch noch in Präsens zu schreiben noch schwieriger oder anspruchsvoller.

 

Nochmal zu heiners Rückmeldung:

Das sind sicher alles keine Anfänger und soweit ich das sehe, sehr erfolgreich dabei.
Irvings letzter Roman war auch wieder ein Ich-Erzähler, er hat nicht die These gebracht, dass die Ich-Perspektive nur was für Anfänger und zwangsweise "schlecht" ist. Sinngemäß hat er gesagt, dass "viele" Schreiber zu Beginn die Ich-Perspektive wählen (ob das so stimmt - keine Ahnung) und die Möglichkeiten der anderen Perspektiven (3. Person, sogar allwissende Erzähler etc.) erst nach und nach entdecken.
Ich kann dieses sinngemäße Zitat nicht mit einer Quelle belegen, ich weiß nicht mehr, woher ich das von ihm habe (vermutlich irgendein Interview).

Die Idee, dass die Ich-Perspektive aktuell auf dem Buchmarkt "nicht so gern genommen wird", die ich Eschbach unterstellt hab, da hab ich an das hier gedacht und aus dem Gedächtnis den Punkt unter "1." zitiert (gerade wiedergefunden), FAQ-Abteilung seiner homepage:

Stimmt es, dass viele Erstlingsautoren an der Ich-Form gescheitert sind und ist es wirklich besser eine andere Form zu benutzen?

Drei Dinge sprechen gegen die Ich-Erzählung:

1. Viele Leute mögen diese Form nicht. Einfach so. Geschmackssache. Ich habe mehrere Romane in der Ich-Form veröffentlicht, und jeder hat Kommentare eingefahren wie "Ich-Erzählungen mag ich ja normalerweise nicht" oder "ich hätte es vorgezogen, wenn der Roman nicht in der Ich-Form" usw. - während umgekehrt mir niemals jemand geschrieben hat, daß er es besonders toll fand, einen Roman in der Ich-Form zu lesen.

2. Die Ich-Erzählung zu bewältigen erfordert mehr schriftstellerische Erfahrung. Beschreibungen, Spannungsaufbau, Führung der Handlung usw. - das muß alles weitaus konsequenter aus der Perspektive des Erzählers erfolgen, und es ist nur schwer bis gar nicht möglich, die Perspektive zu wechseln (was oft der Spannung und dem Erzählfluß gut tut).

3. Erstlingsautoren haben ohnehin das Problem zu großer Nähe zu ihrem Stoff, und in der Ich-Form zu schreiben verstärkt die Gefahr noch, daß nicht ein Roman draus wird, sondern eine Art Tagebuch, das nur der Autor verstehen kann.


Trotzdem gibt es Geschichten, die zwingend erfordern, in der Ich-Form erzählt zu werden. (Agatha Christis "Alibi" etwa wäre witzlos ohne diese Perspektive.) In dem Fall muß man natürlich trotz allem diese Form wählen. Aber eine Überlegung, ob nicht die dritte Person die bessere Erzählperspektive ist, sollte man immer anstellen, und das Für und Wider gründlich bedenken. 



Quelle: http://www.andreaseschbach.de/schreiben/fragen/gut/gut.html

 

Auf die Gefahr hin, etwas überlesen zu haben, möchte ich diesen Beitrag - aus reinem Eigennutz - nochmal aufwärmen.

Ich arbeite derzeit an einem Drei-Personen-Stück, Roman, keine KG.
Mein Protagonist spricht im Präsens in der Ich-Form.
Grund für meine Entscheidung, ihn eben dies tun zu lassen, ist vor allem der, dass ich nach zweitausend Absagen endlich mal was veröffentlichen will. Ein weiterer Grund ist, dass diese Variante gut zu meiner jugenlichen, naiven, zickigen Protagonistin passt und Tempo in die Geschichte bringt.

Zu meiner eigentlichen Frage:
Ich plane, die beiden anderen Personen, der deutlichen Abgrenzung wegen, in die 3. Person zu schreiben. Das sieht auch ganz gut aus, ist verständlicher als irgendwelche Kursivschrift (kann man aber extra noch machen).
Die beiden Nebenpersonen (Lover und Antagonist) stehen ebenfalls - noch - im Präsens.
Kann/sollte/muss ich bei den beiden die Zeitform ändern - in die einfache Vergangenheit? Damit würde ich die beiden noch weiter vom Prot abtrennen und die meisten Absätze lesen sich einfach besser.
Bin beim Schreiben schon zigmal aus Gewohnheit in die 3. Person gefallen ...
Bedeutet zwei verschiedene Zeitformen in einem Roman, die aber nichts mit einer Rückblende zu tun haben. Und eben das ist das Problem, da sind wohl Missverständnisse möglich, oder?
Würde mich freuen über Euer Feedback,

Danke nastro.

P.S. Allgemein möchte ich noch ergänzen, dass die bei den letzten drei MDR-Literaturwettbewerben in die Anthologie aufgenommenen KGs in der Ich-Perspektive geschrieben sind. Ist (leider) ein Fakt.

Zur Abtrennung der verschiedenen Personen fällt mir noch Audrey Niffenegger, "Die Frau des Zeitreisenden" ein: Sie beginnt jeden neuen Absatz mit "Henry: .... " oder "Claire: ..." Ist auch keine üble Variante.

 

Hallo Nora, Danke für Deinen Kommentar.

Zunächst glaube ich mich heute nachmittag etwas kompliziert ausgedrückt zu haben. Einfacher gestellt lauten mein Fragen:
1. Darf ich meiner Ich-Erzählerin im Präsens zwei Nebenfiguren in der 3. Person, ebenfalls im Präsens beistellen?
2. Macht es Sinn / Ist es möglich / Ist es geschickt, die Nebenfiguren außerdem im Präteritum wirken zu lassen?

Frage 1 beantworte ich selbst mit ja, möchte aber Eure Meinung hören.
Frage 2 stellt sich mir, weil die 3. Person im Präsens komisch klingt.
Außerdem könnte dem Leser der falsche Verdacht einer Rückblende kommen. Und, um es kompliziert zu machen, natürlich gibt es jeweils Rückblenden und damit vielleicht eine gewisse Verwechslungsgefahr.
Fuck, ich werde schon wieder kompliziert.

Nora, Du schreibst:

... Zunächst ist natürlich alles möglich, sowohl ein dauernder Wechsel zwischen drei verschiedenen Perspektiven wie auch eine klassische Ich-Perspektive mit Informationsdefiziten bei den anderen Figuren.

Richtig und schön ausgedrückt, das "Informationsdefizit" bei den anderen Figuren. Deshalb schwenke ich regelmäßig zwischen den Dreien hin und her. Das klappt ganz gut, jede Information, auch innere Monologe, kommen unaufdringlich und sicher rüber.
Wären alle drei Personen in der Ich-Form geschrieben, würde der Roman m.E. überhaupt nicht funktionieren. Ich möchte den Leser näher an meinem Prot dranhaben als an den beiden anderen. Jedes neue Kapitel wäre ein Rätsel, wer denn jetzt wieder spricht.

Möglich wäre auch eine Er-Erzählung mit wechselnder internen Fokussierung. Auf den ersten Blick halte ich das für die eleganteste, weil offenste und zugleich unkomplizierteste Lösung: Du kannst alle Perspektiven etwa gleichwertig erzählen, ohne Deine Leser zu verwirren.

Das wäre dann eine neutrale Erzählsituation, oder? Mmh, muss ich drüber nachdenken.

Eigentlich kann ich mir einen Tempuswechsel nur schwer vorstellen. Doch magst Du nicht mal eine Passage hier ins Forum stellen, damit wir sehen, was konkret Du meinst?

Gute Idee, die ich auch schon hatte. Weiß nicht, was die Moderatoren dazu sagen, die sind manchmal allergisch, wenn es um die Arbeit an Romanen und das Reinstellen von deren Textstellen geht. Anderenfalls hat dieses Forum doch wohl auch einen Bildungsauftrag, oder?
Also, ich bitte mal einen der Mods um Mitteilung, ob ich ein Stück hier reinstellen darf, ansonsten meinetwegen dem, der Lust hat, es sich anzuschauen, als PM.

Danke Nora und Euch allen.

 

Lieber nastroazzurro ...

Brav, so ist es genau richtig ;)

... Findest Du?
Naja, wenn ich nicht wirklich gut drauf bin und einfach so drauflosschreibe falle ich automatisch bei der 3. Person ins Präteritum. Es ist für mich die normale Form, ich rutsche ohne Nachzudenken rein, muss mich im Umkehrschluss regelrecht zwingen zum Präsens. Das kann es ja dann vielleicht auch nicht sein.

Ob die Mods auf einen "Probeausschnitt" wirklich allergisch reagieren, kann ich nicht abschätzen, es hat für mich hier schon so manche Überraschung gegeben...

Geht ja nicht um die Befindlichkeiten der Moderatoren sondern schlicht um die Forenregeln, welche ich zum größten Teil als okay betrachte. Vielleicht gibt es irgendeine spezielle Rubrik, wo man so was (Stückl Roman vorstellen) tun darf/kann/soll, vielleicht ist es auch einfach hier in diesem Thread möglich.
Grundsätzlich ist es ja zu begrüssen, das hier keine Witze, Gedichte oder Glossen veröffentlicht werden, so können wir uns auf KGs konzentrieren. Aber eine Ecke "Guckt-mal-mein-erster-Roman" würde ich gar nicht übel finden.

Danke jedenfalls für Deine Bereitschaft zur Mitdenke!

 

Das ist eine gute Idee! Doch solange es die nicht gibt, wollen wir vielleicht gar nicht so genau wissen, ob das, was Du uns da zeigen wirst, ein Ausschnitt aus einem großen Ganzen ist oder eine irgendwie "fragmentarische" KG, hm? ;-)

Haha, ich weiß genau, was Du meinst. Du bist ja gefährlich ;)

Warten wir mal ab, was die Mods sagen, ist ja nicht soo eilig. Ob ich nun 2013 oder 2014 mit dem Ding steinreich werde ...

 

P.S. Allgemein möchte ich noch ergänzen, dass die bei den letzten drei MDR-Literaturwettbewerben in die Anthologie aufgenommenen KGs in der Ich-Perspektive geschrieben sind. Ist (leider) ein Fakt.
Wenn du beim Schreiben nur auf andere schaust, wirst du nie zu dir selbst finden.

Bin beim Schreiben schon zigmal aus Gewohnheit in die 3. Person gefallen ...
Wenn du ständig in die Er-Perspektive fällst, dann gibt es wahrscheinlich keinen essenziellen Grund, um in der Ich-Perspektive zu schreiben. Die Erzählperspektive sollte sich der Handlung, den Personen, anpassen, um eine Art "maximale Wertschöpfung" zu erreichen. Bei Kriegsgeschichten z.B. ist die Kombination Erste Person + Präsens sehr beliebt, weil sie erdrückende Nähe vermittelt und der Leser ständig Angst hat, dass die Figur sterben könnte.
Ich-Perspektive und Er-Perspektive nebeneinander zwecks einer besseren Unterscheidung der Personen finde ich handwerklich schlecht. Der Grund ist der, dass man Figuren anhand ihrer Persönlichkeit unterscheiden sollte und nicht anhand der Perspektive, aus der man sie lesend betrachtet. Ich habe vor ein paar Monaten den Roman "Die Frequenzen" von Clemens Setz gelesen. Dort gibt es zwei Protagonisten: eine Ich- und eine Er-Perspektive. Unterscheiden konnte ich die beiden aber trotzdem nicht (auch nicht nach 700 Seiten!), weil sie sich zu ähnlich waren. Der Leser blendet nach einiger Zeit die Perspektive aus, er gewöhnt sich an sie. Charakterisierung schlägt Perspektive.

Zur Zeitform: Bei Rückblenden gibt es so viele verschiedene Techniken, dass ich dir unmöglich eine bestmögliche Form nennen kann. Man muss hier zwischen absatzinternen Rückblenden und alleinstehenden Rückblenden unterscheiden. Es gibt Präteritumtexte, die (alleinstehende) Rückblenden im Präsens haben. Und es gibt Präsenstexte mit Rückblenden im Präteritum. Die Wahl der richtigen Technik muss je nach Text gesondert entschieden werden. Bei verschiedenen Personen, die sich alle in der gleichen Zeitebene befinden, würde ich aber auf jeden Fall nur eine Zeit wählen. Alles andere wäre zu verwirrend.

Generell: Klares Nein zum Perspektiven- und Zeitmischmasch. Und: Mehrere Ich-Erzähler sind verwirrend, mehrere personale Erzähler gehen klar.

Also, ich bitte mal einen der Mods um Mitteilung, ob ich ein Stück hier reinstellen darf, ansonsten meinetwegen dem, der Lust hat, es sich anzuschauen, als PM.
Dafür gibt's "Vorabkritiken" (Anmeldung beim Webmaster). Die sind zurzeit aber verwaist (denke ich zumindest).

 

Hallo Blaine, Danke für Deinen Kommentar.
Du schreibst:

Wenn du beim Schreiben nur auf andere schaust, wirst du nie zu dir selbst finden.
In meinem Stadium des Schreibenlernens, gerade erst das vierte Jahr, sollte ich das - glaube ich - sehr wohl tun. Töpferlehrlinge schauen Töpfern zu, Schweißer Schweißern, ich gucke Stephen King über die Schulter.
Dabei ist man, denke ich, dennoch und vom ersten Tastenschlag an man selbst. Wenn ich Gustav Klimts "Kuss" abzeichne, sieht der doch auch verdammt nach mir aus ;).

Wenn du ständig in die Er-Perspektive fällst, dann gibt es wahrscheinlich keinen essenziellen Grund, um in der Ich-Perspektive zu schreiben.
Das passiert mir eben nur bei den beiden Nebenfiguren, das ist ja das Problem. Bei meiner Protagonistin fällt mir das "Ich" genauso leicht wie bespielsweise in meiner KG "Russen".

Ich-Perspektive und Er-Perspektive nebeneinander zwecks einer besseren Unterscheidung der Personen finde ich handwerklich schlecht. Der Grund ist der, dass man Figuren anhand ihrer Persönlichkeit unterscheiden sollte und nicht anhand der Perspektive, aus der man sie lesend betrachtet.
Jedoch, hast Du ja auch erkannt, halte ich drei "Ich"s für handwerklich noch schlechter zu machen. Da brauche ich für jeden Personenwechsel innerhalb der ersten Zeilen einen, der mich anspricht (oder so).

Vielleicht auch eine Überlegung, statt der Kapitelziffern die Person zu nennen, da hatte ich auch schon mal was gelesen ...

Dafür gibt's "Vorabkritiken" (Anmeldung beim Webmaster). Die sind zurzeit aber verwaist (denke ich zumindest).
Lumperei. Nora, ich schicke Dir das Zeug mal per PM.

Danke Euch!

 

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