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Schönmacher
Jasmin. Wenn man genau hinsieht – und das mache ich immer – erkennt man das rhythmische Zittern der Haut, dort, wo die Halsvene nahe an der Oberfläche pocht. Ich folge ihren Konturen weiter bis zu den Ohren. »Mm.« Ich stehe auf. »Darf ich?« Sie sitzt auf einem Stuhl und nickt. Ich streiche mit den Daumen über ihre Wangenknochen – die Haut gibt ein wenig zu schnell nach –, nehme ihren Kopf in beide Hände und kippe ihn nach hinten, leicht nach rechts, etwas weiter nach links, dann nach vorne auf meine Brust. Die Fingerkuppen betasten ihre Wirbel, wühlen sich durch blondiertes Haar, das ein wenig struppig ist. Ich tauche die Nase hinein, sie hat es vor ein, zwei Tagen gewaschen, was mich etwas ärgert. Die Parfumnote ignoriere ich so gut es geht und ein Hauch von Liebstöckel kriecht meinen Riechnerv entlang. Ich setze mich wieder und lächele, warte. Sie sieht mich fragend an, ich hebe eine Braue. Wie es scheint, will sie Antworten von mir, also sage ich, man könne hier, vielleicht auch da, und wenn sie möchte ... Sie hebt die Hand und nickt.
Ist eine noble Geste, will ich meinen, jedenfalls verlange ich nichts, außer einer Winzigkeit. Ich sage den Frauen, sie sollen sich nicht waschen, kein Make-up und ja kein Parfum auftragen, das verbessere das Ergebnis. Ein Bad gehöre ohnedies zur Prozedur, was natürlich Blödsinn ist, also das mit dem Waschen, nicht das mit dem Bad. Es funktioniert auch, wenn sie nach Moschus oder Ambra duften – ewiges Versteckspiel, ewige Täuschung. Sie halten sich an meinen Rat, selbst wenn es ihnen schwerfällt.
»Nein, nicht so, ans Fußende, mit dem Kopf voran.« Ich knie vor dem Bett – ihr Kopf auf Höhe meines Nabels – und bitte sie, die Augen zu schließen. Dann recke ich wie ein Sonnenanbeter beide Arme in die Höhe und denke an das Nichts im Universum, öffne und schließe die Hände im flotten Takt, auf und zu und auf und zu, und irgendwann spüre ich, wie etwas aus dem Äther in mich eindringt, ein heißkaltes Fluidum, das durch die Arme fließt, bis hin zur Brust. Die Frau schläft. Ich zittere, würge, die Lippen beben. Meine Finger beenden die Zappelei, ich reibe die klebrig gewordenen Handflächen aneinander. Es fühlt sich so an, als seien sie mit Leim bepinselt, doch da ist nichts. Ich beuge mich über Jasmins Gesicht, ihr feuchter Atem riecht nach Honigminze, kleine Tröpfchen, Perlen bilden sich am Kinn, auf der Oberlippe, der Stirn. Wie eine Sonde hänge ich über ihr, sauge jeden ihrer Gerüche ein; Liebstöckel wieder, Pfeffer und überreifer Käse. Geschmacksknospen öffnen sich. Ich kann das wirklich spüren. Meine Lippen gebären ein Lächeln, die Zunge halte ich herausgestreckt wie ein Maorikrieger vor der Schlacht. Dann die erste Kostprobe, Verzückung macht sich breit. Ich denke an Schwarzwaldwiesen, Frauen mit Sensen im hochgewachsenen Gras, Kühe fressen Löffelkraut, der Himmel öffnet alle Schleusen und Champagner benetzt die Tannenwipfel. Mein ganzer Körper schüttelt sich. Die Zunge gleitet weiter, über ihr Kinn, die Oberlippe, zu den Wangen. Ich fahre zur See, bin Kapitän – Salz liegt in der Brise! –, Kokosnüsse sind die Fracht, Störe segeln durch die Luft und Gischt glänzt schwarz vom Rogen.
Die Brauen: Ich bin Torero aus Toledo. Paella, Rioja, ein Stier durchpflügt Arenasand.
Die Stirn: Wüste, Hitze, eine Oase – nicht weit entfernt –, Dattelpalmen säumen meinen Weg, ich saufe Nektar aus Ambrosia.
Zügeln muss ich mich! Der Lohn im Voraus ist entrichtet. Ich öffne die Augen und betrachte das feucht glänzende Gesicht unter mir. Die Zornesfalte ist merklich tief geworden, mein Speichel füllt die Kerben auf der Stirn. »Sch«, mache ich, mehr zu mir selbst, sie gibt ja keinen Laut. Ich bearbeite Jasmin nun mit den Klebehänden. Die Haut schiebe ich hierhin und dorthin, in kreisenden Bewegungen. Mal wie ein Fisch, mal zugeschwollen wie von Bienenstichen sieht sie aus, die Frau.
Ich tippele über Kieferknochen wie auf einer Tastatur. Der Mensch erwacht, ich lehne mich zurück und atme langsam aus.
Das Bad. »Ein Teil Milch, neun Teile Wasser.« Ziegenmilch vom Ökohof, das sei wichtig! Das Futter – sie versteht. In Zukunft keine Sonne ohne Blocker, nicht den hell gewordenen Teint noch ruinieren! Und Pellegrino. »Ja, mit Kohlensäure.« Die verleiht Frische und Natürlichkeit.
Jasmin lächelt, also der Mund. Die Augen wie von Barbie, die Stirn von Villeroy & Boch. Sie dankt mit Tränen, Hand- und Kopfgeschüttel – ich bin ihr Ken, aber ich muss gehen. Das Highboard wird durchwühlt, das Portemonnaie – pah! – ignoriere ich. Ob sie mich ... Ich nicke, reiche ihr die Karte und wandle von dannen.
Aller guten Dinge sind nicht drei, sondern sieben. Ist so. Und ich mache grundsätzlich Hausbesuche. Ausschließlich Frauen, keine Männer.
Erreichbar bin ich nur per Telefon. Weder Namen – hier nennen sie mich Schönmacher –, noch Adresse teile ich mit, nur die Nummer. Jeden Monat habe ich eine neue. Sie spricht sich rum, breitet sich wie ein Virus aus. Mundpropaganda: Ist die beste!
Sieben Anwendungen, maximal – das mein Rat. Jasmin will acht. Da kann ich noch so mahnen, sie besteht darauf. Gut, was soll’s, es ist nunmehr ihr Wunsch.
Die Arbeit macht mir keinen Spaß, das wusste ich. Jasmin liegt vor mir, nackt, ein ganzes Universum – ebenso steril. Sie riecht nicht mehr! Sie schmeckt nicht mehr! Aller guten Dinge ... Tja. Ein Scheißjob kann das sein. Beim achten Mal ist alles weg. Aber schön, ja, schön, das ist sie. Noch ein, zwei Partien, am Hals, dort an der Hüfte, die Hände auch und zuletzt die Füße, genauer: der rechte kleine Zeh.
Es ist vollbracht. Ich trommele behutsam mit den Fingern auf ihr Kinn, die Wangen. Nichts. Ich rüttele, drücke wie von Sinnen, doch erwachen will sie nicht.
Die Brillenlupe aufgesetzt, betrachte ich sie haargenau. Manche nehme ich mit heim. Stelle sie ins Schlafzimmer oder den Salon. Und jetzt Jasmin. Meine Finger fahren die Konturen ab, gleiten über die stolze Nase, das erhabene Kinn, Schultern, Brüste, bis hinunter zu den Füßen. Eine gute Arbeit. Dennoch ... Ich stöhne auf und entscheide mich: nicht als Ganzes. Die Beine, der Bauch, hm, ich weiß nicht. Der Kopf aber! Der ist ein Muss! Ein kleines bisschen mehr vielleicht.
Amara nehme ich vom Fensterbrett und stelle sie aufs Regal, Anabels Torso nun vor Augen. Jasmin bekommt das helle Plätzchen.
Ein Sonnenstrahl fällt auf ihr Haupt. Draußen wirbt ein Star mit Schöngesang, ganz nah ans Fenster zischt er hin, und kurz bevor er dagegen rumst, flattert er wie wild und fliegt davon.
Ich packe meinen Koffer, denke an Hotels. Klinken muss ich wieder putzen. Es braucht Zeit für einen Namen, den keiner kennt. Das achte Mal, ach, diesmal nicht, das nehme ich mir vor. Und seufze.