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Sie tanzen einfach weiter

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01.09.2005
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Sie tanzen einfach weiter

Sie nannten es noch immer die Fabrik, aber es schuftete niemand mehr darin. Die Leute feierten, die Nächte durch und am Tage weiter. „Wir gehen hin“, schlug Marie deshalb vor, als Lennart das Physikum bestanden hatte. Sein Augenlid zuckte vom Stress. Er hatte gekämpft und er hatte gewonnen, er hatte Grund zu feiern und er hatte Grund zu tanzen. Wie ein Kriegstanz, dachte er.
„Haben sie da Drogen?“
Marie nickte. „Alles.“
„Ich frage nur so.“
Sie grinste. Er starrte ihre weißen Zähne an. Ihre wunderbar geraden, weißen Zähne. Die Einundvierzig lag leicht eingedrückt hinter der Einunddreißig und der Zweiundvierzig, aber das war ein Schönheitsfleck, wie ein Muttermal. Manchmal erwachte er mit einer Erektion und das letzte Bild aus seinem Traum, das er mit hinüber in die wache Welt nahm, waren nicht ihre Lippen und nicht ihre Brüste, sondern diese Zähne. Er wollte sie auch wegen dieser Zähne haben, aber sie ließ ihn zappeln.
„Warst du schon mal da?“, fragte er.
Marie schüttelte den Kopf. „Ist mir zu weit draußen. Mitten in der Pampa.“
„Woher weißt du dann, dass es dort Drogen gibt?“
Sie zuckte die Schultern. „Jeder kennt die Fabrik, aber kaum einer war wirklich mal da. Hat einen Ruf. Das wird ein Abenteuer. Genau das Richtige für heute Abend.“
„Auf jeden“, sagte Lennart. „War hart zuletzt.“
Marie stand von seinem Bett auf und ging auf den Schreibtisch zu, an dem er saß. Er hoffte, sie würde ihre gepiercten Lippen auf seine pressen. Tat sie aber nicht.
„Wollen wir los?“, fragte sie.
Eine Nacht in der Fabrik zu zweit, dachte Lennart, könnte mit allem Möglichen enden. Deshalb sagte er Ja.

Sie fuhren mit der Bahn an den Stadtrand, mit dem Bus darüber hinaus, fragten zwei Besoffene nach dem Weg und fanden sich schließlich auf einem Spazierweg durch den Wald wieder. Lennart leuchtete mit seinem Handy den Weg. Er drehte sich nach dem kleiner werdenden Buswartehäuschen um.
„Und wenn sie uns verarscht haben?“, fragte er. „Hier ist doch nichts.“
„Sie liegt draußen“, sagte Marie. „Darum waren sie nach der Wende ganz schnell pleite. Weite Wege. Niemand war mehr gezwungen, ihren Kram zu kaufen.“
„Was war ihr Kram?“
„Schläuche.“
„Für den Garten?“
Marie schüttelte den Kopf. „Industrie. Und Feuerwehr, glaube ich. So dicke Dinger jedenfalls.“ Sie legte den Zeigefinger an die Lippen.
„Ich höre nichts“, sagte Lennart.
„Scht“, machte Marie.
Ein paar Meter vor ihnen tapste ein Wolf aus dem Wald auf den Weg. Er beschnupperte erst die Straße und sah dann zu den beiden Störenfrieden hoch.
„Ach du Scheiße“, flüsterte Lennart. Marie griff ihn am Arm. Seine Beine wurden weich. Beim zweiten Hinsehen war der Wolf nur ein Schäferhund, aber auch der hatte Zähne. Das Tier zeigte sie, indem es stumm die Lefzen hochzog.
„Leuchte ihn nicht so direkt an“, flüsterte Marie.
„Hast du Pfefferspray?“, fragte Lennart.
„Zu Hause.“
„Super.“
„Du sollst ihn nicht direkt anleuchten!“
Als würden die beiden nächtlichen Wanderer ihn nerven mit ihrem hektischen Geflüster, ging der Hund weiter zur anderen Straßenseite. Knackende Äste und raschelndes Laub wurden leiser, während er im Wald verschwand.
„Gott, ich hätte fast in die Hose gemacht!“, sagte Marie.
Lennart schnaufte ungeduldig. „Wenn nicht gleich was kommt, gehen wir wieder zurück“, sagte er.


Es kam etwas. Autos parkten links und rechts des Weges. Zuerst nur vereinzelt. Dann wurden die Lücken zwischen zwei Wagen immer kleiner, bis schließlich die Stoßstangen aneinander zu kleben schienen.
„Ganz schön was los“, sagte Lennart. „Nur wo?“
Die meisten Autos waren Kleinwagen, einige mit breiten Reifen, Heckspoilern und Überrollbügeln. Je weiter Marie und er gingen, desto schrottreifer und schmutziger wurden die Karossen. Bei einigen klebte der Dreck so dicht auf den Fenstern, dass man nicht hineinsehen konnte. Andere hatten keine Fenster mehr. Die Reste davon lagen zersplittert auf den Sitzen. In manchen nisteten dem Geruch nach Tiere. Scharfe Wildpisse fraß sich in die Nase.
„Zum Glück sind wir zum Feiern hier und haben kein Auto“, sagte Lennart.
„Ich denke, die feiern auch“, erwiderte Marie. „Wenn sie fahren, sind sie wieder klar.“
„Ein paar von den Karren sind hier doch entsorgt“, sagte Lennart. „Die fahren doch gar nicht mehr.“
„Kann sein.“ Marie spielte kurz am mittleren der drei Ringe in ihrer Unterlippe. „Hier draußen herrscht Anarchie. Das ist der wilde Osten.“
Sie hatten den Höhepunkt einer Steigung erreicht. Dahinter erhob sich, angestrahlt von zwei schwachen Scheinwerfern, das Fabrikgelände. Ein hoher Schornstein ragte in den Himmel.
Phallussymbol, dachte Lennart. Es musste ein Zeichen sein. Im Licht der aufgehenden Sonne würde er Marie flachlegen. Vielleicht wurde ja mehr daraus. Im Moment war er geil wie ein Bulle, aber das war nicht alles. Er mochte sie.

Leise Bässe kamen aus dem Inneren der Fabrik. Ein Gittertor stand offen. Es war groß genug für Lkw zum Hindurchfahren. Auf dem Hof parkten noch einige Autos. Die meisten davon waren heruntergekommene, mindestens zwanzig Jahre alte Modelle. Ein Trabant stand dort, bemalt mit bunten Blumen, die verblasst waren.
Sie gingen auf das Gebäude zu, aus dem die Bässe drangen und das von den summenden Strahlern beleuchtet wurde. Graffiti zierten die grauen Wände. Ein kiffender Außerirdischer zeigte SS-Runen den Mittelfinger. Um eine offen stehende Eisentür voller Rostflecke hatte ein Dosen-Künstler das Antlitz von Erich Honecker gesprüht. Wer durch die Tür trat, marschierte in den weit aufgerissenen Mund des Generalsekretärs. Honecker schielte nach innen, sodass er jene beäugte, die er verschlang. Aus dem Maul dröhnten die Bässe wie die Trommeln von Morlocks.
Lennart streichelte Honeckers Wange. „Primitive Eingeborenenkunst.“
Marie schlug ihm auf den Rücken. „Du bist so ein Wessi-Arschloch manchmal!“ Sie lachte.
Jetzt, dachte Lennart. Aber Marie wandte sich schon wieder ab.
„Vielleicht bin ich doch schon zu alt für sowas“, sagte Lennart.
„Du bist siebenundzwanzig“, sagte Marie.
„Eben.“
„Ich bin fünfundzwanzig.“
„Sag ich ja. Ein Küken wie du kann nicht verstehen, was in einem Mann meiner Generation vorgeht.“
Honecker würgte einen dünnen Mann mit dünnem Haar und nacktem Oberkörper hervor. Außer ein paar schlechten Tätowierungen schmückten rote Striemen und blauschwarze Flecken seine Haut.
Lennart rümpfte die Nase. Der Mann vor ihnen stank mindestens so schlimm nach Urin wie einige der Autos vorhin. Er trug die Haare schulterlang, obwohl bereits deutlich die Kopfhaut durchschimmerte. An einem Fuß fehlte der Schuh. Der weiße Socken war voller Blutflecken.
Er sah Marie und Lennart ähnlich überrascht an wie der Hund vorhin. Kurz, bevor das Tier die Zähne fletschte.
„Wollt ihr tanzen?“, fragte er.
„Kann sein“, sagte Lennart.
„Ja“, sagte Marie. „Alles in Ordnung?“
Der Mann mit nur einem Schuh machte eine abweisende Geste. Er stolperte an Marie und Lennart vorbei auf das Werkstor zu. Am Hintern seiner weißen Dreiviertelhose sah Lennart braune Flecken. Wahrscheinlich hatten Türsteher ihn rausgeschmissen.
Als er durch das Tor hindurch war, fiel er auf die Knie und schrie den Mond an. Zitternd kam er wieder auf die Beine und stolperte den Weg hinunter, den Lennart und Marie gerade gekommen waren.
„Geiler Typ“, sagte Lennart.
„Kaputte gibt es überall“, meinte Marie.
Sie betraten Honeckers Schlund.

Wieder stank es nach Pisse. Lennart würgte. Weiße Neonröhren tauchten die Wände mit ihrer abblätternden Farbe in kaltes Leichenhallenlicht. Ein Generator musste den Strom liefern. Sie konnten ihn hören. Hier drin summte es noch lauter als draußen bei den Scheinwerfern.
Geradeaus ging es auf einen Fahrstuhl zu, dessen Tür einen Spalt weit offen stand. Lennart blinzelte in die Dunkelheit dahinter.
„Ich denke nicht, dass wir den nehmen sollten“, sagte Marie.
„Auch auf die Gefahr hin, wie der klugscheißende Wessi zu klingen“, sagte Lennart. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er kaputt ist.“
Als er wieder zu ihr sah, hatte sie bereits angefangen, vorsichtig dem Rhythmus der Morlocktrommeln zu folgen. Ihre Brüste wippten. Heute, dachte Lennart.
Aufgesprühte Pfeile an der Wand wiesen den Weg. Eine Treppe führte über drei Stockwerke nach unten. Leere Bier- und Red-Bull-Dosen und Wodkaflaschen lagen auf den Stufen. Der Bass wurde lauter.
Unten standen sie schließlich vor einer weiteren Eisentür mit Rostbeulen. Filzstift-Schmierereien zierten die Pforte. „Hansa Hools“ stand da und „Sk8 or die“ und weitere Lifestyle-Statements. Dazwischen ein paar kindlich gezeichnete männliche und weibliche Genitalien. Neben der Tür lagen Relikte, dicke Stoffschläuche, wild durcheinander, als hätten sich hier unten ein paar Riesenschlangen gehäutet.
„Ich war so lang nicht mehr richtig tanzen“, sagte Marie.
Lennart öffnete die Tür. Die Bässe trafen ihn in den Bauch wie Tritte. In seinem Magen blubberte das Gemisch aus Bier und Spinatpizza, mit dem sie den Abend begonnen hatten.
Meine Fresse, dachte Lennart.
Die Fabrik, der eigentliche Club, dieser Kellerraum, war eine Sardinenbüchse. Es war unmöglich, sich zu bewegen, ohne Körperkontakt mit anderen Gästen zu haben. Platz gab es genug, theoretisch. Das hier unten musste eine Lagerhalle gewesen sein, schätzte Lennart. Aber jeder Quadratzentimeter war besetzt. Die Tanzenden rieben sich dicht aneinander. Bunte Lichtstrahlen zerschnitten die Dunkelheit, rote und blaue und grüne.
„Wo zahlt man eigentlich?“, fragte er. Marie antwortete nicht. Wortlos zog sie ihn ins Gedränge.
Hinter ihnen knallte die Tür zu. Ein ungeduldiges Geräusch. Es war ein lästiges Portal in die Realität. Die Leute wollten einfach nur tanzen.
Die Menge sog sie ein wie Moorschlamm. Schwitzende Körper schmiegten sich an ihn. Honeckers Eingeweide. Im Laserlicht sah Lennart Tätowierungen und Piercings. Ein Tänzer hielt sich die Hand vors Gesicht. Blut sickerte durch seine Finger. Wahrscheinlich hatte er einen Ring oder einen Stecker da gehabt, wo jetzt seine Augenbraue runter hing, als wäre sie nur angeklebt.
Der Blutende verschwand wieder in der Menge. In die falsche Richtung. Lennart vermutete, dass er zum Ausgang gewollt hatte mit seiner Verletzung. Aber verletzt oder nicht, die Tanzenden waren wie die Masse eines sterbenden Sterns. Ein schwarzes Loch. Gegen diese Gravitation hatte er keine Chance.
Marie ließ Lennarts Hand los. „Warte mal!“, rief er. Zu spät. Sie war fort. Er rief ihren Namen. Die eigene Stimme dröhnte in seinem Kopf. Seine Stimme und der Bass.
Er roch Schweiß und schlechten Atem. Alkoholfahnen. Jemand drückte von vorne, von der Seite, von hinten. Jeder Druck bekam eine Sekunde lang ein Gesicht, Frauen und Männer, große und kleine, dicke, dünne, schön und hässlich. Es hatte keinen Sinn, sie anzufahren, auch wenn er es ein paar Mal tat. Sie waren nur Zellen in einem Organismus, genau wie er. Hinter ihnen spürte Lennart den eigentlichen Druck. Die Masse, die ihn zerreiben würde, wenn er nicht in Bewegung blieb.
„Krass, oder?“, schrie ein Tänzer mit fehlendem Schneidezahn ihn an. Seine Brust war gegen die von Lennart gepresst. Ihre Nasenspitzen berührten sich.
„Die haben hier viel zu viele reingelassen!“, schrie Lennart zurück, aber die Zahnlücke war schon wieder verschwunden.
Lennart rief wieder Maries Namen. Köpfe drehten sich zu ihm um. Ein Mädchen mit Dreadlocks trieb an ihm vorbei und äffte ihn nach. Von ihrem nackten Oberkörper hingen vertrocknete kleine Brüste mit Ringen in den Nippeln. Ihre Rippen wollten raus und hatten sich schon auf den Weg gemacht. Sie war dürr wie ein KZ-Häftling. „Marie!“, kreischte sie. „Marie! Marie!“ Sie legte die Hände an die Wangen. Jetzt sah sie aus, als hätte Munch sie gemalt.
„Marie! Marie! Marie!“
„Mann, verpiss dich endlich!“, schrie Lennart sie an. Er hoffte, sie würde noch einmal nach Marie rufen, damit er einen Grund hatte, ihr eine zu knallen. Stattdessen zog der Menschenmoloch ihn noch tiefer ins Zentrum, egal, wie sehr er sich wehrte und versuchte, nicht noch weiter von der Tür wegzutreiben. Als er zu weit war, um sie zu packen, keifte das dürre Mädchen „Marie! Marie!“, und lachte.
Lennart sah sich um. Es war, als wäre er tief in ein Maisfeld gelaufen. Nur noch Stauden, endlos viele in jede Richtung.
Das einsetzende Strobolicht nahm ihm das letzte bisschen Orientierung. Er spürte, wie Panik ihn am Hals packte und zudrückte. Saurer Spinat schoss seine Speiseröhre hinauf. Es gab nicht genug Platz, um sich vornüber zu beugen. Das Erbrochene spritzte umher, auf Rücken und in Gesichter. Niemanden störte es. Sie tanzten einfach weiter.
Kurz drohten die Trommelhiebe, sich zu überschlagen. Dann ganz abrupt die Erlösung: Stille. Stille und Dunkelheit. Auf den ersten Schrei, der zu hören war, folgten schnell ein zweiter und ein dritter und dann viele weitere. Einige waren Schmerzensschreie. Andere etwas Schlimmeres.
Gerade, als Lennart Maries Namen rufen wollte, schnitt ihm eine elektronisch verzerrte Stimme das Wort ab. Sie sagte nur ein Wort. Wer nicht schrie, jubelte, bis Schreie und Jubel eins wurden.
Der Bass setzte ein, lauter als zuvor. Lennart tanzte wie alle anderen, ob er wollte oder nicht. Seine Lungen brannten. Tränen liefen über seine Wangen. Ein Tänzer trieb vorbei. Sein Kopf war auf die Brust gesackt und wackelte widerstandslos umher. Die Arme hingen schlaff herab.
Je näher Lennart dem Zentrum kam, desto mehr Tote sah er. Sie trieben in diesem Meer aus Körpern, in dem sie ertrunken waren. Einige waren bereits deutlich verwest. Ihr süßer Moschusgeruch vermischte sich mit dem von Schweiß und Diskonebel.
Lennart spürte, wie seine Blase unter dem Druck der Todesangst nachgab. Warm saugten sich seine Jeans voll. Er versuchte, sich eine Schneise zu schlagen. Sein Arm wurde dabei eingeklemmt. Als er ihn zurückziehen wolte, hielt jemand seine Hand fest. Er spürte den Druck gegen das Ellenbogengelenk zunehmen, bis es brach. Lennart schrie.
Das war's, schoss es ihm durch den Kopf. Kein Kuss von Marie. Nie wieder. Irgendwas. Jetzt stirbst du.
Jemand packte seinen gesunden Arm.
„Halt dich an mir fest!“, dröhnte es in seinem Ohr.
Lennarts brennende Augen sahen in das Gesicht des Mannes mit nur einem Schuh. Um den Bauch trug er einen breiten Stoffgürtel.
„Halt dich an mir fest!“, wiederholte er.
Lennart schlang den gesunden Arm um die Brust seines Retters. Der gebrochene Arm hing nutzlos an seiner Seite, blieb immer wieder zwischen Tanzenden hängen und verbog sich. Schließlich waren die Schmerzen so schlimm, dass Lennart wünschte, der Arm würde einfach abreißen, jetzt, da Ober- und Unterarm ohnehin nur noch von der Haut zusammengehalten wurden.
Der Mann mit nur einem Schuh zog sich und Lennart vorwärts. Der Stoffgürtel war ein Schlauch, den er sich um die Hüfte gebunden hatte.
„Marie!“, rief Lennart. Er ekelte sich vor sich selbst. Tatsächlich hatte er sie vor lauter Glück über die Rettung vergessen.
„Was?“, schrie der Mann mit nur einem Schuh.
„Marie! Sie ist noch da drin!“
Lennarts Retter schüttelte den Kopf. „Später vielleicht!“
„Nein, jetzt! Marie!“
„Dann lass los!“
Lennart überlegte kurz. Sehr kurz.

Der Mann mit nur einem Schuh schlug die Tür zu. Das andere Ende des Schlauches hatte er an das Geländer der Treppe gebunden, auf der Lennart jetzt saß. Er hatte seinen Arm auf dem Schoß. Das Ellenbogengelenk war viel zu weit in die falsche Richtung geknickt. Er schluchzte auch wegen der Schmerzen.
Sein Retter legte sich Lennarts gesunden Arm um den Hals und schleppte sich mit ihm die Treppe hinauf. Als sie oben ankamen, rutschte der ausgelaugte Mann mit nur einem Schuh auf Händen und Knien weiter. Deshalb befand er sich auf Augenhöhe mit etwas, das ihn draußen erwartete, als er aus Honeckers Mund kroch. Die Zähne des wild knurrenden Schäferhundes gruben sich in seinen Hals.
Lennart packte den Hund. Das Tier ließ eine Sekunde von seinem Opfer ab, biss zu und riss Furchen bis zum Knochen in seinen gesunden Arm. Lennart taumelte zurück.
Der Hund ließ von ihm ab. Lennart sah ihm in die Augen. Er hielt dem Blick nicht stand. Der Mann mit nur einem Schuh lag auf dem Rücken. Er zappelte immer langsamer, wie ein elektronisches Spielzeug, dessen Batterie zu Neige ging. Der Hund begann, das Blut aufzulecken, das in dunklen Stößen aus dem Hals seiner Beute lief.
Lennart schlurfte davon, durch das Fabriktor zurück in den Wald.

Auf dem Weg weinte er um Marie. Ein paar Mal drehte er sich um, weil er einen Blick in seinem Rücken spürte. Einmal sah er in einiger Entfernung den Hund.
Ein kurzes Stück lief Lennart, aber er hatte kaum noch Kraft in den Beinen. Als er stolperte, fiel er auf seinen gebrochenen Arm. Zum Geräusch seines Aufschreis gesellte sich ein anderes. Er hörte Flügel schlagen.

„Marie?“
Da Sommer war, wurde es hell vor vier. Sie saß im ersten schwachen Licht des Tages an der Bushaltestelle. Ihr Kopf war gesenkt und die Haare hingen runter. Um ihre Füße hatte sich eine Blutpfütze gebildet. Der Anblick schockte Lennart nicht. Dafür war zu viel passiert. Aber das Glück, das er bei ihrem Anblick empfand. Es fühlte sich an, als könnte er wegen dieses Glücks das bisschen Verstand verlieren, das ihm die Nacht gelassen hatte.
„Marie!“
Weinend ging er auf sie zu. Aus seinem zerrissenen Arm tropfte eine Blutspur auf die Straße. Er setzte sich neben sie.
„Wie bist du rausgekommen?“
Sie sah zu ihm hoch. Strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Piercings waren fort und mit ihnen die Lippen. Es gab nichts mehr, das ihre wunderschönen Zähne vor seinem Blick verbarg. Die Einundvierzig wie ein Muttermal.

 

@Putrid Palace

Auch hätte mich interessiert, ob der ursprünglich dazu gedacht war den Retter zu eliminieren oder ob sich das so ergeben hat.

Letzteres. Komplett planlos an etwas ranzugehen, da verliere ich immer nach ein paar Seiten die Orientierung. Die grobe Richtung muss schon stehen, nur folge ich der dann nicht sklavisch. Als ich hiermit angefangen habe, gab es gar keinen Hund. Hat mich selbst überrascht, wie der da plötzlich aus dem Wald kommt.

 

Ho Proof,

die Geschichte habe ich schon 2x angefangen, wurde aber jede mal unterbrochen. An der Spannung lag es nicht, die ist sofort da und bannt bis zum Schluss.

Sein Augenlid zuckte vom Stress.
sehr gutes kleines Detail. mehr braucht es nicht (gut, dass die Familiengeschichte weggeblieben ist)
„Haben sie da Drogen?“
Marie nickte. „Alles.“
„Ich frage nur so.“
den letzten Teil könntest du ich streichen, sehe den Mehrwert außer der Länge nicht.,
„Auf jeden“, sagte Lennart. „War hart zuletzt.“
sehr gute Dialoge, authentisch. ich das hier:
Was war ihr Kram?“
„Schläuche.“
„Für den Garten?“
Marie schüttelte den Kopf. „Industrie. Und Feuerwehr, glaube ich. So dicke Dinger jedenfalls.“ Sie legte den Zeigefinger an die Lippen.
„Ich höre nichts“, sagte Lennart.
„Scht“, machte Marie.
da wird so viel zwischen den Szenen klar, davon eine Scheibe für die meisten bitte ;)
Das Tier zeigte sie, indem es stumm die Lefzen hochzog.
war mir nicht klar, dass es sich hier u die Zähne handelt, also hat mich kurt´z rausgeworfen
„Leuchte ihn nicht so direkt an“, flüsterte Marie.
„Hast du Pfefferspray?“, fragte Lennart.
„Zu Hause.“
„Super.“
„Du sollst ihn nicht direkt anleuchten!“
siehe Dialog-Lob. Wunderbar!
Als würden die beiden nächtlichen Wanderer ihn nerven mit ihrem hektischen Geflüster, ging der Hund weiter zur anderen Straßenseite.
erster holpernder Satz. bricht aus dem schönen Fluss
Bei einigen klebte der Dreck so dicht auf den Fenstern, dass man nicht hineinsehen konnte.
dicht ... naja, schon klar was du sagen willst, klingt aber nicht präzise genug
In manchen nisteten dem Geruch nach Tiere.
da stimmt was nicht
Sie hatten den Höhepunkt einer Steigung erreicht. Dahinter erhob sich, angestrahlt von zwei schwachen Scheinwerfern, das Fabrikgelände. Ein hoher Schornstein ragte in den Himmel.
Phallussymbol, dachte Lennart. Es musste ein Zeichen sein. Im Licht der aufgehenden Sonne würde er Marie flachlegen. Vielleicht wurde ja mehr daraus. Im Moment war er geil wie ein Bulle, aber das war nicht alles. Er mochte sie.
erstmal: sehr gut, wie du das Gelände plötzlich zeigst, dann die Hoffnung: Macht alles klar
Es war groß genug für Lkw zum Hindurchfahren.
da fehlt was
Jetzt, dachte Lennart. Aber Marie wandte sich schon wieder ab.
gut, dass du das immer wieder einstreust
Honecker würgte einen dünnen Mann mit dünnem Haar und nacktem Oberkörper hervor.
Lennart öffnete die Tür. Die Bässe trafen ihn in den Bauch wie Tritte. In seinem Magen blubberte das Gemisch aus Bier und Spinatpizza, mit dem sie den Abend begonnen hatten.
braucht es nicht, kommt alles ohne das wie
Lennart spürte, wie seine Blase unter dem Druck der Todesangst nachgab.
gnaaaa. bissl bemüht - und vor allem unnötig
Deshalb befand er sich auf Augenhöhe mit etwas, das ihn draußen erwartete, als er aus Honeckers Mund kroch. Die Zähne des wild knurrenden Schäferhundes gruben sich in seinen Hals.
Lennart packte den Hund.
habe kurz den überblick verloren und dachte, der Hund hätte lennart erwischt
Es gab nichts mehr, das ihre wunderschönen Zähne vor seinem Blick verbarg.
perfekter Schluss!

Sehr gerne gelesen. Warum das dürre Männchen hilft, verstehe ich nicht,aber hier muss auch nicht alles verstanden werden, es funktioniert auch so.

Dir einen prächtigen Start in das neue Jahr, mein Lieber!

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo @weltenläufer,


die Geschichte habe ich schon 2x angefangen

Da dachte ich erst oha.


Warum das dürre Männchen hilft, verstehe ich nicht, aber hier muss auch nicht alles verstanden werden, es funktioniert auch so.

Danke! Ist immer nett, das im Reigen der Leute zu lesen, denen zu wenig erklärt wird (was ich völlig okay finde, nicht falsch verstehen).

Ich würde umfassender antworten, aber das meiste ist ja Lob und das kommt dann immer ein bisschen … schulterklopfend daher. Ein Danke reicht, denke ich.

Die Verbesserungen muss ich die Woche mal checken, gleich geht’s in die Silvestervorbereitungen (saufen).


Dir auch 'ne töffte Feier! Wir sehen uns im Jenseits … von 2018.

JC

 

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