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Siebenhundert Quadratmeter Ruhe

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Siebenhundert Quadratmeter Ruhe

Heute kommt der stille Karl. Heute ist Mittwoch. Karl kommt jeden Mittwoch und Samstag, seit er mich hergebracht hat, auf das Grundstück seiner Eltern, die mir hier Zuflucht gewähren. Vor der Stadt, vor den Menschen. Ruhe, hatte die Ärztin gesagt, ich brauche vor allem Ruhe. Dabei hat sie mich angeschaut, wie ein Hauptmann seine Soldaten, bevor er sie ins Feld schickt, viel Glück und passt auf euch auf. Mein Schlachtfeld ist überschaubar. Ein siebenhundert Quadratmeter großer Flecken Grün, zwischen anderen siebenhundert Quadratmetern mit Zäunen drumrum, darin Ameisen, Blumen, Bungalows, Disteln, Efeu, Geräteschuppen, Grünfinken, Komposthaufen, Korb- und Plastikmöbel, Löwenzahn, Obstbäume, Tomaten und Wühlmäuse. Auf dem Nachbargrundstück ein Teich mit Goldfischen. Jeden Morgen wirft der graue Mann eine Handvoll Futter hinein, nickt mir zu und verschwindet in die Schattenhälfte, wo er sich hinter einer Hecke vor meinen Blicken versteckt.
Ich sitze auf der Terrasse unter einem Wellblechdach. Neben mir auf dem Tisch eine Schüssel, voll mit Wasser, ein Rasierer, ein Handtuch und Gel. Karl hat mich gebeten, den Rasen zu sprengen und die Blumen zu gießen. Seit einer Woche sitze ich hier, schaue dabei zu, wie die Sonne alles verbrennt, wie sie Grün zu Gelb zu Braun färbt. Wie das Unkraut überlebt. Gestern Abend habe ich in die Brenneseln gefasst, wollte wissen, ob ich den Schmerz spüre. Hitze, Kälte, Schmerz, Hunger, Durst empfinde ich. Sonst bin ich leer. Meine Hülle sitzt auf einem Korbsessel, meine Finger zupfen an den Haaren auf den Beinen. Ich warte auf Karl. Auf sein Auto, die Musik, die aus dem Radio herüberweht, bis er alles mit dem Zündschlüssel abwürgt und der aufgewühlte Staub sich wieder legt. Dann bringt er die Einkäufe in die Küche, verpackt sie im Kühlschrank, schneidet Obst auf und stellt es mir auf den Tisch. Ich widme mich der Tüte mit den Mitbringseln aus meiner Wohnung, die ich auf einen Zettel notiert hatte. CDs, Klamotten, Zeitschriften, Absatzschuhe. Wenn der stille Karl am Abend wieder fort ist, werde ich hineinschlüpfen, über die drei mal vier Meter Terrasse stöckeln, das Klacken aufsaugen, das mir das Gefühl vorgaukelt, Frau zu sein.
Ich benetze meine Beine mit Wasser, reibe das Gel zu Schaum, ziehe Streifen neben Streifen den Rasierer aufwärts, spüle ihn im Wasser aus, setze erneut an. Erst das linke, dann das rechte Bein. Mit meinen Fingerspitzen streiche ich über die glatte Haut, freue mich auf Karl. Er wird mich in den Arm nehmen, mich an sich drücken, mir übers Haar streichen, einen Kuss auf die Wange hauchen. Mir wird es zu eng, zu warm, in seinen Armen werden. Der Gedanke, seine Nähe nicht zu ertragen, deprimiert mich. Ich würde mich gern wohl in seiner Nähe fühlen, ihm all das zurückgeben können, was er gibt, ihn glücklich machen. Er ist gut zu mir, er sorgt für mich, er erträgt mich. Auch jetzt, wo ich Stunde um Stunde nichts tue, mich nicht in der Lage fühle, etwas zu tun.

Im Mai begannen die Proben mit Schönberg. Endlich Schönberg, auf den ich so lange gewartet hatte. Mein Regie-Idol und wenn ich so ticken würde, hätte ich einen Schrein für ihn zu Hause. Ticke aber nicht so, habe keinen Schrein, investierte stattdessen Geld in Fahrkarten und Hotels, um seinen Inszenierungen hinterherzureisen. Er ging mir ans Herz, rüttelte mich wach, ließ mich aufmerken, sensibel filterte er das Menschliche heraus. Das bewunderte ich an ihm.
Seine Regieassistentin zu sein, erfüllte mich mit Stolz. Von ihm lernen, auf die Finger schauen, sein Handwerk nicht nur theoretisch aufzuspüren, sondern dabei sein, erleben.
Mein Dreijahresvertrag lief aus, Schönberg meine letzte Arbeit, mein Höhepunkt. „Die Ratten“ mein Abschied und danach, nach Aufträgen suchen, nach Menschen, die mir welche geben können. Gemeinsam mit Tausend an Türen zu klopfen, hinter der sich die Chance verbirgt, meinen Namen unter den Titel eines Stückes zu setzen.
Es gab viele Geschichten um Schönberg, ich kannte einige, aber ich hatte sie unterschätzt, die Pointen, auf die sie endeten. Schönberg war nicht schön. Nicht als Mensch. Er war hässlich. Vielleicht hatte er in den Jahren alles Mensch auf die Bühne gestellt, so dass ihm nichts mehr geblieben war.

Karl winkt, bevor er die Tüten und Taschen aus dem Kofferraum holt. Ich winke zurück, warte, bis er bei mir ist, mich in den Arm nimmt, fragt: „Wie geht es dir?“ Er hat den verbrannten Rasen gesehen, auf dem Weg vom Auto zur Terrasse.
„Besser“, lüge ich, weil ich ihm eine Freude bereiten will, löse mich aus seiner Umarmung. Karl lächelt, lügt auch mich an: „Ich seh's. Du hast Farbe bekommen. Steht dir gut.“ Dann bringt er die Tüten mit Nahrungsmitteln hinein, ruft: „Ich habe diesmal keine Fertigsachen gekauft. Alles frisch.“
Gemüse schälen, Fleisch braten, Kräuter hacken, abschmecken, nicht anbrennen lassen. Kochen, wenn ich Hunger habe, nicht aufwärmen. Verantwortung übernehmen, in kleinen Schritten.
Aus dem Privat-Beutel hole ich meine Schuhe, Hörbücher, weil ich mich auf gedruckte Buchstaben nicht konzentrieren kann. Als würden die Buchstaben sich unter meinen Bemühungen, sie zu Wörtern zusammenzusetzen, langweilen, beginnen sie zu tanzen, ich kann sie nicht zwingen, stillzuhalten. Hörbücher gehen. Eine monotone Stimme. Nichts Anstrengendes, überschaubare Figurenanzahl, einfach gestrickte Handlung, normale Sätze.
Karl stellt mir einen Teller mit Melone hin, in Stücken aufgeschnitten. Er geht zum Wasserhahn, dreht den Rasensprenger auf, setzt sich zu mir. Ich packe weiter aus. Ein „Malen nach Zahlen“ Bild. Fragend schaue ich Karl an.
„Musst ja nicht. Dachte vielleicht, naja, um die Zeit totzuschlagen, etwas tun, musst nicht.“
Mein Kopf nickt, ich suche nach einer Meinung, finde keine, lege das Bild mit dem Leuchtturm zur Seite, vor dem sich die See aufbäumt und hinter dem der Morgen graut.
„Sie fragen nach dir am Theater, machen sich Sorgen um dich“, sagt Karl. Ich sehe die Kollegen im Raucherhof, sehe das Foyer, den Saal, die Bühne, die Künstlergarderoben, all die Menschen darin. Meine Gedanken summen, mein Magen krampft, mir wird schwindlig. Ich fixiere die Gänseblümchen, versuche, die Bilder aus meinem Kopf auf den Boden zu streuen.
„Tut mir leid mit dem Rasen“, sage ich nach einer Weile. „Ich werde mich bessern. Versprochen.“
„Schon gut“, flüstert Karl. „Geht eben noch nicht.“ Dann schweigt er und sieht traurig aus, so traurig, dass ich zu ihm rutsche, ganz nah, lehne meinen Kopf gegen seine Schultern und schaue dabei zu, wie seine Hände eine Zigarette drehen.

Schönberg betrat die Probebühne. Ich musste ihm sagen, das Grethas Kind krank war, sie auf ihre Mutter wartete, die sich um den Vierjährigen kümmern würde, erst dann von zu Hause loskäme. Schönberg schrie mich an, seine Spucketropfen klatschten in mein Gesicht, wirkten wie Säure, verätzten mein Heldenbild. Ich wischte sie mit dem Blusenärmel fort, schlug ihm vor, mit einer Szene zu beginnen, in der Gretha nicht mitspielte, die Technik hätte bereits das Bild für Szene vier eingerichtet, wir könnten sofort beginnen. Wieder schrie er mich an, was ich mir erlaube zu entscheiden, was er wann zu proben hätte. Ich kam mir so dumm vor. Wir begannen mit Szene vier. Zu Probenende hatte er sich durch alle Gewerke geschrien, Technik, Ton, Beleuchtung, Ankleider und Requisite, alles Amateure, Stümper, Idioten. Die Schauspieler unfähige Kohlköpfe, höchstens als Pins in einer Bowlingbahn zu gebrauchen. Er ging nach Hause, ich fuhr von der Probebühne ins Theater, seine Streichungen im Textbuch einarbeiten, es kopieren, die nächsten Probentermine vorbesprechen. Danach Abendregie, für eines der anderen Stücke, die ich als Assistentin betreut hatte. Als ich meine Schlüssel beim Pförtner abgab, fuhren keine Busse mehr. Ich lief nach Hause, eine dreiviertel Stunde, meine dreiviertel Stunde. In mir schrie die Wut Schönberg an, verfluchte ihn, rotzte ihm all seine Hässlichkeit vor die Füße, wälzte mich im Bett und wartete auf den Wecker, damit er mich hochzerrte, um mich in einen weiteren erniedrigenden Tag zu stoßen.
Eine Woche später, entsorgten Techniker Teile des Bühnenbildes in Container. Tagelange Arbeit wurde zu Sperrmüll. „Schönberg hat sich entschieden, es minimalistischer anzugehen“, sagte die Bühnenbildassistentin, als ich fragte, was los wäre. Schniefend saß sie auf der Rampe, ich gab ihr ein Taschentuch, setzte mich neben sie, legte einen Arm über ihre zitternden Schultern. Der stille Karl brachte uns zwei Tassen Kaffee. „Nicht persönlich nehmen“, sagte er zu Bea und zu mir: „Pass auf dich auf.“ Ich mochte Karl, Karl von der Requisite. Auf der Spielzeitabschlussparty im letzten Jahr hatten wir uns betrunken, sind mit dem ersten Vogelzwitschern zum Märchenbrunnen gewankt, haben die Hosenbeine hochgekrempelt, die Schuhe ausgezogen und besuchten die Helden unserer Kindheit. Seit dieser Nacht weiß ich, Karl wartet auf mich, wartet wie ich darauf, dass der Samen keimt, den er am Tag darauf in mir ließ, Schmetterlinge daraus erwachsen, die meine Welt rosa färben.
Ich blieb neben Bea sitzen, schaute mit ihr, wie Wand um Wand verschwand, hatte gehofft, heute, wo wir endlich auf die große Bühne zogen, würde Schönberg milder werden. Mit den Wänden zerbrachen meine Hoffnungen. Das Einleuchten wurde ein Desaster. Zu hell, zu dunkel, zu blau, zu weiß, nicht auf den Punkt, zu zerstreut, die Umbauten nicht schnell genug, ich neben Schönberg, sein Schreien in meinen Ohren, seine Arroganz wie Blei an meinen Nerven. Noch eine Woche bis zur Premiere.
Auf der zweiten Hauptprobe mit Pressefotografen lag ich abends in einer der Künstlergarderoben. Magenkrämpfe, Schwindel. Karl fuhr mich in die Notaufnahme. Ohne Befund wurde ich zwei Stunden später nach Hause geschickt, am nächsten Tag zum Hausarzt. Ich ging nicht zum Arzt. Generalprobe und morgen die Premiere, ich schaffe das, bringe es zu Ende und dann noch vier Wochen bis zu den Theaterferien, vier Wochen ohne Schönberg, nur Abendregie, ein Klacks.
Je näher ich dem Theater kam, desto größer wurde der Schwindel, desto aktiver die Magensäure, mein Blick irrlichterte durch die Menschenmenge. An der Bushaltestelle sank ich auf die Wartebank, rief Karl an, ließ mich von ihm abholen, zum Hausarzt bringen, auf das Grundstück seiner Eltern. Den stürmischen Beifall verpasste ich ebenso wie Schönbergs Dankesworte an das Team, das überschäumende Lob nach dem letzten Vorhang, den Menschen Schönberg, den es scheinbar noch gab.

Karl ist fort. Ich tupfe rote Farbe auf die Felder mit der Ziffer acht, blau auf vier und mische grau für eins/zwei. Es gefällt mir. Meine Füße stecken in den Pumps, um das Wandlicht schwirren Nachtfalter, Mücken bohren sich durch meine Haut. Die Luft riecht nach feuchtem Boden und über mir reiben sich Wolken zu Donner. Das Haus ist warm, aufgeheizt von der Tageshitze, die hineingekrochen ist. Meine Post liegt auf dem Tisch, Karl hat sie aus meinem Briefkasten mitgebracht. Eine Mahnung von der Bibliothek und ein Brief von Schönberg. Die Adresse von Hand geschrieben auf einem weißen Umschlag. Ich muss mich setzen, atme tief durch und schließe die Augen, während ich den Brief öffne. Es strengt mich an, den Buchstaben zu folgen, sie festzuhalten, bis ich sie zu Worten zusammengesetzt habe, draußen der Donner, das blitzende Zucken des Himmels. Schönberg bedankt sich. Bietet mir sein Haus in der Toscana an, um mich zu erholen, ich solle ihn anrufen, diesen Sommer verbringt er in Polen, er inszeniert. Das Papier gleitet mir aus den Händen, schwebt zu Boden, vor meine Füße.
Vielleicht, denke ich im Bett, vielleicht fahre ich mit Karl in die Toscana, wenn auch für ihn die Spielzeit zu Ende ist, der Urlaub beginnt, in drei Wochen. Vielleicht wachsen dort Schmetterlinge aus Karls Samen und färben meine Welt rosa. Ich wünsche mir, seit der ersten Nacht, Karl lieben zu können, wie er mich liebt. Es muss doch möglich sein, einen Mann wie Karl zu lieben, um den mich viele Frauen beneiden würden, gern einen Karl hätten. Vielleicht bleiben wir auch hier, grillen abends und zünden ein Feuer an. Karl soll es entscheiden.

 

Hallo Rick,

und Danke fürs vorbeischauen.

Schönberg war mir zunächst zu einseitig, nur genial cholerisch, fast plakativ laut, ungerecht und divenhaft launisch, aber den brichst du am Schluss dann so nachhaltig, dass es einen wunderbaren Rückfluss in seine Figur gibt.

Das freut mich, wenn es so ankommt. Der Bruch musste sein und diese Schönbergtypen, die rauben einem dem Nerv und dann steht man irgendwie im Regen, wenn sie auf einmal was menschliches zeigen. Weil das nicht ins Bild passt, was man bis dato aufgebaut hat. Ich mag sein Angebot am Ende auch sehr gern, für seine Persönlichkeit.

Ich kenne diesen Typ, arbeite selbst mit so was zusammen. Die haben ein unfassbares und verstörendes Timing für ihre wenigen menschlichen Akzente, dass selsbt die irgendwie unmenschlich erscheinen.

Genau :). Und da Film ein Lieblingsthema von Dir ist ... Film?

Was du beschreibst reicht, um nachvollziehbar zu sein. In vielen Fällen ist die Antriebslosigkeit der von diesen Symptomen geplagten Menschen nach meiner Kenntnis noch viel ausgeprägter, und immer stellt sich die Frage, wo ein solcher burnout in eine tiefe Depression umschlägt.

Nachvollziehbar freut mich natürlich. Und der Rest - ja - gibt sicher noch mehr Stufen nach unten, bis man wirklich nicht mehr man selbst ist. Ich begnüge mich auch mit einer Vorstufe von dem totalen burn out in dieser Geschichte.

Ich habe eine Bekannte, die es voll erwischt hat, dann wird es wirklich übel. Mit den Tränen, die aus beliebigen Anlässen fließen, könnte man einen Ozean füllen. So weit geht deine Geschichte nicht.

Stimmt. Die Leute die ich kenne, denen geht es auch so. Und die sind nicht mehr in der Lage U-Bahn oder so zu fahren, weil ihnen jegliche Orientierung fehlt. Da gibt es sicher sehr viele persönliche Unterschiede, wie es sich dann konkret äußert.

Fast finde ich es ein wenig schade, dass dieses Thema ... in einer relativ kurzen Geschichte nicht zur vollen Entfaltung kommen kann. Ich glaube, in diesem Fall wäre mehr vielleicht mehr gewesen.

Wahrscheinlich hast Du recht. Und auch sonst sind ja gute Anmerkungen der Vorkommentatoren gekommen, in welche Richtungen man hätte es ausbauen sollen/können. Im Nachhinein ärgere ich mich darüber auch, aber im Augenblick fehlt mir ein wenig die Lust, mich an den Rechner zu setzen und zu schreiben. Ganz allgemein, nicht nur auf die Geschichte bezogen. Also wird sie wohl so ein Fragment bleiben, vorerst.

Aber das Grundstück ist doch eigentlich alles andere als ein Schlachtfeld, oder? Und der Zustand hat doch nichts mit Soldaten zu tun, die in die Schlacht ziehen.

Ich habe über das Bild selbst auch lange nachgedacht. Auf der anderen Seite ist es ja doch irgendwie ein Kampf gegen die Krankheit, den man gewinnen oder verlieren kann. Und es hängt ja auch das eigene Wohl davon ab. Irgendwie ja und irgendwie nein. Aber ich habe mich am Ende dann doch dafür entschieden, weil es eben ein Kampf ist, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Das ist doch alls eher genau das Gegenteil, dieses Krankheitsbild. Ds ist doch, vor dem echten Leben die weiße Fahne zu hissen, aufzugeben, den Kampf gar nicht erst beginnen zu wollen, morgens im Bett zu liegen, und keinen Grund mehr finden, aufzustehen ...

Aber genau so soll es ja nicht laufen. Man muss dagegen kämpfen, wenn man nicht fallen will.

Ansonsten: feine Geschichte! Ich hätte davon mehr vertragen. Aber so war's auch ein schönes Leseerlebnis.

Schön. Immerhin nicht die Zeit geklaut. Wenn es so für den Leser ausgeht, bin ich schon zufrieden. Meine eigenen Erwartungen sind sehr geschrumpft mit den Kommentaren, die so viel Recht haben :).

Liebe Grüße Fliege

 

Hey Fliege,

hast ja schon einiges an Kommentaren, hoffe mal, ich wiederhole nicht nur.

Ein siebenhundert Quadratmeter großer Flecken Grün, zwischen anderen siebenhundert Quadratmetern mit Zäunen drumrum, darin Ameisen, Blumen, Bungalows, Disteln, Efeu, Geräteschuppen, Grünfinken, Komposthaufen, Korb- und Plastikmöbel, Löwenzahn, Obstbäume, Tomaten und Wühlmäuse. Auf dem Nachbargrundstück ein Teich mit Goldfischen. Jeden Morgen wirft der graue Mann eine Handvoll Futter hinein, nickt mir zu und verschwindet in die Schattenhälfte, wo er sich hinter einer Hecke vor meinen Blicken versteckt.
Die Aufzählung ist mir zu lang. Da kann eigentlich die Hälfte raus und das Bild ändert sich nicht. Klar so drei, vier, fünf Details sind häufig gut, um Atmosphäre zu erzeugen und ich mach das auch gerne. Aber bei mehr wird's dann schnell anstrengend, weil das kann man sich nicht mehr merken - ab sieben spätestens kann man nicht mehr alle Items aufeinmal behalten, und dann fällt es mir schwer, dass beisammen zuhalten, ohne die Stelle mehrmals zu lesen, und darauf hab ich eigentlich keine Lust, weil hier sich hier ja nichts versteckt, das man ausgraben kann. Das fällt mir vor allem so auf, weil der zweite Teil hier soviel besser ist. Das mit dem Mann gibt ein tolles Bild, das erzeugt Stimmung. Vorher ist es mir, wie gesagt, etwas viel.

der stille Karl
Das hast du ja häufiger drin und ich versteht schon weshalb. Aber für mich treibt das so einen Keil zwischen mich und Karl, das macht die Distanz viel größer, dieses "stille". Falls das beabsichtigt ist: hat gut geklappt.

Ticke aber nicht so, habe keinen Schrein, investierte stattdessen Geld in Fahrkarten und Hotels, um seinen Inszenierungen hinterherzureisen.
Das mit dem Schrein ist eine Dopplung mit dem Satz davor. Das ist als müsstest du den Leser nochmal dran erinnern, worum es geht. Aber eigentlich sollte jeder wissen, was gemeint.

Auf der Spielzeitabschlussparty im letzten Jahr hatten wir uns betrunken, sind mit dem ersten Vogelzwitschern zum Märchenbrunnen gewankt, haben die Hosenbeine hochgekrempelt, die Schuhe ausgezogen und besuchten die Helden unserer Kindheit
Also irgendwie ließt sich hatten wir uns betrunken. Total komisch für mich. Vielleicht einfach die Zeitenregel ignorieren und betranken schreiben. Wäre vielleicht das einfachste.

Und das Ende, naja. Das kauf ich ehrlich gesagt nicht. Das klingt zu sehr nach Happy Ending bzw. zu unwahrscheinlich. Ich mein, deinen Protagonistin hat es doch schon irre gut, weil die diesen Karl hat, der sich um sie kümmert, der nicht wütend wird, weil sie nichts tut, der versucht sie langsam ins Leben zurückzuführen. Und dann soll Schönberg ihr plötzlich auch noch den Ausweg bieten ...
Aber das eigentlich Problem für mich ist, dass du dich hier um deinen Konflikt betrügst. Weil, Schönberg ist der Auslöser des Ganzen. Der ist schuld. Und dann bietest du ihn hier quasi als Lösung an. Das ist als würde der Bösewicht die Familie des Helden umlegen, um anschließend zu sagen, he, war doof von mir, lass uns bei nem Bier nochmal drüber reden. Das hat so auch gar nichts mit der Protagonistin zu tun. Weil alles, was da passiert, kommt von außen: Schönberg gibt ihr eine Depression, Schönberg gibt ihr einen Ausweg aus der Depression und das hängt irgendwie alles von ihm ab.
Ich denke, es wäre viel besser, wenn dieser Brief nicht käme und deine Erzählerin es mit Karls Hilfe schaft, dass es besser wird - da hast du ja auch Ansätze drin, etwa mit dem Bild malen und dem Selberkochen. Das ist doch super, das wäre doch das Interessante. Wenn du mehr in die Richtung gingest, fände ich das Ende viel besser. Oder lass einfach nur Schönbergs Brief weg und belass den Rest wie er ist, ginge auch.
Aber so nimmst du deiner Figur eigentlich die Möglichkeit sich zu entwickeln. Du gibst ihr erst die Situation, an der sie wachsen soll, und gerade, als sie anfängt, mit Hilfe, was zu erreichen, löst du die Situation auf. Als würdest du einem Kind, das Matheaufgaben rechnet das Blatt wegziehen sobald es das letzte Ist-Gleich-Zeichen schreibt.

Also, das ist jetzt keine schlechte Geschichte - allein das Handwerkliche ist viel zu gut dafür - aber ich denke, du verschenkst da viel bzw. nimmst das flasche Ende.

Ich hoffe, du kannst was damit anfangen.

Gruß,
Kew

PS. Was hat das Ganze eigentlich mit Gesellschaft zu tun? :)

 

Hey Kew,

und lieben Dank für den Kommentar.

hast ja schon einiges an Kommentaren, hoffe mal, ich wiederhole nicht nur.

Und wenn, was macht das schon :).

Die Aufzählung ist mir zu lang. Da kann eigentlich die Hälfte raus und das Bild ändert sich nicht.

Das ist sicherlich richtig, nein, es ist richtig, aber ich wollte ja auch irgendwie ihren Gemütszustand darüber darlegen, dieses stumpfsinnige Aufzählen von Dingen, alphabetisch sortiert, wie eine Maschine. Funktioniert vielleicht nicht, mag sein, aber ich mag es, jedenfalls als Idee dahinter. Aber die ganze Idee hinter der Geschichte hat nicht funktioniert, also kommt es darauf auch nicht mehr an.

Das hast du ja häufiger drin und ich versteht schon weshalb. Aber für mich treibt das so einen Keil zwischen mich und Karl, das macht die Distanz viel größer, dieses "stille". Falls das beabsichtigt ist: hat gut geklappt.

War beabsichtigt - nur leider nimmt Karl beim Leser nicht die Funktion ein die ich ihm zugeschrieben hatte, also klar, dann stört es. Kauf ich sofort.

Also irgendwie ließt sich hatten wir uns betrunken. Total komisch für mich. Vielleicht einfach die Zeitenregel ignorieren und betranken schreiben. Wäre vielleicht das einfachste.

Das mach ich! Zeitenregel ignorieren dürfen finde ich toll!

Und das Ende, naja. Das kauf ich ehrlich gesagt nicht. Das klingt zu sehr nach Happy Ending bzw. zu unwahrscheinlich. Ich mein, deinen Protagonistin hat es doch schon irre gut, weil die diesen Karl hat, der sich um sie kümmert, der nicht wütend wird, weil sie nichts tut, der versucht sie langsam ins Leben zurückzuführen. Und dann soll Schönberg ihr plötzlich auch noch den Ausweg bieten ...

Also wenn Schönberg nur böse und Karl nur gut, dann wäre es besser? Schönberg nur Vollarsch - was für eine langweilige Figur er doch wäre ...

Weil, Schönberg ist der Auslöser des Ganzen. Der ist schuld. Und dann bietest du ihn hier quasi als Lösung an.

Sagte ja schon, die Geschichte macht nicht das, was ich wollte und hoffte. Bei mir im Kopf war Karl schuld, aber den mögen einfach alle viel zu gern, um ihn auch nur ein Quäntchen davon zuzuschreiben. An Karl reibt sie sich auf, über ein Jahr, da will sie etwas für sich erreichen und schafft es nicht. Sie will ihn lieben können. Sie hat ein Ziel, woran sie wieder und wieder scheitert. Weniger investieren kann, als was sie möchte. So als Sinnbild für den Arbeitsprozess. Gefahr für Burn out/Streßsymtome ist ja oft so ein unterschätzter Prozess, wo man gar nicht merkt, dass man sich festfrißt, wo man gar nicht so richtig den Finger drauf legen kann. Eigentlich wollte ich das erzählen. Tue es aber nicht. Und wenn die Idee nicht zündet, ist der Text eben was er ist: alle mögen und lieben Karl und meine Prot hat es total gut. Klingt nicht aufregend, ich weiß.

Ich denke, es wäre viel besser, wenn dieser Brief nicht käme und deine Erzählerin es mit Karls Hilfe schafft, dass es besser wird - da hast du ja auch Ansätze drin, etwa mit dem Bild malen und dem Selberkochen. Das ist doch super, das wäre doch das Interessante. Wenn du mehr in die Richtung gingest, fände ich das Ende viel besser. Oder lass einfach nur Schönbergs Brief weg und belass den Rest wie er ist, ginge auch.

Ich weiß nicht, Schönbergs Brief ist bis dato das einzige, was bei der aktuellen Fassung für den Leser als Bruch bleibt. Alles andere läuft gerade aus und man fragt sich nach dem Konflikt. Und ich glaube, die Figur Schönberg will ich jetzt nicht einem Einheitsklischee opfern, der braucht in meinen Augen ganz unbedingt einen Bruch, egal in welcher Lesart jetzt.

Also, das ist jetzt keine schlechte Geschichte - allein das Handwerkliche ist viel zu gut dafür - aber ich denke, du verschenkst da viel bzw. nimmst das flasche Ende.

Das ich was verschenke, kauf ich sofort. Das lese ich nicht zum ersten Mal und haben auch alle Recht. Hab halt nicht das erzählt bekommen was ich wollte, und jetzt könnte man eine Menge anderer Geschichten erzählen und vielleicht mache ich das auch irgendwann. Im Augenblick bin ich hier schon zufrieden, wenn Leser nicht einschläft ;).

PS. Was hat das Ganze eigentlich mit Gesellschaft zu tun? :)

Ich dachte, die Gesellschaft ist irgendwie mitverantwortlich, das so viele Menschen an ihren Arbeitsplätzen ausbrennen.

Danke für Deine Gedanken und die Auseinandersetzung. Hat mich gefreut von Dir zu hören.

Beste Grüße Fliege

 

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