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Schulfrei

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13.07.2006
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Schulfrei

Ernst hatte sich genau zwischen den Wracks der vor zehn Jahren liegen gebliebenen Lastwagen postiert.
Hier musste der verdammte Bus durch, und hier würde er den Wahnsinn stoppen.
Er spürte die Bewegungen der Läuse in seinem verfilzten Bart und den schneidenden Herbstwind, der durch seine zerlumpte Kleidung drang.
Der Bus, dieser verdammte, rot glänzende, stets pünktliche Bus, irrlichterte wie eine aufblitzende Erinnerung an bessere Zeiten durch sein Leben.
Da kam das Ding, blitzsauber und zuverlässig brummend.
Ernst hob seine dürren Arme und schloss die Augen.
Er hörte das Bremsgeräusch, das sich in ein leises Summen verwandelnde Motorgeräusch, dann ein überlautes Hupen.
Nach einer Weile stöhnten hydraulische Türöffner auf.
Schritte näherten sich. Er öffnete die Augen und sah einen kleinen, pummeligen Mann in blauer Uniform.
„Sie müssen da weg“, sagte der Busfahrer in freundlichem Tonfall. „Ich muss einen Fahrplan einhalten, verstehen Sie?“
Ernst senkte die Arme. „Nein, damit ist Schluss…“
Seine Stimme klang heiser und ungeübt.
„Was?“ Der Busfahrer kratzte sich unschlüssig den kahlen Schädel. „Mein Guter, ich bin in zwanzig Jahren nicht unpünktlich gewesen. Es ist meine Pflicht…“
„Nein“, kreischte Ernst. „Wozu denn? Es gibt keine Schule mehr! Die Seuche hat sie beendet! Die Schule ist aus!“
Der Busfahrer stutzte. Eine Erkenntnis spiegelte sich in seinem offenen, runden Gesicht. „Ich kenn Sie doch… Ja klar, Sie sind der Doktor Senkler, der Direx vom Gymnasium… Diehsel. Wissen Sie noch? Hannes Diehsel.“
Er streckte die Hand aus.
Ernst starrte auf die dargebotene Hand.
„Sie sind verrückt… total verrückt…“
Diehsel schüttelte traurig den Kopf. „Nun, ich muss weiter.
Und, Herr Doktor, ich werde fahren. Sie können ja einsteigen.“ Der Busfahrer wandte sich um.
Ernst verschränkte die Arme vor der mageren Brust.
„Dann müssen Sie mich überfahren.“
„Kein Problem.“ Diehsel kletterte zurück auf den Fahrersitz.
Ernsts Gedanken überschlugen sich. Ein zerlumpter Mann in einer zerstörten Welt war für diesen Verrückten irrealer als dieser rote Schulbus und sein sinnlos gewordener Fahrplan. Ernst Senkler würde hier sterben, wenn er nicht…
Er stürzte humpelnd auf den anfahrenden Bus zu und schwang sich hinein.
„Na das war knapp“, kommentierte Diehsel gutmütig lächelnd.
Senkler ließ sich in den ersten Sitz fallen.
„Das hätten Sie nicht getan“, krächzte er.
Diehsel richtete den Blick starr auf die von Unkraut überwucherte Fahrbahn. „7 Uhr 10. Haltestelle Kirche.“
Linkerhand tauchte die von Efeu überwucherte Ruine von Sankt Johannes auf. Der Bus hielt. Niemand stieg ein.
„Mein Gott, Diehsel! Warum machen Sie das?“
Der Bus fuhr wieder an.
„Was soll ich sonst machen, Herr Doktor? Ich bin Busfahrer.“
„Das ist doch sinnlos, ein Schulbus ohne Schule, ohne Kinder…“ Senklers Augen tränten. „Es gibt nichts mehr zu tun. Busfahrer und Lehrer werden nicht mehr gebraucht…“
Der Busfahrer zuckte lächelnd die Schultern. „Ach was.“
„Ach was? Soll ich Füchse und Katzen unterrichten?“
Der Bus passierte ein Waldstück und erreichte das nächste Dorf. „7 Uhr 15. Haltestelle Heide“, kam Diehsels monotone Ansage statt einer Antwort.
Der Bus hielt. Niemand stieg ein. Diesel streckte sich.
„Herr Doktor, schauen Sie aus dem Fenster. Sehen Sie?“
Die Ruinen von Heide lagen auf einem Hügel. In der Ferne stiegen vereinzelte Rauchfahnen auf.
Der Bus setzte seine Fahrt fort.
„7 Uhr 20. Haltestelle Heider Feld“, kam Diehsels Ansage.
Der rote MAN-Bus hielt vor einem verfallenen Bauernhof.
An der Bushaltestelle stand ein junger Bursche in Parka und geflickten Hosen, einen Knüppel abwehrend vor sich gestreckt. Hinter ihm hockte in den Resten des Wartehäuschens ein junges Mädchen. In ihren Armen lag ein schreiendes Bündel Mensch.
„Sehen Sie, Doktor.“ Diehsel lächelte zufrieden. „Die Schule geht wieder los…“
Doktor Ernst Senkler nickte stumm.

 

Sehr ordentlich, Udo. Eine handliche postapokalyptische Vignette, die durchaus ein fahles Gefühl in den Eingeweiden hinterlässt, obwohl sie positiv endet.
Bleibt nur die Frage: Woher kommt in einer postapokalyptischen Welt das Benzin (um nicht zu sagen: Die(h)sel, haha)?

Überdenk nochmal den Titel. Ich glaube, der passt nicht ganz.

Gern gelesen.

 

Hey, das kenn ich schon! Das ist nämlich "Postman" von David Brin (mies verfilmt von Kevin Costner)! ;)

Aber Uwe hat schon recht: Da ist Dir bei aller Kürze eine sehr schöne Geschichte gelungen.
Ein paar Details wären zu klären: Woher der Busfahrer den Treibstoff hat (ja, Diesel sollte es schon sein). Er sollte nach meinem Empfinden auch etwas zerlumpt sein, es würde genügen, anzudeuten, dass er seine Uniform und den Bus so gut wie eben möglich in Schuss hält. Schließlich ist nicht einzusehen, wie ihm das besser als allen anderen gelingen sollte.
Drittens wäre es gut, anzudeuten, wie er sich mit der Situation arrangiert. Ein gut gepflegtes Fahrzeug sollte in einer Postapokalypse Begehrlichkeiten wecken. Da sollte er zumindest einen Knüppel an Bord haben.

Trotzdem: Schöne Sache!

 

Woher kommt in einer postapokalyptischen Welt das Benzin (um nicht zu sagen: Die(h)sel, haha)?

Hähä, Vorsicht, ich bin als Qualitätsmanager mindestens so durchgeknallt wie Hannes Diehsel.
Vorlage ist ein MAN-Überlandbus der Lions-Klasse. Die grob beschriebene Strecke existiert hier in der Region. Tankvolumen, Verbrauch etc. habe ich natürlich vorher recherchiert. Am hiesigen lokalen Schulbusbahnhof steht ein Fuhrpark von knapp über einem Dutzend Überlandbusse zur Verfügung.
Deren Tankfüllungen reichen für Hannes Strecke (angenommen, er bedient nur diese Schule) schon mal gut 6 Jahre. Genaue Daten könnte ich bei Bedarf liefern...argh...nein, nicht die Weste...nein

Postman habe ich zu meiner Schande noch nicht gelesen. Auch den Film kenne ich nur aus der Presse.

Schließlich ist nicht einzusehen, wie ihm das besser als allen anderen gelingen sollte.
Nun, ich persönlich halte die typischen postapokalyptischen Klischees für ziemlich pauschalierend. Auch ohne Strom, Handy und elektrische Haushaltsgeräte wäre ich als Überlebender nicht gezwungen dreckig und in zerrissener Kleidung herumzulaufen.
Das Problem der Verwahrlosung halte ich eher für ein psychologisches.
Und Diehsel ist einfach zu verrückt (oder stur?), um zu verwahrlosen.

Der Titel... äh... Naja, Senkler hat sich "Schulfrei" genommen.
Okay, wat nu... Grübel... Vorschläge?

 

„Dann müssen Sie mich überfahren.“
„Kein Problem",

lieber Udo,

ist m. E. der Kernsatz einer schön kurzen, nahezu utopistisch anmutenden Geschichte am Ende aller Geschichte und vom Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, wenn die Welt einerseits durch welche kriegerischen Auseinandersetzungen um was auch immer zerstört ist und/oder wegen milliardenfachen Hungertodes verwaist, da Getreide des höheren Profites wegen nur noch zu Biotreibstoff

(nomen est …,
Die(h)sel, doppelt abgesichert & getarnt durch das an sich überflüssige Dehnungs-h, ist doch das i bereits mit einem Dehnungs-e versehen)

umgewandelt wird, und das Zusammentreffen zunächst eines resignierenden Pädagogen und seines ehemaligen Schülers, der ein geradezu preußisch korrekter Busfahrer ist und deren Treffen auf eine potentielle Zukunft. Galt früher shool is over oder Hurra, hurra, die Schule brennt als Siegesschrei, so stünde sie nun für Zukunft und – dass Geschichte weitergehe.

Nix weiter als eine zwote Anmerkung für die verarmende Kleinkrämerseele

…, und hier würde er den Wahnsinn stoppen.
Warum die würde-Konstruktion? Reicht hier nicht ein einfaches Futur – oder sollte das Schulmeisterlein an seinen Fähigkeiten zweifeln?

Gruß

Friedel

 

Er schon wieder. ;-)

(nomen est …,
Die(h)sel, doppelt abgesichert & getarnt durch das an sich überflüssige Dehnungs-h, ist doch das i bereits mit einem Dehnungs-e versehen)

Ich muss gestehen, dass der Name nicht auf meinem Biomüll gewachsen ist.
Ein Busfahrer namens Diehsel war die Vorgabe. Die Assoziation lief also umgekehrt, vom Namen zur Geschichte.

Warum die würde-Konstruktion? Reicht hier nicht ein einfaches Futur – oder sollte das Schulmeisterlein an seinen Fähigkeiten zweifeln?
Es zweifelt, so ist es.

 

Hallo Udo,
Eine ordentliche Geschichte, die an der roten Linie bleibt. Schön gemacht, ich tu mich schwer etwas zu kritisieren. Vielleicht den Busfahrer und Direktor körperlich etwas mehr in szene setzen, sprich sie etwas detailierter beschreiben?

LG
Bernhard

 

Atmosphäre pur.
Genau so muss es sein bei dieser Länge.
Nicht grosses Herumgelaber, warum, wieso und weshalb. Die Welt ist eben irgendwie kaputt gegangen, basta.
Guter Schluss mit dem Bild des jungen postapokalyptischen "Familienglücks".

Vorschlag für Titel: "Der Busfahrer"
(Name wäre Programm)

Hat mir ausserordentlich gut gefallen,
Gruss dot.

 
Zuletzt bearbeitet:

Schöne Geschichte, knackig und mit schönem Ende.
Hat mich ein bisschen an "The Stand" von King erinnert.

Kleinkram über den ich jetzt vlt. noch nachdenken würde ...

Ernst hatte sich genau zwischen den Wracks der vor zehn Jahren liegen gebliebenen Lastwagen postiert.
Hier würde ich das zehn rausschmeißen, die Information obs nun10 oder weniger/mehr Jahre her ist seitdem die Schule ihren Sinn erfüllte ist für die Geschichte unerheblich, ich muss sagen, dass ich diese zusätzliche Jahresangabe sogar als störend empfinde weil man anfängt zu rechnen (wie lange läuft der jetzt schon mit Heizöl?), vorschlag: ... der vor Jahren liegen ...

Den Titel fand ich auch unpassend, wie wäre es mit "Schultag"?

Was ich mich noch Frage, was macht Hannes wenn er an den kaputten Ampeln und den Stoppschildern vorbeikommt? Hält er brav an und tastet sich langsam auf die Kreuzung vor, oder brettert er einfach durch? Und wie geht er mit dem Ärgernis um, dass die Unfallwagen vor dem Schreibwarenladen immer noch die eine Straßenseite blockieren? Fährt er einfach über die durchgezogene Linie, oder hat er selbstständig die Route geändert um an den Hindernissen vorbeizukommen?
Ich würde echt gerne so skurrile Kleinigkeiten erfahren, wäre dies nicht eine Möglichkeit die Atmosphäre und die Charaktere noch stärker erlebbar zu machen?
Ärgert er sich über den abgerissenen Fahrplan?

Les' dich
Nice

 

Hallo Udo!

Deine Geschichte richtet den Blick des Lesers auf zwei Personen, die entgegengesetzt auf die postapokalyptische Zeit reagieren.

Dr. Senkler hat aufgegeben, ist unterernährt und verlottert. Dass der saubere, stets pünktliche, aber leere Bus ihm ein Dorn im Auge ist, zeigt einen Anflug von Wahn.

Diehsel klammert sich an seine präapokalyptischen Pflichten. Auch er handelt bei Weitem nicht rational, auch er trägt ein von der Apokalypse ausgelöstes Trauma in sich. Das wird besonders hier deutlich: „Dann müssen Sie mich überfahren.“ Diehsels Antwort: „Kein Problem.“ Ich vermute, das hat er ernst gemeint.

Damit sind zwei wichtige Gruppen einer postapokalyptischen Gesellschaft abgedeckt.
Die dritte Gruppe, Vandalen und Möchtegerndiktatoren, wird noch am Rande und indirekt erwähnt: Die Ruinen von Heide lagen auf einem Hügel. Ein junger Bursche in Parka hält einen Knüppel abwehrend vor sich.

Der Schluss bietet einen Hoffnungsschimmer. Die Hose des jungen Burschen ist geflickt und sein Nachwuchs kräht in den neuen Morgen.

Eine schöne runde Geschichte.

Kleinkram:

Ja klar, Sie sind der Doktor Senkler, der Direx vom Gymnasium… Diehsel.
Gymnasium … Diehsel.
Nach einem vollständigen Wort kommt eine Leerstelle, dann der Dreipunkt. Den Fehler hast du oft drin.

Diesel streckte sich.
So, so. Der Diesel streckte sich. Wahrscheinlich mit Benzin und ward von da an Winterdiesel. :D
Oder fehlt da ein h?

Lieben Gruß

Asterix

 

Huch, was ist das jetzt?
Mit weiteren Kommentaren hatte ich gar nicht mehr gerechnet.
Vielen Dank für Euer Lob (und Eure Hinweise!).

Nach einem vollständigen Wort kommt eine Leerstelle, dann der Dreipunkt. Den Fehler hast du oft drin.
Es ist kein Wunder, dass der Fehler bei mir häufig vorkommt. Äh, ich muss zugeben, dass ich diese Regel nicht kannte.
Daschending... sorry: Daschending ... ;-)

Der Titel.
Die Schule steht in dieser Geschichte sowohl für die Kultur als auch für die Zukunftsplanung. So gesehen tauchte der Begriff Schulfrei in logischer Konsequenz in meinem Oberstübchen auf. Nun, tauchen und taugen hört sich im Westfälischen fast gleich an, ist's aber nicht.
Ich habe noch keine (mich) überzeugende Alternative gefunden; aber abwarten ...

 

Hallo Udo,
ich habe auch deine Geschichte im Golem gelesen und fand sie sehr gelungen. Kurz und knackig, postapokalyptischer Optimismus. Schön.
Das einzig störende (wurde hier auch schon erwähnt) ist die Frage nach Wartung und Verbrauch des Busses. Auch wenn du dir Gedanken darüber gemacht hast - wie du hier schreibst - so ahnt der naive Leser davon doch nichts und hat fast zwangsläufig hier das Gefühl einer Inkonsistenz. Insbesondere, wenn du von Autowracks schreibst, die seit 10 Jahren dort liegen. Ich als Leser komme nicht auf die Idee, dass der Busfahrer einen ganzen Fuhrpark zur Verfügung hat, den er Ausschlachten kann. Ein kleiner Hinweis darauf in der Geschichte wäre schön gewesen.
Aber ansonsten, wie gesagt, sehr ordentlich.
Viele Grüße,
Teetrinker.

 

Mir hat es auch zugesagt. Insbesondere die deutsche Umgebung hat mich erfreut. Die Apokalypse kann ja auch mal hierzulande vorbeischauen. Der Titel ist wirklich etwas fad. Mir kam spontan "spurtreu" in den Sinn, zumal "Spur" ja einige Assoziationen hergibt.

 

Na sowas. Noch mehr Kommentare. ;-)
Hm, die Wartung des Busses bereitet offenbar mehr Kopfschmerzen als erwartet.
Spurtreu? Das ist mal eine gute Idee.
Doch, gefällt mir.

 

Also mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Ich finde auch die Details hinsichtlich Wartung und Nachtanken des Busses eher unwichtig solange die Geschichte einer inneren Logik folgt und beim Leser den gewünschten Effekt erzielt. Das tut sie - Glückwunsch ;-) Ich hoffe dass ich das Schreiben auch irgendwann so gut hinbekomme...

 

Das Ding hier würde in einem Kurs für kreatives Schreiben einen Herzinfarkt bei allen Beteiligten auslösen.
Es besteht fast nur aus Adjektiven und Adverben. Also da müsste man dringend ordentlich durchkämmen, auch wenn man locker damit umgeht.
Mir gefällt dieser Stil überhaupt nicht. Er ist behäbig, träge und altbacken.

Wenn man sich mal den Spaß macht und klopft jedes Adjektiv und jedes Adverb darauf aus, ob es wirklich notwendig ist, ob es zu dem Satz etwas beiträgt, kommt man auf erstaunliche Ergebnsise.

Also hier:

Er spürte die Bewegungen der Läuse in seinem verfilzten Bart und den schneidenden Herbstwind, der durch seine zerlumpte Kleidung drang.
Wenn er die Bewegungen der Läuse spüren kann, ist der Bart verfilzt = Redundant.
Der Wind ist also schneidend? Das ist eine hässliche Wortheirat, ein verbrauchtes Bild, das wahnsinnig abgenutzt ist.
Wenn der Wind durch die Kleidung dringt, ist sie zerlumpt= Redundant.

Der Bus, dieser verdammte, rot glänzende, stets pünktliche Bus, irrlichterte wie eine aufblitzende Erinnerung an bessere Zeiten durch sein Leben.
Der Bus irrlichterte wie eine Erinnerung an bessere Zeiten durch sein Leben.
Wäre das schlechter? Das schöne, starke Verb "Irrlichterte" geht unter in diesem Wust.

Da kam das Ding, blitzsauber und zuverlässig brummend.
Blitzsauber = Wortheirat
zuverlässig brummend = Im Satz vorher schon

Ernst hob seine dürren Arme und schloss die Augen.
Dürren Arme? Falls der Leser vergessen hat, dass vor 3 Sätzen ein Bild des Elends beschrieben wurde?

Er hörte das Bremsgeräusch, das sich in ein leises Summen verwandelnde Motorgeräusch, dann ein überlautes Hupen.
leises Summen = Bei einem Summen geht man davon aus, dass es leises ist
Überlautes Hupen = Bei einem Hupen geht man davon aus, dass es laut ist

Nach einer Weile stöhnten hydraulische Türöffner auf.
Und bei den Türöffnern eines Busses geht man davon aus, dass sie hyraulisch sind.

Ich hätte den Text normal nicht kommentiert, aber wenn was empfohlen wird, guckt man schon mal hin. Und der Text hier ist stilistisch ganz und gar nicht empfehlenswert.
Das mag inhaltlich oder von der Idee her anders sein ,aber stilistisch auf keinen Fall.

Gruß
Quinn

------------
Ich hab mal nur mit der Lösch-Taste ganz grob und auf die Schnelle den Text editiert (Okay ein "stürzte humpelnd" hab ich zu einem "humpelte" zusammengefasst).


Ernst hatte sich zwischen den Wracks der vor zehn Jahren liegen gebliebenen Lastwagen postiert.
Hier musste der verdammte Bus durch, hier würde er den Wahnsinn stoppen.
Er spürte die Bewegungen der Läuse in seinem Bart und den Herbstwind, der durch seine Kleidung drang.
Der Bus irrlichterte wie eine Erinnerung an bessere Zeiten durch sein Leben.
Da kam das Ding. Ernst hob seine Arme und schloss die Augen.
Er hörte das Bremsgeräusch, das sich in ein Summen verwandelnde Motorgeräusch, dann ein Hupen.
Nach einer Weile stöhnten die Türöffner auf.
Schritte näherten sich. Er öffnete die Augen und sah einen Mann in blauer Uniform.
„Sie müssen da weg“, sagte der Busfahrer. „Ich muss einen Fahrplan einhalten, verstehen Sie?“
Ernst senkte die Arme. „Nein, damit ist Schluss…“
Seine Stimme klang ungeübt.
„Was?“ Der Busfahrer kratzte sich den Schädel. „Mein Guter, ich bin in zwanzig Jahren nicht unpünktlich gewesen. Es ist meine Pflicht…“
„Nein“, kreischte Ernst. „Wozu denn? Es gibt keine Schule mehr! Die Seuche hat sie beendet! Die Schule ist aus!“
Der Busfahrer stutzte. „Ich kenn Sie doch… Ja klar, Sie sind der Doktor Senkler, der Direx vom Gymnasium… Diehsel. Wissen Sie noch? Hannes Diehsel.“
Er streckte die Hand aus.
Ernst starrte sie.
„Sie sind verrückt… total verrückt…“
Diehsel schüttelte den Kopf. „Nun, ich muss weiter.
Und, Herr Doktor, ich werde fahren. Sie können ja einsteigen.“ Der Busfahrer wandte sich um.
Ernst verschränkte die Arme vor der Brust.
„Dann müssen Sie mich überfahren.“
„Kein Problem.“ Diehsel kletterte zurück auf den Fahrersitz.
Ernsts Gedanken überschlugen sich. Ein Mann in einer zerstörten Welt war für diesen Verrückten irrealer als dieser rote Schulbus und sein sinnlos gewordener Fahrplan. Ernst Senkler würde hier sterben, wenn er nicht…
Er humpelte auf den anfahrenden Bus zu und schwang sich hinein.
„Na das war knapp“, kommentierte Diehsel.
Senkler ließ sich in den ersten Sitz fallen.
„Das hätten Sie nicht getan“, krächzte er.
Diehsel richtete den Blick starr auf die überwucherte Fahrbahn. „7 Uhr 10. Haltestelle Kirche.“
Linkerhand tauchte die Ruine von Sankt Johannes auf. Der Bus hielt. Niemand stieg ein.
„Mein Gott, Diehsel! Warum machen Sie das?“
Der Bus fuhr wieder an.
„Was soll ich sonst machen, Herr Doktor? Ich bin Busfahrer.“
„Das ist doch sinnlos, ein Schulbus ohne Schule, ohne Kinder…“ Senklers Augen tränten. „Es gibt nichts mehr zu tun. Busfahrer und Lehrer werden nicht mehr gebraucht…“
Der Busfahrer zuckte die Schultern. „Ach was.“
„Ach was? Soll ich Füchse und Katzen unterrichten?“
Der Bus passierte ein Waldstück und erreichte das nächste Dorf. „7 Uhr 15. Haltestelle Heide“, kam Diehsels monotone Ansage statt einer Antwort.
Der Bus hielt. Niemand stieg ein. Diesel streckte sich.
„Herr Doktor, schauen Sie aus dem Fenster. Sehen Sie?“
Die Ruinen von Heide lagen auf einem Hügel. In der Ferne stiegen Rauchfahnen auf.
Der Bus setzte seine Fahrt fort.
„7 Uhr 20. Haltestelle Heider Feld“, kam Diehsels Ansage.
Der rote MAN-Bus hielt vor einem verfallenen Bauernhof.
An der Bushaltestelle stand ein Bursche in Parka und geflickten Hosen, einen Knüppel vor sich gestreckt. Hinter ihm hockte in den Resten des Wartehäuschens ein Mädchen. In ihren Armen lag ein schreiendes Bündel Mensch.
„Sehen Sie, Doktor.“ Diehsel lächelte. „Die Schule geht wieder los…“
Doktor Ernst Senkler nickte.

Der Text ist von 587 auf 528 Wörter runter. Ist er schlechter oder besser als das Orginal?

 

Im Grunde erfüllt dieser kurze Text die Vorgabe einer Kurzgeschichte. Eine Figur erwacht zum Leben, die Episode ereignet sich, die Geschichte ist zu Ende. Ein Schlaglicht, ein pointiertes Segment einer größeren Handlung, das dennoch für sich alleine stehen kann. Nicht mehr und nicht weniger bietet dieser Text. So weit, so gut.
Dennoch würde es nicht schaden, deine Story zu entrümpeln. Adjektive raus, Adverben raus, Redundanzen raus, und bitte, etwas mehr inneres Profil für die Hauptfigur. Zumal in dieser Lebenssituation. Verfilzter Bart und zerlumpte Kleidung erscheinen mir doch ein wenig wenig zu sein, um mir ein lebendiges Bild deines Prot zu machen. Da hilft auch die philosophische Schlusspointe nicht drüber hinweg, mAn.
Sonst habe ich das gerne gelesen.

Netten Gruß,
Manuela :)

 

Na ja ... der Text "funktioniert", weil er sich an die Leistung von anderen Autoren und Künstlern ranhängt.
Wir müssen den Begriff "Postapokalypstisch" hören und haben sofort Bilder im Kopf. 12 Monkeys, Day after tomorrow, I am Legend, 28 Days after, Zombieland - irgendwas. Ich nehm mal an die SF-Experten hier haben dann halt die apokalypstische Version von Charles S. Borroughs im Kopf, der 1998 den Nebula-Preis bekommen hat, und den sonst keiner kennt, aber das ist ja wurscht, wir haben alle irgendwelche Bilder im Kopf, die hochkommen, sobald einer sagt "Postapokalyptisch" - das ist aber nicht die Leistung des Autors hier, sondern der hängt sich da ran.

Wenn ich schreibe: "Die Nazghul kreisten über ihnen" - hab ich auch eine tolle Stimmung erzeugt, weil ich mich halt auf die Schultern von Tolkien stellen kann. Das ist ja auch nichts schlimmes,. nur wenn der Text gerade dafür gelobt wird, hab ich schon Bauchschmerzen.
Ja, er ist kurz und knackig, weil das postapokalyptische Szenario durch zahlreiche Hollywoodfilme und SF-Bücher und Horror-Bücher Teil der Popkultur geworden ist. Und man es sofort triggern kann. Man erinnert an die Gefühle und Ideen, die andere Autoren und Künstler mal im Leser hervorgerufen haben. Das ist keine schriftstellerisch besonders tolle Leistung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Udo,

ein nettes kleines Päckchen lieferst du hier ab, hat mir sehr gut gefallen. Ich hab hier oft so meine Probleme, bei Geschichten über den ersten Absatz heraus zu kommen, aber der Text hier liest sich durchgehend flüssig und angenehm. Schon nach dem zweiten, dritten Satz dachte ich mir: Ah, das ist gut!
Hmmm, gibt's irgendwas zu kritisieren? Wüsste nicht was. Höchstens, dass extra mal betont wird, dass es sich um einen MAN- Bus handelt. Erschien mir kurz unpassend. Aber egal! Schlichter, entspannter Sci- Fi- Stil a la Ray Bradbury. Echt schön!
Und ich find's gut, dass der Busfahrer "freundlich" ist. Gibt doch ein nettes Bild ab. :)

 

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