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Schuld

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10.09.2024
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Schuld

Sie stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte. Stattdessen fühlte sie, fühlte die pulsierenden Stellen an ihrem Körper.
Er kam nach Hause. Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte; das Rascheln des Sakkos, das er an den Garderobenhaken hängte.
„Schatz, ich bin zu Hause“, rief er.
Sie nickte.
„Ich habe dir was mitgebracht.“
Wieder nickte sie.
Er kam herein und schlang seine Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an – das Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen.
„Das Essen steht noch nicht auf dem Tisch!“
Sie schob sich aus seiner Umarmung. „Ich habe ein bisschen länger gebraucht, ich wollte den Parmesan frisch reiben.“
Sie ging an ihm vorbei und ignorierte sein Stirnrunzeln.
In der Küche richtete sie das Safran-Trüffel-Risotto auf seinem Teller an. Dabei achtete sie darauf, dass der Tellerrand sauber blieb. Vorsichtig ließ sie den frischgeriebenen Parmesan über sein Risotto rieseln. Sie mochte keinen Parmesan. Und sie hasste Risotto. Daher richtete sie für sich nur eine kleine Portion an – ohne Käse.
Vorsichtig, um das Handgelenk zu schonen, setzte sie seinen Teller vor ihm ab.
Das kleine, weiße Schächtelchen, das auf ihrem Platz lag, schob sie beiseite. Als sie sich setzte und ihren Rücken anlehnte, zuckte sie zusammen. Unauffällig verlagerte sie das Gewicht wieder nach vorne.
Die Kerzen brannten. „Auf unser Wohl!“, sagte er und hob sein Weinglas. Seine schlanken Hände waren sauber, der Rand seines Tellers auch. Sein Lächeln versprach alles. Hatte sie es tatsächlich früher einmal `magisch` genannt?
Seine Krawatte hing schief, aber sie sagte nichts.
Das Klirren der Gläser klang so kalt wie ihr Körper sich anfühlte. Kalt und pulsierend.
Sie lächelte, weil er es erwartete, und schaffte es, nicht auf seinen Teller zu sehen.
Er hob die Gabel zum Mund, öffnete, schob das Risotto in den Mund, kaute.

Sie aß ihren Teller leer, öffnete das Schächtelchen. Es war ein goldener Ring mit einem Diamanten. Er war ihr zu protzig. Trotzdem schob sie ihn auf den Finger.
Nur einmal hatte er ihr gegenüber Schwäche gezeigt, als er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob er daran schuld gewesen wäre.

Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen. Sie war die Stärkere, vollendete an ihm das, was er an ihr begonnen hatte.
Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.

 

Hallo @Kerzenschein,

es ist dir sehr gut gelungen eine kalte Atmosphäre zu schaffen und die längst zerbrochene/erloschene Liebe (falls es sie jemals gab?) eines Ehepaars zu schildern.

Du lässt sehr viel Interpretationsspielraum und man müsste Nuancen richtig deuten, um die ganzen Mini-Anspielungen zu verstehen.

Ich scheitere an der zu impliziten Darstellung, war aber in so etwas auch nie begabt.
Für mich klingt es so, als würde der Gatte am Ende vergiftet werden. Warum du kurz die Gefühle des Gattens präsentierst, erschließt sich mir aber nicht. Es verwirrt mich. Dann switchst du wieder.

Falls du es so kryptisch gestalten wolltest, ist es fein, aber wenn du denkst dass man sie sofort verstehst, irrst du dich.

Insgesamt habe ich bei deiner Story gemischte Gefühle. Gutes Handwerk bei der Wortwahl, packende Atmossphäre, begeistert hat mich die kryptische Darstellung nicht. Es ist mir zu abstrakt. Das mag ich nicht.

VG
Jizzle

 

Hallo @Kerzenschein,

interessant, wie du in schlichter Erzählweise dem Leser die gepeinigte Frau vermittelst, die kleinen Hinweise auf Gewalt einstreust. Alles sehr subtil, aber nachvollziehbar: Die angespannte Situation beim Essen, das Gewaltpotential, die Verweigerung einer Wiedergutmachung durch das innerliche Ablehnen des Rings ("Er war ihr zu protzig. Trotzdem schob sie ihn sich auf den Finger.").

Zum Schluß wird die anfangs unsichbare Frau


Sie stand vor dem Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte.
wieder sichtbar
Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.
sie hat sich wieder instant-gesetzt durch ihr Widersetzen ("Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen. Sie war die Stärkere, vollendete an ihm das, was er an ihr begonnen hatte.").

Nur einmal hatte er ihr gegenüber Schwäche gezeigt, als er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob er daran schuld gewesen wäre.
Nun, ob sie die Krustentierallergie ausnutzt, um ihn durch anaphylaktischen Schock zu töten, ist mir etwas zu vage. Vielleicht muss man andeuten, dass die Tierchen eine erhebliche Reaktion hervorrufen (sein 'Geständnis' könnte durch eine akute Situation provoziert worden sein, so, dass es unvermeidlich war, die Schwäche zuzugeben).

Stärker wäre die Aussage noch, wenn "er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob sie daran schuld gewesen wäre."

Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, wie er seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte, das Sakko an den Garderobenhaken hängte.

Du vermeidest so "wie" - "wieder" - "wie". Hört man das Aufhängen des Sakkos? Vielleicht das Klappern der Autoschlüssel auf der Ablage?

Ansprechende, kleine Erzählung, ohne Überreizung des Geschehens.

LG,

Woltochinon

 

Hallo @Jizzle,

danke dir für deine Meinung und dein Lob, das freut mich.
Aber ich weiß auch, was du meinst. Als Leser mag ich solche angedeuteten Geschichten mit viel Interpretationsraum auch nicht gerne. Paradoxerweise finde ich es spannend, so zu schreiben. Beim Schreiben habe ich ja auch die Handlung im Kopf, das geht leichter:).

Warum du kurz die Gefühle des Gattens präsentierst, erschließt sich mir aber nicht. Es verwirrt mich. Dann switchst du wieder.
Kannst du mir hier die Stelle noch angeben? Mir war nicht bewusst, dass ich switche, ich habe im Text auch nichts gefunden.


Hallo @Woltochinon,

auch dir ein Danke für deinen Kommentar, über den ich mich ebenfalls gefreut habe.

Stärker wäre die Aussage noch, wenn "er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob sie daran schuld gewesen wäre."
Das ist an sich eine gute Idee und würde auch gut zu seinem Charakter passen. Nur verliert dann das kursive daran seine Bedeutung, mit dem ich angedeutet habe, dass er an ´dem anderen´ schuld ist. Oder kommt das nicht durch? Mal sehen, wie ich das löse.

Du vermeidest so "wie" - "wieder" - "wie". Hört man das Aufhängen des Sakkos? Vielleicht das Klappern der Autoschlüssel auf der Ablage?
Die wie´s habe ich geändert. Das Sakko war mir wichtig, weil man damit erkennen sollte, dass er gut situiert ist (Krawatte, Sakko, Trüffel, Diamantring). Habe es jetzt rascheln lassen.

Du hast meine Intentionen richtig erkannt, das freut mich und zeigt mir, dass der Text funktioniert. Einzig bei der Krustentierallergie war auch ich mir unsicher, ob das rüber kommt. Das muss ich vielleicht noch verstärken. In meiner Vorstellung mischt sie den Parmesan mit einem Mehl aus Krustentieren (für mich war es Krabbenmehl). Daher vermied sie auch den Blick auf seinen Teller, als er die Gabel hob. Kommt das rüber?

Danke euch beiden für eure Zeit

Viele Grüße
Kerzenschein

 

Hallo @Kerzenschein!

Ein paar Details:

Sie stand vor dem Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte.
Vor dem Fenster finde ich immer etwas schwierig/missverständlich. Könnte auch heißen, dass sie draußen steht. Sie stand am Fenster ...
Und eigenes kann weg, ihr sagt schon alles.

Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, wie er seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte, das Sakko auf einen (Kleider)Bügel an den Garderobenhaken hängte.
Wie @Woltochinon bereits anmerkte, würde auch ich hier etwas kürzen (auch das erste wieder, den er schießt die Tür ja nicht erneut/wieder), und dem Aufhängen des Sakkos könnte man mittels Bügel zu mehr Akustik verhelfen.

Er kam herein und schlang seine Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen.
Kommt im Verlauf häufiger vor: Unschön und oftmals leicht zu ersetzten, weil eindeutig, dass das seine Körperteile sind.
Er kam herein und schlang die Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte. Er legte das Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen.

Langsam ließ sie den frischgeriebenen Parmesan über sein Risotto rieseln. Sie mochte keinen Parmesan. Und sie hasste Risotto. Daher richtete sie für sich nur eine kleine Portion an, ohne Parmesan.
Kleinkariert: Das Rieseln dürfte immer gleich schnell passieren. Vielleicht: Gewissenhaft verteilte sie den frischgeriebenen Parmesan über seinem Risotto.
Zudem 3x Parmesan – zumindest den letzten würde ich durch Käse ersetzen.

Als sie sich setzte und ihren Rücken anlehnte, zuckte sie zusammen. Unauffällig verlagerte sie das Gewicht wieder nach vorne.
Auch hier: welchen Rücken sonst? Vielleicht schlicht: ... und sich anlehnte, ...
Finde zumeist auch unauffällig schwierig. Wie verlagert man unauffällig das Gewicht? Mat tut es einfach. Vielleicht: beiläufig

Die Kerzen brannten. „Auf unser Wohl“, sagte er und hob sein Weinglas. Seine schlanken Hände waren sauber, der Rand seines Tellers auch. Sein Lächeln versprach alles. Hatte sie es tatsächlich früher einmal `magisch` genannt?
Seine Krawatte hing schief, aber sie sagte nichts.

Er hob die Gabel zum Mund, öffnete, schob sich das Risotto in den Mund, kaute.

Nur einmal hatte er ihr gegenüber Schwäche gezeigt, als er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob er daran schuld gewesen wäre.
Sollte die Betonung nicht eher auf er liegen?

Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen. Sie war die Stärkere, vollendete an ihm das, was er an ihr begonnen hatte.
Habe das zunächst so gelesen, dass nie wieder vorkommen sollte, dass er ihr etwas eingesteht ... Vielleicht ein Absatz?
das könnte weg

Wirklich nicht neu, dennoch nicht schlecht erzählt.

Gruß,
Sammis

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Kerzenschein,

zunächst einmal Hut ab für deinen Mut, diese Geschichte zu teilen und dich der Kritik zu stellen. Dein Text hat eindeutig das Potenzial, tiefgründig zu berühren und erschüttert den Leser auf leise, aber eindringliche Weise. Du hast hier eine super Basis für einen düsteres Psychogramm geschaffen.

Hier meine Anmerkungen:

Ich muss gestehen, dass ich deine Geschichte beim ersten Lesen völlig falsch verstanden habe. Ich war über ein paar Sätze gestolpert und habe dann ein falsches Setting zusammengesetzt, sodass mir im weiteren Verlauf einige Anspielungen nicht aufgefallen sind. Ich dachte, er hätte sie wiederholt betrogen. Aber er hat sie misshandelt, korrekt? Auch die Möglichkeit, dass sie ihn vergiftet, ist mir entgangen. Ich dachte, wir hätten es hier einfach mit einem kleinen Alltagspsychogramm zu tun.

Mit dem zweiten Lesen hat sich das Bild verändert, aber ich sehe jetzt auch, was mich in Runde 1 rausgeschmissen hat. Ich gehe einmal durch:

Sie stand vor dem Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte. Stattdessen fühlte sie, fühlte die pulsierenden Stellen an ihrem Körper.

War mir offensichtlich zu subtil. "Pulsierende Stellen" assoziiere ich jetzt auch nicht per se mit Schmerz, zumindest nicht ohne Kontext.

Er kam nach Hause. Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte; das Rascheln des Sakkos, das er an den Garderobenhaken hängte.
„Schatz, ich bin zu Hause“, rief er.

Das wirkt auf mich wie eine Phrase, denn so oder sehr ähnlich ist dieser Satz in Film und Fernsehen schon x Mal gefallen, sodass ich ihn in dieser "klassischen" Form mittlerweile sogar satirisch lesen würde.

Vor dem Hintergrund der Situation finde ich ihn auch psychologisch nicht plausibel. Der Mann weiß, was er getan hat, und da es sich hier offensichtlich um kultiviert-reflektierte Menschen handelt, wird er wissen, dass er seine Tat nicht so einfach überschminken kann mit Süßholzraspelei ("Schatz") und Alltäglichkeit. Auch wird seine Frau nicht jetzt erst, an diesem Abend, auf die Gewalttat mit Kühle reagieren. Plausibler fände ich solche Alternativen:

Er könnte entweder lakonisch-kühl nach Hause kommen:

Er kam nach Hause. Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte; das Rascheln des Sakkos, das er an den Garderobenhaken hängte.
„Bin da!“, rief er.

Oder man könnte ihr hier direkt kurz die Kontrolle zu entziehen, um seinen dominanten Charakter herauszustellen. Du könntest den Einstieg etwas ausweiten und dann:

"Na, was gibt's?"
Sie fuhr zusammen. "Ich hab dich gar nicht reinkommen gehört."
Schnell verdeckte sie das Schälchen vor sich mit einem Spültuch.
(Mit so etwas könntest du foreshadowen.)

Er kam nach Hause. Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte; das Rascheln des Sakkos, das er an den Garderobenhaken hängte.
„Schatz, ich bin zu Hause“, rief er.
Sie nickte.
„Ich habe dir was mitgebracht.“
Wieder nickte sie.

Er kam herein und schlang seine Arme um ihre Taille.

Da es ungewöhnlich ist, vor sich hinzunicken, würde ich das irgendwie als Info einbauen oder etwas abfangen. Ich denke, wenn auch unbewusst, ist das ein szenischer Stolperstein; man verortet den Mann bei ihr im Raum.

Er kam herein und schlang seine Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen.
„Das Essen steht noch nicht auf dem Tisch!“
Sie schob sich aus seiner Umarmung. „Ich habe ein bisschen länger gebraucht, ich wollte den Parmesan frisch reiben.“
Sie ging an ihm vorbei und ignorierte sein Stirnrunzeln.

Über diesen Satz bin ich extrem gestolpert. Bis jetzt, wo ich die Antwort schreibe, habe ich gedacht, sie sagt ihn, was ich völlig unplausibel fand. Jetzt wird mir klar, dass er ihn sagt, aber auch das ist mir zu ausgelutscht. Diese Frage ist wie oben das "Schatz, ich bin zu Hause" in meinen Augen eine verbratene Phrase, ein überpointierter Satz, wie man ihn heute rückblickend in Sketchen dem dominanten und patriarchalen Mann aus den 50ern in den Mund legt. In dieser platten Reinform wurde wahrscheinlich schon damals selten gesprochen (hoffe ich), heute funktioniert so ein Satz gar nicht mehr, außer eben vl. als scherzhafte Persiflage.

Zwei Sätze weiter, der nächste Stolperstein. Parmesan reiben dauert vielleicht zwei Minuten. Das fängt seine Frage also überhaupt nicht ab. Soll das so? Dass er die Stirn runzelt, deutet an, dass du das so intendiert hast, aber so ganz fügt sich das alles für mich nicht zusammen. Warum hat sie denn länger gebraucht? Wir erfahren es nicht, oder? Und warum hat sie als Figur länger brauchen müssen? Du zeichnest sie überlegt und strategisch und scheinbar hatte sie prinzipiell genug Zeit zum Kochen? Warum also ist sie nicht trotz ihres Plans auf den Punkt?

Wie schon oben angedeutet denke ich, dass du sie zu defensiv und unterwürfig zeichnest. Wenn sie wirklich schwer misshandelt wurde, sollte sie ihm gegenüber deutlicher Reaktionen zeigen, die ihm klar machen, dass er nicht direkt zum Alltag zurückkann. Das Geschenk zeigt ja, dass er vielleicht nicht schuldbewusst ist, aber etwas wieder gut machen will. Lass sie doch in der ganzen Szene stärker wie eine verletzte Frau reagieren.

Ein Schlüssel kratze im Schloss.
"Bin da!"
Sie hörte, wie er die Haustür schloss, seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte, wie sein Sakko raschelte, als er es an den Garderobenhaken hängte.
"Na?" Er kam auf sie zu und schlang die Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an, um sein Aftershave nicht riechen zu müssen.
"Wie geht's dir?"
Sie antwortete nicht auf diese Frage. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen. „Ich habe dir was mitgebracht.“
"Aha."
Sie löste sich aus seiner Umarmung. "Essen dauert noch einen Moment. Der Einkauf heute hat etwas länger gedauert."
"Riecht schon mal gut."
...

In der Küche richtete sie das Safran-Trüffel-Risotto auf seinem Teller an. Dabei achtete sie darauf, dass der Tellerrand sauber blieb. Langsam ließ sie den frischgeriebenen Parmesan über sein Risotto rieseln. Sie mochte keinen Parmesan. Und sie hasste Risotto. Daher richtete sie für sich nur eine kleine Portion an, ohne Parmesan.

Wieso kocht sie Essen, das ihr selbst nicht schmeckt? Warum weiß er das nicht und fragt nicht nach? Mit Blick aufs Ende ist man geneigt zu denken, das Gericht sei eine Zwangsläufigkeit, um die Schalentiere untermischen zu können, aber das ist ja keineswegs so. Diese würden auch in einem dicken, kräftigen Sugo oder einer Fleischpastete geschmacklich untergehen. Quält sie sich hier selbst? Das ist genau an diesem Abend für mich nicht plausibel – im Zeitraum vorher vielleicht, aber das ist doch der Moment ihres Rückschlags.

Vorsichtig, um das Handgelenk zu schonen, setzte sie seinen Teller vor ihm ab.
Das kleine weiße Schächtelchen, das auf ihrem Platz lag, schob sie beiseite. Als sie sich setzte und ihren Rücken anlehnte, zuckte sie zusammen. Unauffällig verlagerte sie das Gewicht wieder nach vorne.

Diese Anspielungen sind mir völlig entgangen. Wenn man arglos liest und zudem noch nach dem Grundkontext und der Situation an sich sucht, dockt das Gehirn an so etwas wohl einfach nicht an. Zumindest meins nicht.

Ich persönlich denke auch, dass man sich als Autor nicht zu sehr auf die detektivischen Fähigkeiten des Lesers verlassen sollte. Allein vom Kognitiven her wird es schwer, eine Geschichte am Ende, wenn ein entscheidendes Detail schließlich enthüllt wird, rückblickend neu aufzurollen. Man liest im Fluss und setzt ein Bild zusammen, kleine Anspielungen am Rande vergisst man schnell wieder, wenn das Geschehen selbst sie nicht präsent hält.

Das Forum ist in diesem Fall kein guter Resonanzraum, weil man hier erstens sehr genau und analytisch und zweitens häufig mehrmals liest. Aber "da draußen" hat man nur eine Chance. Der Wald-und-Wiesen-Leser liest nur einmal und ohne viel Kredit zu geben.

Im Grunde baust du alles schon sinnvoll auf, aber diese ganzen kleinen Ungereimtheiten in deinem Storytelling summieren sich auf, sodass die Geschichte nicht optimal zieht. Wenn es am Ende um das Untermischen von Schalentieren geht, müssen diese schon am Anfang aufgetaucht sein und irgendeine Rolle gespielt haben in der Story. Der Leser muss sich am Ende an die Schalentiere erinnern, nicht am Ende eine Schalentierallergie irgendwie mit einem Safran-Trüffel-Risotto zusammenführen.

Die Kerzen brannten. „Auf unser Wohl“, sagte er und hob sein Weinglas. Seine schlanken Hände waren sauber, der Rand seines Tellers auch. Sein Lächeln versprach alles. Hatte sie es tatsächlich früher einmal `magisch` genannt?

Auch das ist psychologisch deplaziert, finde ich. Er hat sie allem Anschein nach gerade erst vermöbelt, jetzt prostet er auf ihr Wohl? Damit machst du ihn und die Story zu einem überzeichneten Schwarz-Weiß-Schema. Spannender wären menschliche Grauzonen, Ambiguitäten, realistischere Reaktionen, die der Leser selbst nachvollziehen kann.

Seine Krawatte hing schief, aber sie sagte nichts.
Das Klirren der Gläser klang so kalt wie ihr Körper sich anfühlte. Kalt und pulsierend.
Sie lächelte, weil er es erwartete, und schaffte es, nicht auf seinen Teller zu sehen.
Er hob die Gabel zum Mund, öffnete, schob sich das Risotto in den Mund, kaute. Sie aß ihren Teller leer, öffnete das Schächtelchen. Es war ein goldener Ring mit einem Diamanten. Er war ihr zu protzig. Trotzdem schob sie ihn sich auf den Finger.

Again: Ein goldener Ring mit Diamant als Wiedergutmachungsgeschenk ist himmelschreiend überzeichnet. Warum bucht er nicht das Wellness-Wochenende, das sie sich mal gewünscht hat, oder stimmt endlich zu, eine neue Couch zu kaufen? Er sollte an etwas andocken, was ihr normalerweise tatsächlich gefallen hätte. Sie kennen sich offensichtlich schon lange und gut; der Mann soll doch kein Idiot sein, oder? Mach ihn zu einem meisterhaften Manipulator, dem sie verständlicherweise lange auf den Leim gegangen ist, weil sie ihn nicht durchschaut hat.

Nur einmal hatte er ihr gegenüber Schwäche gezeigt, als er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob er daran schuld gewesen wäre.
Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen. Sie war die Stärkere, vollendete an ihm das, was er an ihr begonnen hatte.
Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.

Hier erklärst du die Intention deiner Geschichte und die Charaktere. Das würde besser aus dem Text selbst hervorgehen.

Insgesamt hat die Geschichte alles Potenzial der Welt, verlangt aber auch nach sehr viel Erzählkunst, denke ich. Es ist ja ein rein psychologisches Kammerspiel, das allein von der Konsistenz der Charaktere und der Dynamik leben soll, trotzdem aber irgendwie Backstory einflechten muss. Das ist schwer; solche Texte leben meist von diesen winzigen Details, über die der Leser denkt: genau so! Da biegt dein Text also in gewisser Weise genau falsch ab, denn er setzt stark auf althergebrachte und teilweise sogar ausgelutscht-überzeichnete Elemente.

Das Gute ist, dass das eine perfekte Grundlage für Arbeit am Text ist: Das Grundgerüst kann bleiben, wie es ist, an den Details und an den Besonderheiten kannst du nun in Ruhe feilen.

Freundliche Grüsse,

HK

 

Moin, Kerzenschein,

vorweg,
mir lag und liegt die Fassung von heute morgen, 9:40 vor, vllt. hat sich dies oder das von selbst erledigt ...


„Das Essen steht noch nicht auf dem Tisch!“

Seine Krawatte hing schief, aber sie sagte nichts.

Verschweigen als Ansatz von Rebellion,

liebe[r] @Kerzenschein?,

innerhalb der kleinstmöglichen Gruppenbildung.

Als Krawatten- und/oder „Fliegen“verweigerer hat mich dergleichen schmuckes Statussymbol bis gerade kaum, und wenn doch, nur am Rande interessiert … Als Mündel hab ich unter dem Firlefanz gelitten.

„Schatz, ich bin zu Hause“, rief er.
Sie nickte.
„Ich habe dir was mitgebracht.“
Wieder nickte sie.

In alten Zeiten galt und war das Eigentum – etwa in der Anzahl des Viehs, das einem „gehörte“ - als „Schatz“ bezeichnet und da ist es nicht unwahrscheinlich, dass dem Patriarchen das angetraute Weib mit darunter geriet, wiewohl die Frau des Hauses gegenüber dem niederen Personal die „Herrin“ wurde.
Erinnert sei das sprachgeschichtlich die „frouwa“ (ahd,: „Herrin“) vom „Herrn“ (ahd. „fro“, von dem auch die „fron“ kommt) abgeleitet ist (das engl. “wo-man wird ähnlich verlaufen). -
Nach der Historik ein bissken Korrekturlesen

Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte.
Keine Bange, da ist kein Satzzeichen vergessen, aber vllt. höbe ein Gedankenstrich/eine Sprachpause nach dem scheinbaren Wohlgeruch (das Signal, dass sie ihn nicht riechen mag?) hervor, etwa durch Unterbrechung durch einen Gedankenstrich?

Daher richtete sie für sich nur eine kleine Portion an, ohne Parmesan.
Komma weg – evtl. wie zuvor einen Strich …
Das Komma kann hier hin
Das kleine weiße Schächtelchen, das auf ihrem Platz lag, s…
verlegt werden, denn beide Attribute sind unabhägig voneinander

„Auf unser Wohl“, sagte er ….
„!,“!!!!

Das Klirren der Gläser klang so kalt wie ihr Körper sich anfühlte.
Das ist pseudo-poetisch.
Wie fühlt sich ein Klang an?

Sie lächelte, weil er es erwartete, und schaffte es, nicht auf seinen Teller zu sehen.
Auch ein Indiz gesellschaftlicher Dressur

Trotzdem schob sie ihn sich auf den Finger.
Erwähnenswert wäre allein, den Ring auf eines andern Hand zu schieben

und damit schönes Restwochenende aus'm Pott vom

Friedel

 

Hallo @Sammis,

danke dir für deine Zeit und das Kommentieren.

Sie stand vor dem Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte.
Vor dem Fenster finde ich immer etwas schwierig/missverständlich. Könnte auch heißen, dass sie draußen steht. Sie stand am Fenster ...
Und eigenes kann weg, ihr sagt schon alles.
Ich hatte tatsächlich erst vor ...:lol:. Das eigene behalte ich gerne als Verstärkung, dass sie sich nicht mehr wahrnimmt.

Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, wie er seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte, das Sakko auf einen (Kleider)Bügel an den Garderobenhaken hängte.
Wie @Woltochinon bereits anmerkte, würde auch ich hier etwas kürzen (auch das erste wieder, den er schießt die Tür ja nicht erneut/wieder), und dem Aufhängen des Sakkos könnte man mittels Bügel zu mehr Akustik verhelfen.
Ich finde, das erste wieder passt schon, er macht die Tür ja vorher auf, also muss er sie auch wieder zumachen. Auch wird dadurch deutlich, dass sie ihn schon gehört hat, als er die Tür öffnete, nicht erst beim Schließen. Sie steht also da, erwartet ihn ...
Das andere hatte ich inzwischen schon geändert.

Er kam herein und schlang seine Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen.
Kommt im Verlauf häufiger vor: Unschön und oftmals leicht zu ersetzten, weil eindeutig, dass das seine Körperteile sind.
Er kam herein und schlang die Arme um ihre Taille. Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte. Er legte das Kinn auf ihre Schulter, ohne ihre Frisur in Unordnung zu bringen.
Ich weiß, dir sind Artikel lieber;), aber ich mag die Possesivpronomen lieber; ich finde, durch sie identifiziert man sich mehr mit der Person, wohingegen die Artikel distanzieren. Dennoch habe ich es etwas entzerrt.
Langsam ließ sie den frischgeriebenen Parmesan über sein Risotto rieseln. Sie mochte keinen Parmesan. Und sie hasste Risotto. Daher richtete sie für sich nur eine kleine Portion an, ohne Parmesan.
Kleinkariert: Das Rieseln dürfte immer gleich schnell passieren. Vielleicht: Gewissenhaft verteilte sie den frischgeriebenen Parmesan über seinem Risotto.
Zudem 3x Parmesan – zumindest den letzten würde ich durch Käse ersetzen.
Habe ich gerne übernommen.

Als sie sich setzte und ihren Rücken anlehnte, zuckte sie zusammen. Unauffällig verlagerte sie das Gewicht wieder nach vorne.
Auch hier: welchen Rücken sonst? Vielleicht schlicht: ... und sich anlehnte, ...
Finde zumeist auch unauffällig schwierig. Wie verlagert man unauffällig das Gewicht? Mat tut es einfach. Vielleicht: beiläufig
Bei deinem Vorschlag und sich anlehnte, hätte ich doppelt sich hintereinander. Hier muss der Fokus auf ihren Rücken gelenkt werden als Hinweis auf ihre Schmerzen.
Bei unauffällig genauso; sie muss sich unauffällig - also bewusst - bewegen, damit er ihre Schmerzen nicht mitbekommt. Beiläufig wäre zu ... beiläufig.

Vielen Dank für deine Hinweise, die mir zu reflektieren geholfen haben.

Viele Grüße
Kerzenschein

 

Hallo @H. Kopper,

wow, vielen vielen Dank, dass du dich so umfassend mit meinem Text auseinandergesetzt hast, deine Arbeit weiß ich wirklich zu schätzen!
Ich war mir von Anfang an nicht sicher, ob die subtilen Anspielungen greifen und sehe jetzt, nach mehreren Kommentaren, dass eben nicht. Da ist mir deine Analyse eine enorme Hilfe. Ich werde mir deine Kommentare in der nächsten Zeit vornehmen und an meinem Text feilen. Dann habe ich auch entsprechend vorgearbeitet, um dir auf die einzelnen Punkte antworten zu können.
Bis dahin nochmals vielen Dank für dein Engagement und willkommen im Forum.

Viele Grüße
Kerzenschein

 

Hallo @Friedrichard,

schön, dass du wieder vorbeigeschaut hast und danke dafür.

Sie hielt den Atem an, sein Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte.
Keine Bange, da ist kein Satzzeichen vergessen, aber vllt. höbe ein Gedankenstrich/eine Sprachpause nach dem scheinbaren Wohlgeruch (das Signal, dass sie ihn nicht riechen mag?) hervor, etwa durch Unterbrechung durch einen Gedankenstrich?
Habe ich gerne übernommen. Und richtig, sie kann ihn nicht riechen.

Daher richtete sie für sich nur eine kleine Portion an, ohne Parmesan.
Komma weg – evtl. wie zuvor einen Strich …
Habe ich auch gerne übernommen.
Das kleine weiße Schächtelchen, das auf ihrem Platz lag, s…
verlegt werden, denn beide Attribute sind unabhägig voneinander
Das auch ...
„Auf unser Wohl“, sagte er ….
„!,“!!!!
Und das natürlich besonders gerne!

Das Klirren der Gläser klang so kalt wie ihr Körper sich anfühlte.
Das ist pseudo-poetisch.
Wie fühlt sich ein Klang an?
Da hatte ich eher im Kopf, dass das Klirren ihr einen Schauer verursacht, etwa so wie das Kratzen langer Fingernägel auf einer Tafel.

Sie lächelte, weil er es erwartete, und schaffte es, nicht auf seinen Teller zu sehen.
Auch ein Indiz gesellschaftlicher Dressur
So isses

Trotzdem schob sie ihn sich auf den Finger.
Erwähnenswert wäre allein, den Ring auf eines andern Hand zu schieben
Habe ich auch gerne übernommen.

Vielen Dank für deine Anmerkungen!

Viele Grüße
Kerzenschein

 

Mich hat der Titel auf die Geschichte aufmerksam gemacht. Wie die anderen Kommentatoren auch, sehe ich eine sehr gute Anlage und Intention in der Geschichte, die mir allerdings zu holperig startet und auch zu diffus endet. Ich hätte etwa den Anfang ganz anders begonnen, indem vielleicht eine ganz klare Subjektivität zugunsten der Erzählerin vorherrschen sollte.

Weiterhin könnte in kleinen Gesten angedeutet werden, was der Ehemann etwa schon einmal versprochen hat, aber dann nicht erreichen konnte. Hier könnten auch Dialoge eingesetzt werden, um z.B. die erwähnten gesellschaftlichen Erwartungen zu reflektieren. Der Ausspruch wie "Du solltest mehr lächeln" dürfte vielen Frauen bekannt sein. Damit könnte man hier spielen.

 

Hallo @Dohlenmann,

danke dir für deinen Kommentar. Ich bin gerade dabei, die Geschichte zu überarbeiten. Mal sehen, wie sie sich dann liest ...

Viele Grüße
Kerzenschein

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Kerzenschein,

Einen dichten und atmosphärisch dichten Text präsentierst du. Sehr eindringlich und gekonnt. Ich kann nicht sagen, dass ich mir meiner Interpretation sicher bin, gleichzeitig glaube ich, dass es auch nicht im Einzelnen darauf ankommt, was zwischen den beiden geschehen ist oder geschieht. Sondern um das Gefühl, das aufkommt, wenn ich Zeuge dieser Abendessensszene bin. Und diese Szene halte ich für gelungen.
(Ich habe jetzt noch keine Interpretationen gelesen, falls in den Kommentaren oben solche sein sollten).

Einige Stellen habe ich kopiert:

Sie stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Doch sie sah nichts, auch nicht ihr eigenes Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte. Stattdessen fühlte sie, fühlte die pulsierenden Stellen an ihrem Körper.
Ein starker Einstieg, ich war sofort drin und gespannt. (Nach meinem Geschmack könnte das 'stattdessen' weg, aber es ändert nicht viel: ... in der Scheibe spiegelte; sie fühlte die pulsierenden Stellen ...).

Er kam nach Hause.
Nach deinen ersten Sätzen -- so erging es mir -- fand ich diesen Satz sofort 'bedrohlich'. Ohne genau sagen zu können, warum. Aber das ist es, was ich meinte: Die Stimmung dringt durch. So würde sie das nicht sagen in der Lage, wenn es etwas Alltägliches oder Schönes wäre, was sie erwartet. Was deine nächsten Sätze zementieren:

Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte; das Rascheln des Sakkos, das er an den Garderobenhaken hängte.
Die scharfe Wahrnehmung aller Kleinigkeiten, sogar der Raschelgeräusche des Sakkos -- verraten ihre Anspannung, wenn nicht Angst. Das wäre andernfalls nicht wert, wahrgenommen oder beschrieben zu werden. Ausgezeichnet gemacht.

Sie hielt den Atem an – das Aftershave eine Tortur, er sollte nicht merken, wie ihr Körper reagierte.
Hier gefallen mir Details in der Formulierung nicht ganz, aber inhaltlich passt es genau. (Ich würde statt Aftershave -- Rasierwasser schreiben; den zweiten Teil des Satzen hätte ich auch anders formuliert, aber wohl Geschmackssache und tut auch nicht viel zur Sache. Es gibt mehrere Stellen, an den 'Feilarbeit' noch Positives für die Geschichte bewirken könnten).

Seine schlanken Hände waren sauber, der Rand seines Tellers auch.
Diese Beiläufigkeit, mit der etwas Gravierendes dem 'Normalen' hinzugefügt wird: sehr gelungen. Da ist unter den Fassaden -- den sauberen Händen -- gewaltig etwas in Unordnung. Eine psychische Deviation, Zwanghaftigkeit? Als darunter liegendes Problem, zumindest als Trigger?

Das Klirren der Gläser klang so kalt wie ihr Körper sich anfühlte.
Die kalt klirrenden Gläser 'machen' wieder mit wenig Aufwand deutlich Stimmung. (Und wieder hätte ich den zweiten Teil anders geschrieben, weil die Gläser für sich stehend stärker sind, nach meinem Geschmack).

Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.
Die kleine Abweichung ist: 'über seinen Körper', denn eigentlich würde sie sagen: 'über ihn hinweg'. Dann kommt die Klammer, jetzt sieht sie ihr Gesicht. Gefällt mir gut.

Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen. Sie war die Stärkere, vollendete an ihm das, was er an ihr begonnen hatte.
Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.
Eine gute Schlusssequenz. Allein der farbige Teil hat mich etwas rausgebracht aus dem Block. Das mit der Sache, dass sie die Stärkere ist, das würde ich auf jeden Fall streichen; das wäre auch machbar, denn das ist impliziert durch das Folgende. Das mit der 'Vollendung' habe ich allerdings auch nicht einordnen können. Stark wäre es auch, wenn der ganzen orange-farbene Satz weg wär:

Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen. Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.

Oder doch?
Er hatte geschworen, es würde nie wieder passieren. Doch sie hatte sich dasselbe geschworen und vollendete an ihm das, was er an ihr begonnen hatte.
Sie sah über seinen Körper hinweg zum Fenster, in dessen Scheibe sich ihr Gesicht spiegelte.

Danke dir, schöner Text, regt die eigene Fantasie an, die Gefühle, der auslöst, sind der Kern.

Gruß von Flac

Jetzt habe ich noch gestöbert in den anderen Anmerkungen:

Stärker wäre die Aussage noch, wenn "er ihr seine Krustentierallergie gestanden hatte, als ob sie daran schuld gewesen wäre."
Das ist an sich eine gute Idee und würde auch gut zu seinem Charakter passen. Nur verliert dann das kursive daran seine Bedeutung, mit dem ich angedeutet habe, dass er an ´dem anderen´ schuld ist. Oder kommt das nicht durch? Mal sehen, wie ich das löse.
Ich habe an der Stelle auch kurz gestutzt, aber es ist beim zweiten Blick genau richtig, wie es da steht, denn es geht um DARAN, das du auch kursiv gesetzt hast -- ist somit der Verweis auf das andere, viel Gewichtigere, daher kannst du das so lassen wie es ist, denke ich.

Vor dem Hintergrund der Situation finde ich ihn auch psychologisch nicht plausibel. Der Mann weiß, was er getan hat, und da es sich hier offensichtlich um kultiviert-reflektierte Menschen handelt, wird er wissen, dass er seine Tat nicht so einfach überschminken kann mit Süßholzraspelei ("Schatz") und Alltäglichkeit.
Das ist ein Irrtum. Das ist nicht unbedingt der Fall. Es wird nach Gewalttätigkeiten sehr häufig 'Alles ist doch normal' gespielt; ich könnte da einige Geschichten erzählen. Manche glauben das auch tatsächlich. Dass sie mit besonders viel Freundlichkeit ihr 'Konto wieder aus dem Dispo holen'. Auß0erdem gehe ich davon aus, dass das 'Ereignis' nicht zum ersten Mal auftrat, sondern bereits mehrfach, vielleicht regelmäßig; dann müsste der Diamantring aber vielleicht durch was weniger Teures ersetzt werden. Außer der ist die 'Sammel-Belohnung für ein Zehner-Packet'.

Sie hörte, wie er die Haustür wieder schloss, wie er seinen Aktenkoffer auf den Boden stellte, das Sakko an den Garderobenhaken hängte.
Du vermeidest so "wie" - "wieder" - "wie". Hört man das Aufhängen des Sakkos? Vielleicht das Klappern der Autoschlüssel auf der Ablage?
Da stimme ich auch nicht zu. Gerade das Explizite, wie er die Tür schließt, wie er seinen Koffer stellt -- macht hier den Ton perfekt; stelle mir vor, das vorzulesen, und da wäre dieses 'wie' die treibende Silbe im Rhythmus. Und auch, dass sie etwas hört, was man normalerweise nicht hört, das Rascheln des Sakkos, wie das Fallen der Stecknagel -- zeigt an, wie sehr ihre Sinne angespannt sind. Daher finde gerade das ausgezeichnet ;)

In alten Zeiten galt und war das Eigentum – etwa in der Anzahl des Viehs, das einem „gehörte“ - als „Schatz“ bezeichnet und da ist es nicht unwahrscheinlich, dass dem Patriarchen das angetraute Weib mit darunter geriet, wiewohl die Frau des Hauses gegenüber dem niederen Personal die „Herrin“ wurde.
Ich kannte einen Despoten, der seine Frau sogar, während er sie niedermachte, noch 'Schatzi' nannte. Das hörte sich so an: "Schatzi, du blööööde Kuh, gleich fängst du eine, wenn du nicht die Klappe hältst."

 

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