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Sie sehen mich anders an

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28.12.2009
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Sie sehen mich anders an

Wir sitzen auf der verrosteten Hollywoodschaukel hinterm Haus. Aus dem Küchenfenster zieht Zigarettenrauch. Onkel Harry raucht Kette. Ich höre ihn lachen. Er lacht oft.
Melissas Haare berühren mein Knie. Sie hat die Arme um ihre Beine geschlungen. Wir haben noch nicht viel gesprochen. Sie sagt, sie sei müde von der Fahrt und müsse sich ausruhen. Drei Stunden im Auto. Und dann die Hitze. Seit letztem Jahr ist sie nicht gewachsen. Immer noch einen Kopf kleiner als ich. Sie öffnet ein Auge und fragt: „Was ist mit den Feldern?“
„Standen unter Wasser.“
Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Auf der hellen Haut sieht sie aus wie ein Leberfleck.
„Bei uns haben wir ja keinen Fluss“, sagt sie.
„Dafür habt ihr Wald.“
„Sind die Jungs wieder da?“ Sie öffnet auch das andere Auge und zupft sich an der Nase.
„Welche Jungs?“
„Weißt du ganz genau.“
„Hab’n ja nix anderes zu tun.“
„Der eine war süß. Mit den blonden Haaren der.“
Ich nicke. „Ist aber in die Stadt gezogen.“
Sie seufzt.
„Gibt ja noch andere.“
„Ja.“ Melissa streicht über ihre rot lackierten Fingernägel. „Aber der war wirklich süß.“
Kühe stehen auf dem Feld gegenüber. Sie sehen uns aus feucht glänzenden Augen an. Meine Mutter öffnet die Tür zum Garten und hält sich mit beiden Händen am Treppengeländer fest. „Alles gut?“
Melissa dreht den Kopf zur Seite weg.
„Ja“, sage ich. „Und bei euch?“
Meine Mutter sieht Pappelsamen hinterher – gräuliche Flocken, die durch die Luft gleiten und hinter der Hecke verschwinden. Dann lächelt sie und sagt: „Gleich gibt’s Essen.“
Als sie geht, lässt sie die Tür offen. Leise Musik dringt aus dem Wohnzimmer.
„Echt immer noch?“, fragt Melissa und legt ihre Füße auf den Plastiktisch.
Ich sehe auf ihre Fußnägel, die auch rot lackiert sind, aber es ist ein anderes Rot, heller. „Nicht mehr so viel“, sage ich, ich spreche leise, und sie zupft wieder an ihrer Nase. „War sie deswegen nicht mal weg letztes Jahr, in irgend so einer Anstalt?“
„Nicht deswegen.“
„Weswegen dann?“
Ich sehe ihr Lächeln, während sie das fragt. „‘ne Kur, wegen ihren Nerven.“
Melissa schüttelt den Kopf und will noch etwas sagen, aber ich starre sie an, bis sie so tut, als würde die Sonne sie blenden.
„Ich hab‘ keinen Hunger“, sage ich nach einer Weile.
„Immer wenn wir hier sind, gibt‘s das Gleiche.“ Melissa hält ihre Augen geschlossen, während sie spricht.
„Ich mag Hühnchen“, sage ich. „Den Knorpel vom Bein zerbeiße ich als Erstes.“
„Ekelhaft.“ Sie steckt sich den Zeigefinger in den Mund und macht Kotzgeräusche. Dann öffnet sie ihre Augen und sieht mich an. „Aber du hast ja auch geschluckt.“
„Nein“, sage ich. „Hab‘ ich nicht.“
„Du hast geschluckt.“ Sie lehnt sich zurück, die Scharniere quietschen so laut, dass es mir in den Ohren wehtut.
„Woher willst du das wissen?“
„Hab’s gesehen“, sagt sie und schnalzt mit der Zunge. „An der Buhne habt ihr gelegen.“
Melissa. Einen Kopf kleiner als ich. Meine Mutter ruft durchs gekippte Fenster: „Kommt ihr jetzt?“
„Ja, ist gut“, sage ich und stehe von der Hollywoodschaukel auf. Erst an der Treppe drehe ich mich um. Melissa sitzt noch da, ein Fuß auf dem Tisch, die Hände auf ihren Schenkeln.

Drinnen ist es stickig und warm. Ich gehe durch den schmalen Flur ins Wohnzimmer. Es riecht nach gebratenem Fleisch. Vater lehnt am Fensterrahmen, die Gardinen sind zur Seite geschoben, dahinter die blassgrüne Hecke. Er nimmt eine Flasche Wein vom Sims und wendet sich an meine Mutter. „Brauchst du Hilfe?“, fragt er und schaut in den Flaschenhals.
„Mit dem Römer vielleicht, ja?“ Sie wischt sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und bleibt mitten im Raum stehen. Vater stellt den Wein auf den Tisch. Sie lässt ihre Hand an seiner Schulter herabgleiten und folgt ihm in die Küche. Das Tuch lässt sie auf der Couchlehne liegen.
Onkel Harry sitzt auf dem niedrigen Ledersessel vorm Fenster. Sein Gesicht spiegelt sich in der Scheibe. Auf der Lehne steht ein voller Aschenbecher. Ich rieche den kalten Rauch.
„Wo is’n Melissa?“
„Noch draußen.“
„Ja“, sagt er. „Die ist gerne draußen.“
Ich nicke, und er grinst und zündet sich eine Zigarette an. „Geht ihr noch an den Fluss?“
„Später vielleicht.“
„Bei uns haben wir doch keinen Fluss.“
„Ja, ich weiß.“
„Nur Wald.“
„Ich war schon mal bei euch …“
Er zieht an der Zigarette. Die Glut leuchtet auf. „Nächstes Mal seid ihr wieder dran.“
Ich schweige.
„Hast ja bestimmt auch von der Sache mit der Marion gehört … aber na ja, jetzt ist’s auch okay. Kommt wieder alles in Ordnung.“ Er leckt sich mit der Zungenspitze über die Lippen und schiebt die Zigarette in den Mundwinkel.

Später sitzen wir am Tisch in der Küche. Melissa sieht an mir vorbei aus dem Fenster. Auf ihrem Teller liegt ein Hähnchenflügel, von dem sie mit der Gabel das Fleisch abgezogen hat. Die faserigen Streifen sind so hell wie ihre Haut. Meine Mutter trinkt das zweite oder dritte Glas Wein. Onkel Harry zeigt auf den Römertopf, der in der Mitte des Tisches steht und sagt: „Bei Industriefleisch, da sin‘ Abszesse drin, die sehen die bei der Beschau meistens gar nich‘, das is‘ richtig tief drin in‘ Knochen, da suppt der Eiter nur so raus.“
„Ja“, sagt mein Vater. Er hört mit dem Kauen auf. „Hast ja auch mal beim Rasting gearbeitet …“
Meine Mutter schaut auf den letzten Schluck Wein und legt ihre Fingerspitzen auf den Rand des Glases. „Wie der Papa.“
„Aber der Papa war doch ganz woanders, der is‘ ja zuerst mitter‘ Èlektrozange an die ran, und dann … sssst“, er macht die Halsabschneidegeste und sieht zu mir herüber, „nach jedem Viech musste der sich mit `nem Schlauch ersma‘ das warme Blut vonner Schürze wegmachen.“
Ich öffne den Mund. Das Fleisch zwischen meinen Lippen ist warm und fettig. Der Knorpel ist weich. Ich löse ihn vom Knochen ab und schiebe ihn an der wulstigen Rückseite der Zähne vorbei in die Mitte des Gaumens. Melissa sieht mich an, und ich warte einen Moment und schlucke dann alles herunter. Sie legt ihre Gabel neben den Teller und sagt: „Ich habe keinen Hunger mehr.“

Vater und Onkel Harry sitzen im Wohnzimmer, trinken Dosenbier und hören alte Schallplatten. Meine Mutter hat sich auf der Couch hingelegt, Kissen auf der Brust, einen Arm über den Augen. Melissa und ich gehen in mein Zimmer und schließen die Tür hinter uns ab. Ich schiebe die Vorhänge zur Seite. Der Himmel verfärbt sich orange. Die Luft wird kühler. Melissa setzt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch.
„Soll ich dir die Nägel lackieren?“ Sie nimmt einen Bleistift aus dem Behälter und schlägt mit dem Ende gegen die Schublade.
„Welche Farben hast du?“
„Rot natürlich“, sagt sie und kratzt sich mit dem Bleistift hinterm Ohr. „Also willst du jetzt?“
„Ich weiß nicht …“
„Stell dich nicht so an.“ Sie atmet aus und legt den Stift auf die Unterlage. „Mir ist langweilig.“
„Fang mit dem kleinen Finger an, ja?“
Sie runzelt die Stirn. „Warum das?“
„Weil ich erst sehen will, ob’s überhaupt zu mir passt.“
Sie schiebt die Unterlage bis zum Rand der Tischplatte. „Hier ist das Licht besser.“
Ich setze mich auf die Bettkante, und sie nimmt meine Hände, betrachtet die Finger, tippt mit dem Stift gegen jeden einzelnen Nagel. „Du hast schöne Hände“, sagt sie und streichelt dabei über meine Handfläche. „Mochtest du den Blonden?“
„Welchen Blonden meinst du?“
Sie lässt meine Hände los und greift in ihre Tasche, die auf dem Schreibtisch steht. „Tu nich‘ so.“
„Ich weiß nich‘“, sage ich.
Melissa stellt die Nagellackfläschchen nebeneinander auf den Tisch. „Kannst dich nicht mehr erinnern?“ Da ist wieder ihr Lächeln.
„Klar kann ich mich erinnern.“ Ich beuge mich nach vorne und zeige auf eines der Fläschchen.
„Das?“, fragt sie. Ich nicke. Es ist ein dunkles Rot.
Sie nimmt das Fläschchen, schüttelt es und stellt es zurück auf die Unterlage.
„Was denkst du eigentlich von mir?“
Sie schraubt den Deckel ab und zuckt mit den Schultern.
„Gib mir einfach deine Hand.“
Meine Hand sieht schmutzig auf ihrem Schenkel aus. Die Musik im Wohnzimmer wird lauter.
„Rot mag ich auch am liebsten.“ Melissa schraubt das Fläschchen auf und taucht den Pinsel hinein. Dann spreizt sie meinen kleinen Finger ab und macht langsame Bewegungen. Der Lack wird zu einer glänzenden Fläche.
„Lass es trocknen“, sagt sie und schüttelt den Kopf. „Machen wir die ganze Hand?“
„Nein“, sage ich. „Der kleine Finger reicht erstmal.“
Sie schraubt das Fläschchen zu und stellt es zurück auf den Tisch. „Du bist komisch“, sagt sie und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.
„Was ist eigentlich mit deiner Mutter?“
„Ach“, macht sie, ich kann ihren Atem auf meinem Unterarm spüren. „Wohnt jetzt in der Stadt.“
„Wie lange schon?“
„‘n paar Monate glaub‘ ich.“
Ich folge ihrem Mittelscheitel mit meinen Fingerspitzen, berühre dabei die weiße Kopfhaut. „Wird alles wieder.“
„Die Mama kommt nicht mehr zurück.“
„Woher willst du das wissen?“
Sie zuckt mit den Schultern. „Ist doch egal.“
Wir sitzen schweigend da, hören das dumpfe Dröhnen der Musik, hören Onkel Harrys Lachen.
„Komm, gehen wir zum Fluss.“ Ich stehe auf und umfasse ihre Handgelenke. Sie ist schmal, so schmal, dass ich sie zerbrechen könnte.
„Aber ist schon spät, oder?“
„Kriegen die gar nicht mit“, sage ich und nicke Richtung Fenster. „Ich schließ‘ die Tür immer von innen ab.“

Vom Fluss her weht ein dumpfer, modriger Geruch herüber. Wir folgen dem Kiesweg, der bis zur Straße führt. In den meisten Wohnzimmern leuchtet das blaue Licht der Fernseher. Schatten bewegen sich über kahle Wände. Im letzten Haus der Gasse steht das Küchenfenster offen. Ein Radio läuft im Hintergrund. Ich nehme Melissas Hand, lege sie auf meine Hüfte, dann ziehe ich ihren Körper an mich heran. Ihre Brust ist noch ganz flach.
„Der Blonde“, sagt sie, ihre Stimme zittert, „was hat der mit dir gemacht?“
Ich vergrabe meine Nase in ihrem Haar und lasse meine Hand über den Po zwischen ihre Beine gleiten. Sie zuckt, und ich kann sehen, dass sie dabei lächelt. Diesmal ist es ein anderes Lächeln.
„Warte“, sagt sie, als ich die Hand wegnehmen will, dann stehen wir da, eng umschlungen, und ich kann ihre feuchte Hitze an meinen Fingern spüren. Das Scheppern der Motoren unten im Tal zerreißt die Stille, zerreißt den Moment. In fünf Minuten werden sie da sein, ich kenne den Platz, eine Lichtung an der Groov, dort treffen sie sich, dort treffen sie sich immer.
„Lass uns gehen“, sage ich schließlich und löse mich aus der Umarmung. Schritte im Kies, der Geruch ihrer Haare noch in meiner Nase, süß wie der ein kleinen Kinds.
Die Stufen hinunter sind schmal. Unten das Rauschen des Wassers, die Stimmen der alten Männer, die am Fluss spazieren gehen. Sie gehen jeden Abend den gleichen Weg. Über den Kanal zu den Schleusen und wieder zurück. Melissa bleibt hinter mir stehen. Ihre Haare wehen im Wind, streichen über meinen Nacken. Ich folge den Stimmen. Melissa folgt mir. Der Fluss stinkt hier nach Öl und Benzin. Ein Schlepper fährt unter der Brücke hindurch, und die Stimmen werden leiser, bis sie verschwunden sind. Auf der anderen Seite des Kanals liegt die Groov, eine lange, flache Wiese, die sich zum Ufer hin absenkt. Das Gras ist braun und platt getreten, an den Pflanzenkübeln aus Beton hängen Reste von Plastiktüten. Überall Glasscherben.
Ich bleibe in der Mitte der Brücke stehen und lehne mich über die Brüstung. Das Wasser hat einen Grünstich. Kälte steigt auf und legt sich über mein Gesicht. Als ich die Augen wieder öffne, steht Melissa neben mir. Sie hält sich an einem Metallstreben fest, den anderen Arm hat sie weit von sich gestreckt, ihre Hand baumelt im Nichts. Ich gehe ohne sie weiter und bleibe am Ende der Brücke stehen.
Die Jungs lehnen an den Kübeln. Ihre Mofas stehen hinter einer Reihe Silberpappeln. Das Mädchen sitzt auf einem verbeulten Helm und blickt auf den in der Dämmerung glitzernden Fluss hinunter. Sie hält den Kopf dabei ganz gerade, und das Haar fällt ihr weich über die Schultern. Es ist lang wie das von Melissa. Einer der Jungs drückt ihr ein Bier in die Hand. Ihre Finger umschließen den Flaschenhals. Sie nimmt einen tiefen Schluck. Die Jungs lachen.
Melissa berührt mich am Arm. „Der Blonde ist auch da.“
„Ja“, sage ich. Das Mädchen streicht ihm über die Haare. Ich suche ihre Augen, aber sie sieht nur in sein Gesicht. Ich glaube, es sind dunkle Augen.
Als wir wieder an der Brücke sind, höre ich den Aufprall. „Was war das?“, fragt Melissa und blickt zurück in die Dunkelheit.
Der Stein bleibt neben mir am Boden liegen. Er ist so groß wie meine Faust. „Nichts“, sage ich. „Geh einfach weiter.“
Ich hebe ihn auf und fahre mit den Fingern die scharfen Kanten nach. Dann lasse ich ihn ins Wasser fallen, und es gibt ein kurzes Gluckern, danach ist wieder Stille. Ich drehe mich nicht mehr um.

Im Zimmer ist es dunkel und ruhig. Ich sitze am Schreibtisch und kratze den Rest Nagellack von meinem kleinen Finger. Melissa schläft seit einer Stunde. Sie liegt da wie tot. Ich ziehe die Bettdecke zur Seite und lege meine Hand auf ihren Bauch. Auf und Ab, immer wieder diese Bewegung, und dann ihr Atmen, leise und ganz gleichmäßig.
Draußen brennt noch Licht. Der Schein fällt durch das Küchenfenster auf den Fußboden im Flur. Ich lehne die Zimmertür an und setze ein Fuß vor den anderen, rolle die Ferse auf dem Linoleum ab.
Der Himmel ist sternenlos. Mücken schwirren um die Glühbirne, die an einem Verlängerungskabel von der Regenrinne hängt. Ich sehe die Glut seiner Zigarette, dann das Gesicht im Halbschatten. Er sitzt auf der Hollywoodschaukel, die sich nicht bewegt, die stillsteht. Ich spüre das kurz geschnittene Gras unter meinen nackten Füßen. Er lächelt, als ich mich neben ihn setze. Der Plastiküberzug der Kissen drückt sich kalt gegen meinen Rücken.
„Bist ja auch noch wach.“ Er dreht seinen Kopf zur Seite und spuckt ins Gebüsch. „Geht ihr also morgen zum Fluss, ja?“
Ich atme den Rauch seiner Zigarette ein. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. „Denke schon“, flüstere ich.
„Das ist gut“, sagt er und lässt den Kopf langsam auf die Brust sinken. „Das ist sehr gut.“
Die Glühbirne gibt ein leises Summen von sich, und irgendwo draußen in der Dunkelheit bellt ein Hund.

 
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Hallo Peeperkorn,

habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut.

Die Streichungsvorschläge werde ich übernehmen, da liest du nochmal sehr genau, das ist sehr gut. Der Satz mit den Fliegen und der weißen Haut - du hast Recht, er klingt jetzt irgendwie anders, aber Novak hatte grammatikalisch auch Recht, das war falsch, jetzt bin ich verwirrt und weiß nicht, was ich tun soll. :D Das muss ich noch sacken lassen, wie und was ich da jetzt noch anders mache.

Der Satz mit dem Weinglas. Genau, es sollte so wirken, als ob sie nicht mehr mitzählt, auch das dies im Kontrast zur sonstigen Exaktheit, das ist dir aufgefallen, sehr schön, wie du das liest. Ich weiß, es wirkt etwas herausgehoben, ich bin mir da auch nicht sicher, wie ich es lösen soll. Ich denke drüber nach.

Die Szene, wo die Erzählerin Kontakt sucht, habe ich überarbeitet, ja. Auf mich wirkt sie jetzt auch stimmiger, das ist organischer, nicht mehr mit dieser Aggression. Ich muss mich in solchen Szenen, wie auch dem Ende, immer zurücknehmen, sonst droht es zu kippen, und dann ist es zu viel an Wirkung, zu viel auch an Effekt. Dann fällt alles in sich zusammen. Deswegen ist das wichtig, du hast diese kleine Veränderung bemerkt, aber im Ergebnis macht sie viel aus.

Das Ende. Ich bin damit auch noch nicht so zufrieden. Es ist jetzt besser als vorher, finde ich, weil es den Aspekt des Körperlichen reduziert, aber vielleicht hast du Recht und es könnte ein wenig mehr werden. Das ist ungemein schwierig für mich, da eine richtige Balance hinzubekommen, weil ich in der Vergangenheit immer ein wenig das Gefühl hatte, es ist zu viel, zu pathetisch, zu drüber. Du hast da einen guten Impuls gegeben, sich nochmal auf den Arsch zu setzen und richtig darüber nachzudenken. Hat auch etwas damit zu tun, wo ich mit als Autor hin entwickeln möchte; ich möchte nicht bei diesen effekt-beladenen Enden und Szenen stehen bleiben, das ist sonst ein one-trick pony.

Also, ich werde noch einige Male deinen Kommentar lesen und darüber nachdenken und mich am WE dran machen, den Text noch einmal zu modifzieren.

PS: Ach, weißt du, das mit den Empfehlungen ehrt mich wirklich, gerade wenn du das sagst. Mir ist es im Grunde wichtig, an den Texten zu arbeiten, ihnen auf den Grund zu gehen, eine Empfehlung bestätigt die harte Arbeit, aber der Weg ist das Ziel, oder? :)

Vielen Dank für deinen Kommentar und deine Zeit, Peeperkorn.
Manlio, und Anne49, ich habe euch nicht vergessen und melde mich alsbald ausführlich!

Gruss, Jimmy

 

Der Satz mit den Fliegen und der weißen Haut - du hast Recht, er klingt jetzt irgendwie anders, aber Novak hatte grammatikalisch auch Recht, das war falsch, jetzt bin ich verwirrt und weiß nicht, was ich tun soll. Das muss ich noch sacken lassen, wie und was ich da jetzt noch anders mache.
Da hab ich dir ja was eingebrockt. :D Da fühl ich mich natürlich animiert, einen Vorschlag beizusteuern.

So heißt der neue Satz:

Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel, und die Haut ist ganz hell dort, die Fliege sieht aus wie ein Leberfleck.
Was mich daran auch stört, sind das und und das dort.

So hieß der ursprüngliche Satz:

Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Ihre Haut ist ganz hell, die Fliege sieht darauf aus wie ein Leberfleck.

Du könntest es doch einfach so machen: statt "ihre" "die" schreiben, das "darauf" hab ich an eine andere Stelle gesetzt, warum, weiß ich auch grad nicht, ist wohl ziemlich wurscht. Klänge dann so: Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Die Haut ist ganz hell, die Fliege darauf sieht aus wie ein Leberfleck.

Was man aber auch noch machen könnte: Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Dessen Haut ist ganz hell, die Fliege (darauf) sieht (darauf) aus wie ein Leberfleck.

Gruß

 

Hallo jimmysalaryman, Novak,

beim Vorschläge sammeln, mache ich auch schnell mit:

"Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Auf der hellen Haut sieht sie aus wie ein Leberfleck."

Gruß

Geschichtenwerker

 

Ich auch!

"Eine Fliege setzt sich auf ihren Oberschenkel. Melissas Haut ist ganz hell dort, die Fliege sieht aus wie ein Leberfleck."

:)

 

Leute!:D

Sind paar gute dabei, auf jeden Fall. Ich zerdenke das nun, bis mir der Kopf platzt.

 

Hallo
ich habe jetzt mehrere Beiträge wegen offtopic gelöscht.
Jeder weitere Post, der sich nicht mit dem Text befasst, wird ab jetzt gelöscht.

 

Hallo Jimmy!

Die Milieu-Geschichte funktioniert sehr gut, weil sie voller Anspielungen negativer Mächte ist, nicht nur offensichtlicher, sondern auch nicht so leicht zu findende: Der Fluss, der die Felder überschwemmt. Das „Ausufernde“ hat hier wahrscheinlich auch noch eine symbolische Funktion.

Das Setting ist hier nicht Widerspiegelung des Charakters der Erzählerin, sondern eine prägende Macht. Das Ambiente dieser Milieu-Geschichte will ich mal aufteilen in kausal-determinierende Elemente, und in solche Elemente, die eher die finanzielle Situation im Umfeld zeigen.
Erstere halte ich in dieser Geschichte für wichtig und in ihrer Wirkung stärker, z. B. Kette rauchen, auf der Sofalehne vergessenes Geschirrtuch, leere Weinflaschen stehen rum.
Zweitere sind wesentlich schwächer in der Wirkung, z. B. Rostige Schaukel, Kühe auf den Feldern.

Den Anfang der Geschichte finde ich nicht so gelungen. Ein szenischer Einstieg, der wie aus einem größeren Text herausgerissen wirkt. Es ist zunächst nicht sicher, welches Geschlecht dort erzählt. Das kann zu falschen Vorstellungen führen. Ein späteres Umdenken ist immer unangenehm, hinterlässt ein seltsames Gefühl.
Ein weiteres Problem der ersten (12-13) Zeilen ist deren Belanglosigkeit (zum Zeitpunkt des Lesens). Ich bevorzuge Spannungsaufbau, Konfliktandeutung. Manch Anderer sagt, das sei trivial.
Und beide Standpunkte sind richtig!
Dennoch bleibe ich bei „Problem“, denn die ca. ersten 12 Zeilen bieten nichts, was die Wahrnehmungslust entfesselt. Das wäre für mich das Mindeste, was ein Einstieg leisten sollte. Er kann das mittels einer ausgefeilten, schönen Sprache; mit einem außergewöhnlichen Blickwinkel, einer neuen Beschreibung einer bekannten Sache; einer neuen Erkenntnis; einer gewagten Bahauptung; mit einer Konfliktandeutung oder Gefahr.
Ganz verallgemeinert möchte ich sagen, dass Wahrnehmungslust bzw. deren Aufbau überall dort von Anfang an unabdingbar ist, wo fortschreitende Zeit eine Rolle spielt: In der Musik und eben in der Epik.

Gut, dass sich die Belanglosigkeit bald wandelt. Die Erzählerin entpuppt sich als interessante Person. Und dass, obwohl ihr Charakter nur auf ein Aspekt ihrer Persönlichkeit beschränkt bleibt.
Es ist also eher ein flacher oder zentrischer Charakter. Passend dazu wird auf äußerliche Beschreibungen verzichtet.

Fazit:
Bis auf den Einstieg eine starke Kurzgeschichte im Stil des Roman-Noir. Also eine Geschichte, die in der vorliegenden Kürze nur selten so gut gelingt wie hier.

Lieben Gruß

Asterix

 

Anne49,

ich habe dich nicht vergessen!

Du bist ja nicht die Erste, die das so sagt, dass der Erzähler auch ein Mann sein könnte, der bi ist oder sonstwas. Ich kann da nichts zu sagen. Ich will den Erzähler einfach nicht früher eindeutig verorten, das würde dem Text auch das Geheimnis nehmen. Du liest es ja auch noch mal anders, wenn dich speziell diese Thematik interessiert.

Danke dir für deine Rückmeldung.
Asterix,

auch dir danke ich für deine Zeit. Noir finde ich an dem Text jetzt nix, um ehrlich zu sein. Ich habe viele Frauen gelesen, Amy Hempel und so, die wirklich noch um einiges radikaler sind in der Reduktion. Der Text ist vielleicht düster, aber er ist jetzt nicht sonderlich Noir, also um im Genre zu bleiben. Aber egal. Der Anfang. Du bist jetzt der Erste, der das anmerkt. Ich kann dir in soweit folgen, dass es sich um eine Szene handelt, in der scheinbar nicht viel passiert. Der Text arbeitet natürlich mit Spiegelungen, deswegen wollte ich den Fluss so früh wie möglich drinne haben. Und natürlich die Hollywoodschaukel - das ist aber ein privates Ding, weil ich da direkt ein Bild vor Augen habe. Ich weiß aber, was du meinst, und vielleicht muss ich hier, bei diesem Text damit leben. Ich denke drüber nach, was ich eventuell verändern kann, um den Einstieg noch besser und griffiger zu gestalten.

Ich habe den Text sowieso mal verändert und angepasst, nach den Komms von Peeperkorn und barnhelm. Auf mich wirkt er kompakter und stimmiger.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo jimmysalaryman,
zu Deinem Text ist schon viel von vielen Seiten gesagt worden. Dennoch möchte ich kurz meinen Eindruck schildern. Als atmosphärische Studie, die schnörkellos und konsequent puristisch daherkommt, hat mich der Text von Beginn an angezogen und weitergeführt, ohne dass es jetzt eine überbordende Handlung gäbe. Einfach durch die Lakonik der Sprache vielleicht, die im oft Fragmentarischen der brüchigen Szenerie entspricht und auch darin ein Pendant findet, dass die Bezüge geschickt offen gehalten, angedeutet und manchmal nur spinnfadendünn gespannt sind. Bis dahin, dass sich das Geschlecht der Erzählerin erst allmählich herausschält. Das erfordert schon einen aufmerksamen Leser, da bekommt man nichts so geradewegs serviert mit allen nötigen Infos. Und ist in der Zurücknahme dann eben umso intensiver. Also, so ist es mir beim Lesen des Textes gegangen. Details kann ich mir ersparen, weil da ja schon alles bearbeitet worden ist. Ein Text, der, ich wiederhole mich, eine tolle Entsprechung in Sprache und Inhalt aufweist und zurecht empfohlen wurde.
Herzlich
rieger

 

rieger

Hallo, rieger, ich danke dir für deinen Kommentar. Ja, ist viel gesagt worden zu dem Text, das ist wohl wahr. Ich lese in dem Text auch viel Atmo mit, mir ist das in Texten, die ich selbst lese, auch wichtig. Ich muss nicht immer alles verstehen, um es gut zu finden. Manche Texte von Tobias Wolff oder Amy Hempel hinterlassen bei mir auch Denkerfalten auf der Stirn, aber ich weiß, da ist ein Kern, um den es sich dreht, und der ist wichtig, der ist spürbar - ich muss nicht alles verstehen. Das ist auch so eine sehr deutsche Auffassung, immer ist alles "zu" - zu verrätselt, zu eso, zu karg, zu dies, zu das. Und dann enden wir im Mittelmaß. Na ja, ist nur meine Meinung, sorry, wenn ich abgeschweift bin.

Ich bedanke mich für deine Zeit.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jimmy,

die Geschichte habe ich erst jetzt gelesen. Guter Text.

In den meisten Wohnzimmern leuchtet das blaue Licht der Fernseher. Schatten bewegen sich über kahle Wände. Im letzten Haus der Gasse steht das Küchenfenster offen.
Du hast eine Menge Passagen drin, die sehr karg und beschreibend wirken. Ich musste mir kürzlich einen neuen DVBT-Receiver kaufen, damit ich die öffentlichen Programme empfangen kann. Bei jedem Film war die Blindenhilfe voreingestellt und ich habe Ewigkeiten gebraucht, bis ich herausgefunden habe, wie man das wegklickt. War auch ziemlich nervig, das Gequatsche. Andererseits, wenn ich mir vorstelle, ich wäre blind... Manche deiner Sätze erinnern mich daran. Hier ein Beispiel.

süß wie der ein kleinen Kinds.
eines

viele Grüße
Isegrims

Ah: und super Besprechung von "Dunkels Gesetz" in der "Zeit" :thumbsup:

 

„Aber der Papa war doch ganz woanders, der is‘ ja zuerst mitter‘ Èlektrozange an die ran, und dann … sssst“, er macht die Halsabschneidegeste und sieht zu mir herüber, „nach jedem Viech musste der sich mit `nem Schlauch ersma‘ das warme Blut vonner Schürze wegmachen.“

Ja abba hallöle,

jimmy,

und hömma,

allet schon jesacht,

dennoch Zeit, die letzten Flusen aufzuheben. Da kann ich als Nichtraucher keine Rücksicht drauf nehmen. Bin ja kein Missionar geSÜNDEren Lebens (um dann gesund zu krepieren). Aber zuvor die vielleicht naive Frage, warum zwischen gleichrangigen Sätzen trotz an sich hervorragend stellvertretender Konjunktion "und" grundsätzlich Komma gesetzt wird, wo doch schon kleinere Konstruktionen wie gleichrangige Wörter, Wortgruppen, Satzteile und Nebensätze vom Komma befreit sind.
Klar, das Komma soll einen oder beide Sätze betonen.
Was ja in Ordnung ist - jedenfalls für einen, der den ollen Kleist verehrt.
Aber jedesmal?

Hier ist m. E. am Schluss ein Komma vors Pronomen "der" zu setzen, weil es aus spiegelsymmetrischen Gründen vom Anfang des Satzes - an sich sein angestammter Platz wie im vorhergehenden Satz - ans Ende gesetzt wird

„Der eine war süß. Mit den blonden Haaren der.“
Klar, ein Gedankenstrich wäre sogar eindrucksvoller und erfüllte den gleichen Zweck wie ein triviales Komma

„Echt immer noch?“, fragt Melissa und legt ihre Füße auf den Plastiktisch.
Ich sehe auf ihre Fußnägel, die auch rot lackiert sind, ...
Auch das fällt mir auf, als trüge da der Autor Sorge, Melissa könnte andere Füße als die eigenen auf einen Tisch gelegt haben und das erzählende Ich die Fußnägel einer anderen Person als Melissa zuordnen - also ganz anderen Phantasien folgen, als das Publikum bis dahin vermutet ...

„‘ne Kur, wegen ihren Nerven.“
Nein, kein Mordvorwurf wider den Dativ. Is' halt Umjangssprache - und wir sind allet Mitwisser ...

Ich lehne die Zimmertür an und setze ein[' / alternativ: "einen"] Fuß vor den anderen, rolle die Ferse auf dem Linoleum ab.

Gern gelesen und nochma'n Staubsauger annestellt vonnet

Dante Friedchen

 

Ewunia,

das ist ja mal ein netter Kommentar!

Du sprichst mehrere Dinge an, die ich richtig und gut finde. Jeder Leser, und vor allem jeder Autor! (diese Schweine ...) nimmt einen fremden Text immer durch seinen eigenen Filter wahr. Das ist auch völlig normal. Ich bewerte einen Text auch danach, wie ich ihn geschrieben hätte - anders geht es erstmal auch nicht, und dann kann ich danach mit einbeziehen, wie der Autor was sagen und ausdrücken wollte. Das ist ein langer Prozess, so war es jedenfalls bei mir. Es ist auch nicht verkehrt, weil du auch lernst und festigst, was dir wichtig ist. Das legst du eben, als manifestes Wissen, auf andere Texte an, du errichtest dir einen eigenen Maßstab.

Hier ist alles im Vagen. Es ist veruneindeutigt. Kann, muss aber nicht. Ich mag das grundsätzlich an Texten, wenn sie nicht sofort greifbar sind, wenn sich ein Schleier über die Zeilen legt. Erotik sollte ja ganz grundsätzlich reduziert werden, weil es sehr schwer ist, gut erotisch zu schreiben. (Finde ich, mir gelingt es selten.)

Also ja, ein aufmunternder Kommentar zur dunklen Jahreszeit, vielen Dank dafür, ich bin heute milde gestimmt. :D

Gruss, Jimmy

 

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