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Shirley

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08.07.2003
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Shirley

Sie betritt das Klassenzimmer. Bringt einen Hauch von teurem Moschusduft mit. Ihre Farrah-Fawcett-Frisur wippt mit jedem Schritt mit. Umspielt das gleichmäßige Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den grünen Augen. Sie setzt anmutig einen Fuß vor den anderen, und die hochhackigen schwarzen Stiefeletten mit dem schmalen Absatz scheinen das in plumpen Lettern geschriebene Keine Straßenschuhe in den Klassenräumen-Schild in der Eingangshalle zu verspotten.
Sie setzt sich. Wirft die ausgefranste, reichlich mit Buttons und Sicherheitsnadeln versehene Schultasche zu Boden und schlägt die Beine übereinander.
Ihr Name ist Shirley. Shirley Freeman. Und sie ist so frei wie ihr Nachname. Shirley ist cool. Manchmal sieht man, wie sie mit Highspeed die Sherman Alley entlangbraust, vor der Schule vorfährt und mit ihrem Scooter einparkt. Meistens quer über zwei Parkplätze. An kälteren Tagen nimmt ihre Freund Josh sie im Auto mit und setzt sie direkt vor der Schule ab, bevor er zur Arbeit fährt.
Shirley ist attraktiv. Sie ist mittelgroß, vielleicht sogar eher klein, doch niemand würde glauben, dass ihr schlanker Körper gerade mal einhundertzweiundsechzig Zentimeter in die Luft ragt. Vielleicht liegt es an den Schuhen, die sie jeder Verbotstafel zum Trotz gerade trägt. Vielleicht liegt es auch an etwas anderem. An der Art, wie sie die Treppen hinaufsteigt, den Korridor hinabschlendert, sich auf den Sessel zurücksinken lässt. An einem unbestimmten Ausdruck in den sprühenden Smaragdaugen.
Shirley lehnt sich nun zurück und öffnet mit ihren French-Manicure-Fingern eine Dose Coke-Coke, nicht Diet Coke, selbstverständlich. Diet-Coke zu trinken wäre für sie ebenso schlimm wie mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin ein diätsüchtiger Hungerhaken“ herumzulaufen. Shirley ist kein diätsüchtiger Hungerhaken. An längeren Schultagen holt sie sich manchmal einen Cheeseburger vom nächsten Fastfoodladen, doppelt, mit Pommes und einer Extraportion Ketchup. Und dem obligatorischen Schokodonut als Dessert. Doch sowohl die Donuts als auch die Burger weigern sich, an ihrer Taille Spuren zu hinterlassen. Konstant bleibt die Digitalanzeige der Badezimmerwaage bei 49,2 kg stehen, wenn sie sich ausnahmsweise hinaufstellt. Denn Shirley kümmert sich nicht darum.
Ebensowenig, wie sie sich um die aufgeblasenen Lehrer kümmert, die mit gen Himmel gerichteter Nase in der Schule herumschwärmen. Denn Shirley könnte die Nase mindestens genauso hoch tragen. Wenn sie wollte. Sie tut es nicht. Sie begnügt sich damit, die mit geschichtlichen Jahreszahlen um sich werfenden Menschen lächelnd von ihrer Pole Position in der ersten Reihe zu betrachten und hin und wieder einmal den Blick von ihrer Zeitschrift zu heben, wenn einer dieser Menschen tatsächlich einmal über ein interessantes Thema redet.
Der Unterricht beginnt, und Shirleys Coke steht noch immer auf der Bank. Sie streckt sich unmerklich. Draußen geht gerade die Sonne auf. Der eisige Wind pfeift. Shirley friert nicht. Sie sitzt zurückgelehnt im Sessel und dreht an ihrem Ring, der sich kokett um ihren Finger rankt.
Es fängt an zu nieseln. In der Ferne heult ein Krankenwagen. Kommt näher, fährt fast direkt an der Schule vorbei und entfernt sich wieder. Martha, Shirleys Banknachbarin, seufzt gelangweilt. Eine der Deckenlampen beginnt zu flackern. Es ist die über Shirley.
„Du machst die arme Lampe ja ganz nervös, Shirley“. Brad hat sich lachend zu ihr umgedreht und mustert sie unmerklich. Shirley lächelt. Lächelt wie jemand, der das Leben rückhaltlos genießt, ohne sich um Schuhvorschriften und Diäten zu kümmern.
Die Lampe erlischt plötzlich. Mr. Cunningham hört für einen Moment auf, von inäqualer Zellfurchung zu sprechen und murmelt etwas von einer neuen Glühbirne, während er etwas in sein Notizbuch kritzelt. Der Zeiger schiebt sich leise tickend weiter. Der Unterricht wird fortgesetzt.
Shirley kritzelt ihr Buch an, bemalt die dicken grünen Buchstaben und sieht hin und wieder auf die Uhr. Endlich läutet die Schulglocke. Die Schüler schlurfen in den nächsten Saal, setzen sich beinahe apathisch und sehen gelangweilt auf ihre Armbanduhren.
Mrs. Barnes kommt pünktlich in den Saal getrippelt und beginnt den Unterricht. John MacKneaght massiert seine Schläfen, um nicht endgültig einzunicken. Jenny steht an der Tafel und rechnet. Martha seufzt noch einmal tief. Auf dem kahlen Ast vor dem Fenster landet ein kleiner Vogel.
Die Tür wird aufgerissen. Mrs. Melroy steht im Zimmer. Was sie wolle, fragt Mrs. Barnes höflich. Shirley. Shirley Freeman. Die Direktorin höchstpersönlich kommt, um Shirley zu holen.
Getuschel erhebt sich und ebbt wieder ab, als Shirley und Mrs. Melroy den Raum verlassen haben und Mrs. Barnes ungeduldig auf den Tisch klopft.
Shirley folgt der Direktorin in ihr Büro, verwundert, aber nicht ängstlich. Sie hat ja nichts angestellt. Oder war es vielleicht doch verboten, auf Schulgelände Zigarillos zu rauchen? In diesem Moment fällt ihr auf, dass sie ihre Stiefeletten noch anhat. Doch Mrs. Melroy sagt nichts dazu.
Sie betritt ihr Büro und hält Shirley den Hörer hin. „Deine Mutter“, sagt sie tonlos.
Ein Ausdruck der Überraschung huscht über Shirleys hübsches Gesicht, und sie streicht ihre Haare zurück, um den Hörer ans Ohr zu pressen. Die ansonsten so kühle Stimme der Geschäftsfrau am anderen Ende der Leitung klingt merktwürdig dünn.
Im zweiten Stock hat Mrs. Barnes soeben unter tadelnden Worten die Arbeiten zurückgegeben.
Die Tür geht auf. Shirley betritt den Raum. Ihre Gesichtszüge sind starr. Wie in Trance blickt sie die Wand an. In Zeitlupe lässt sie den Türgriff sinken. Ihr Kopf ist leer bis auf ein paar Worte, die wie Windhexen in einer Wildwest-Geisterstadt durchziehen.
Der Rettungswagen...St. John- Krankenhaus....Notaufnahme...Autounfall...bewusstlos...schwer verletzt....
Der Wasserhahn tropft. Vor Shirleys Augen beginnt sich das Zimmer zu drehen. Plink. Plink.
Die herabfallenden Wassertropfen scheinen sich rot zu verfärben.
Unfall....sehr schwer verletzt...Blut...viel Blut......
Shirleys Schrei durchbricht das angespannte Schweigen in der Klasse. Es ist neun Uhr sieben. Der Wasserhahn tropft weiter. Plink. Plink. Plötzlich bleibt die Wanduhr stehen.
Shirley zittert. Sie bedeckt iht Gesicht mit den perfekt manikürten Händen.
In dem Moment hört eine Meile entfernt in der Notaufnahme des St. John-Krankenhauses Mr. Freemans Herz auf, zu schlagen. Shirley schluchzt. Eine Träne läuft über ihre Wange und hinterlässt eine schwarze Eyelinerspur.

 

Ich weiß nicht wieso, aber das Ganze erinnert mich wahnsinnig an eine Reihe amerikanischer Teenie-Bücher, die sich "Sweet Valley High" nennt. Schon mal was davon gehört? Ich habe das bei meiner amerikanischen Freundin im Bücherregal stehen sehen, die ist ganz versessen darauf.
Ich für meinen Teil habe schon einiges zu kritisieren an deiner Geschichte. Sie ist nicht schlecht geschrieben, deine Darstellung ist plastisch und nicht langatmig, man kann sich die Szene gut vorstellen.
Was nervt, ist die Protagonistin. Ich weiß ja nicht, ob du schon einmal fanfiction gelesen oder geschrieben hast, aber da gibt es z.B. eine Richtlinie, die nennt sich "Mary-Sue", die man absolut vermeiden sollte, wenn irgend möglich. Mary-Sue ist eine Protagonistin, die so wahnsinnig perfekt und edel oder was weiß ich was ist, dass niemand sie aushält und man zum Schluss das Buch, bzw. den PC an die Wand pfeffern will.
Bei deinem Fall klingt das so, als würde der allwissende Erzähler dieser Protagonistin am liebsten die Füße küssen. Sie selber ist anstrengend. Zum Schluss hat man kein Mitleid, sondern ist bloß irritiert und wünscht sich, ihr perfekter Nagel würde abbrechen oder ähnliches.
Die Ansätze sind okay, du solltest nur an diesem Mary-Sue Syndrom arbeiten (das männliche Gegenstück dazu heißt Gary-Stu).
Liebe Grüße,
elanor_magdalena

 
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Sweet Valley High? Nie gehört, sorry....die Protagonistin sollte übrigens keine Tusse darstellen, sondern einfach ein selbstbewusstes, etwas exzentrisches Mädel, sie ist nicht dumm oder oberflächlich, sondern einfach extrovertiert und selbstbewusst, was volle Absicht war. Der Punkt der Geschichte ist ja, dass auch Menschen, die scheinbar alles Glück der Welt haben, hübsch und intelligent sind, das Schicksal nicht beeinflussen können und dass es graue Mäuse genauso treffen kann wie erfolgreiche Diven.
Die "Mary-Sue"-Richtlinie, davon habe ich schon gehört,aber ich wollte die Protagonistin keinesfalls überperfekt erscheinen lassen. Außerdem: Nur weil ein Mädel geschminkt herumläuft und selbstbewusst ist, ist sie deshalb noch lange keine selbstverliebte Zicke.

 

Hallo Capella!

Eigentlich gut geschrieben und dennoch möchte ich mich elanor anschließen. Die Prot nervt irgendwie durch ihre Perfektheit. Hübsch, intelligent, slebstbewusst...und noch nicht mal Zicke, wenn auch arrogant genug, scih über Regeln hinwegzusetzen, die für alle anderen ganz natürlich gelten. Sie hat eine Sonderstellung und sie weiß es. Vielleicht hat man damit einfach als normal durchschnittlicher Mensch ein Problem.
Was Du dann versucht hast, durch den Unfall, die Veränderung bei ihr, auch den Leser mitzunehmen, hat bei mir nicht gelungen. Dadurch, dass ich mich nicht in die Prot hineinversetzen kann, und mich ihre Situation somit kalt lässt.

eins noch: "Amrbanduhren" - Armbanduhren. ;)

schöne Grüße
Anne

 

danke, den Tippfehler werde ich gleich ausbessern :)
Komisch, mit allzu selbstbewussten Leuten haben die meisten offenbar ein Problem-aber Fakt ist, dass es auch solche gibt, aber mit denen haben die wenigsten wirklich Mitgefühl, wenn ihnen auch mal was Schlimmes passiert, obwohl sie das sicher genauso mitnehmen würde wie jeden anderen---hab ich selbst oft genug bei anderen beobachtet, deshalb ist mir auch die Geschichte eingefallen....

 

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