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Schmetterlinge
雨
Das Verbot
Kiras Mutter lag eingewickelt in einer schwarzen Bettdecke. Ihr Gesicht - ganz blass -und ihre Augen - geschlossen. Der Kopf ruhte auf einem grauen Kissen. Das Schlafzimmer roch nach Schweiß.
„Meine liebe Tochter.“ Ihre Stimme war nur noch ein Hauch.
„Mutter.“ Kira spielte mit ihrem Haar. Ihr Blick zum Boden gerichtet.
„Ich habe so lange darüber nachgedacht.“Sie rang nach Luft.
„Mutter, du musst nicht reden.“
Sonnenlicht schien durch das Fenster und erfüllte den Raum mit Wärme.
„Kira, lass mich ausreden.“ Nach einer Atempause sprach sie weiter: „Du bist eine wundervolle Tochter und ich bin so stolz auf dich.“ Die Fingernägel der Mutter waren gelb und brüchig.
„Danke, Mutter.“
„Ein Freund deines Vaters hat einen Sohn. Er ist so wundervoll wie du. Meine Kira, du wirst ihn lieben. Wenn du ihn heiratest, hast du ein schönes Leben. Er ist Uhrmacher.“
Kira biss sich auf die Unterlippe.
„Das hört sich schön an, Mutter. Ich weiß nicht, ob ich ihn heiraten will, aber ich kann ihn ja einmal treffen.“
„Er ist ein guter Mensch. Ihr seid füreinander bestimmt. Ich weiß es. Ich bin deine Mutter.“
„Ja.“
„Ich weiß nicht, ob ich morgen noch lebe. Er kommt morgen früh mit seinem Vater.“ Die Mutter keuchte.
Kira blickte aus dem Fenster. Hauptsache, nicht mehr auf das Bett gucken müssen. Draußen flatterten zwei Schmetterlinge. Das Fenster war so schmutzig, dass Kira sie nur verschwommen wahrnahm.
„Wie du willst.“
„Ich will beim Sprechen von einem Schwur sterben wie mein Vater.“ Sie blickte Kira an.
„Gut, Mutter.“
Sie hob ihre Hände. „Ich wünsche mir so sehr, dass ihr heiratet. Den Wunsch einer sterbenden Mutter … können nur die mächtigsten Geister brechen.“ Dann begann die Mutter, mehrmals zu hauchen. Im ganzen Zimmer verbreitete sich ein süßer Duft.
Die Atempausen der Mutter wurden immer länger. Schließlich sah es so aus, als würde sie schlafen. Der süße Duft verschwand.
Kira verließ das Zimmer.
Sie hatte nicht geweint. Wieso nicht?
Kira bemühte sich darum, wenigstens eine Träne zu vergießen. Sie schaffte es nicht. Stand einfach so im Gang.
„Hat sie dir gesagt, was wir morgen machen?“, sagte ihr Vater in derselben Nacht. Seit dem Tod von Kiras Mutter herrschte Stille. Vater und Tochter schienen die Stimmen verloren zu haben. Wenn sie sich unterhielten, flüsterten sie nur. An diesem Tag schwiegen sie größtenteils.
Kira fuhr mit ihrer Hand über die Kommode. An ihrer Haut klebte Staub.
„Ja, hat sie.“
„Morgen treffen wir ihn hier in diesem Zimmer.“ Er legte seine Hand auf ihren Kopf.
„Vater, eine - Frau hat mich auf meiner Heimreise begleitet. Sie ist in der Taverne. Darf ich zu ihr hingehen?“
Er blickte sie scharf an.
„Eine Frau? Du warst doch in der Alchemieschule. Da gibt es keine Frauen.“
„Ich, ähm.“
„Komm nicht auf solche Ideen. Nein, wir haben uns seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Ich bin dein Vater. Unterhalte dich doch mit mir.“ Seine Arme waren behaart. Kaum zu glauben, dass er dasselbe Alter wie Kiras Mutter hatte. So stark wie ein Bär schien er noch zu sein.
Viele Stunden später lag Kira in ihrem Bett. Es war ihr Schicksal. Ihre Eltern haben es ihr erlaubt, drei Jahre in der Heiltrankschule zu studieren. Das war genug Rebellion. Es war nun Zeit, den Eltern etwas zurückzugeben.
Das Fenster war offen. Draußen muss es Tulpen geben. In der Küche gäbe es bestimmt auch Zimt.
Ein Flüstern erfüllte ihr Zimmer. Eine helle Stimme hauchte: „Mach es nicht!“
Peri!
Ein Zittern durchfuhr Kiras Körper.
War es wirklich …? An solche Dinge sollte sie nicht denken!
Es war eine unsittliche Idee. Eine unsittliche, und sie durfte nie wieder über so etwas denken. Wieso will sie sich immer in Schwierigkeiten stürzen?
Im Bett liegend – halb träumend - erinnerte sich Kira zurück:
天真
Alchemie
Der Lehrmeister war offensichtlich begeistert gewesen.
„Das ist die beste Mixtur, die ich von einem Schüler gesehen habe“, murmelte er mit geweiteten Augen. Nach einem Husten fasste er sich wieder: „Liebe Schüler, ihr habt zwar jetzt offiziell einen Abschluss, die Synthese eines Schlaftrankes wird euch dennoch nicht empfohlen. Wenn ihr die Zimtstangen, Tulpen und die Gewürze nicht in genau der richtigen Menge in genau der richtigen Dauer aufkocht, kann so eine Mischung schnell tödlich enden.“
Ido, ein dicklicher Lehrling mit hoher Stimme, hatte es nicht nur gewagt, eine solche Mixtur für seine Abschlussarbeit zu synthetisieren. Nein, er trank sogar vor seinem alten Lehrmeister und vor seinen Mitschülern einen Schluck seiner Kreation und fiel augenblicklich in ein todesähnliches Koma. Gott sei Dank wachte er kurz danach wieder auf.
***
Shinsu lief in Idos Zimmer auf und ab.
Er hatte Augen so braun wie die Rinde einer Kiefer und leicht zusammengekniffen.
Aber immer wieder blitzte für kurze Zeit ein anderes Augenpaar auf: zwei schwarze, traurige Löcher. Mit diesem Gesichtsausdruck sah er jetzt seinen Freund an.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du so sinnlos dein Leben riskiert hast.“
„Das war ein Schlaftrank und kein Todestrank“, entgegnete Ido lächelnd.
„Naja, trotzdem. Der Tod ist nicht witzig.“
„Bist du immer noch sicher, dass du mich begleiten willst?“
„Natürlich. Es ist gefährlich, alleine bis zu deiner Heimatstadt zu reisen. Abgesehen davon, muss ich dich seelisch unterstützen. Wegen deiner Mutter. Du weißt schon.“
„Ja, sie hat eine der wenigen Krankheiten, die man noch nicht heilen kann: Altersschwäche.“ Er lächelte seinen Freund an. „Und du kommst auch wegen meiner Schwester Kira, oder?“
Shinsus Augen funkelten golden auf. Er schloss sie schnell. „Also, du sagst mir ja ständig, wie hübsch sie sein soll.“ Dann drehte er sich von Ido weg.
Ido kicherte. Er verschränkte die Arme. „Sie würde dich sehr mögen. Ich hoffe, meine Eltern finden auch Gefallen an dir. Weißt du, eigentlich war sie mehr an Heiltränken interessiert als ich.“
„Ja, aber Frauen dürfen diese Kunst nicht erlernen.“ Die Holzaugen zeigten sich wieder.
„Findest du das nicht unfair?“
„Ich? Wieso denn?“
„Irgendwie schon, oder?“ Schiefer Blick von Ido.
„Ich weiß es nicht. Ähm, die Geister wissen es am besten und das sind die Gesetze, die die Geister festgelegt haben! Also, wenn wir morgen früh die Reise beginnen wollen, dann müssen wir jetzt schlafen“, sagte Shinsu und tat dabei so, als würde er gähnen. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“
„Sind die Pferde schon bereit, um morgen aufzubrechen?“
„Ich habe schon im Stall nachgeguckt.“
Sein Freund verließ das Zimmer.
Ido lachte eine ganze Weile.
Währenddessen nahm er seine Mütze ab und ließ das Haar von den Schultern herabhängen, zog die Schuluniform aus, die mit Kissen gefüllt waren, um die weiblichen Rundungen zu verstecken.
Sie, es gab keinen Zweifel an ihrem Geschlecht, würde es ihm sagen. Während der Reise würde sie ihm sagen, dass sie Kira war. Dass sie sich hier als Mann eingeschlichen hatte, um alles über Heiltränke zu lernen.
海
Das Meer
Während der Reise sahen Ido und Shinsu ein Blumenfeld. Jasmin, Rosen, Tulpen blühten direkt neben dem Meer. Überall flogen Schmetterlinge in unterschiedlichsten Farben und Mustern. Der Wind war warm und roch nach Parfüm.
„Lass uns hier rasten“, schlug Ido vor. „Unsere Pferde können uns kaum noch tragen.“
Sie banden ihre Reittiere an einen Baum.
„Du kennst doch diesen Ort, oder Shinsu?“
„Lass mich überlegen. Das - hier soll doch Peri leben, oder? Die Herrscherin der Winde.“
„Bei uns im Dorf gibt es eine Sage, die man mir immer erzählt hat, als ich klein war. Peri soll einmal ein unglückliches Liebespaar in zwei Schmetterlinge verwandelt haben, damit sie für immer zusammen leben konnten. Kennst du die Geschichte?“
„Eigentlich nicht, nein.“
„Achso, macht nichts. Shinsu, wollen wir ein wenig schwimmen?“
Zwei schwarze Löcher blickten Ido an.
„Shinsu, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Deswegen zeige ich es dir.“ Er enthüllte sein Haar vor seinem Freund. Dann befreite er seine Kleidung von Kissen und zeigte so seine Rundungen.
Vor Shinsu stand ein dünnes Mädchen mit Augen so blau wie das salzige Meer. Ihr Gesicht war so weiß und rein wie Alabaster. Vor ihm stand sie da und sah aus wie eine Statue. Eine Statue ...
Shinsus Nase begann zu bluten. Sie brachte ihm ein Stofftuch.
„Ich bin Kira.“
„Wieso?“
„Warum sollen es nur Männer machen dürfen? Ich war die beste der Schule.“
„Und Ido?“
„Ido gibt es nicht. Ido ist eine Lüge.“
Dann schwieg sie. Ihre Augen waren auf das Meer gerichtet. Da war kein Ufer, kein Festland. Ewiges Blau.
Er betrachtete ihr Gesicht. Ido hatte schon immer eine hohe Stimme. Das gab ständig Anlass zu Witzen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er ein Mädchen ist, aber seine Körperfigur und sein Verhalten wirkten auf jeden ungewöhnlich. Ganz am Anfang ihrer Schulzeit wollte niemand neben ihm – nein ihr – sitzen.
Shinsu hasste damals noch seine Familie, die so tat, als wäre alles normal. Er hasste sein ganzes Schicksal.
Doch eines Tages rissen ein paar Schüler Idos Mütze vom Kopf. Wie ein Wasserfall fielen die Haare auf die Schultern. In dem Moment regte sich etwas Elementares in Shinsu. Ohne nachzudenken stürzte er sich auf seine Mitschüler, damit sie Kiras Haar nicht erblicken. Sie lief in das Badezimmer und begann dort zu weinen. Über diesen Tag redete keiner mehr. In dem Moment … ja, in diesem Moment empfand Shinsu das erste Mal in seinem Leben Mitleid für jemanden. Drei Jahre verbrachten sie miteinander. Er brauchte nur einen kurzen Blick auf ihr wahres Gesicht zu werfen, um ständig bei ihr sein zu wollen.
„Und wieso hast du nicht deine Haare kurz geschnitten. Nur Frauen tragen langes Haar. Man hätte dich leicht enttarnen können.“
„Ich weiß nicht.“ Dann lächelte sie zum Meer hinaus. „Kurzes Haar entspricht für Frauen nicht der Religion und Tradition. Irgendwie wollte ich nicht mehr sündigen als nötig. Kurzes Haar ... Das wäre so, als hätte ich das letzte bisschen Glauben in meinem Herzen aufgegeben.“
Shinsu schwieg. Er betrachtete Kira. Dann verdunkelte sich sein Blick.
„Du bist also Kira?“
„Ja.“
„Ich, ich muss dir auch etwas zeigen.“
„Was denn?“
Er zog sein Hemd aus und sie erkannte schwarze, zackige Muster auf seinem Bauch. Nachtnarben! Shinsu litt an einer schrecklichen Krankheit.
Jede Nacht beim Schlafen entstanden auf seinem Bauch diese Zeichen. Eines Tages würde er im Schlaf sterben. Einfach so. Dem Anschein nach grundlos.
Als Kira noch jung war, hatte sie gerne mit einem Nachbarsjungen gespielt. Eines Tages aber hatte ihre Mutter es verboten, Kontakt mit ihm zu pflegen.
„Nein, wieso?“, rebellierte Kira.
Die Mutter flüsterte: „Diese Familie ist verflucht. Wenn du mit dem Jungen spielst, können die Geister wütend auf dich werden.“
Im Winter desselben Jahres starb der Junge an der Nachtnarbenkrankheit. Das ganze Dorf mied die Beerdigung und schloss sich zuhause ein. Kira blickte heimlich aus dem Fenster. Sie sah nur die Eltern des Jungen auf der Straße.
Shinsus Lippen zuckten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Und trotzdem versuchte er, den starken Mann zu spielen:
Er lächelte sie an und schlug vor: „Lass uns über etwas anderes reden.“
Sie redeten aber nicht mehr über etwas anderes. Stumm standen sie sich gegenüber.
Kira guckte sich um. Niemand war in Sichtweite.
Sie zog sich aus und enthüllte nun vollkommen ihren Körper.
Shinsu schloss sofort die Augen. „Was machst du da?“
„Niemand sieht uns. Komm schon, Shinsu. Lass uns ins Meer gehen.“
Barfuß lief sie zum Wasser und blickte zaghaft nach hinten zu ihm. Langsam. Schritt für Schritt folgte er ihr.
***
Die Sonne war schon untergegangen und die beiden lagen wieder angezogen im Blumenfeld.
„Ist das ein schönes Geschenk?“ Shinsu zeigte ihr eine pinke Rose.
„Oh.“ Sie schloss die Augen und sog den süßlich bitteren Duft ein. Griff nach dem Stängel. „Au!“
„Ist was passiert?“ Er nahm ihre Hand. Kira blutete. Er legte seine Lippen auf ihre salzige Haut und küssend reinigte er die Wunde an ihrem Finger. Dann nahm er die Rose und schnitt die Dornen mit einem Messer ab.
„Danke.“
„Ich habe doch nichts gemacht.“
„Danke für die Blume.“
„Ach so, ja, gern geschehen. Hier, nimm sie.“
Und ein starker Wind begann, sie zu umwehen. Blütenblätter stiegen in die Luft.
„Shinsu, wir kennen uns schon seit drei Jahren. Seit drei Jahren sind wir beste Freunde.“
„Kira, ich will immer mein Leben mit dir teilen. Ich liebte dich schon, als ich nur von dir gehört habe. Ich schwöre dir Treue.“
„Ich schwöre dir Treue, Shinsu. Peri, bitte erhöre unseren Liebesschwur.“
Für diesen kurzen Moment, lebten beide einen Traum, der in einem Meer aus Blüten geboren wurde.
Sie schliefen ein, während sie sich umarmten.
Sonnenschein kitzelte Kiras Nase. Zwischen Traum und Wirklichkeit.
Doch sie wachte nicht neben Shinsu auf. Sie lag in ihrem Bett im Hause der Eltern. Und heute musste sie sich mit einem fremden Mann treffen. Aber bestimmt gab es Zimt in der Küche. Bestimmt gab es im Garten Tulpen. Es war eine verrückte Idee. Sie würde ihre Kunst missbrauchen, aber auch ihre Familie verraten. Sie wollte doch nur Shinsu.
酒
Das Treffen
Der Uhrmacher, der Kiras Mutter so sehr gefiel, hieß Zuke. Seine Augen waren braun und seine kurzen Haare auch. Das Wort „sauber“ könnte ihn wohl am ehesten beschreiben. Er wirkte wie jemand, der sich täglich wäscht und immer darauf achtet, sich gut anzuziehen. Alles in allem war er ein gut aussehender Junge.
Trotzdem servierte Kira ihm den verhängnisvollen Wein. Ihm, seinem Vater und auch ihrem eigenen Vater. Es ist Tradition, dass Frauen keinen Wein trinken.
Sie griffen nach den Gläsern.
„Papa.“
„Was ist denn, Kira?“
Sie nagte an ihrem Fingernagel.
„Lass doch deine Hand aus dem Mund. Was ist denn? Sag schon?“
Zuke kicherte.
„Nichts“, sprach sie und stemmte ihre Füße unauffällig gegen den Boden. „Trinkt ruhig den Wein.“
In ihrem weißen Kleid wartete sie darauf, dass alle drei Männer in Schlaf fielen. Der konzentrierte Schlaftrank würde einige Stunden wirken.
Sie lief so schnell wie möglich aus dem Haus. Eiskalter, regnerischer Wind peitschte ihr ins Gesicht und ruinierte ihr Kleid. In diesem Zustand erreichte sie die Taverne.
„Guten Tag. Ist ein Mann namens Shinsu noch da?“, fragte sie eine Frau in schwarzer Weste, die hinter einem Pult stand.
„Ja, wollen Sie zu ihm geführt werden? Er liegt noch im Bett.“
„Ja, bitte“, seufzte sie.
***
Alle Wände waren schwarz gestrichen. Er schlief noch. Sein Gepäck stand in einer Ecke des Raumes. Auf ihm thronte das Messer, mit dem er die Dornen der Rose geschnitten hatte.
„Shinsu, wach auf.“
Er wachte nicht auf.
„Shinsu?“ Sie schüttelte ihn.„Shinsu, das ist nicht lustig.“
Sie schlug ihm ins Gesicht.
„Shinsu! Wach auf!“
Die Frau mit der Weste betrat das Zimmer.
„Warum schreien Sie hier so herum? Meine Gäste wollen schlafen.“
„Es tut mir Leid. Ich glaube, mein Freund hier ist – “, ihre Stimme wurde zittrig.
„Was ist denn?“ Ihre Stimme wurde weich. Wie Federn.
„Sehen Sie.“ Kira zeigte der Frau Shinsus Nachtnarben am Bauch.
„Oh mein Gott!“ Die Frau nahm Kira sofort in die Arme. „Ich weiß, es muss schwer sein.“
Tod.
„habe versprochen … “
„So habe ich auch meine Schwester verloren“, flüsterte die Frau Kira ins Ohr.
„Wieso gibt es diese Krankheit? Warum schützen uns die Geister nicht davor?“
„Ich weiß es nicht. Die Geister wissen es aber am besten.“
„Verdammt! Diese Geister sind Mörder! Mehr nicht.“
Die Frau musterte Kira mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ich weiß, es ist schwer.“
„Du weißt gar nichts!“ Kira sprach so, als würde sie mit einem Straßenköter reden.
„So redet niemand mit mir in meiner Taverne. Gehen Sie. Ich kümmere mich schon um die Beerdigung von ihren Zhengde.“
Kira nahm Shinsus Gepäck, sein Messer und sein Pferd. Ihr Vater würde bald aufwachen. Er würde als erstes bei der Taverne nach ihr suchen. Sie seufzte. Dann lief sie der Straße entlang. Shinsu.
Überall waren Leute, die miteinander spielten. Sich amüsierten. Idioten. Für so einen Schwachsinn waren sie früh am Morgen aufgewacht? Irgendwelche dummen Kinder schrien wild herum.
Kira konnte ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Ihre Hände zitterten. Die Kinder schauten sie an. Das Weinen fühlte sich so gut an.
Sie musste weg. So schnell wie möglich weg.
自殺
Kiras Tod
„Oh, gütige Peri. Mitleid hast du mit den unglücklichen Seelen wie ich und Shinsu es sind. Er ist tot! Ich flehe dich an, Peri, hilf uns.“
Diesen Satz wiederholte Kira wie ein Mantra bis die Sonne unterging.
Ich flehe dich an, Peri, hilf uns! Ich flehe dich an, Peri, hilf uns! Ich flehe dich an, Peri, hilf uns! Ich flehe dich an, Peri, hilf uns!
Sie kniete den ganzen Tag, betete bis zum Sonnenuntergang zu Peri. Die Tulpen blühten um sie herum. Das Meer rauschte wie immer. Kaum ein Mensch kam vorbei und wenn, dann achtete man nicht auf sie. Es war immerhin nicht ungewöhnlich, dass Verliebte zu diesem Ort kamen.
Sie hoffte, dass der Geist mit ihr Mitleid haben würde. Dass Peri Shinsus Seele in den Körper eines Schmetterlings stecken würde. Mit Flügeln, die nicht so schwarz wie tiefe Löcher waren. Sie wären braun wie lächelnde Kiefern. Der Geist würde auch Kira in einen Schmetterling verwandeln mit Flügeln so blau wie das salzige Meer. Durch Peris Gnade würden beide ihr Unglück vergessen. Sie würden gemeinsam miteinander im Blumenmeer flattern, getragen vom Wind der Liebe, miteinander spielen und ihre ewige Zweisamkeit genießen. Und das alles, weil sie sich liebten und Liebe stärker war als der Tod. Stärker als alles andere.
Aber Peri erhörte ihre Gebete nicht.
Kira stand auf. Sie ging zum Ufer. Shinsus Messer lag in ihren Händen.
Die Sonne war weg. Der Horizont war nur noch schwarz. Es war still. Sie war jetzt alleine. Das erste Mal in ihrem Leben alleine.
Dann schnitt Kira sich ihr Haar kurz. Die abgetrennten Strähnen überließ sie den Wellen. Sie zog sich aus, nahm Shinsus Gepäck und zog seine Sachen an.
命運
Epilog
Kurz nach diesen Ereignissen gründete Kira unter dem Namen Shinsu die erste Alchemieschule, die auch Frauen unterrichtete.
Wir, die Schüler und Schülerinnen Kiras sehen sie - egal ob Mann oder Frau – als eine der wohltätigsten Personen der Menschheitsgeschichte an.
Nach Jahrzehnten mühevoller Arbeit entwickelte unsere Schulgründerin ein extrem komplexes Verfahren, mit der die Nachtnarbenkrankheit geheilt werden konnte.
Zwar konnte man später günstigere und weniger aufwendige Verfahren zur Bekämpfung dieser grauenhaften Erkrankung entwickeln, unsere Schulgründerin machte jedoch den vermutlich schwersten Schritt: Sie war die erste, die gegen den Wind segelte und der Welt zeigte, dass Nachtnarben keine Bestrafung der Geister sind, sondern eine heilbare Erkrankung.
Ihr gesamtes Leben verbrachte sie mit einer Lüge. Sie lüftete bis zu ihrem Tod im hohen Alter ihr Geheimnis nicht und heiratete auch nie. Erst in ihrem Testament enthüllte sie ihr wahres Geschlecht und hinterließ uns eine Vielzahl vermutlich autobiographischer Kurzgeschichten.
Der vorliegende Text ist Teil von Kiras 靈魂