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Thema des Monats Seine letzte Chance

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13.04.2015
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Seine letzte Chance

Montag​

Jenny fand auf Anhieb eine Parklücke vor dem Amtsgericht Berlin Mitte. Im Gehen streifte sie zärtlich über den metallicgrünen Lack ihres Smarts. „Tschüss Hugo, lass Dich nicht erwischen!“ Der Lärm des Autoverkehrs wehte von der achtspurigen Bundesstraße herüber und trieb sie voran. Sie schlüpfte durch die hohe Eingangstür in die große Halle mit ihren geschwungenen Treppen und reich verzierten Balustraden an den weißen Emporen. Wohin? In welchem Raum wurde der Prozess geführt? Sie überflog den Aushang mit den Terminen im November. Wegen der Attentate von Paris hatte sie das Wochenende in der Redaktion gearbeitet. Aber gestern Abend hatte ihr Ressortleiter gesagt: „Klar gehst du zu dieser Gerichtsverhandlung, mit dem Bankautomaten-Hacker, wie in der Redaktionskonferenz beschlossen.“ Abgesehen davon, den Nachrichtenstrom über die Terrormiliz zu ignorieren, wie sollte sie eine Story zu einem Computerfreak schreiben? Wo sie von Computern gerade eine Winzigkeit mehr, als den Einschalter verstand. Freilich, Zeit hatte sie, lange drei Tage waren für die Hauptverhandlung angesetzt.

Neben der Tür mit der Nummer 233 leuchtete ein Schild - ,Öffentliche Sitzung‘. Behutsam drückte sie die Klinke herunter und schob langsam die Tür auf. Am Kopfende saß erhöht die Richterin in schwarzer Robe und weißer Bluse. An der gegenüberliegenden Seite des Saales ältere Damen und Herren in halb gefüllten Stuhlreihen. Die Senioren starrten sie an.
„Wer ist Sie?“, fragte die Richterin in den Raum hinein. Ihr ernster Blick stand im Kontrast zu ihren Sommersprossen und den naturblonden Haaren.
„Ich ..., ich bin Jennifer Langenbeck, Reporterin, im Ressort Vermischtes ...“, sagte Jenny. Sie fühlte sich in die Schulzeit zurückversetzt.
Die Richterin winkte ab und zeigte auf die Reihen der Zuhörer.
Jenny schloss leise die Tür und setzte sich in die Mitte der ersten Reihe. Auf der linken Seite saß der Angeklagte, den sie vom Foto der Vorrecherche kannte. Ein Endvierziger, etwas rundlich, mit einer Brille, die Haare etwas dünner. Eine dunkelgraue Fleecejacke, darunter ein Hemd in kräftigem Blau und eine Krawatte. Musste ein Computer-Nerd nicht jünger und pickliger sein, mit einer Kapuze über dem Kopf? Die Frau auf der rechten Seite war sicherlich die Staatsanwältin. Als Jennys Augen zum Angeklagten zurückkehrten, stutzte sie über seine Körpersprache. Sie hätte erwartet, ihn mit gesenktem Kopf schuldbewusst dasitzen zu sehen. Oder vielleicht hochmütig die Nase in die Luft gehoben, wessen er denn überhaupt angeklagt sei? Aber er schaute eher stolz und zufrieden in die Runde. Als Einziger im Gerichtssaal erwiderte er ihren Blick.

„Ich brauche zuerst Ihre Personalien.“ Die Richterin wandte sich an den Angeklagten. „Sie heißen Bernd Schubert. Wie alt sind Sie?“
„Berndt wird mit ‚dt‘ geschrieben und ich werde 50“, sagte Berndt Schubert.
„Also sind Sie jetzt 49“, stellte die Richterin fest. „Was sind Sie von Beruf?“
„Ich habe hier in Berlin an der TU Informatik studiert und arbeite von da an als Softwareentwickler.“
Die Prozedur war Jenny vertraut. Sie notierte anschließend: Ist ledig. Wohnt in Charlottenburg. Nach zwanzig Jahren immer noch in der gleichen Firma?
Dann kam es zur Verlesung der Anklage. Berndt Schubert sollte den Bankautomaten manipuliert und einen größeren Geldbetrag gestohlen haben.
Die Richterin wandte sich an den Angeklagten. „Das war der Vorwurf. Dazu können Sie etwas sagen, müssen es aber nicht. Eine geständige Einlassung ist natürlich ein dicker Pluspunkt.“
Der Verteidiger stand auf. „Mein Mandant möchte zu diesem Zeitpunkt keine Aussage machen.“
Die Richterin nickte und blickte in ihren Laptop. „Wie vorgesehen setze ich die Verhandlung auf drei Tage an.“

Der erste Zeuge wurde aufgerufen. „Dette war an enem Dienstag. So um zwee rum. Icke wollte Auszüge und Moneten holen.“ Er zeigte auf Berndt Schubert „Der da stand ewich am Automaten. Dann hab ick so en schwarzes Fenster uff dem Bildschirm jesehen. Stand aba zu weit wech, um wat zu erkennen. Er hat dann rumjetippt und en dicket Bündel nach dem andren rausjeholt.“
„Können Sie den Beschuldigten eindeutig identifizieren?“, fragte die Richterin.
„Na klar, Frau Richterin, der hatte mir voll anjestarrt.“
„Wie hat er Sie angesehen? Als ob er etwas verheimlichen wollte?“
„Nee, jar nicht. Jenau umgekehrt. Der sah mir an, als ob ick mitmachen sollte.“
Jenny hatte die Zeugenaussage mitgeschrieben und notierte sich: Wofür braucht Schubert das Geld - eine kranke Mutter? Spielschulden? Für Prostituierte?
Ein Kriminalkommissar war der zweite Zeuge. Aufgrund der Anzeige hatte er das Ermittlungsverfahren eröffnet, das Video sichergestellt und Berndt Schubert vorgeladen. Der Beschuldigte hatte bereits in der ersten Vernehmung die Aussage verweigert. Der Kriminalkommissar hatte die Akte an die Staatsanwaltschaft übergeben.

Nach der Mittagspause wurden an dem langen Nachmittag drei Gutachten vorgetragen. Mit dem Prädikat ‚Sehr wahrscheinlich‘ stellte der Gerichtsgutachter zur Video-Überwachung fest, dass Berndt Schubert mehrfach Geldbündel aus dem Bankautomaten entnommen hatte. Die beiden IT-Sachverständigen machten dagegen eher einen unwissenden Eindruck auf Jenny. Im Geldautomaten protokolliert war eine Transaktion für das Girokonto von Berndt Schubert mit passendem Zeitstempel. Aber in der Buchung des Kontos standen nur fünfzig Euro im Soll und im Auszahlungsprotokoll des Automaten fehlte kein Geld. Der zweite Computer-Experte konnte jedoch nicht ausschließen, dass der IBM Host des Bankenverbundes manipuliert, oder das Beträge von anderen Konten abgebucht wurden. Hatte er es geschafft Nullen hinzuzufügen und mehr Geld abgehoben, als gebucht wurde?

Donnerstag​

Am zweiten Verhandlungstag waren nur noch drei Damen von der Rentner-Fraktion im Saal. Jenny setzte sich wieder auf denselben Platz, holte ihren Reporterblock hervor und spitzte die Ohren. Was diskutierten die Seniorinnen in der Reihe hinter ihr über den ‚ordentlichen Jungen‘ und die ‚schiefe Bahn‘?

Die beiden verhandlungsfreien Tage hatte sie genutzt, um Angriffe auf Geldautomaten und insbesondere auf deren Software zu recherchieren. Dennoch bekam sie keinen guten Draht zu dem Fall.
„Versuche persönlichen Kontakt herzustellen, das gibt der Story Farbe und Tiefe“, hatte der Ressortleiter gestern gesagt. Jenny bat Herrn Schubert in der ersten Pause um einen Interview-Termin. Er sagte sofort für den nächsten Tag zu und empfahl ihr das Altberliner Gasthaus ,Zur letzten Instanz‘. Warum willigte er so schnell ein und fragte nicht erst seinen Anwalt?

Nach der Pause wurde Berndt Schubert von der Richterin zu seinen Kenntnissen der Software von Bankautomaten befragt. Sie würden immer noch mit dem alten Betriebssystem Windows XP arbeiten. Microsoft veröffentlichte jeden zweiten Dienstag im Monat Sicherheits-Updates. Jenny blätterte im Kalender. Der Tatzeitpunkt war passend der zweite Dienstag im März. Dann sprach Berndt Schubert über die Switch-Konstruktion in Programmiersprachen. In dem Default-Block wurden Aktionen ausgeführt, wenn keine der vorherigen Bedingungen zutraf. Die Richterin ließ ein Flip-Chart bringen. Berndt Schubert zeichnete als Beispiel die Verzweigung der Abarbeitung einer Menü-Eingabe auf. Jenny versuchte, eine Lösung zu finden. Sie notierte: Default-Block = letzte Chance in der Switch-Konstruktion = Zugangscode?

Für die zweite Pause hatte sie sich mit ihrer Freundin Fliege auf einen Kaffee verabredet. Jenny erklärte ihr kurz, worum es bei der Verhandlung ging. Fliege sagte „Eine echt schräge Geschichte. Frei nach Lenin würde ich fragen, wem nützt es?“
Aus Jenny schoss es heraus: „Wollte er erwischt werden?“

Freitag​

Jenny fröstelte, jetzt wurde es wohl doch Winter. Bluse und Lederjacke waren einfach nicht mehr warm genug. Zum Glück war sie in der Alt-Berliner Kneipe angekommen. Ein molliger Mief von Menschen, Essensdüften und Alkoholdunst schlug ihr entgegen. Sie blickte sich in der Wirtschaft um und entdeckte Berndt Schubert hinten an der Wand, an einem Tisch sitzend, vor sich ein Bier. Sie fand, mit dem rotes Hemd und im Jackett sah er elegant aus. Zur Begrüßung stand er auf. Sein Händedruck war angenehm fest, ohne zu quetschen. Er wählte die ,einstweilige Verfügung‘. Eine solche Grillhaxe wurde am Nachbartisch begeistert von japanischen Touristen fotografiert. Sie bestellte ein Glas Riesling und einen Salat, sie brauchte keine Fleischberge.
Der kühle Weißwein schmeckte lecker nach Pfirsichen und Aprikosen. Sie holte den Notizblock aus der Tasche, löste das Gummiband und schlug eine neue Seite auf. „Was können Sie unseren Lesern zur Tat sagen? Sind Sie sich einer Schuld bewusst?“
Berndt Schubert schüttelte verneinend den Kopf. „Sie werden verstehen, darüber kann ich heute nicht reden. Nur noch soviel, ich bin unschuldig und werde alles aufklären.“
Jenny nickte und notierte die Antwort. Das hatte sie erwartet, aber Nachfragen lohnte immer. „Sind Sie wirklich mit Geldbündeln aus der Bank gekommen?“
„Ja, ja, eine größere Summe. Aber ich beantworte keine Fragen mehr zur Tat.“
„Welche Hobbys haben Sie und waren diese vielleicht hilfreich?“
„Ich spiele Tabletop ... mit so kleinen Fantasy Figuren ... seit meinem Studium.“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich habe einen grantigen Ork mitgenommen, der hat mit seiner Keule geholfen.“
„Okay, ich werde Sie nicht weiter zur Straftat befragen. Unsere Leserinnen interessiert vor allem Ihr Leben. Sind Sie gerade in einer Beziehung?“
„Nein, im Moment nicht“, antwortete er und spielte mit dem Griff des Bierkrugs.
„Wann hatten Sie die Letzte?“
„Ich muss sagen ... ist allerdings eine Weile her.“
„Aber, Sie stehen natürlich auf Frauen?“
„Ja, gewiss. Aber ...“, erwiderte er und runzelte die Stirn.
Jenny schaute von ihrem Notizbuch hoch und bohrte weiter: „Wann haben Sie denn zuletzt mit einer Frau ...“
„Was Sie alles wissen wollen. Ganz schön unverschämt. Ich frage Sie doch auch nicht, wie Sie es sich machen, oder?“
Jenny wich zurück. Zurückhaltender sagte sie: „Okay, das ging in der Tat zu weit. Entschuldigen Sie bitte.“ Sie nippte an dem Weißwein und sah, wie er sich über die Stirn wischte, sein Bier austrank und der Kellnerin den leeren Krug zeigte. Sie hakte einige Punkte von ihrer Liste ab und fragte weiter: „Wofür benötigen Sie so viel Geld?“
Berndt Schubert setzte die Miene eines grimmigen Orks auf. Betont grummelig sagte er: „Ich brauche kein Geld!“
Jenny schmunzelte und winkte ab. „Okay, dann frage ich anders herum. Wenn Sie jetzt zehn Millionen Euro bekämen, was würden Sie damit machen?“
„Na eben ... Arbeit kündigen, Haus kaufen und eine Familie gründen.“
„Zum Abschluss eine Frage zu Ihrer Zukunft. Sie werden bald fünfzig, ohne die schönen zehn Millionen Euro, was versprechen Sie sich noch vom Leben?“
Er hob den vollen Bierkrug hoch. „Zuerst einmal, ich bin der Berndt.“ Er sah aus, als wollte er Brüderschaft trinken. Sie streckte ihr Glas weit nach vorn und stieß behutsam an. „Freut mich, ich bin Jenny.“
Ein kurzer Schatten der Enttäuschung huschte über sein Gesicht. „Bei mir wird sich alles ändern. Mit dem Leben will ich nicht mehr länger warten.“
„In welcher Hinsicht denn?“
„Na siehst du doch. Ich sitze heute mit dir hier. Nicht wahr?“ Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd, dass angeknabbert werden wollte.

Freitag, eine Woche Später​

Am letzten Verhandlungstag waren deutlich mehr Besucher gekommen. Jenny erkannte die drei Damen wieder. Ihren Artikel hatte sie bereits vorgeschrieben. Freitags war um 18 Uhr Redaktionsschluss. Sie wollte Berndt um ein Foto vor dem Gerichtsgebäude bitten. Würde es diese ungereimte Story in die Wochenendausgabe schaffen? Sie hatte nicht viel Hoffnung.

Die Richterin fragte beide Seiten: „Noch Anträge?“ Anklage und Verteidigung schüttelten verneinend die Köpfe. „Herr Schubert, Sie haben das letzte Wort.“
Mit einem Blatt in der Hand stand Berndt auf und verlas eine Erklärung. „Ich war am 10. März zum Zeitpunkt des Sicherheits-Updates in der Bankfiliale in der Wilmersdorfer Straße. Es ist wahr, dass ich dort fünfzig Euro abgehoben habe. Die 20.000 Euro in mehreren Geldbündeln hatte ich jedoch selbst mitgebracht.“
Ein Raunen ging durch den Saal. Jenny sackten die Schultern nach unten. Wieso hatte Berndt das vorgetäuscht? Was sollte sie in ihrer Story schreiben? Die Verhandlung wurde für fünfzehn Minuten unterbrochen.

„Bitte erheben Sie sich. Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte wird freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Sie können sich wieder setzen.“
Die Richterin wandte sich an den Freigesprochenen. „Herr Schubert ich möchte, ganz im Allgemeinen, darauf hinweisen, wenn eine Straftat vorgetäuscht wird, dann ist das ein Vergehen und wird mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe verfolgt. Das hier ist kein Spiel.“

Dienstag, im Dezember​

Der Ressortleiter kam in die Morgenkonferenz mit einer ausgedruckten Polizeimeldung. „Sieh mal“, sagte er zu Jenny. „Ein Berndt S. ist in Charlottenburg überfallen worden, schwere Arm- und Kopfverletzungen, bestimmt dein Berndt. Geh hin, er liegt im Vivantes Klinikum, Landsberger Allee. Dann kriegst du die Story zusammen.“

„Zimmer 203? Hier rechts runter.“ Die Schwester am Stations-Empfang zeigte in den Flur. Jenny hatte eine Weile überlegt, was sie für Berndt mitbringen konnte. Sie hatte sich für den Klassiker, einen bunten Blumenstrauß, entschieden. Außerdem hatte sie eine kleine Überraschungsei-Figur von zu Hause mitgenommen. Dort hatte sie die längsgestreifte weiße Bluse angezogen, das Make-up aufgefrischt und die Haare frisiert. Der Krankenhausflur war in hellem Gelb gestrichen und roch nach Desinfektionsmitteln. Jenny klopfte leise an die Tür. In dem Zweibett-Zimmer war das vordere Bett zerwühlt, aber leer. In dem Bett am Fenster lag Berndt. Sie ging langsam zu ihm. Um den Kopf hatte er einen Verband und der linke Arm lag in Gips auf der Bettdecke. Berndt schlummerte wie ein unschuldiges Kind. Die rechte Seite des Gesichts war völlig zerschunden und angeschwollen. An der Augenbraue waren unter einem Pflaster Nähte zu erkennen. Trotz der vielen Verletzungen war sein Gesichtsausdruck selig entspannt. Ihr wurden die Beine schwach und sie setzte sich auf einen Stuhl am Tisch. Nach einigen Minuten stand sie auf, ging behutsam aus dem Zimmer und wieder zurück zur Schwesternstation. „Entschuldigung, haben Sie bitte eine Vase für mich?“, fragte sie die Krankenschwester und hob ihren Blumenstrauß hoch.

Mit einer Glasvase kehrte sie zurück. Am Waschbecken ließ sie Wasser ein und stellte die Blumen auf das Fensterbrett. Dann zog sie die Lederjacke aus. Berndt schnarchte leise. Sie schob den Stuhl neben das Bett und setzte sich. Der Infusionsständer war ihr vorhin gar nicht aufgefallen. Ein Schlauch führte zu seiner rechten Hand. Von diesen hohen schmalen Krankenhausliegen hätte sie Angst herunter zu fallen. Sie hörte ein paar Stimmen im Flur, die sich entfernten, und sehr weit weg das Quietschen der Straßenbahn. Sie gähnte und streckte die Beine aus. Der Blumenstrauß gab dem Krankenzimmer einen schönen bunten Tupfer. Da fiel ihr der Ork ein. Sie kramte den kleinen Kerl mit der Keule aus der Tasche und stellte ihn auf die Tischplatte. Jenny nahm die Figur zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie ließ den Ork sein rechtes Bein heben und einen Schritt machen. Er hob sein linkes Bein und machte einen zweiten Schritt. Drehend sah er sich im Zimmer um.
„Berndt schläft noch“, sagte der Ork mit leiser und tiefer Stimme.
„Ja, ja. Sei doch still“, flüsterte sie.
Der Ork stapfte auf dem Tisch herum. „Wer bist du denn?“
„Ich bin Jenny ... lieb, süß, durchgeknallt und eben anders.“
„Was machst du hier?“
„Ich warte bis Berndt aufwacht.“
„Sieh mal! Er blinzelt doch!“ Der Ork war bis zur Tischkante gestapft und schaute prüfend zum Bett hinüber.

Berndt schlug die Augen auf. Er starrte abwechselnd auf Jenny und den Ork. Dann lächelte er, um gleich darauf sein Gesicht vor Schmerzen zu verziehen. Mit einem Grinsen hob er den Kopf und stemmte sich im Bett hoch.
„Das ist die schönste Überraschung heute. Was macht ihr beide hier?“
„Na, wir besuchen Dich“, sagten Jenny und der Ork aus einem Munde.
Jenny stand auf, beugte sich über das Bett und küsste Berndt auf die Wange. „Wie geht es Dir?“
„Es tut nur weh, wenn ich lache“, scherzte er.
Jenny setzte sich wieder. „Was ist denn eigentlich passiert?“
Berndts Gesichtsausdruck wurde ernst. „Sie wollten von mir wissen, wie ich das Geld aus dem Automaten geholt habe. Sie haben ihre Fragen ziemlich unsanft gestellt.“ Ein ängstlicher Schatten der Erinnerung huschte über sein Gesicht. „Die zwanzig Tausend hatte ich noch fast komplett zu Hause. Die haben sie dann mitgenommen.“
Jenny schüttelte den Kopf. „Ist ja schrecklich. Wieso hast du das alles nur gemacht?“
Berndt grinste. „Von solchen Typen wollte ich natürlich keine Aufmerksamkeit. Aber dafür besuchst du mich jetzt hier. So gesehen ging mein Plan doch auf.“
Bevor Jenny wieder losfuhr, spazierten sie gemeinsam in die Cafeteria. Er schob mit Rechts den Infusionsständer. Sie hakte sich auf der anderen Seite am Gipsarm ein und passte sich seinem Gang an. Der Gipsverband fühlte sich angenehm warm und fest an. Jenny fand sich behütet, obgleich Berndt der Patient war.

Donnerstag, im Dezember​

Jenny war mit Fliege für den Weihnachtsmarkt verabredet. Sie wollten sich im Café Einstein in der Friedrichstraße treffen. Zuerst einen Cappuccino trinken und dann zum Gendarmenmarkt weiter. Sie entdeckte Fliege draußen sitzend. Es war ein unglaublich warmer Dezember in Berlin. Jenny winkte ihr zu. „Bist du bereits lange da?“ Sie drückten sich, ein Küsschen links und ein Küsschen rechts.
„Wie ist deine Bankräuber-Geschichte ausgegangen?“, fragte Fliege später.
„Ziemlich schrecklich. Sie haben meine Story nicht gedruckt, sondern von der Katharina was zum Online-Dating. Aber das ist mir ... so was von.“ Sie wedelte mit der Hand. „Gestern habe ich ihn im Krankenhaus besucht. Sie haben ihn übel verprügelt! Um herauszubekommen wie er das Geld aus dem Automaten bekommen hat.“ Ihr ganzer Körper schüttelte sich.
„Du warst bei ihm im Krankenhaus? Ihr wart doch auch schon mal Essen?“
„Er wurde freigesprochen, hatte die Geldbündel selbst mit in die Bank gebracht. Und weißt du, wozu er das alles gemacht hat?“
Fliege rutschte auf dem Stuhl hin und her. „Ich verstehe echt nur Bahnhof. Nun erzähl doch.“
„Ich glaube, er wollte 15 Minuten berühmt sein“, sagte Jenny.
„Ach, dieses Andy Warhol Nummer?“
Jenny nickte. „Ich finde, es hat funktioniert. Er hat gesagt, ich könnte ihn alles fragen. Ich wollte schon immer einen Roman schreiben.“
„Ah, wird sicherlich eine Romanze? Aber ich denke, er hat sich das ausgedacht, um Frauen zu beeindrucken.“ Fliege lachte. „Er scheint dein Herz längst erobert zu haben. Wann seht ihr euch wieder?“
Jenny lief rot an. „Morgen, dann kommt er aus dem Krankenhaus.“ Sie fügte entschuldigend hinzu: „Ich hole ihn mit meinem Smart ab.“

 

Hallo lakita,

Vielen Dank für das Lesen meiner Geschichte und Eure Kommentare. Ihr seid schon weiter mit dem Lesen der Stories, als ich es bin :)

Rätselrategeschichte
zuerst war die Idee mit dem switch-Statement und dem default-Zweig als "letzte Ausfahrt", dann kam der "Bankraub" dazu, dann die Gerichtsverhandlung und ich denke es ist es jetzt ein Krimi. Und die mag ich auch nicht, es gibt einfach zu oft Tatort. Wie auch immer, vielen Dank für die Rückmeldung. Für die Überarbeitung überlege ich mir genau, was ich in der story andeute, an falschen Fährten streue, zum Schluss auflöse und vor allem was ich nicht direkt sagen will.

Zeig mir jemanden, der kein Geld benötigt und möglichst viel davon. Du willst vermutlich etwas anderes damit mitteilen, aber aus meiner Sicht geht das schief.
Stimmt, das ist ins Schwarze getroffen.

Ich halte es für logisch, dass jemand, der ein Geldbündel mit in die Bank bringt, Gefahr läuft, zu Hause überfallen zu werden, weil er ja offensichtlich vermögend genug ist. Ich vermute, du wolltest das so nicht verstanden wissen. Übrigens einer der Gründe, weshalb ich Rätselratengeschichten nicht mag.
Genau, ich meine etwas anderes :aua:

Flüssige Story, gut geschrieben und enthält auch keine Längen. Insoweit Daumen hoch. Schreiben kannste.
:bounce:


Hallo maria.meerhaba,

Ich finde den Anfang abschreckend. Er ist wie ein Zeitungsbericht
Vielen Dank für Deinen Hinweis. Dass ich gerne Zeitungen lese, geht wohl nicht als Ausrede durch :Pfeif: Es muss geändert werden!

Wozu hat er das alles nur getan? - Tja, das frage ich mich jetzt auch.
Das habt ihr alle bemängelt. Und es gut, dass Du das auch noch einmal ausführlich kommentierst. Und auch die Blässe der Protagonisten. Ich kann das nachvollziehen. Mir bleibt nun nichts mehr zu tun, als nach der Challenge die Story zu überarbeiten.

einen richtigen Höhepunkt am Schluss erwartet und nicht ein weiteres Rätselt, das mich ärgert
Ich sehe dass als Kompliment. Du hattest mir einen richtigen Höhepunkt am Schluss zugetraut. Da der Glaube Berge versetzt hoffe ich dieses Ärgernis ausräumen zu können :)

lg
oheim

 

Liebe Leser, Liebe Kommentatoren Eva Luise Groh, The Incredible Holg, GoMusic, bernadette, weltenläufer, jobär, Isegrims, Hopper, Fliege, Sonnenschein5, lakita, maria.meerhaba,

vielen vielen Dank für die reichlichen und so ausführlichen Kommentare. Ich habe den Kurzkrimi grundsätzlich überarbeitet, ein neues Ende geschrieben, den Anfang poliert und die Protagonisten geschminkt. Nun hat der Ork sich noch mehr Platz verschafft und es ist eine süss-triefene ... ach, lest selbst :sealed:

merci
oheim

p.s. Vielen Dank dem Punkte-Spender :huldig:

 

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