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Schreie im Kopf

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10.12.2003
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Schreie im Kopf

Wände. Weiße Wände. Überall. Wo ist er? Er kneift die Augen zusammen. Die Decke. Der Boden. Auch weiß. Angst. Platzangst. Er hat doch Platzangst. Verzweifelung. Er rennt. Der Gang unendlich lang. Kein Ende. Er lässt sich fallen. Zieht die Beine ans Kinn. Ein Wimmern. Was ist das? Er horcht. Es hört nicht auf. Aufstehen. Er muss aufstehen. Weitergehen. Beruhigen. Er muss sich beruhigen. Zittern. Aschfahle Hände. Seine Hände ertasten die Wände. Glätte. Seine Finger hinterlassen eine feuchte Spur. Er gleitet hinab. Lässt sich fallen. Sein Kopf. Was ist mit seinem Kopf? Schreie. Sie dröhnen in seinem Kopf. Aufhören. Aufhören. Ein Pochen. Er sieht sich um. Das Licht schmerzt. Nichts. Niemand. Pochen. Immer noch. Er sinkt zusammen. Sein Kopf in einer Blutlache.

Benommenheit.
Stille.
Dunkelheit.
Ruhe.
Er will nur Ruhe.
Schlafen.
Nur Schlafen.

Aber es gibt kein Entrinnen. Keinen Schlaf. Wieder die Schreie. Die Schreie eines Mädchens in seinem Kopf. Ein Messer. Blut. Entsetzen. Schreie. Wieder Schreie. Seine Hand. Das Messer. Seine Hand am Messer. Blut spritzt. Das Mädchen schreit. Es schreit. Lachen. Sein Lachen. Noch ein Stich. Immer wieder. Kein Schreien mehr. Nur noch Blut. Überall Blut. Ruhe. Endlich Ruhe. Ein Schlag. Schmerz. Noch ein Schlag. Ein Schädel bricht. Sein Schädel. Dunkelheit. Endlich. Erlösende Dunkelheit.

Er öffnet die Augen. Weiße Wände. Immer noch. Nein. Aufhören. Schreie. Wieder Schreie. Überall. Für immer.

 

Hi goldi_x,

ein interessanter Text. Man gerät völlig außer Atem.
Ich muss aber sagen, dass ich es ziemlich anstrengend finde, dass der abgehackte Stil sich konsequent komplett durchzieht. Er wird gewöhnlich verwendet, um einem kurzen Abschnitt einer Geschichte Tempo zu verleihen. Deine Geschichte aber hat von vorn bis hinten dieses Tempo - sogar an einer Stelle, wo Benommenheit, Stille, Dunkelheit und Ruhe stehen - da passt das Tempo einfach nicht mehr. Vielleicht würde es helfen, da nach jedem . eine neue Zeile anzufangen.
Zum Inhalt kann man nicht viel sagen. Vielleicht geht es um einen verrückten Sexualstraftäter, der in Erinnerungen an seine Tat gefangen ist. Das wird nicht weiter klar, und damit fehlt mir ein bisschen die Tiefe. Die Geschichte wirkt wie eine kleine Facette, wie ein Ausriss aus einer größeren.
Sie funktioniert auch für sich allein genommen, finde ich, aber ich halte den Ansatz für Ausbaufähig, vielleicht mit "normal" geschriebenen, davor und dahinter gestellten Abschnitten? In der vorliegenden Form finde ich den Text mehr experimentell als seltsam - wenn man nach dem Inhalt geht, würde er auch gut nach "Gesellschaft" passen.

Fazit: Interessantes sprachliches Experiment, inhaltlich etwas dünn aber ausbaufähig.

Uwe
:cool:

 

Hallo Uwe!

Vielen Dank für deine Antwort.
Du hast recht, der Abschnitt der Ruhe wirkt zu schnell. Das werde ich gleich mal überarbeiten.

Den Hintergrund der Geschichte habe ich absichtlich nicht genauer aufgeklärt, da ich wollte, dass jeder Leser sich seine eigenen Gedanken dazu macht. Aber wenn du meinst, dass dadurch Tiefe fehlt, ändere ich das vielleicht doch noch.

In dem Punkt, dass es sich um einen Straftäter handelt, der in seinen Erinnerungen an die Straftat gefangen ist, hast du übrigens recht.

Ich glaube, ich werde die Geschichte noch mal richtig überarbeiten, mir kommt da gerade so eine Idee.

Auf jeden Fall vielen Dank, du hast mir sehr geholfen!
Viele Grüße, Sylvia

 

Hi Red,

Vielen Dank, das baut mich echt auf! Genau das was du geschildert hast, wollte ich eigentlich mit dem Text auch erreichen. Man soll einfach überrollt werden davon.

Ich habe mir eine ganz surreale Szene vorgestellt gehabt als ich den Text geschrieben habe. Ein Mann steht mitten in einem völlig weißen Gang. Er ist ganz alleine. Da bekommt er Angst, fängt an zu rennen. Dann fangen die Schreie in seinem Kopf an. Die Erinnerungen an den Mord holen ihn ein, lassen ihn nicht mehr los. Sie zwingen ihn in die Kniee und bringen ihn bis zur Bewusstlosigkeit. Im Geiste sieht er die ganze Szene nochmal vor sich. Als er das Mädchen umgebracht hat, wird er selbst erschlagen (von einem anderen Mann) und stirbt. Der weiße Gang ist für mich die Hölle. Und die Strafe für den Mord ist es, dass er die Szene immer und immer wieder durchleben muss. Man könnte aber auch denken, dass er sich in einer psychatrischen Anstalt befindet und von seinen Erinnerungen nicht mehr los kommt. Beides finde ich gut. Soviel zu meiner Grundidee.

Aber wie du sagtest, man vergisst die Geschichte schnell wieder. Sie dringt nicht tief ins Gedächtnis ein. Deshalb finde ich den Vorschlag von Uwe gut am Anfang und Ende noch einen "normalen" Text anzufügen sehr gut und werde das auch mal ausprobieren.
Ich bin zur Zeit noch ziemlich viel am ausprobieren und versuche einen eigenen Stil zu finden.

Viele Grüße,
Sylvia

 

Hi,

ja, dein Text ist wirklich ein Gepard unter den Tieren. Schnell und bissig. Auch jagst du den Leser sprichwörtlich, bis ihm die Puste wegbleibt. Der Stil ist ein sehr wirksames, formales Mittel, wie du hier auch schon lesen konntest.
An den richtigen Stellen gebraucht, entwickelt er beim Leser das Gefühl von Bewegung, Bedrängnis, Enge, Ausweglosigkeit. Er muss einfach das Tempo mitgehen, sonst bleibt er auf der Strecke.
Aber wie gesagt: weniger ist oft mehr. Es wäre schade, wenn du dieses besondere Stilmittel überstrapazieren würdest.
Da du ja noch dabei bist, deinen Stil zu finden (wie eigentlich die meisten Schreiber- man lernt nie aus;)), versuche doch, ihn mit längeren Textpassagen zu kombinieren, eben in eine "konventionelle Geschichte" einzubetten.

Lg
Jan

 

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