Mitglied
- Beitritt
- 25.10.2001
- Beiträge
- 31
Schweigen
Schweigen
Erwachen. Sich recken, strecken, gähnen, mühsam aufstehen. Und ins Bad.
In der Küche wartet das Frühstück.
Er saß am Tisch und blickte auf ihre letzten Worte: Sie bestanden aus einem Ei, zwei Scheiben Brot, einem Glas Marmelade, einer Scheibe Käse, etwas Butter, einem Messer, einem Löffel und einer Tasse lauwarmen Kaffees. Und sie schienen zu sagen: Dies ist kein Tag wie jeder andere.
Nein, wirklich hungrig bin ich nicht. Und Durst habe ich auch nicht wirklich. Sie weiß doch, dass ich Kaffee nicht mag. Und besonders nicht ihren. Er hat mir nie geschmeckt. Aber wenn ich es recht bedenke: Gesagt habe ich es ihr nie.
Ich könnte ja meine Tränen trinken. Wenn sie nur fließen würden. Ungerecht.
Er stand noch einmal auf, ging in die Küche und holte sich ein Küchenkrepp.
Nicht für den Moment, nur für den Notfall. Man kann nie wissen. Nein, man kann nie wissen.
Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl, den einen von zweien in diesem Raum, und seufzte.
Was habe ich geträumt? Ich denke, ich habe von ihr geträumt. Von unserer ersten gemeinsamen Reise. An den Strand, im Ausland, weit, weit weg...
Alles. Alles von vorne. Und es war noch einmal genauso schön wie beim ersten Mal, das war das Schlimmste.
Der Strand, die Sonne, ihre warme Haut. Ich darf nicht daran denken.
Er seufzte. Sein Blick schweifte im Raum umher, fand keinen Halt.
Musste das sein? Verdammt...
All diese schönen Momente. Die Lichtblicke. Wie habe ich sie gemocht, sie verehrt, alles...
Er griff zu dem Messer und fixierte seinen Blick darauf.
Wie schnell es doch vorüber sein kann. Viel zu schnell. Die Zeit. Wie ein scharfes Messer durch weiche Butter...
Er zerschnitt das Stück Butter auf dem Teller und verzog dabei das Gesicht. Angewidert legte er es beiseite und starrte aus dem Fenster.
Wo bist du gerade? Am Bahnhof, den Zug in deine Heimat erwartend, dort wo du hingehörst, nicht dort, wo du eigentlich hinwillst? Mach dich doch nicht unglücklich!
Er musste Tränen unterdrücken. Es gelang ihm nicht; eine von ihnen tropfte in seinen Kaffee.
Ja, ja, ich weiß, deine Eltern. Deine zickige Mutter, dein sturer, egoistischer Vater. Wie du sie liebst, ach. Küsschen hier, Küsschen dort. Ich konnte sie nie leiden. Zum Glück musste ich sie nicht oft sehen.
Und du – du hattest nie Verständnis. Wolltest nicht darüber sprechen. Lächeltest nur. Damit war es für dich erledigt.
Er schüttelte seinen Kopf und trank einen Schluck Kaffee, ohne Regung im Gesicht. Der Verkehrslärm draußen lockte seinen Blick ans Fenster.
Wenn das schon alles wäre, man könnte es ja richten.
Manchmal hatte ich das Gefühl, uns trennen Welten. (Wieso habe ich es nur nie ernstgenommen?)
Wir konnten über fast alles reden. Haben es auch meistens getan. Jedenfalls solange, bis es unangenehm wurde. Meistens für sie. Dann starrte sie mich nur noch an und sagte nichts mehr.
Fremdgegangen ist sie. Nun. Ich doch auch. Wir redeten darüber, doch dann schwiegen wir wieder. Es schien alles wieder gut zu werden... Nein, wirklich, Schweigen ist keine gute Medizin. Wer sich anschweigt, wird irgendwann taub für den Anderen...
Er trank einen weiteren Schluck, während sein Blick immer noch auf die draußen vorbeifahrenden Autos gerichtet war.
Die Liebe war nie das Problem. Zumindest am Anfang nicht.
Ich hatte irgendwie gespürt, dass es später bergab ging, doch ich wollte es nicht wahrhaben, wer will das schon. Und so schwiegen wir uns an, wieder einmal. Aber wieso rede ich mir das ein? Ich quäle mich nur. Ich suche Gründe, wo schon so viele andere vor mir gesucht haben. Aber manche Erfahrungen müssen mehrere Menschen wohl öfter machen...
Er saß still und dachte nach, während er seinen Blick über das angerichtete Frühstück gleiten ließ. Der Kaffee schmeckte ihm nicht. Er seufzte. Schloss die Augen, sammelte sich. Keine Träne auf seinem Gesicht. Als er nachdachte, sprach er seine Gedanken halblaut aus. Nur sein Hamster hörte ihn und vergrub sich tiefer in seinem Bau aus Streu.
Ich danke dir. Für unsere gemeinsame Zeit. Für alles, was wir teilen konnten. Dieses Frühstück teile ich mit mir allein. Was uns bleibt, ist die Erinnerung. Ich werde sie immer mit dir teilen. In Gedanken an dich werde ich nie schweigen. Wenn das die Lektion ist, danke ich dir. Der Rest ist... nein, diesmal nicht. Nur dieses eine Mal nicht.
Er genoss das Frühstück, schmatzte laut, damit er die Stille nicht hören musste. Wollte noch ein letztes Mal von seiner Frau zehren. Als er satt war, öffnete er die Fenster weit und hörte den Autos zu, die in den Süden strebten. Es waren Ferien.
(C) by Sternenfluter (SCS), 19.11. AD 2002