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Schrecksekunde
Eigentlich wunderte es Howard nicht wirklich als er die ernüchternde Krebsdiagnose bekam, er war engagierter Raucher, Hobbyalkoholiker und verweigerte sportliche Aktivitäten so energisch, wie jemand mit einem Sprachproblem einen Flirt mit Frauen mied.
Howard war Mitte fünfzig, stark übergewichtig, eine wandelnde Garantie für einen Herzinfarkt und fühlte sich wie ende sechzig, was jedoch nichts mit dem Befund der Ärzte zu tun hatte, im Gegenteil, er freute sich über perfide Weise auf seinen baldigen Tod.
Das Leben hat ihm schon lange nichts mehr geboten, nach dem Tod seiner Frau schien ihm nichts mehr Freude zu bereiten und nur noch das Gefühl zu vermitteln, in einer Endlosschleife voller Monotonie zu hängen.
Die junge Schwester, die ihm die Diagnose als erstes mitteilte (und verdammt sexy bei der Todesbotschaft rüber kam, wie er sich erinnerte) sagte ihm, dass die Metastasen in seiner Lunge bereits im Endstadium seien und er sich darauf einstellen sollte, nur noch einige Wochen zu haben, im besten Falle etwas mehr als ein Monat.
Nun saß er dort, in seiner heruntergekommenen Wohnung, die er seit Emmy´s Tod, welcher bereits einige Jahre zurück liegt, nicht mehr bewusst geputzt hat und mit der Sicherheit des baldigen Endes vor Augen, wie ein Sportschütze seine Zielscheibe, auch nicht mehr vor hatte zu reinigen.
Er wischte sich mit seiner linken Pranke über die verschwitzte Glatze, während er mit der rechten monströsen Hand eine Kippe aus einer fast leeren Lucky Strike Packung zog, die auf dem Küchentisch lag, sich in den Mundwinkel steckte und sie freudig ansteckte, wie ein kleines Kind eine Wunderkerze.
Er versank in Gedanken, während er genüsslich an seiner Zigarette zog.
Einige Wochen sagte die kleine Schnalle, willst du´s wirklich noch solang machen alter Mann? Wieso nicht schon mal ein bisschen vorgreifen und dem Krebs den Nährboden nehmen?
Der Gedanke an Suizid beunruhigte ihn mehr, als die Tatsache, dass sich in seinem inneren ein Geschwür befand, welches so rasend expandierte wie das Universum.
Er nahm einen langen Zug von seiner Kippe und drückte sie im randvollen Aschenbecher, der einem Igel ähnelte aus.
Er war müde und antriebslos. Kein Feuer brannte mehr in ihm, nicht wie vor vielen Jahren, als er Emmy kennen lernte und er das Gefühl hatte, den Sinn des Lebens entdeckt zu haben.
Alles um ihn herum schien nur noch eine schwammige Fassade zu sein, hinter der sich die Hässlichkeit des Lebens versteckte. Er erhob seinen wuchtigen Körper vom klapprigen Küchenstuhl (Gott allein weiß wie dieser Stuhl das Gewicht all die Jahre aushalten konnte, ohne zu kapitulieren), um die anstrengende Reise Richtung Minibar im Wohnzimmer auf sich zu nehmen. Fettringe tanzten auf seinem freiliegenden Bauch auf und ab, so stetig wie das kommen und gehen der Flut.
Nachdem er den Marathonlauf ins Wohnzimmer (es ähnelte eigentlich eher einem Schlachtfeld mit Tendenz zu einer Müllhalde, als einem Wohnzimmer) hinter sich gebracht hatte, stürzte er sich begierig auf die Kommode mit ihrem wertvollen Inhalt.
Er musste nicht schauen wohin er griff, es war so fest verankert und einstudiert wie ein Auftritt des Starlight Express.
Mit Leichtigkeit angelte er zwei Flaschen gleichzeitig hinaus, eine Pulle Jacky und eine Flasche alten Scotch. Howard Bradley hatte nie einen guten Geschmack für Mode, Kunst oder anderen kulturellen Kram, zumindest keinen, der Alltags tauglich war, aber in Sachen Alkohol kannte er sich besser aus als Mr. Scott in seiner Enterprise.
Er wanderte mit gesenktem Blick und von leisen inneren Stimmen geplagt, wieder Richtung Küchenstuhl, der seine Wiederkehr sicherlich schon sehnsüchtig erwartete.
Na los Howard, beende es. Was hält dich noch? Nichts, und das weißt du auch. Es ist alles unnötig, Tag für Tag die selbe Scheiße durch zu kauen, in Selbstvorwürfen wegen dem Tod deiner Frau zu ertrinken und sich dann zu fragen, warum man überhaupt existiert. Du existierst um zu sterben, und je schneller das passiert, umso besser. Wie lang willst du dich und deine Mitmenschen noch bedrücken?
Howard machte einen für ihn eher untypischen Umweg zur Diele, um dort aus einem alten Eichenschrank eine kleine Kiste zu nehmen.
Als er wieder die Küche erreichte, ließ er sich erleichtert in seinen tapferen Küchenstuhl gleiten und drehte den Verschluss der Flaschen ab, nachdem er die kleine Schatulle grob auf dem Tisch abwarf.
Er setzte die Whiskey Flasche an und nahm einen gewaltigen Schluck, ein Schluck wovon normal sterbliche Wochenendtrinker die Milz von ausgekotzt hätten, doch für Howard Bradley war das ein flaues Lüftchen, gerade groß genug, um ein bisschen Ordnung in sein Chaos zu bringen.
Er benötigte lediglich eine halbe Stunde um beide Flaschen zu leeren, nachdem er den letzten Schluck genommen hatte und sich erneut auf den Weg zu seiner geliebten Oase machen wollte, meldete sich sein Unterbewusstsein zurück.
Hey Howard, bist ja immer noch da. Ich glaub so langsam sollten wir mal zu einem Abschluss kommen, findest du nicht auch? Ich weiß ja nicht was dich noch am Leben hält, aber für mich ist es so interessant wie dem Grass beim wachsen zu zusehen und selbst da wird einem mehr Action geboten, also tu uns beiden den Gefallen und jag dir endlich ne´ Kugel durch den Schädel!
Anstatt zu seinem kleinen Tempel zu gehen, der ihm die letzten Jahre soviel Liebe schenkte wie seine Frau zu Lebzeiten, blieb er in seinem treuen Stuhl sitzen und zog die kleine schwarze Kiste zu sich, die er vorhin dort ab lud.
Er öffnete sie und holte einen alten Revolver (wie man ihn aus etlichen Western Filmen kennt) ans Tageslicht.
Nach vier langen Jahren tust du endlich mal das richtige Howie. Meldete sich seine innere Stimme zurück.
„Halts Maul!“ entwich es Howard, wohl wissend, dass er zu sich selbst redete, aber diese verfluchte Stimme machte ihn noch verrückt, oder hatte es bereits getan.
Er nahm den Revolver und schlug die Trommel auf, es blitze und funkelte, vermutlich das einzige im ganzen Haus. Er nahm alle Patronen und steckte sie langsam hinein, wobei er nicht verständliche Sätze murmelte und das perfekte Bild eines Psychopathen abgab während er dabei wild zu sich selbst gestikulierte.
Es bereitete ihm Freude die Waffe zu laden, sie fühlte sich grandios an, als hätte sie einen eigenen Charakter, das Gewicht von ihr lag wie eingearbeitet in seiner Hand, er hatte ein Ziel vor Augen und er würde es schon sehr bald erreicht haben.
Er steckte die letzte Patrone hinein, schlug die Trommel zu, spannte den Abzug und richtete den Lauf zitternd an seine Schläfe.
Tu es, na los! Tränen liefen sein Gesicht hinunter, er hatte Angst, wahnsinnige Angst. Er schloss die Augen und ließ sein Leben Revue passieren. Alles zog an ihm vorbei, seine ältesten Kindheitserinnerungen, der erste Kuss, die erste Liebe, sein erstes Auto und seine geliebte, die er auf tragische Weise durch einen Autounfall verlor, den er verschuldet hat, bis zu diesem Tag, wo er hier saß, die geladene Waffe an seinen Kopf gerichtet und fest entschlossen es endlich zu tun. Doch irgendetwas hinderte ihn, eine geistige Handbremse verhinderte, dass sein Zeigefinger die letzten Millimeter des Abzugs zurück drückten, er dachte gerade daran es noch einmal auf zu schieben, es zu überdenken, ob Emmy es so gewollt hätte, doch plötzlich klingelte das Telefon, dicht gefolgt vom ohrenbetäubendem Knall eines Schusses, der Howard´s Hirn über den Küchentisch und den Fußboden verteilte und sein Leben schlagartig beendete. Er war schon immer schreckhaft gewesen.
Der Anrufbeantworter schaltete sich ein.
„Mr Barkley! Hier spricht Dr. Edington, ich habe gute Neuigkeiten für sie, die Diagnose von ihrem Krebsbefall hat sich als inkorrekt heraus gestellt, wir haben den Befall fälschlicher Weise als Metastasen eingeordnet, tatsächlich leiden sie unter einer weniger aggressiven Art, welcher durch verschiedene Therapiemöglichkeiten heilbar ist. Bitte entschuldigen sie..“