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Seelenverwandte
Mit einem Keuchen riss ich die Augen auf. Schweißgebadet lag ich in meinem Bett, versuchte meine wirren Gedanken zu ordnen. Mein Atem ging stoßweise, mein Herz raste und langsam, ganz langsam sickerte die Realität in meinen Verstand und machte mir klar, dass es nur ein Traum war. Tiefe Verzweiflung kroch durch meinen Körper. Die Tränen die mir in die Augen stiegen, brannten fast so schlimm wie die Leere in meinem Herzen. Wie gerne hätte ich noch eine Weile die Atemnot und den viel zu schnellen Herzschlag in Kauf genommen, wenn dadurch nur die Wahrheit noch ein paar weitere Sekunden fern geblieben wäre. Nur ein Traum, hallte es enttäuscht in meinem Kopf und ich konnte nicht anders als mich nochmal in den Laken zu verkriechen. Die Knie bis zur Brust angezogen, die Arme um die Beine geschlungen, so lag ich da und wartete bis der schrille Klang des Weckers mich dazu zwang aufzustehen. Doch das erwünschte Geräusch ertönte nicht, warum auch? Es war Sonntag, es wartete kein Termin, keine Arbeit auf mich. Angestrengt durchforstete ich meinen Verstand nach weiteren Gründen die es wert waren, dass Bett zu verlassen und den Tag zu beginnen.
Sie rannte durch die leeren Straßen, immer wieder seinen Namen rufend. Doch niemand, außer das Echo ihrer eigenen Stimme antwortete. Sie rannte schneller, viel zu schnell, alles um sie herum verschwamm zu einem Strudel aus bunten Farben, die sie blendeten und ins Taumeln brachten. Sie wusste, wenn sie jetzt fallen würde, dann würde sie zurück in die Realität geholt werden und das wollte sie auf keinen Fall. Schwankend kam sie zum stehen, sie war an einem Ort den sie nur zu gut kannte. Sie hatte diesen Ort eigentlich das letzte Mal vor fünf Jahren betreten, dennoch sah sie ihn fast jede Nacht. Langsam ging sie durch das alte Schulgebäude, sie musste sich zwingen nicht wieder zu rennen, denn sie wusste was sie sehen würde wenn sie um die Ecke bog: Ihn! Dort stand er, perfekt in ihren Augen und lächelte sie an, so wie er es früher schon immer getan hatte. Ihr Herz sprang fast aus ihrer Brust, als sie auf ihn zuging um ihn in die Arme zu nehmen. Er fühlte sich genauso an wie früher, er roch genauso und seine Stimme hatte immer noch dieselbe Tonlage. Es überraschte sie immer wieder, wie gut er in ihrem Unterbewusstsein gespeichert war. „Wir dürfen das nicht.“ Hörte sie sich selbst sagen. Sie verfluchte sich für diese Worte, dennoch war sie hier nur eine Figur die eine Szene spielte, sie konnte es nicht beeinflussen. Er sah sie mit seinen wunderschönen dunkelbraunen Augen an und sie sah, dass auch er wusste dass dies hier nicht richtig war. Ihr Herz begann wieder lautstark zu pochen, denn gleich würde es passieren, dass wofür sie immer wieder hierher zurückkam.
Der Kuss war nicht gierig, er war zärtlich, vertraut und erfüllend. Sie schmiegte sich an ihn, genoss den Geschmack seiner Lippen, den sie immer noch kannte und versuchte ihn für immer festzuhalten. „Ich muss gehen.“ Raunte er ihr zu. Die Worte schmerzten mehr als jede Klinge dieser Welt in ihrem Herzen. Sie wusste es, natürlich, sie hatte es schon hunderte Male erlebt. Sie wusste dass er zu Ihr zurück musste. Die Einsamkeit kündigte sich niemals an. Sie schlug brutal zu als er sich aus ihren Armen befreite. Ein letztes Mal sah sie in seine Augen…
Ich saß aufrecht in meinem Bett, zitternd am ganzen Körper. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass ich nochmal eingeschlafen war. Nun konnte ich den drohenden Zusammenbruch nicht mehr aufhalten. Schnell verließ ich das Schlafzimmer, zog mich aus und drehte das Wasser in der Dusche auf. Die Tränen flossen Stumm über meine Wangen während ich unter dem Wasserstrahl saß. Nach wenigen Minuten klopfte es an der Badezimmertür: „Alles in Ordnung?“ Ich räusperte mich leise, damit ich Antworten konnte ohne dass meine Stimme versagte. „Ja Schatz, ich bin gleich fertig!“ Ich hörte Schritte die sich entfernten. Das schlechte Gewissen trommelte in meinem Kopf. Der Kosename hinterließ einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund. Ich wusste nicht, wie lange ich die Lüge, die sich Beziehung nannte, noch führen konnte. Ich liebte meinen Partner, aber eben nicht genug um Ihn vergessen zu können. Ich hasste mich dafür und wusste, dass ich es beenden musste, dennoch machte mir das drohende Gefühl der völligen Einsamkeit zu viel Angst um es endlich zu tun. Wieso konnte ich nicht glücklich sein? Er schien es doch auch zu sein. Der Umstand dass wir uns oft auf Feierlichkeiten sahen, er mit seiner Freundin, ich mit meinem Partner, machte es nicht einfacher. Die heimlichen Blicke über den Tisch, hinter den Rücken unserer Begleitungen, brannten sich in mein Gedächtnis und ließen mich für lange Zeit nicht los. Vor allem überkamen sie mich Nachts und führten dazu, dass ich ihm im Traum begegnete.
Meine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Wir waren so jung gewesen. Hatten Händchen gehalten und den ein oder anderen flüchtigen Kuss ausgetauscht. Mit jedem Jahr, mit dem wir älter wurden, war es deutlicher zu sehen: Wir gehörten zusammen, waren Seelenverwandte. Trotzdem gelang es uns nie zueinander zu finden. Als Freunde, ja, aber niemals liebende. Die Küsse waren nicht mehr so heimlich und sie wurden leidenschaftlicher, aber irgendetwas durchkreuzte immer den Plan der Zweisamkeit. Dann verloren wir uns vollständig aus den Augen. Doch niemals hatte ich ihn vergessen und ich klammerte mich an die Hoffnung, dass er auch immer noch an mich dachte. Das Schicksal führte unsere Wege wieder zusammen, doch ganz anders als wir es immer gedacht hatten. Wir führten nur zufällig Beziehungen mit demselben Freundeskreis, nichts besonderes und doch veränderte es alles. Seit ich ihn zum ersten Mal wiedergesehen hatte, war er zu einem ständigen Begleiter in meinen Gedanken geworden. Ich hatte ihn tief in meinem Herzen verschlossen und nun war dieser Teil ausgebrochen und nahm es ganz für sich ein, machte es mir unmöglich an etwas anderes zu denken oder etwas stärkeres zu fühlen. Es gab nur ihn, so wie es eigentlich immer gewesen war. Alles in mir schrie danach ihm zu sagen was ich fühlte. Doch die Angst, er könnte anders empfinden, lähmte mein Vorhaben immer wieder. Ich wusste nicht ob ich eine klare Zurückweisung ertragen konnte. Die Ungewissheit zermürbte mich, dennoch enthielt sie auch noch die Möglichkeit dass es ihm genauso ging. Ich wusste nicht wie ich reagieren würde, wenn mir das genommen wurde.
Ich verließ das Bad einigermaßen gefasst und setzte mich zu meinem Partner an den Frühstückstisch. Er küsste mich und ich lächelte ihn an. Vielleicht merkte er, dass etwas nicht stimmte, vielleicht aber auch nicht. Wir redeten nicht mehr besonders viel. Das lag wohl vor allem an mir, aber ihn schien es nicht zu stören. Selbst wenn, hätte es was geändert? Ich glaube nicht. Wir waren wie zwei Puzzleteile die auf den ersten Blick zusammen passten, man aber doch ein wenig Gewalt anwenden musste um sie zusammen zu bringen. Ab der Hälfte des Puzzles wurde einem dann jedoch klar, dass alles unter Spannung stand, das man sich anstrengen musste um alles zusammen zuhalten, weil die ersten beiden Teile eben doch nicht passten. Nun hatte man die Wahl: Aufhören und von Vorne beginnen oder weiter machen, in der Hoffnung das es schon irgendwie halten würde. Wir puzzelten weiter…
Während ich mein Müsli aß, ohne irgendetwas zu schmecken, dachte ich schon wieder an vergangene Zeiten. Egal wie sehr ich es versuchte, ich fand den Punkt an dem wir falsch abgebogen waren einfach nicht. War es für zwei verwandte Seelen überhaupt möglich, verschiedene Leben zu führen?
Hätte sie ihm doch von ihren Gefühlen erzählt. Dann hätte sie erfahren, dass er zu diesem Zeitpunkt am Frühstückstisch saß, sein Müsli aß und nicht einmal hörte was seine Freundin ihm erzählte. Denn in Gedanken war er bei ihr und fragte sich, warum er nicht einfach glücklich sein konnte. Sie schien es doch auch zu sein…