Was ist neu

Sein Dorf

Mitglied
Beitritt
15.06.2016
Beiträge
121
Zuletzt bearbeitet:

Sein Dorf

Am Anfang waren es nur vereinzelte Meldungen aus entlegenen Landesteilen: Man habe Monster gesichtet. In der anbrechenden Abenddämmerung seien sie in Gruppen unterwegs. Immer öfter würden sich immer mehr von ihnen zusammenrotten.
Parmen konnte es nicht recht glauben. Alle Monster waren in der großen Schlacht Jahrzehnte vor seiner Zeit vernichtet worden. So hatte man es ihm als Kind erzählt.
Auf seinem Weg zum Feld querte er jeden Morgen das Dorf, in dessen Mitte das Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Monster errichtet war. Ausgemergelte Marmorfiguren wanden sich dort mit schmerzverzerrten Zügen unter dem krallenbewehrten Tritt eines granitenen Unholds. Lange hatte Parmen das düstere Bauwerk kaum beachtet, so gewöhnt an dessen Anblick, dass er es schon nicht mehr bewusst wahrnahm. Aber seit sich die Berichte häuften, konnte er nicht daran vorbeigehen, ohne kurz den Kopf zu senken, wohlig schaudernd und im dankbaren Gedenken an die Helden des Kampfes gegen die Ungeheuer.
Ihm begannen Dinge aufzufallen, denen er früher keine Bedeutung beigemessen hatte: ein vorbeihuschender Schatten gerade außerhalb seines Blickfeldes, ein seltsam gebogener Fingernagel an der Hand eines fahrenden Händlers, ein wildes Funkeln in den Augen eines Nachbarn. Er lachte dann jedesmal leise und schüttelte verlegen den Kopf.
Indes wuchs seine Besorgnis mit jedem weiteren Ausruf des Gemeindeboten. Nun wurden bereits Sichtungen am hellichten Tag gemeldet. Bis zur Hauptstadt seien die Unwesen vorgedrungen. Niemand wusste, woher sie kamen. Der Ortsvorsteher wiegelte ab. Das seien nicht die gleichen Monster wie vor der großen Schlacht. Es gehe keine Gefahr von ihnen aus. Trotzdem sah sich Parmen jetzt sorgfältig um, bevor er auf die Straße trat. Und wenn er pflügte oder jätete, behielt er den Waldrand im Auge.

Eines Abends, als er mit dem Rechen über der Schulter auf dem Weg nach Hause die Dorfmitte durchschritt, bemerkte er mit Entsetzen, dass jemand das Denkmal geschändet hatte. Einer der Opferfiguren war der Kopf abgeschlagen worden, einer anderen fehlten die Arme. Die Inschrift war mit blauer Farbe beschmiert und unkenntlich gemacht. Nun stand es fest. Die Monster waren auch in sein Dorf gekommen.
In dieser Nacht schlief er schlecht. Er schreckte immer wieder auf, weil ihm war, als hätte er Gebrüll gehört. Aber wenn er dann lauschte, blieb alles still.

Die Feldarbeit ging ihm schwer von der Hand am nächsten Tag. Und als es Zeit war, sich auf den Heimweg zu machen, da mied Parmen den Weg quer durchs Dorf, so zuwider war ihm schon der Anblick des beschädigten, farbverschmierten Monuments geworden. Er schlug den Weg zum Weiler ein, von dem aus ein schmaler Pfad ihn zu seinem Hof führen würde.
Kaum aber hatte er die ersten Häuser am Rand des Dorfes erreicht, erwartete ihn ein noch schauderhafteres Schauspiel. Vor den schäbigen Hütten, die zur Erntezeit den fremden Saisonarbeitern als Unterkunft dienen sollten, stand eine Schar von – Parmen zog scharf den Atem ein – zottelhaarigen, grobschlächtigen Gestalten. Sie stierten ihn mit blutunterlaufenen Augen aus grauen, schuppenbedeckten Fratzen an, während ihre Fäuste Holzleisten schwangen, die sie wohl von der Einfriedung des Geländes gerissen hatten. Ein paar von ihnen zerrten noch schwitzend am Rest des Lattenzauns, während die anderen bereits in eine Art von Tanz verfallen waren. Auf und ab hüpfend grölten sie lauthals immer und immer wieder: „Das Dorf gehört nur uns!“
Starr stand Parmen, sah dem Treiben voller Entsetzen zu und konnte sich doch lange nicht von dem Anblick losreißen. Erst als er bemerkte, dass eines der Ungeheuer am Rande der Menge verstummt war, nicht mehr mit den anderen tobte, stattdessen ihn unverwandt betrachtete, wurde er der Gefahr gewahr, in der er sich befand. Er sah dem Monster in die Augen. Seltsam vertraut kam es ihm vor, trotz des wilden Blicks, der gewaltigen Fangzähne und des zerzausten Haarschopfs. Als habe er das Gesicht bereits einmal gesehen. Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben vielleicht, dachte Parmen, wandte sich schaudernd ab und floh.

Er rannte, was seine Lungen hergaben, den schmalen Pfad entlang, stets in der Erwartung, schwere Tritte hinter sich zu hören und den heißen Atem eines Verfolgers im Nacken zu spüren. Schweratmend und schweißnass erreichte er die Tür seines Hauses, schloss sie hinter sich und begann mit bebenden Händen zu packen. Immer wieder glitt sein Blick zum Fenster, das auf die nun dämmrige Straße hinaussah. Er hatte bereits den Handkarren vollgeladen und schnürte gerade ein zusätzliches Bündel, als seine Befürchtungen sich bestätigten. Ein Monster wankte die Straße entlang, geradewegs auf seinen Hof zu. Parmen duckte sich, spähte vorsichtig über den Sims hinweg der Bedrohung entgegen. Noch im Halbdunkel erkannte er das Ungeheuer, das ihn am Dorfrand so aufmerksam gemustert hatte. Aber kurz vor der Pforte, die seinen Vorgarten von der Straße abschloss, bog es ab und steuerte auf das Nachbarhaus zu. Da wurde Parmen plötzlich klar, woher ihm das Gesicht so bekannt vorgekommen war. Es war sein Nachbar gewesen, der da mit den anderen Monstern getobt und gebrüllt hatte. Sein Nachbar Dord, mit dem er seit Jahr und Tag Haus an Haus lebte.
Noch zitternd von der Entdeckung packte Parmen den Griff des Handkarrens, schulterte sein Bündel und verließ das Haus durch die Hintertür. Er war noch nicht weit gekommen, hatte noch nicht einmal die Straße erreicht, als die Zweige der Hecke, die seinen Hof von Dords trennte, zu schwanken begannen und der Nachbar hervortrat, nicht mehr in monströser Gestalt, sondern fast schon wieder der einfache Handwerker, als den Parmen ihn kannte. Er unterdrückte den Wunsch, Reißaus zu nehmen und sah ihm mit weniger Furcht entgegen, denn war auch das Haar noch zersaust, das Gesicht ungesund blass – die Zähne waren wieder hinter den Lippen verborgen und die Hand, die sich ihm entgegenstreckte, trug keine Klauen mehr.
„Wohin des Weges um diese Stunde?“, fragte Dord.
„Fort“, antwortete Parmen knapp. „Es ist kein Bleiben mehr für mich hier.“
„Warum?“
Parmen zögerte. Zu frisch war die Erinnerung an die Fangzähne. Aber dann verdunkelte sich sein Blick und er stieß hervor: „Ich kann nicht an einem Ort leben, in dem Unholde wie du existieren.“
„Du bist hier geboren, Parmen“, sagte Dord sanft. „Du lebst hier seit Jahrzehnten. Wir waren nie fort. Du hast uns nur nie wirklich so gesehen, wie wir sind. Und –“ Nun schwang ein leichtes Grollen in seiner Stimme mit. „Du bist einer von uns.“
„Niemals.“ Parmen fasste den Griff des Handkarrens fester. Er schritt an Dord vorbei, der keine Anstalten machte, ihn aufzuhalten.

Erst am Dorfrand sah Parmen sich vorsichtig um. Niemand war ihm gefolgt. In der Nähe floss ein Bach, speiste einen kleinen Teich. Parmen trank sich satt. Hell schien der Mond, die Teichoberfläche glitzerte. Gedankenverloren betrachtete Parmen sein Spiegelbild darin, prüfte seine Züge auf Zeichen des Monströsen und fand nichts. „Du bist einer von uns“, hatte Dord gesagt. Parmen schüttelte zornig den Kopf. Er war ein Mensch und wollte es bleiben.
Doch dann dachte er an sein Feld, die frische Saat, seinen Hof, den er all die Jahre so gut instand gehalten hatte. Er sah auf die kärgliche Habe, die ihm geblieben war, und überlegte, wie lange dies ihm in der Fremde bleiben würde, sah sich schon als Knecht verdingen, ohne jede Aussicht auf ein eigenes Stück Land.
Er blickte auf das Dorf. Am anderen Ende, zum Weiler hin, erleuchtete ein Feuerschein die Nacht. Aber die anderen Häuser warteten friedlich im Mondschein auf ihn. Kein Laut war zu hören.
Da schulterte er sein Hab und Gut und machte sich auf den Weg zurück. Er betrat sein Haus, stellte den Handkarren ab, legte das Bündel beiseite, wusch sich die grauschuppige Haut, fuhr sich noch einmal mit den Klauen durch die zottelige Mähne, putzte die Fangzähne und legte sich schlafen.

 
Zuletzt bearbeitet:

„Waas mecht nu los sain inne Polletik?“,​

lautet „Herrn Kurbjuhns Frage“ in Günter Grass' „Vonne Endlichkait“ (Göttingen 2015, S. 172), worinnen Grass über die „Heimatvertrieben“ des Zwoten Dreißigjährigen Krieges (1914 – 1945) erzählt und auch trauert um die aussterbende(n) Sprache(n), die ja die eigentliche Heimat eines jeden Schreibenden, nicht nur der Dichter ist.

Was hat das,

liebe Ella,

mit Deinem - in meinen Augen - Meisterstück zu tun (Dein Gesellenstück hastu ja schon an anderer Stelle abgeliefert, was einem "Gelegentlichen" schon mal eine Zeit lang durchgehen kann)? Mehr als man zunächst glauben wird!

Die Welt ist ein Dorf, gleichwohl ist es „unsere“ Welt. Aber dieses Possessivpronomen hat nix mehr mit der Allmende, dem Gemeineigentum seligen Angedenkens, zu tun und die Welt ist geteilt in „mein“ und „dein“, "unser" und "euer", wir hier und die da (DORD, kann man auch sagen). Aber der Titel bezeichnet weder Besitz noch Eigentum des Protagonisten, sondern allein, dass es „sein(e)“ (Heimat-)Dorf sei, der Ort seiner Kindheit.

Der Protagonist trägt einen scheinbar fantastischen Namen: Parmen, der sich aber als real erweist in einem buchstäblichen Flecken (ein Altes Wort für „Ort“) in der Uckermark - in der Prärie, wie man hier im Ruhrpott so leichtfertig sagt, Brandenburgs.

Nicht auszuschließen, dass dort noch jede Geschichte wie die Lutherbibel beginnt, wenn Veränderung sich ankündigt

Am Anfang ...,
und sei es nur aus fernen Landen, dass Fremde gesehen wurden in monströser Zahl, die auch noch gut bei Fuß sind (das muss man schon sein, um von Königsberg oder Danzig bis Friedland oder 70 Jahre später von BudaPest bis an Baierns Grenze zu kommen).
Parmen konnte es nicht recht glauben. Alle Monster waren in der großen Schlacht Jahrzehnte vor seiner Zeit vernichtet worden. So hatte man es ihm als Kind erzählt.
Das werden also Erzählungen sein aus dem dunkelsten deutsch - Theodisca lingua war schon unterm großen Karl die amtliche Bezeichnung für die „Sprache des Volkes“, die dann in der Sprache des Volkes gekürzt wurde zum ahd. diutisc, abgeschliffen zum mhd. diut[(i)sch] – beides, ahd. und mhd. gelegentlich auch noch mit dem harten „t“ als Anfangsbuchstaben.
Auf seinem Weg zum Feld querte er jeden Morgen das Dorf, in dessen Mitte das Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Monster errichtet war. Ausgemergelte Marmorfiguren wanden sich dort mit schmerzverzerrten Zügen unter dem krallenbewehrten Tritt eines granitenen Unholds.
Da vermein ich, die rote Gefahr, die später gelb werden wird (worunter selbst das aufstrebende Japan in den 1960-ern fiel), zu erkennen. Hatte man nicht jüngst erst Stalin und Lenin vom Sockel geholt? Nunja, um den westlichen Laden "am Kacken" zu halten, galt es, den akademischen braunen Mob auch in Staatsdiensten wie der Juristerei weiterzubeschäftigen ... Der war also nie weg und ist immer noch keine vom Aussterben bedrohte Art (wie sollte er auch schon in einer Liste aufgezählt werden, deren Deckelfarbe sich der braunen Gesinnung eigentlich entgegenstellt?) Und selbst, wo das kackbraune nicht mehr so stinkt, herrscht immer noch Kadavergehorsam (wie gerade erst in der altehrwürdigen Judkative des 70-jährigen Nordrheinwestfalens unter rot-grün zu beobachten war.

Aber was mag ich darin sehen:

Ihm begannen Dinge aufzufallen, denen er früher keine Bedeutung beigemessen hatte: ein vorbeihuschender Schatten gerade außerhalb seines Blickfeldes, ein seltsam gebogener Fingernagel an der Hand eines fahrenden Händlers, …
Ja klar, der Schatten des Peter Schlemihl stellvertretend für Verschwörungstheorien ... Zion hat doch überall die Finger drin! Beherrscht die Welt. Und die klauen wie der Zigan kleine Kinder und unsere zum Trocknen draußen aufgehängte Wäsche. Man weiß es doch! Vor allem aber sind sie Meister der Brunnenvergiftung!

Bis zur Hauptstadt seien die Unwesen vorgedrungen.
Also eigentlich schon gleich nebenan ... Oder sind da Lobbyisten gemeint?

Da fällt mir noch ein Bonmot ein, dass die Osmanen dreimal vergeblich vor Wien waren und endlich, zu Anfang noch mit dem Makel des Gast- und gelegentlichen Fremdarbeiters versehen, erst das Ruhrgebiet und jetzt Berlin einnähmen.

Aber ich schweif ab!

Kommen wir zum Nachbarn, schau'n wir hin zu

. Hörte man einem Vorleser dieses Textes zu, wüsste man den Namen nicht vom Adverb dort zu unterscheiden, denn dieser „dort“ ist nicht nur „woanders“ - um es gemäßigter auszudrücken, eben „nicht hier“, wo ich, Parmen, gerade bin und er ist auch anders als ich. Sonst hätten wir ja nicht mehr alle Latten am Zaun!

Aber wie kommt man darauf, dass etwa nur ein rechtes Spektrum angesprochen wäre?

Fremdenfeindlichkeit findet sich überall, in allen Schichten der Gesellschaft. So arrangierten sich die Eliten mit Hitler, bis zuletzt. Da braucht man nicht rechts zu stehen, aber um Karriere zu machen musste man mitspielen, sich anpassen. Die Maxime formuliert sich in den Eliten nach dem Minimum- oder Maximumprinzip: Einen vorgegeben Erfolg mit geringsten Mitteln zu erzielen oder mit gegebenen Mitteln den größten Erfolg (Gewinn) – ein gelegentlich propagierte Minimax-Prinzip ist purer Unsinn. Und liegt es nicht in unserer Hand, dass nicht eines Tages der Anglergruß zum teutschen wird?, und ist die AfD nicht eine Gründung von bis dahin angesehenen Juristen, gar Professoren der Volkswirtschaft - was sich immer noch im aktuellen Programm niederschlägt, wenn neoliberale Werte hochgehalten werden und der Hartz IV Empfänger eben ein faules Stück ist, das selber schuld ist ... Dass ich immer so abschweifen muss ... wobei mir just einfällt, dass gute Literatur -selbst wenn sie an Ort und Zeit gebunden ist, eher zeitlos und an jedem Ort spielen könnte. Denn:

Ließe sich, wenn schon nicht die Uckermark, so doch das besprochen Schicksal nach Westafrika verlegen, wenn ein Kleinbauer seine Existenz verliert, weil unter den mit Europa abgeschlossenen Freihandelsabkommen subventioniertes Hähnchenfleisch seine kleine Hühnerzucht unrentabel macht, dass er sich auf den Weg in dieses para-diesige, aber von profitsüchtigen Monstern bewohnte Europa macht, das ihn in die Pleite getrieben hat und ein anderer Dord-selbst sich mit den Verhältnissen arrangiert und den europäischen Wohlstand mehrt? Denn ist es nicht seltsam, dass diese „Freihandels-“Abkommen ohne Öffentlichkeit akzeptiert wurden und nun CETA und TTIP bis zur Blendung angestrahlt werden?

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
der übrigens nur experimentiert und auch nie fertig wird. So lnge wir nicht fertig werden und schon gar nicht machen lassen, wissen wir, dass wir leben!

 

Hallo liebe Ella Fitz,

ist es nicht schön, wenn die Leser ins Diskutieren kommen? Was will man als Autor mehr? Und hier kriegt man sehr schnell Rückmeldung.
Für Zweifler, die den politischen Aspekt (noch) nicht erkennen können:
Es gibt durchaus deutliche Hinweise im Text, z. B. die Farbe Blau, mit der das Denkmal verunstaltet wird.

Liebe Ella, sag jetzt nicht, das sei reiner Zufall! So wie ich dich einschätze, überlegst du dir jedes Wort genau, ganz bestimmt jedoch die Farbsymbolik!

Das ambivalente Ende deiner Geschichte ist für mich durchaus nachvollziehbar. Schließlich hast du ja kein Märchen geschrieben, wo am Ende todsicher alles gut ist. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Gruß
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Ella Fitz,

und ein nachträgliches Willkommen von mir. Ist zwar schon paar Tage her, aber ist ja auch unsere erste Begegnung hier.

Wurde schon viel gesagt und auch diskutiert, daher mein Eindruck und mein Textverständnis zum bunten Blumenstrauß dazu. Ich fands geil! Ich war ziemlich schnell auf dem Zug der Doppeldeutigkeit. Monster vor Jahren vernichtet, Denkmal, sie kommen wieder ... all das im Hinterkopf und an der Stelle war ich dann sicher drauf:

Ihm begannen Dinge aufzufallen, denen er früher keine Bedeutung beigemessen hatte: ein vorbeihuschender Schatten gerade außerhalb seines Blickfeldes, ein seltsam gebogener Fingernagel an der Hand eines fahrenden Händlers, ein wildes Funkeln in den Augen eines Nachbarn. Er lachte dann jedesmal leise und schüttelte verlegen den Kopf.
Indes wuchs seine Besorgnis mit jedem weiteren Ausruf des Gemeindeboten.

Und dann habe ich das eben eher aus diesem Blick gelesen. Und bis zum Ende dachte ich, ist gut gemacht, bisschen grobmaschig, aber gut. Sehr allgemein, sehr nüchtern auch irgendwie vorgetragen. Ich weiß auf Anhieb aber auch gar nicht, wie man da jetzt wirklich mehr aus dem Text holen wollte, solange er als Analogie angelegt ist. Irgendwann geht einem da der Spielraum aus, denke ich. Und dann kam das Ende. Und ich muss sagen, es hat der Geschichte für mich noch einem einen ziemlich Push gegeben. Wäre er einfach mit seinem Karren auf und davon, wäre es eine hübsche Analogie geblieben, da Du aus Parmen aber selbst ein Monster werden lässt, gibt das dem Ganzen einen ziemlichen Schups. Er fürchtet sich ja eigentlich vor ihnen, er findet es ja nicht gut was sie tun und doch ist er am Ende selbst eines. Warum?

Parmen will seinen Lebensstandard nicht aufgeben. Das traf damals sicher auf jede Menge Menschen zu. Gepaart mit der Angst: bevor sie mich holen, werde ich einer von ihnen, gibt das ein gutes Motiv ab. Und es ist ja auch die Angst vor "Verlusten", mit denen entsprechende Parteien in den Wahlkampf ziehen. Beängstigend wirkungsvoll dazu. Allerdings kommt es mir ein bisschen sehr wie Kasper aus der Kiste. Ich denke, da sind im Vorfeld die Weichen nicht so ganz auf Kurs. Da ist er mir noch zu sehr Anti, um eine solche Kehrtwendung hinzulegen. Zur "Verwandlung" hätte ich gern statt ein paar Zeilen einen ganzen Absatz, vielleicht auch ein paar Tage, statt eines Momentes oder eben eine Schwächung im Vorfeld. Oder beides :). Ich finde das Ende stringent, ich finde es gut gewählt, aber eben zu flott.

Wenn der Leser aus dem Text gehen würde mit der Frage im Kopf, wie viel Monster steckt in mir selbst, was hätte ich im Jahr 1933 getan, moralisch gesehen wissen wir es heute, weil wir die Geschichte kennen, aber damals? Und wie viel bin ich wirklich bereit den Monstern entgegenzusetzen, wenn sie nicht mehr in Unterzahl sind? Was, wenn sie mich und meine Existenz bedrohen, weil ich mich gegen sie stelle? Wenn man mit diesen Fragen aus dem Text geht, dann würde er in meinen Augen wirklich viel leisten. Und für mich ist er auf einen guten Weg dahin.

So, nun haste noch eine Meinung auf dem Gabentisch :D.

Beste Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ella Fitz

Ein anregender Text, wie die Diskussion beweist. Mir gefällt die Gleichnis-Ebene gut, die ist auf eine gewisse Art sehr trocken und unspektakulär realisiert. Dass der Grund für das Wiederkommen der Monster nicht erklärt wird, damit kann ich leben, ich gehe davon aus, dass du keine entsprechende Rekonstruktion im Sinn hattest. Ich kann auch damit leben, dass die konkrete Gefahr, die von den Monstern ausgeht, nicht thematisiert wird, es sind Monster, die werden schon nicht nett sein, nehme ich an. Aber du hast diesen Twist in der Geschichte und der ist mir zu wenig hergeleitet, zu dünn begründet, wenn es denn um die Wiederkehr (rechts-)radikalen Denkens gehen soll.

Zunächst ein wenig Textkram:

In der anbrechenden Abenddämmerung seien sie in Gruppen unterwegs.

Das ist eine gar kurze Zeitspanne. Ich würde „anbrechend“ streichen.

Auf seinem Weg zum Feld querte er jeden Morgen das Dorf, in dessen Mitte das Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der Monster errichtet war.

Vielleicht zumindest: „das Denkmal, das an die Opfer der Monster erinnerte.“ Da hättest du eines der Substantive weg.

wohlig schaudernd und im dankbaren Gedenken an die Helden des Kampfes gegen die Ungeheuer.

Geht ebenfalls in Richtung Nominalstil. Ich denke, das ist eine latente Gefahr, der dein ansonsten sicherer Stil ausgesetzt ist.
Auch habe ich nicht verstanden, weshalb er „wohlig“ schaudert, wenn er doch soeben mitbekommen hat, dass die Monster wiederkommen. Okay, er glaubt die Berichte „nicht so ganz“. Aber etwas sorgen wird er sich schon, oder?

Ihm begannen Dinge aufzufallen, denen er früher keine Bedeutung beigemessen hatte: ein vorbeihuschender Schatten gerade außerhalb seines Blickfeldes

Wie kann jemandem ein Schatten auffallen, der ausserhalb seines Blickfeldes liegt?

„Das Dorf gehört nur uns!“

Das „nur“ stört mich gewaltig. Das ist doch eine Differenzierung der Autorin, die einen Hinweis darauf geben soll, worum es geht. „Das Dorf gehört uns“ würden die Monster sagen, nicht?

„Wohin des Weges um diese Stunde?“, fragte Dord.
„Fort“, antwortete Parmen knapp. „Es ist kein Bleiben mehr für mich hier.“

Das konnte ich nicht einordnen. Weshalb sprechen die so antiquiert? Sollte die Geschichte nicht Gegenwartsbezug haben? Habe ich was verpasst?

„Niemals.“ Parmen fasste den Griff des Handkarrens fester. Er schritt an Dord vorbei, der keine Anstalten machte, ihn aufzuhalten. //
Doch dann dachte er an sein Feld, die frische Saat, seinen Hof, den er all die Jahre so gut instand gehalten hatte. Er sah auf die kärgliche Habe, die ihm geblieben war, und überlegte, wie lange dies ihm in der Fremde bleiben würde, sah sich schon als Knecht verdingen, ohne jede Aussicht auf ein eigenes Stück Land. […]

Das ist mir zu eindimensional. Da gibt es so viele Studien zum autoritären Charakter, zur Banalität des Bösen etc. Und dann ist es die „kärgliche Habe“, die den Prot zum Monster werden lässt? Ich erwarte in einem literarischen Text keine multifaktorielle Analyse, aber das ist mir – wenn ich den Text auf einer zweiten Ebene lesen soll – zu einfach und ist letztlich der Grund, weshalb ich mit der Geschichte nicht richtig warm geworden bin. Und nein, ich finde nicht, dass du den Parmin "ziehen lassen solltest". Aber die Gründe, weshalb er Monster wird, Monster ist, schon immer eines gewesen ist, die müssten stärker entfaltet werden. Oder - extreme Lösung - du lässt auch den Hinweis auf das Hab und Gut weg, machst das diffuser, das wäre dann vielleicht auch wieder spannend.

Ein guter Text, der mich zu weiten Teilen angesprochen hat, den ich gerne gelesen habe, der mich aber letztendlich nicht ganz überzeugen konnte.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Ella Fitz,

mir hat die Geschichte gleich gefallen. Die archaische Szenerie und die dazu passende Sprache, das hab ich gerne mitgemacht. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Monstergestalt mal sichtbar ist, dann aber wieder nicht, ist für mich vielleicht der heimliche Höhepunkt des Ganzen. Das gibt dem Text das Tüpfelchen, dass ihn zu etwas Besonderem macht.
Die Uneindeutigkeit in der Interpretation, die in den Kommentaren angesprochen worden ist, fand ich dabei sogar reizvoll. An einer Stelle geht sie mir trotzdem zu weit - in dem Sinn, dass ich da das Gefühl habe, zu sehr eine falsche Spur geführt zu werden, während ich zugleich das Gefühl habe, dass das nicht einmal ganz absichtlich geschieht. Das ist diese Stelle:

Ihm begannen Dinge aufzufallen, denen er früher keine Bedeutung beigemessen hatte: ein vorbeihuschender Schatten gerade außerhalb seines Blickfeldes, ein seltsam gebogener Fingernagel an der Hand eines fahrenden Händlers, ein wildes Funkeln in den Augen eines Nachbarn. Er lachte dann jedesmal leise und schüttelte verlegen den Kopf.
Den Dingen, die Parmen da auffallen, sollte man doch auch keine Beachtung beimessen! Hier geht mir der Text stark dahin, dass Parmen zu Unrecht vor den Monstern Angst bekomme. Als seien sie eben nur Schatten, die von den Leuten im Dorf zu etwas Größerem aufgebauscht werden.
Man kann lange darüber nachdenken, ob das nicht trotzdem gut so ist. Er wird misstrauisch, und trotzdem fallen ihm die falschen Dinge auf... Das könnte schon was hermachen. Ich würde es mir dennoch irgendwie (verzeih, dass ich das so schwammig sage) anders wünschen.

Ausgemergelte Marmorfiguren wanden sich dort mit schmerzverzerrten Zügen unter dem krallenbewehrten Tritt eines granitenen Unholds.
Das Denkmal zeigt also ein triumphierendes Monster. Nicht unmöglich, aber doch ungewöhnlich für ein Denkmal, das den Opfern gewidmet ist.

Ein paar von ihnen zerrten noch schwitzend am Rest des Lattenzauns, während die anderen bereits in eine Art von Tanz verfallen waren. Auf und ab hüpfend grölten sie lauthals immer und immer wieder: „Das Dorf gehört nur uns!“
Das ist, finde ich, ein ganz hervorragendes Bild für die Zustände, die für die Geschichte Pate stehen.


Er sah dem Monster in die Augen. Seltsam vertraut kam es ihm vor, trotz des wilden Blicks, der gewaltigen Fangzähne und des zerzausten Haarschopfs. Als habe er das Gesicht bereits einmal gesehen. Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben vielleicht, dachte Parmen, wandte sich schaudernd ab und floh.
Sehr schön, wie Parmen die Wahrnehmung nicht ganz einordnen kann, wie er überhaupt nicht an den Nachbarn denkt, obwohl ihm das Gesicht vertraut vorkommt. Ganz souverän gelöst, finde ich.

Soweit für diesmal.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo Ella Fitz ,
ich konnte mich lange nicht dazu überwinden, einen Kommentar zu deinem Text zu schreiben. İch wusste einfach nicht, was ıch sagen soll. Aber ich glaube, jetzt habe ich die Worte gefunden.
Du hast es verdient, dass so vıel über deıne Geschıchte diskutiert wird. Es ist schön, wenn das Lesen einer Kurzgeschichte Spass macht. Aber wenn eine Kurzgeschıchte den Leser vor den Kopf stosst, ıhn zum Nachdenken anregt und ıhm nıcht aus dem Kopf geht, so ist es wahre Kunst.
Das hast du geschaft, Ella.
Natürlich: Man kann darüber streiten, ob du jetzt zum Beispiel Rassısten ın Deutschland verharmlost oder nicht.
Über eine Sache laesst sich aber nicht streiten: deine Geschichte geht nicht aus dem Kopf und spricht Dinge an, über die sonst jeder schweıgt. Du zerstörst regelrecht moderne Tabuthemen.
Und das ıst fantastisch, Ella.
İch hoffe die Kritik konnte dir irgentwie helfen, ich musste das jetzt halt endlich mal los werden.
Cıau,
alexei

(PS muss ne blöde, türkische Tastatur verwenden. Desshalb sorry, falls die Buchstaben von diesem Kommentar eigenartig sind)

 

Hi Ella Fitz,

Zuerst habe ich deinen Text aus dem Blickwinkel eines Deutschen gelesen, schon vor einigen Tagen, und möchte dir nun meine Leseart mitteilen.
Meine ersten Eindrücke waren klar, es geht um Nazis und um Fremde. Das Monument und die Szene vor den Hütten der Saisonarbeiter sprechen da für sich. Ich fande den Text nicht gut. Will er mir sagen, dass wir alles Nazis sind? Ne, find ich nicht gut, kann ich auch nicht nachvollziehen.

Dann habe ich den Text auf eine chilenische Leseart gelesen. Hier stehen überall Monumente und Statuen, beispielsweise von O'Higgings , einem der größten Unabhänigkeitskrieger. Überall wird irgendwo an die großen Kämpfe, den riesigen Erfolg, aber auch die Opfer gedacht. Was wäre, wenn nun deine Geschichte rund um das Jahr 1845 spielen würde ? Spanier werfen die riesigen Statuen um, fodern die Chilenen auf, aus den von ihnen gegründeten Städten zu verschwinden - eine witzige Leseart. Ebenso könnte deine Geschichte vor dem Unabhängigkeitskrieg spielen, irgendwann rund um 1810, in einem Dorf chilenischer Sympathisanten des Spanischen Königs. Ich weiß nicht, ob die Monumente hatten, aber irgendwelche Statuen mitsicherheit. Das ist zumindest die Leseart, welche mir am Besten gefällt.

Wie du siehst, dein Text regt zum Nachdenken an.

Beste Grüße,

Sonne

 

Hallo Ella,

jetzt hätte ich doch beinahe vergessen, deine tolle Geschichte zu kommentieren.

Ich hatte sie schon gelesen, bevor der Stempel „Fantasy“ abgewischt wurde ...

Aufgrund der Begriffe wie „Monster“, „große Schlacht“, „Helden des Kampfes gegen die Ungeheuer“ sowie des Namens Parmen fühlte ich mich auch direkt in eine Fantasywelt versetzt, die mich an die Welt einer Brandon Sanderson erinnerte, von der ich zu der Zeit gerade was gelesen hatte.
„fahrender Händler“, „Gemeindeboten“ und „Ortsvorsteher“ passten auch hervorragend in dieses Setting, das du da sehr gut aufgebaut hast.
Ich war gespannt, wie sich diese vermeintliche Fantasygeschichte entwickeln würde.

Leichte Zweifel ob des Tags „Fantasy“ lösten dann bei mir die „fremden Saisonarbeitern“ aus.
Der Bezug auf rechts, Nazis etc. gefiel mir persönlich dann nicht mehr so gut. Die Story ist trotzdem klasse, ich frage mich nur, warum alles so verschleiert, „ver-parabel-lisiert“.

Was ich sagen möchte: Ich würde mich sehr freuen, wenn du mal eine „echte“ Fantasygeschichte schreiben würdest, ohne historischen oder aktuellen Bezug. Das nur mal als Anregung. :thumbsup:

Liebe Grüße und einen schönen Tag. :)

GoMusic

 

Hallo Ella Fitz,
mir hat deine Geschichte ausgesprochen gut gefallen. Sie ist auch sehr gut geschrieben. Stets auf den Punkt gebracht, ohne viele Abschweifungen. In diesem Stil könnte man ewig weiterlesen. Deine Wortwahl ist auch zum Teil exzellent gewählt. Vor allem das Wort "Einfriedung" hat es mir angetan. Dies ist das exakte Wort, wie mir beim Lesen klar wurde, es benutzt aber kaum jemand.
Vielleicht wäre es besser, den Tag "Fantasy" weiterhin für diese Geschichte zu verwenden. Somit entgeht man allerlei kontroverser Diskussionen über Flüchtlinge und Nazis usw. . Denn das hat deine Geschichte wirklich nicht verdient. Die beiden Namen Parmen und Dord sind auch gut gewählt und eindeutig Fantasy-Namen
Ich dachte nach der Hälfte der Geschichte, dass sie so enden würde, wie der Film "the village" und war dann sehr überrascht, dass sie so endete. Für mich stellt sich auch die Frage, ob Parmen von Anfang an weiß, dass er eigentlich eines der Monster ist oder ob es ihm später erst klar wird, nachdem er darauf gebracht wird. Vielleicht weiß er es auch die ganze Zeit, will es aber nicht wahrhaben.
Ich glaube der Denkanstoß deiner Geschichte ist die Furcht vor etwas Fremden, oder die Furcht generell, dessen Ursache man eigentlich selbst ist. Der Mensch neigt dazu alles mögliche zu bestreiten oder sich schön zu reden. Dies wird bei Parmen sehr gut deutlich, der sich vor den Monstern fürchtet, angstvoll aus dem Fenster blickt, und dabei vergisst oder verdrängt, dass er selbst einer von ihnen ist.

Viele Grüße
Jonni

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom