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Sieben silberne Augen
Der Sand knirscht zwischen meinen Zehen. Neben mir steht eine typische Tropenpflanze: Grün lackierte Blätter, rosa Trichterblüten, Samenkapseln in Form kleiner Morgensterne. Kurz überlege ich, ob das Grünzeug irgendeinen Verwendungszweck als Nahkampfwaffe für Kleinwüchsige hat, lasse mich aber dann von der Aussicht ablenken. Bombastisch. Noch nie habe ich einen schöneren Strand gesehen – und bin an vielen vorbeigekommen auf meinen Reisen, das könnt ihr mir gerne glauben – und noch nie einen fabelhafteren Sonnenuntergang.
"Immer wieder umwerfend, wenn das Gelb des Himmels in so intensivem Ton erstrahlt, nicht wahr?" Die Stimme klingt weiblich, mit einem Hauch zu viel Hochprozentigem im Timbre. Vermutlich Burbak, eine Spezialität des Landes, welche an hohen Feiertagen gereicht wird.
Es gibt viele hohe Feiertage in Krk.
"Bezaubernd", erwidere ich mit meinem klangvollen Männersopran, welcher meine Paarungsbereitschaft anzeigt. Ich benutze ihn inzwischen seit dreikommasieben Zyklen.
Als ich mich vollständig umgedreht habe, erscheint mir nicht mehr klar, ob ich den Himmel oder sie meine. Was für eine Frau! Ich schaue in ihre sieben silbernen Augen und versinke augenblicklich in ihnen. Wortwörtlich. Sie kommen immer näher und werden mich todsicher gleich aufsaugen, wenn ich nicht wegsehe. Ich denke an rosa Kaninchen und schaffe es so, zu blinzeln. Schnell nutze ich die Chance und drehe den Kopf, bevor ich die Augen wieder öffne.
"Du bist eine Djenga," stelle ich überrascht fest.
"Und du weißt mir zu entgehen," erwidert sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Enttäuschung, aber auch Respekt in der Stimme.
"Man lernt schnell, wenn man viel reist." Meine Antwort klingt abgebrühter, als ich tatsächlich bin. Da ich ihr nun wieder den Rücken zugekehrt habe, kann ich in aller Ruhe das Meer bewundern. Es plätschert in trägen, sirupzähen Wellen an den Strand. Um diese Tageszeit ist es purpurrot gefärbt und weckt in mir eine Erinnerung, welche durch den Geschmackssinn geprägt ist. Ich weiß, dass es unmöglich ist, doch kann ich der Frage einfach nicht widerstehen.
"Du kennst nicht zufällig jemanden, der einen guten Tequila Sunrise mixen kann?"
"Machst du Witze?!" Sie klingt so erstaunt, dass ich zu ihr herumfahre, mich in letzter Sekunde aber noch besinne und einen Tick über das Ziel hinausschieße, um ihren Augen auszuweichen. Der flüchtige Blick, den ich dabei auf ihren vielgliedrigen Körper erhaschen kann, lässt mich fast wieder unvorsichtig werden.
"Warum sollte ich mit so essentiellen Dingen Scherze machen?" Sie brummt zunächst nur, berührt dann aber eine meiner Hände mit einem ihrer Tentakel – o welch köstliche Berührung! – und flüstert:
"Komm mit, aber mach die Augen zu!"
'Darauf wäre ich nie von alleine gekommen', denke ich, halte aber wohlweislich meinen Mund, schließe die Augen und gehe hinter ihr her.
Eine Weile spüre ich noch Sand unter den Füßen, dann wird der Boden fester. Ich verkneife mir einen Blick und folge ihr, bis sie abrupt stehen bleibt. Es gelingt mir so gerade, zu stoppen, bevor ich auf sie auflaufe.
"Bormar, bring uns zwei Tequila Sunrise, aber von den richtigen, nicht das Zeug für die Touristen!" Sie scheint ein echter Glücksgriff für mich zu sein – ich hätte nie geglaubt, jemals wieder dieses göttliche Getränk zu mir nehmen zu können.
"Komm", sagt sie erneut, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr den Weg zum Strand zurück zu folgen. Immer noch blind und an ihrem Tentakel hängend. Nach einigen Schritten bleibt sie stehen, doch diesmal bin ich darauf gefasst und stoppe sanfter ab.
"Setz dich", lädt sie mich ein, und ich lasse mich nicht zweimal bitten. Sie drückt mir ein Glas in die Hand, hält mich aber noch vom Trinken zurück.
"Hm?", mache ich ziemlich dämlich, aber bevor ich mich weiter wundern kann, drückt sie mir eine pelzige Kugel von der Größe einer Murmel in die Hand. Die Kugel zittert und fiept, als die Djenga mir erklärt, was ich damit anfangen soll:
"Runterschlucken, und zwar im Ganzen. Am Besten mit einem ordentlichen Schluck, dann rutscht es besser." Ich befühle das Ding skeptisch, beschließe dann, einfach keine Fragen zu stellen und werfe es mir in den Mund. Schnell setze ich das Glas an und spüle die Kugel runter, kann aber noch spüren, wie sich ihre Haare aufstellen und zu bremsen versuchen. Das Ding rutscht jedoch erbarmungslos meine Speiseröhre herunter, landet in meinem Magen und explodiert hier zu sanfter Wärme.
"Mach die Augen auf", sagt sie, und ich kann das verschmitzte Lächeln geradezu hören.
"Aber dann..."
"Mach einfach." Wie könnte ich dieser Stimme widerstehen? Ich öffne vorsichtig ein Auge, blicke in vier der ihren und stelle fest, dass nichts passiert. Also riskiere ich auch das zweite Auge und bin erleichtert, als sie mir weiterhin ganz normal gegenüber sitzt.
"Was war das?"
"Tschomp. Sehr nützlich. Bewirkt zwölf Takte Djenga-Resistenz."
"Und warum..." Ich denke daran, wie die Kugel gezittert und gefiept hat.
"Sie sind sehr selten, weil sie nur im jungfräulichen Zustand wirksam sind. Hättest du etwa Lust zu sterben, bevor du einen einzigen Kleinen Tod hinter dich gebracht hast?" Ich schüttele den Kopf und spreche ein kurzes Gebet für den Tschomp, der gerade seine letzten Augenblicke in meinem Magen verlebt.
Endlich habe ich Gelegenheit, die Djenga genauer zu betrachten. Nicht umsonst nennt man sie die Medusen Krks, und wenn man Schönheit in Überdosis zu genießen weiß, so wird man ihnen nur schwer widerstehen können. Diese Djenga ist eine Siebener: Sieben silberne Augen, sieben sanfte Tentakel, sieben sorgsam gewölbte Brüste. Ihre Haut ist wunderbar grün und kontrastiert ausgezeichnet mit dem Meer.
Ich betrachte sie ausgiebig, nippe an meinem Tequila Sunrise und genieße die glückliche Fügung, die mich hergebracht hat. Einer ihrer Tentakel krault meinen Rücken, und ich rutsche näher an sie heran, kuschele mich zwischen vier ihrer Brüste und seufze zufrieden. Einen Atemzug später spüre ich ihren galaktischen Kuss, lasse mein Glas fallen und schlinge meine Arme um sie.
Den Rest der Nacht verbringen wir mit einer Menge netter Schweinereien, von denen ich mir die Hälfte bisher noch nicht einmal ansatzweise hatte vorstellen können.
Als ich erwache, ist sie fort. Ich schaue auf meine Uhr: Der zwölfte Takt ist soeben abgelaufen. Kurz überlege ich, ob ich ihr nachlaufen und sie bitten soll, meine Frau zu werden, aber dann wird mir klar, dass das wohl kaum möglich sein wird. Ich seufze leise und mache mich auf die Suche nach einem interstellaren Travelpoint.
Abends in meinem Schlafsessel an Bord eines Dritte-Klasse-Touristenschiffs rubbel ich mir gedankenverloren den regenbogenbunten Sand zwischen den Zehen weg und versinke in meinen Träumen.
'Dies war ganz sicher nicht mein letzter Besuch auf Krk', denke ich mir und betaste lächelnd die pelzigen Kugeln in meiner Tasche, die ich heute morgen zwischen den Morgensternen einer Tropenpflanze fand und die eindeutig nicht legal von diesem Planeten abreisen. Ich muss nur noch herausfinden, wovon sie leben...
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04. - 19.08.2003