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Sieben silberne Augen

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23.08.2001
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Sieben silberne Augen

Der Sand knirscht zwischen meinen Zehen. Neben mir steht eine typische Tropenpflanze: Grün lackierte Blätter, rosa Trichterblüten, Samenkapseln in Form kleiner Morgensterne. Kurz überlege ich, ob das Grünzeug irgendeinen Verwendungszweck als Nahkampfwaffe für Kleinwüchsige hat, lasse mich aber dann von der Aussicht ablenken. Bombastisch. Noch nie habe ich einen schöneren Strand gesehen – und bin an vielen vorbeigekommen auf meinen Reisen, das könnt ihr mir gerne glauben – und noch nie einen fabelhafteren Sonnenuntergang.
"Immer wieder umwerfend, wenn das Gelb des Himmels in so intensivem Ton erstrahlt, nicht wahr?" Die Stimme klingt weiblich, mit einem Hauch zu viel Hochprozentigem im Timbre. Vermutlich Burbak, eine Spezialität des Landes, welche an hohen Feiertagen gereicht wird.
Es gibt viele hohe Feiertage in Krk.
"Bezaubernd", erwidere ich mit meinem klangvollen Männersopran, welcher meine Paarungsbereitschaft anzeigt. Ich benutze ihn inzwischen seit dreikommasieben Zyklen.
Als ich mich vollständig umgedreht habe, erscheint mir nicht mehr klar, ob ich den Himmel oder sie meine. Was für eine Frau! Ich schaue in ihre sieben silbernen Augen und versinke augenblicklich in ihnen. Wortwörtlich. Sie kommen immer näher und werden mich todsicher gleich aufsaugen, wenn ich nicht wegsehe. Ich denke an rosa Kaninchen und schaffe es so, zu blinzeln. Schnell nutze ich die Chance und drehe den Kopf, bevor ich die Augen wieder öffne.
"Du bist eine Djenga," stelle ich überrascht fest.
"Und du weißt mir zu entgehen," erwidert sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Enttäuschung, aber auch Respekt in der Stimme.
"Man lernt schnell, wenn man viel reist." Meine Antwort klingt abgebrühter, als ich tatsächlich bin. Da ich ihr nun wieder den Rücken zugekehrt habe, kann ich in aller Ruhe das Meer bewundern. Es plätschert in trägen, sirupzähen Wellen an den Strand. Um diese Tageszeit ist es purpurrot gefärbt und weckt in mir eine Erinnerung, welche durch den Geschmackssinn geprägt ist. Ich weiß, dass es unmöglich ist, doch kann ich der Frage einfach nicht widerstehen.
"Du kennst nicht zufällig jemanden, der einen guten Tequila Sunrise mixen kann?"
"Machst du Witze?!" Sie klingt so erstaunt, dass ich zu ihr herumfahre, mich in letzter Sekunde aber noch besinne und einen Tick über das Ziel hinausschieße, um ihren Augen auszuweichen. Der flüchtige Blick, den ich dabei auf ihren vielgliedrigen Körper erhaschen kann, lässt mich fast wieder unvorsichtig werden.
"Warum sollte ich mit so essentiellen Dingen Scherze machen?" Sie brummt zunächst nur, berührt dann aber eine meiner Hände mit einem ihrer Tentakel – o welch köstliche Berührung! – und flüstert:
"Komm mit, aber mach die Augen zu!"
'Darauf wäre ich nie von alleine gekommen', denke ich, halte aber wohlweislich meinen Mund, schließe die Augen und gehe hinter ihr her.
Eine Weile spüre ich noch Sand unter den Füßen, dann wird der Boden fester. Ich verkneife mir einen Blick und folge ihr, bis sie abrupt stehen bleibt. Es gelingt mir so gerade, zu stoppen, bevor ich auf sie auflaufe.
"Bormar, bring uns zwei Tequila Sunrise, aber von den richtigen, nicht das Zeug für die Touristen!" Sie scheint ein echter Glücksgriff für mich zu sein – ich hätte nie geglaubt, jemals wieder dieses göttliche Getränk zu mir nehmen zu können.
"Komm", sagt sie erneut, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr den Weg zum Strand zurück zu folgen. Immer noch blind und an ihrem Tentakel hängend. Nach einigen Schritten bleibt sie stehen, doch diesmal bin ich darauf gefasst und stoppe sanfter ab.
"Setz dich", lädt sie mich ein, und ich lasse mich nicht zweimal bitten. Sie drückt mir ein Glas in die Hand, hält mich aber noch vom Trinken zurück.
"Hm?", mache ich ziemlich dämlich, aber bevor ich mich weiter wundern kann, drückt sie mir eine pelzige Kugel von der Größe einer Murmel in die Hand. Die Kugel zittert und fiept, als die Djenga mir erklärt, was ich damit anfangen soll:
"Runterschlucken, und zwar im Ganzen. Am Besten mit einem ordentlichen Schluck, dann rutscht es besser." Ich befühle das Ding skeptisch, beschließe dann, einfach keine Fragen zu stellen und werfe es mir in den Mund. Schnell setze ich das Glas an und spüle die Kugel runter, kann aber noch spüren, wie sich ihre Haare aufstellen und zu bremsen versuchen. Das Ding rutscht jedoch erbarmungslos meine Speiseröhre herunter, landet in meinem Magen und explodiert hier zu sanfter Wärme.
"Mach die Augen auf", sagt sie, und ich kann das verschmitzte Lächeln geradezu hören.
"Aber dann..."
"Mach einfach." Wie könnte ich dieser Stimme widerstehen? Ich öffne vorsichtig ein Auge, blicke in vier der ihren und stelle fest, dass nichts passiert. Also riskiere ich auch das zweite Auge und bin erleichtert, als sie mir weiterhin ganz normal gegenüber sitzt.
"Was war das?"
"Tschomp. Sehr nützlich. Bewirkt zwölf Takte Djenga-Resistenz."
"Und warum..." Ich denke daran, wie die Kugel gezittert und gefiept hat.
"Sie sind sehr selten, weil sie nur im jungfräulichen Zustand wirksam sind. Hättest du etwa Lust zu sterben, bevor du einen einzigen Kleinen Tod hinter dich gebracht hast?" Ich schüttele den Kopf und spreche ein kurzes Gebet für den Tschomp, der gerade seine letzten Augenblicke in meinem Magen verlebt.
Endlich habe ich Gelegenheit, die Djenga genauer zu betrachten. Nicht umsonst nennt man sie die Medusen Krks, und wenn man Schönheit in Überdosis zu genießen weiß, so wird man ihnen nur schwer widerstehen können. Diese Djenga ist eine Siebener: Sieben silberne Augen, sieben sanfte Tentakel, sieben sorgsam gewölbte Brüste. Ihre Haut ist wunderbar grün und kontrastiert ausgezeichnet mit dem Meer.
Ich betrachte sie ausgiebig, nippe an meinem Tequila Sunrise und genieße die glückliche Fügung, die mich hergebracht hat. Einer ihrer Tentakel krault meinen Rücken, und ich rutsche näher an sie heran, kuschele mich zwischen vier ihrer Brüste und seufze zufrieden. Einen Atemzug später spüre ich ihren galaktischen Kuss, lasse mein Glas fallen und schlinge meine Arme um sie.
Den Rest der Nacht verbringen wir mit einer Menge netter Schweinereien, von denen ich mir die Hälfte bisher noch nicht einmal ansatzweise hatte vorstellen können.
Als ich erwache, ist sie fort. Ich schaue auf meine Uhr: Der zwölfte Takt ist soeben abgelaufen. Kurz überlege ich, ob ich ihr nachlaufen und sie bitten soll, meine Frau zu werden, aber dann wird mir klar, dass das wohl kaum möglich sein wird. Ich seufze leise und mache mich auf die Suche nach einem interstellaren Travelpoint.
Abends in meinem Schlafsessel an Bord eines Dritte-Klasse-Touristenschiffs rubbel ich mir gedankenverloren den regenbogenbunten Sand zwischen den Zehen weg und versinke in meinen Träumen.
'Dies war ganz sicher nicht mein letzter Besuch auf Krk', denke ich mir und betaste lächelnd die pelzigen Kugeln in meiner Tasche, die ich heute morgen zwischen den Morgensternen einer Tropenpflanze fand und die eindeutig nicht legal von diesem Planeten abreisen. Ich muss nur noch herausfinden, wovon sie leben...

____________________
04. - 19.08.2003

 

@Queen:

hi! Ich mußte jetzt erstmal lesen, wie es weitergeht. Vogelesen hat mir der Text eigentlich noch besser gefallen, aber auch so: prima!

Zwar ohne besondern Höhepunkt,

na, na, porc! Da sind doch all die ungenannten Schweinereien drin! Wie viele Höhepunkte braucht denn ein Ösi, um sie besonders zu nennen? :D

was den Inhalt dieser intergallaktischen Nacht betrifft: Ich denke, man könnte daraus einen neuen Text machen... eine Rückschau für R/E?


Ich muß ja nun ganz ehrlich sagen: Ich hab von normaler SciFi trotz einiger Star-Treck-Folgen und Babylon V eigentlich kaum Ahnung.
Von SciFi-Texten erst recht nicht. Aber dieser Text hat auf mich durchaus gewirkt.

ich fand, man kann durchaus einiges herauslesen, auch wenn man keine Djengas kennt oder so... ich hab mich jedenfalls gut unterhalten und sanft entführt gefühlt.

Wann dürfen wir die weiteren Episoden lesen? Wann schreibst Du weiter? ;)

Lieben Gruß,

Frauke

 

Hi Häferl,

hm, ich habe die Geschichte zwar so angelegt, dass einiges nicht voll ständig erklärt wird, aber die Dinge, die Du ansprichst, schon.

Ich versuch's mal, okay?

Ich persönlich mag es gar nicht, wenn in Geschichten vorausgesetzt wird, daß man dieses oder jenes schon gesehen oder gelesen hat. Wenn man das nämlich nicht kennt, hat man, so wie ich hier, erst einmal den Eindruck, daß entweder etwas fehlt oder man danebensteht.

Ich habe außer Douglas Adams keine Science Fiction gelesen, und Star Trek mag ich zwar, sehe es aber nicht regelmäßig. Also muss man nichts gelesen haben, um diesem Text zu verstehen, denke ich.

So fragte ich mich z.B. bei diesen Kugeln, warum Dein Protagonist denn Angst haben sollte, zu sterben. - Erst in Uwes Posting werde ich aufgeklärt, wozu die denn überhaupt gut sind bzw. warum er sie braucht...
Die Angst zu sterben hat er nicht aufgrund der Kugel, sondern aufgrund der Djenga, deren Augen ihn aufsaugen würden, wenn er zu lange hinein sieht. Hat das denn wirklich keiner so wörtlich verstanden, wie es da steht?

Ich konnte auch mit dem ganzen Teil, wo Dein Protagonist versucht, ihr auszuweichen, nichts anfangen, wußte nicht, warum er sich so ziert und sie auch noch sagt "Und du weißt mir zu entgehen", obwohl er es doch sichtlich wollte.
Der gleiche Grund: Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes anziehend! ;)

Auch, als sie von Djenga-Resistenz spricht, werde ich daraus nicht klüger und spätestens bei "Hättest du etwa Lust zu sterben, bevor du einen einzigen Kleinen Tod hinter dich gebracht hast?" hatte ich das Gefühl, wirklich komplett danebenzustehen. - Djengas muß man also kennen, wenn man Deine Geschichte verstehen will...
Nee, muss man eben nicht, weil ich alles wichtige erklärt habe. Der "Kleine Tod" ist die französische Bezeichnung für einen Orgasmus (weshalb ich ihn auch groß schreibe) und in diesem Fall bezieht sich die Frage darauf, dass Tschomp nur nützlich sind, wenn sie noch jungfräulich sind.

Hm, wenn ich rubbel' schreibe, müsste es doch auch korrekt sein, oder?

Lieben Gruß

chaosqueen

 

Hej Frauke,

freut mich, dass der Text Dir auch vollständig gefällt!
Weitere Episoden gibt es, sobald mein Gehirn sie ausspuckt. Genauere Angaben verbieten mein Anwalt! :D

Lieben Gruß

chaosqueen :cq:

 

wie????
- Du wohnst im Pott bei Uwe..
- küßt Kit
- und jetzt hast Du auch noch einen anderen ANWALT???

*sich eingeschüchtert zurückzieh* ... *eine träne wegwisch*

och menno!

 

Liebe chaosqueen!

Die Angst zu sterben hat er nicht aufgrund der Kugel, sondern aufgrund der Djenga, deren Augen ihn aufsaugen würden, wenn er zu lange hinein sieht. Hat das denn wirklich keiner so wörtlich verstanden, wie es da steht?
Nein, ich hatte das nicht mißverstanden, mich nur schlecht ausgedrückt. Ich glaubte nicht, daß er Angst hat, an der Kugel zu sterben, sondern ich fragte mich an dieser Stelle (wo die Kugeln vorkommen), warum er denn überhaupt Angst haben sollte, zu sterben.

sondern aufgrund der Djenga, deren Augen ihn aufsaugen würden, wenn er zu lange hinein sieht.
- das ist für mich nicht rübergekommen, daß das wirklich ernst gemeint war. Das klang für mich mehr nach sehr verführerischen Blicken, aber nicht wirklich bedrohlich.
Die Beifügung, man solle es wörtlich nehmen, habe ich natürlich nicht wörtlich genommen, sondern dachte vielmehr, daß damit der verführerische Blick unterstrichen, oder besser potenziert :D werden sollte - was Du mir natürlich als meinen Fehler anrechnen darfst.

Bei Uwes Kommentar ("Endlich kann man geschützten Sex mit einer Medusa haben") hatte ich den Eindruck, daß er wohl wußte, was eine Djenga ist, und Du das Wissen über diese voraussetzt. Deshalb kam ich mir dann irgendwie vera... vor. Verzeih bitte, daß ich das so sage, aber es war für mich so.

Aber ich werd bestimmt demnächst wieder mal was anderes von Dir lesen, vor allem in einer anderen Rubrik, wo ich dann weniger auf der Leitung stehe. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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