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Salz in der Luft
...Dumpf.
Das ist die Antwort auf die Frage nach meinem Befinden. Schon seid langem wandle ich als Toter unter den Lebenden, oder besser gesagt im Leben, denn ebenso lang bin ich allein. Allein in dieser dunklen Wohnung, in der ich in jeder Sekunde diesen widerwärtigen Gestank des Meeres wahrnehme. Dieses Salz, ich rieche und schmecke es. Ich sehe es auch, wie es sich in jeder Ecke, in jeder Nische absetzt und mich verhöhnt, mir den Magen umdreht und mich an den Rande des Wahnsinns führt.
...Ich sitze in diesem verdreckten Sessel, den ich nie haben wollte. Ich hätte mein Leben auf einem Hocken verbracht, doch sie wollte ihn. Und was sie wollte, sollte sie haben. Nun ist sie weg, doch ich sitze immer noch hier, wie eine Puppe ohne Willen. Wie ein Priester, der sich nach Jahren der Abstinenz trotz seiner wilden Geilheit noch immer an einen vergangenen Schwur hält.
...Das Licht eines Scheinwerfers fällt durch meine Balkontür, reißt mein Appartement kurz aus seiner scheinbar ewigen Düsternis und wandelt Schwarz in Grau. Keine Farben. Diese sehe ich schon lange nicht mehr. Meine Augen folgen dem Licht, sehen leere Bierdosen, die sich wie architektonische Meisterwerke in den Himmel schrauben, sehen Nahrungsreste, die trotz unzähliger Konservierungsstoffe der Fäulnis ausgeliefert sind und sehen die alte Pistole meines Großvaters auf dem schmutzigen Tisch liegen. In ihrem Lauf die Kerben seiner Heldentaten. Eine Kerbe für jeden Erschossenen. Sechs Kerben auf einem kurzem Lauf. Sein Gewehr bekam mein Bruder. Ein längerer Lauf. Mehr Kerben.
...Dann verschwindet das Licht und ich bleibe wieder allein zurück. Allein mit der Hitze und dem Salz in der Luft. Ich klebe und stinke, rieche mich schon selbst und ekle mich auch vor mir selbst, doch dies ist nur ein Gefühl. Und für jedes Gefühl, dass ich noch besitze bin ich dankbar.
...In meiner Hand halte ich ein Glas Whiskey. Eine trübe, graue Flüssigkeit, deren rauchigen Geschmack ich früher zu schätzen wusste, wenn er mir die Kehle herunterlief. Wenn ich meine Frau im Arm hielt und wenn beide in Eintracht mit mir den Abend verbrachten. Meine Frau und der Whiskey. Es gab nichts schöneres, bis auf diesen einen Abend am Meer. Verflucht sei es auf Ewig. Meine Frau schwamm und ich trank. Meine Frau ertrank und ich trank. Das Meer hat sie mir genommen und seit diesem Tag schmeckt auch der Whiskey nach Salz.
...An der Decke zieht ein Ventilator seine Runden. Eine nach der anderen. Eine Jede ist ein Kampf gegen die Hitze. Ein Kampf den er nur verlieren kann, doch ich schalte ihn nicht aus. Ich lasse ihn sich weiter drehen, bis er von allein aufgibt. Aber ich weiß, dass er dies nicht tun wird, denn er wird noch laufen, selbst wenn ich schon alt und grau bin. So ist das mit allen aussichtslosen Dingen. Sie bleiben bis zum Ende. Nur die Guten verschwinden irgendwann. Sie hören einfach auf zu laufen.
...Salz. Überall Salz. Den Whiskey hab ich weggeschüttet. Einfach neben mich auf den Boden. Ich kann ihn nicht mehr riechen, nicht mehr schmecken. Nur ein einziger Schluck und ich erbreche all meine Leiden. Wasser trinke ich auch nicht. Das Meer ist aus Wasser. Es sieht genauso aus. Es fühlt sich genauso an, also trinke ich Bier. Nur Bier, denn dies ist wenigstens ein wenig anders, wenn auch nicht viel. Und jeder Schluck an diesem Abend bringt mich einer Entscheidung näher. Ich betrachte die gekerbte Pistole und ich rieche das Meer, fühle seine Wellen, wie sie selbst hier in der Enge meiner Wände über mir zusammenschlagen und ich bin mir sicher, dass ich dies alles nicht mehr lange will. Die Welt hat ihren Reiz verloren und alles darauf ebenso. Sie besteht nur aus Dreck und Schmutz, so wie meine Wohnung, so wie ich. Ich nehme also die Pistole und verlasse meine Wohnung. Etwas, was ich schon lange nicht mehr getan habe. Mein Ziel ist das verfluchte Meer.
...Ich blicke auf die weite Fläche aus Salz und Wasser und ich schmunzle bei dem Gedanken, dass für mich all dies einem reinen Whiskey gleicht. Meine Hand wischt Schweiß von meiner Stirn, so als handle sie ohne meine Befehl. Alles an mir scheint nun aus einer Laune heraus zu agieren, denn ich hebe ohne Grund, ohne Nachzudenken die Waffe meines Großvaters und setze sie mir an die Stirn. Ich fühle ihren kalten Stahl. Ja. Ich fühle ihn und er strahlt einen kurzen Augenblick lang wie Gold in meinen Händen. Helle Farben umspielen ihn wie eine Aura. Ein Leuchtfeuer in einer dunklen Welt. Das Ziel. Nur den Hahn spannen und abdrücken. Aber was bringt es mir? Was bringt mir der Abschied aus dieser trostlosen Welt?
Ich nehme die Waffe wieder von meiner Stirn und richte sie auf das Meer. Ich drücke ab. Höre die Kugeln pfeifen und in meinem Kopf sehe ich das Bild, wie die Projektile das Meer auseinanderreißen. Sechs mal wird es getroffen. Doch keine Kerbe kommt auf dem Pistolenlauf hinzu. Das Meer lebt immer noch. Noch immer sondert es sein schmieriges Salz ab. Überall Salz.
...Ich sitze im Sand und starre in die Weite. Eine Person kommt auf mich zu und betrachtet mich neugierig. Sie fragt mich, ob es mir nicht gut ginge. Wie ich mich fühlen würde, denn ich sähe blass und gezeichnet aus. Ich blicke sie an. Ohne eine Regung antworte ich ihr: Dumpf.