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Serie Samuel oder die Pigmentstörung

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19.01.2015
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Samuel oder die Pigmentstörung

Samuel, der seinen Namen selbst englisch aussprach, hatte eine Pigmentstörung. Auf seiner tiefbraunen Wange strahlte ein 50 Cents-Stück großer, weißer Fleck. Wenn er sprach, bewegte sich der Fleck. Wenn er lachte, wölbte er sich. Wenn er trank, dehnte er sich. Der Fleck machte Samuels sämtliche Mimik mit, war einfach da, bedeutete gar nichts, sagte nichts aus über Samuel oder mich oder ein mögliches uns, und trotzdem musste ich hinsehen, die ganze Zeit über hinsehen. Wie hypnotisiert blickte ich nicht tief in Samuels dunkle Augen, sondern starrte nur auf den weißen Fleck.

Samuel war ein Internetdate. Die Fahrt mit dem Rad zu dem Café, in dem wir verabredet waren, war furchtbar gewesen. Um diese Jahreszeit war die Stadt voller Touristen. Ich entschied mich für die Prachtmeile, den Weg vorbei am Hauptbahnhof, Reichstag, Brandenburger Tor, Holocaust-Mahnmal, viel kleiner und auf der anderen Straßenseite das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, dann Potsdamer Platz. Der Fahrradweg war hier gut ausgebaut und breit, farblich abgesetzt und mit eigenen Ampeln ausgestattet. Die Alternative zur Prachtmeile wäre die Friedrichstraße gewesen, bis ganz zum Ende durch. Doch die Friedrichstraße ist die Hölle. Immer und momentan noch mehr als sonst. Der Zugverkehr der U6 zwischen den Stationen „Friedrichstraße“ und „Französische Straße“ war wegen des Baus der neuen U Bahn Linie 55 eingestellt. Die Baustelle nahm die komplette Kreuzung „Unter den Linden“ Ecke „Friedrichstraße“ in Beschlag und machte die Gegend in weiten Teilen unpassierbar. Die Asphaltdecke war weg, alle Ampeln provisorisch, große Teile der Gehwege abgesperrt. Alle Fahrgäste mussten in dem einem U-Bahnhof aussteigen und bis zur nächsten Station laufen, Fahrradfahrer konnten nur schieben, Autofahrer nur fluchen und große Umwege in Kauf nehmen und Rollstuhlfahrer auch. Das wusste ich aus eigener Erfahrung. Ein einziges Mal hatte ich versucht, den Rest des eingeengten Gehsteigs zu benutzen. Da war vor mir eines dieser immer beliebter werdenden Bierfahrräder gewesen, auf denen man von den Seiten strampelt und nur einer schaut nach vorne und in der Mitte gibt es eine Theke und alle, die strampeln, grölen auch. Zwischen mir und dem Bierfahrrad, das den ohnehin beengten Gehweg vollständig verstopft hatte, war eine Rollstuhlfahrerin unterwegs gewesen, die, so wie wir alle, nicht überholen konnte und laut fluchte und schimpfte, was jedoch in dem Gejohle der Bierfahrradfahrer unterging. Diese konnten sie von ihrer Position aus auch gar nicht sehen. Ich lief hinterdrein und hatte politisch unkorrekte Gedanken über Touristen.

Also entschied ich mich dieses Mal für den breiten Radweg entlang der Attraktionen, auch wenn das einen Umweg bedeutete. Aber viel schneller ging es dort auch nicht voran. Denn die Touristen hielten diesen gut ausgebauten farbigen Streifen für einen Teil des Bürgersteigs und so war er immer voll. Klingeln half bedingt. Andere bemerkten von sich aus den Unterschied, sobald sie ein Fahrrad sich schnell nähern sahen. Dann sprangen sie flink zur Seite und zogen dabei oft betroffene Gesichter, wenn sie ihr offensichtliches Fehlverhalten bemerkten. Das waren dann meistens Deutsche, Holländer oder Dänen. Ich hatte mal im Lonely Planet Berlin City Guide gelesen, dass man ausdrücklich davor warne, in Berlin als Fußgänger auf dem Fahrradweg zu laufen, dass das wirklich sehr gefährlich sei und bei den Radlern große Aggressionen auslösen könne. Heute wünschte ich mir, der Lonely Planet Berlin City Guide wäre beliebter und würde vielleicht auch einmal auf japanisch übersetzt und auf italienisch, spanisch, portugiesisch und russisch. Sonst würden meine großen Aggressionen irgendwann real.
Vom Potsdamer Platz aus fuhr ich schräg ab, vorbei an der Ruine des Anhalter Bahnhofs, dem HAU-Theater, der SPD-Parteizentrale. Der Fahrradweg war hier von Rissen und Wurzeln durchzogen und bisweilen zugewuchert. Aber so war wenigstens auch das Gehen darauf unkomfortabel. Am Halleschen Tor bog ich ab ans Ufer und auf die Straße. Prompt wäre ich fast von einem Auto mit nicht-Berliner Kennzeichen überfahren worden. Die nicht-Berliner Autofahrer hatten oft keinen Bezug zum Schulterblick. Ich fluchte laut und beschimpfte den ortsfremden Autofahrer, der bekam nichts mit und fuhr einfach weiter.

Samuel und ich waren in der „Roten Harfe“ am Heinrichplatz verabredet. Als ich ankam, war er wohl schon länger da und ich ziemlich abgehetzt. Seine Kleidung wirkte etwas schäbig, aber er wohnte hier in Kreuzberg, also konnte das Absicht sein. Wir begrüßten uns und ich setzte mich, wir bestellten Café, er den zweiten und ich schaute auf den weißen Fleck auf seiner Wange. Den hatte man auf dem briefmarkengroßen Passbild, das ich bisher nur von ihm kannte, nicht sehen können. Samuels Deutsch war stellenweise schlecht und er verwendete immer wieder englische Versatzstücke und phrasenweise verfielen wir gleich ganz ins Englische. Ich fand dieses Kauderwelsch amüsant, traute mich jedoch nicht zu lachen, da ich nicht wollte, dass Samuel dachte, ich mache mich über seine Deutschkenntnisse lustig. Und so lächelte ich nur nett und schaute auf den weißen Fleck in seinem Gesicht. Gerne hätte ich ihn gefragt, woher er käme. Doch auch das traute ich mich nicht. Dann kam mir das albern vor und ich fragte:
„Woher kommst du?“ Samuel schaute mich seltsam an.
„Aus Afrika“, antwortete er dann knapp.
„Ah. Und aus welchem Land genau?“
„Spielt das eine Rolle?“ Obwohl seine Antwort blöd war, war es mir peinlich. Verlegen schaute ich auf seinen weißen Fleck. Dann ärgerte ich mich stumm ein wenig. Wir bestellten nun zwei Bier und redeten weiter, über das, was ich so tat, über das, was er so tat, über seine Lieblingsfilme und über meine Lieblingsfilme. Ich sagte, dass ich gerne den "Tatort" sähe.
„Was ist das Tatort?“, fragte Samuel. Ich versuchte das Format zu erklären. Erst auf deutsch, dann auf englisch. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er es verstand. Also dachte ich mir Lieblingsfilme aus. Dann redeten wir über Musik. Die Bandnamen und Songtitel, die er nannte, hatte ich alle noch nie gehört. Aber ich lächelte und nickte und schaute dabei auf den weißen Fleck in seinem Gesicht. Das Gespräch langweilte mich. Samuel langweilte mich. Aber ich traute mich nicht etwas zu sagen aus Angst, er würde dann denken, ich fände ihn blöd, wegen seiner Hautfarbe. Ich wusste, dass es dafür im Deutschen einen eigenen Ausdruck gab, die positive Diskriminierung, ein Unwort, von dem ich bislang nicht so recht gewusst hatte, was es eigentlich meinte und was ich davon halten sollte. Nun bekam ich eine Ahnung. Also schaute ich auf Samuels weißen Fleck und schämte mich. Dann ärgerte ich mich wieder, dieses Mal über mich selbst. Das Gespräch zog sich hin. Wir bestellten noch zwei Bier, ich ein kleines. Nachdem ich es ausgetrunken hatte, sagte ich, dass ich nun gehe wolle. Samuel schaute mich an. Sein Blick erschien mir ausdruckslos.
„Hast du ein Problem?“, fragte er dann.
„Bitte?“, machte ich.
„Weil ich schwarz bin“, sagte er.
„Nein!“, rief ich und ärgerte mich über mich selbst, da ich den Eindruck hatte, viel zu laut und viel zu hastig geantwortet zu haben. Dann fühlte ich mich, als hätte ich gelogen und wurde rot, worüber ich mich wiederum ärgerte, so dass ich noch röter wurde.
„Ich geh jetzt“, sagte ich dann und tat es hastig. Vorher bezahlte ich noch die komplette Rechnung.

Ich schob das Rad den engen Bürgersteig entlang bis vor zum Moritzplatz. Der Gehweg war in diesem Teil der Stadt so voll, weil überall Tische und Stühle darauf standen, auch dort, wo es keine Gastronomie gab. Ich dachte an Samuels Pigmentstörung, die er mitten im Gesicht hatte. Dann fiel mir auf, dass ich sein Gesicht nicht hätte beschreiben können. Kurzes krauses Haar, schwarze Augen, dunkle Haut und einen weißen Fleck auf der Wange. Ab dem Moritzplatz gab es wieder einen gut ausgebauten Fahrradweg. Heimweg also nun doch über die Friedrichstraße. Ich gab Handzeichen und fuhr in den Kreisverkehr. Ein Golf kam auf mich zugerast. Ich schaute auf das Auto, das viel zu schnell war, dachte, dass es mich vielleicht erwischen würde und hoffte, dass niemand Samuel die Schuld dafür geben würde und ärgerte mich dann noch eine Zehntelsekunde, weil das schon wieder positive Diskriminierung war. Dann bremste der Golf so scharf vor mir, dass er sich mit quietschenden Reifen schräg stellte. Auf der Seite stand „Bon Jovi“, das konnte ich nun lesen. Es war die Golfgeneration. Darunter hatte jemand einen zweiten Aufkleber gleicher Größe aber in einer anderen Schriftart angebracht. „Böhse Onkelz“ stand dort. Ich starrte die beiden Bandnamen an. Berliner Kennzeichen, dachte ich. Dann ging von der Fahrerseite das Fenster herunter und ein Mann steckte den Kopf heraus. Er hatte einen Gelscheitel und trug eine ganz schmale Krawatte mit sehr kleinem Knoten.
„Tschulje, wa!“, brüllte er mich an und winkte: „Nischt für unjut. Tschulje!“ Er fuhr ganz langsam an mir vorbei und warf mir noch eine Kusshand zu. Ich starrte ihm kurz hinterher. Dann beeilte ich mich über den Kreisverkehr zu kommen. Auf dem Rückweg überlegte ich, ob es wohl sinnvoll wäre, zum nächsten Ersten wieder ein BVG-Monatsticket zu kaufen.

 

Ich fand dieses Kauderwelsch amüsant, traute mich jedoch nicht zu lachen, da ich nicht wollte, dass Samuel dachte, ich mach[t]e mich über seine Deutschkenntnisse lustig.

Oh man, Wetterfee,

was ist passiert – vor wem oder was bistu auf der Flucht in dieser kleinen Szenerie?

Nein, ich mach mich nicht lustig (nicht, dass ich mich nicht traute, der zwote Vorname der Tante Friedchen ist Traudel!) und frag mich doch, wo Deine Deutschkenntnisse hin seien, trotz der vielen Helferlein! Und alles ohne jegliche Ironie – nun gut, eine Pigmentstörung ist was anderes als eine Nudel, die loriotesk durchs Gesicht wandert – sagen Sie jetzt bitte nichts! - und was ist so überraschend daran, dass ein tiefbrauner Mensch seinen Namen englisch ausspricht?, wenn nicht erst heute Leute ihren Sohn zwar David schreiben, aber weder hebräisch noch deutsch, sondern moderbewusst englisch aussprechen.

Samuel, der seinen Namen selbst englisch aussprach, hatte eine Pigmentstörung. Auf seiner tiefbraunen Wange strahlte ein [Fünfzigcentstück // (alternativ in Ziffern: 50-Cent-Stück; meintestu 50 Eincentstücke wäre es einfacher, die betroffene Gesichtshälfte zu nennen] großer, weißer Fleck. Wenn er sprach, bewegte sich der Fleck. Wenn er lachte, wölbte er sich. Wenn er trank, dehnte er sich. Der Fleck machte Samuels sämtliche Mimik mit, war einfach da, bedeutete gar nichts, sagte nichts aus über Samuel oder mich oder ein mögliches uns, und trotzdem musste ich hinsehen, die ganze Zeit über hinsehen. Wie hypnotisiert blickte ich nicht tief in Samuels dunkle Augen, sondern starrte nur auf den weißen Fleck.

Es plappert wie aus Kindermund
Ich schaute auf das Auto, das viel zu schnell war, dachte, dass es mich vielleicht erwischen würde[,] und hoffte, dass niemand Samuel die Schuld dafür geben würde[,] und ärgerte mich dann noch eine Zehntelsekunde, weil das schon wieder positive Diskriminierung war
und der Rückfall in die Schulzeit
Samuel war ein Internetdate. Die Fahrt mit dem Rad zu dem Café, in dem wir verabredet waren, war furchtbar gewesen // Da war vor mir eines dieser immer beliebter werdenden Bierfahrräder gewesen, …
Warum?

Es ginge auch ohne „gewesen“, ohne Schaden zu nehmen. Oder

Ich schob das Rad den engen Bürgersteig entlang bis vor zum Moritzplatz.
In alphabetischer Reihenfolge: … bis vor zum …? Ach, dann doch noch ein Hauch von zarter Ironie in den nur-fluchen-könnenden Autofahrern …
Alle Fahrgäste mussten in dem eine[n] U-Bahnhof aussteigen und bis zur nächsten Station laufen, Fahrradfahrer konnten nur schieben, Autofahrer nur fluchen und große Umwege in Kauf nehmen und Rollstuhlfahrer auch.

Denn die Touristen hielten diesen gut ausgebauten[,] farbigen Streifen für einen Teil des Bürgersteigs und so war er immer voll.

Kann sein, dass ich der sprachlichen Entwicklung nicht immer folge (manchmal nicht mal will), aber seit ihr Investoren?
…, wir bestellten Café, …
ist das Café nicht ein ganzes Kaffeehaus?

„Woher kommst du?“[,] Samuel schaute mich seltsam an.
Aber ich traute mich nicht[,] etwas zu sagen aus Angst, er würde dann denken, ich fände ihn blöd, wegen seiner Hautfarbe
Dann fühlte ich mich, als hätte ich gelogen[,] und wurde rot, worüber ich mich wiederum ärgerte, so dass ich noch röter wurde.
Darunter hatte jemand einen zweiten Aufkleber gleicher Größe[,] aber in einer anderen Schriftart angebracht.

Selten, dass ich mich Vorrednern anschließe, aber hier ist denn mal’ne Ausnahme, meint der

Friedel
Achso, eh ich's vergess: Was sagt denn Moritz dazu?

 

Hey,

ich fands nicht schlecht. Es haben schon ein paar angemerkt, aber was auch mich total an dem Text hier gestört hat, ist der zweite und dritte Absatz. Diese endlosen Beschreibungen der Verkehrssituation in Berlin, das solltest du echt ein gutes Stück runterfahren, da habe ich mich dabei erwischt, drüberzufliegen, weil ich eigentlich was über das Internetdate und dem Typ mit dem Fleck lesen wollte. Das ist es nämlich, was mich interessiert hat - diesen Gag mit der Verkehrslage und das Genervtsein von der Touristen, daswürde ich drinnen lassen, aber echt auf, weiß nicht, ein fünftel des Umfangs reduzieren und die Verkehrslage und -beschreibung Berlins kicken. Das kommt sehr weit vom roten Faden weg und man hat beim Lesen das Gefühl, du kämst ins Plaudern.

Das Date fand ich dann wieder gut. Was mir aufgefallen ist - da wird erst aufgelöst, dass das Date eigentlich schwarz ist, und der weiße Fleck deswegen so auffällt. Ich würde mir überlegen, das gleich schon am Anfang zu erwähnen, denn dann wirkt der weiße Fleck noch interessanter, als wenn ich mir einen Weißen vorstelle, der einen weißen Fleck hat.


strahlte ein 50 Cents-Stück großer, weißer Fleck.
50 Cent-Stück großer, oder?

Seine Kleidung wirkte etwas schäbig, aber er wohnte hier in Kreuzberg, also konnte das Absicht sein.
:D sehr gut!

Ein Golf kam auf mich zugerast. Ich schaute auf das Auto, das viel zu schnell war, dachte, dass es mich vielleicht erwischen würde und hoffte, dass niemand Samuel die Schuld dafür geben würde und ärgerte mich dann noch eine Zehntelsekunde, weil das schon wieder positive Diskriminierung war.
sehr witzig


Ja, das Date und in der Schlussszene, da sind witizige und gute Gedanken drinnen, da merkt man schon, dass du Talent hast. Wie gesagt ... noch mal radikal drüberkürzen beim zweiten und dritten Absatz, das würde deinen Text ein großes Stück nach vorne bringen, auch wenn es dir als Autor wahrscheinlich weh tun würde. Konzentriere dich auf das Thema positiver Rassismus, lass ein paar von den Berlin-Witzen drinnen, hau den Rest raus, das wäre so mein Tipp.

Gern gelesen,

Grüße,
zigga

 

Hallo heiterbiswolkig,

ich habe deine Geschichte nun schon zweimal gelesen - weil ich beim ersten Mal nicht sagen konnte, was mich am meisten daran stört, irgendwie hat mich das ruhelos gemacht.
Denn wie meine Vorkommentatoren schon teilweise anmerkten: Die Thematik der "positiven Diskriminierung" ist/kann doch ganz lustig dargestellt werden, um uns mal aufzuzeigen, wie lächerlich wir wirken, wenn wir 100% politisch korrekt sein wollen und so vorurteilsfrei, dass wir dann auf einmal ein ganz anderes Klischée bedienen ohne zu reflektieren.

Aber du schießt total am Thema vorbei.

Ich fand es amüsant, als du dann meintest, der Punkte ginge an dich, weil du den Ich-Erzähler "unsympathisch" darstellen wolltest und Ane das auch so empfand.
Man sollte sich klar machen: Ein unsympathischer Ich-Erzähler/Protagonist kann sehr gut funktionieren, aber dabei sollte er den Leser nicht so aufregen, dass er den ganzen Text nicht mag und - wie offshore dann meinte - erst durch das Lesen eines Kommentars zu der Geschichte sieht, was du damit bezwecken wolltest.
Ich kenne das Problem von mir selbst. Aus der Ich-Perspektive zu schreiben ist meiner Meinung nach einer der schwersten Kniffe - und dann noch bewusst ein unsympathischer Ich-Erzähler? Das kann klappen (auch wenn ich es selbst auch noch nie geschafft habe), aber positive Beispiele kenne ich da keine aus so kurzen Kurzgeschichten, sondern aus längeren oder Romanen.
Meine Theorie ist, dass der Leser sehr langsam mit dem Gedanken vertraut werden muss, wo das Problem beim Ich-Erzähler ist. Dass er auch nicht zu offensichtlich draufgestoßen werden darf. Als gutes Beispiel fällt mir das der komplexbeladene Erzähler aus Nick Hornbys "High Fidelity" ein, bei dem sich nicht durch eigenes Beschreiben des Erzähler, sondern durch Dialoge und die nicht-wertend geschrieben Interaktion mit der Umwelt herausstellt, dass und wo das Problem beim Erzähler liegt.
So zumindest empfinde ich es diesbezüglich.

Als Bald-Berliner mag ich die Stadt und die Nennung der Straßen/Orte hat mich eigentlich nicht gestört - auch glaube ich zu erkennen, was du damit bezwecken wolltest: Die Protagonistin ist eine eingefleischte Berlinerin, die den Touristen/Nicht-Berlinern die Schuld gibt für alles, was falsch läuft? Überspitzt ausgedrückt. Dass es einen Zweck erfüllen sollte, wie sie den Hinweg beschreibt/was sie dabei fühlt, kann ich erahnen.
Innerlich ist die Prot. sehr angespannt - und deshalb auch darum bemüht, so politisch korrekt aufzutreten?

Du verschießt dein Pulver an der ganz falschen Stelle. Nicht die Verkehrssituation, sondern die Konversation hätte ich gerne besser beschrieben gehabt. Samuel und sein gebrochene Deutsch mit vielen englischen Brocken. Beispielsätze? Wie läuft es ab? Mehr Dialog, mehr Beschreibung. Das hat mir total gefehlt und mich an der Geschichte auch am meisten enttäuscht.
Warum war's zäh/langweilig? Und Samuel schien ihr gegenüber ja auch ziemlich feindselig eingestellt zu, warum?
Das ist nicht stimmig - wenn er sich mit ihr zu einem Date trifft, muss er ja zuvor was an ihr sympathisch gefunden haben (online). Und von ihr weiß ich nur, dass sie sich langweilt, aber was tut sie, dass sie ihn so abschreckt?
Oder tut sie das gar nicht?

Auch die Beschreibung des Pigmentflecks fand ich übertrieben. Das hat mich an ein Kinderbuch mit dem Suppenkaspar erinnert (der unrealistischerweise nach fünf Tagen ohne essen schon verhungert oder so ...).

Weniger ist manchmal mehr, das habe ich selbst auch schon oft genug erkennen müssen.
Viele Grüße
Tell

 

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