Was ist neu

Salsa

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21.12.2015
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Salsa

Grit hat es schon wieder getan. Sie hat die Aufsatzblätter zusammengerafft und in die unterste Schublade des Schreibtischcontainers gepackt. Sollen die Azubis doch noch eine Woche warten. Oder sie gibt die Arbeit erst nach den Weihnachtsferien zurück. Machen ja viele Kollegen. Es ist so langweilig zu korrigieren. Immer dieselben Einfälle, immer dieselben Fehler.
Ein Hauch von schlechtem Gewissen lässt sie einen Moment innehalten, dann aber holt sie doch die angebrochene Flasche Weißburgunder aus dem Kühlschrank, schneidet die Riesentüte mit den Kartoffelchips auf und versinkt, in eine Wolldecke gewickelt, im Fernsehsessel.
Der ist neu. Sie hat nicht viele Möbel bei ihrem Umzug in die Zweizimmerwohnung mitgenommen. Wozu auch? Bernd ist ja in der alten Wohnung geblieben, hat auch Geschirr, Bettwäsche und den Kater behalten. In den ersten Wochen nach der Trennung war es noch aufregend, sich neu einzurichten. Soll das Bett hundertzwanzig oder hundertvierzig Zentimeter breit sein? Ach was! Hundertzwanzig reichen. Da hat sie in dem kleinen Schlafzimmer noch Platz für ihr geliebtes Ergometer.
Nach zwei Monaten hat sie aufgehört zu trainieren. Es ist ja niemand da, der sie dazu antreibt. Inzwischen dient ihr das teure Gerät nur noch als Kleiderständer. Die an zwei Silvesternächten gefassten Vorsätze sind verpufft, die schicke Kurzhaarfrisur ist zu halblangen, mausgrauen Schnittlauchlocken mutiert. Wozu auch? Das ist die Grundmelodie, die Grits Alltag derzeit orchestriert. Sie weiß das.
Nach der Tagesschau zappt sich Grit durch ihre dreiunddreißig Kanäle. Schließlich bleibt sie, wie fast immer, bei einem Krimi hängen. Liebesfilme und Talkshows meidet sie. Was gehen sie die Sorgen anderer Leute an? Oder erst recht die Liebesschwüre?
Heute kann sie sich gar nicht richtig konzentrieren. Weihnachten steht vor der Tür, ihr graust davor. Zwar hat sie eine Einladung nach München zu ihrem Bruder. Keine Lust. Zu viel Heile-Welt-Kulisse mit nur notdürftig verbrämten Konflikten, ganz zu schweigen von der nervigen Geschenkeauspackerei, bei der immer so viel Begeisterung geheuchelt wird. Ob sie einfach verreisen sollte? Am besten eine Pauschalreise, bei der sie sich um nichts kümmern müsste? Aber nein, da trifft sie doch wieder nur auf Paare, hinter denen sie herdackeln würde.
Als Grit die zweite Flasche öffnet, klingelt es. Es ist schon nach zehn Uhr. Verdammt, schon wieder einer aus der WG über ihr, der den Schlüssel vergessen hat. Bin ich denn die Herbergsmutter hier? Ich glaube, ich muss da mal Klartext reden.
Sie drückt den Türöffner und tritt ins Treppenhaus, um den Frechling abzufangen.
„Hallo Grit“, sagt Manu, ihre alte Bekannte aus dem Gemeindezentrum. Grit hat sich schon eine Weile nicht mehr mit ihr verabredet. „Entschuldige, dass ich so spät klingle, aber ich habe noch Licht gesehen und da dachte ich … Störe ich?“
„Komm rein. Nee, du störst nicht. Gib mir deinen Mantel. Magst du ein Glas?“
Grit räumt hastig die vollgekrümelte Decke auf die Seite. Sie hat Manus aufmerksamen Blick registriert. Die kennt die ganze Geschichte mit der Trennung. Hat selber eine hinter sich. Grit spürt einen Stich, als Manu auf der Couch die langen, schlanken Beine lässig übereinanderschlägt.
„Ich komm' gerade vom GZ. Wir bieten dort einen Salsa-Kurs an für Frauen. Ziemlich cool. Heute war der zweite Abend. Hat Spaß gemacht. Leider haben sich bisher nicht so viele angemeldet, wie wir erwartet haben.“
„Lauter Frauen? Ist das nicht doof?“
„Der neue Vikar hat ein paar junge Männer aufgetrieben, Studenten und so. Nette Jungs sind das, besonders Lamin ... Er kommt aus Gambia.“
„Können die Salsa? Ich dachte, der Tanz sei lateinamerikanisch?“
„Ist er auch. Der Tanzlehrer stammt aus Brasilien, lebt aber seit zehn Jahren hier. Er und der Vikar sind alte Freunde.
„Und was hat das mit mir zu tun?“
„Nun ja, ich dachte, das wäre was für dich. Du hast früher doch gerne getanzt, oder?“ Manu lässt den Blick durch das Zimmer wandern. „Da sind ein paar Sachen, die ich noch nicht kenne. Du hast es hübsch hier. Wirklich ... Aber darf ich ehrlich sein? Ich glaube, du vergräbst dich zu sehr in deinem Frust. Geh unter die Leute, Grit, trink deinen Wein lieber in Gesellschaft.“
Die Röte schießt Grit ins Gesicht. Sie verschluckt sich und das Weinglas klirrt, als sie es auf den Couchtisch stellt.
„Wie meinst du das …? Willst du damit andeuten, ich trinke zu viel?“
„Kann ich dir nicht sagen. Aber allein mit einer Flasche … Ich kenne das von mir. Und ruckzuck bist du ein Kandidat für die AA.“
Grit fällt ein, dass sich neulich im Lehrerzimmer zwei Kollegen auffällig laut über die Anonymen Alkoholiker unterhalten haben. War das auf sie gemünzt? Plötzlich schämt sie sich auch wegen ihres Schlabberlooks. Wenn sie wenigstens vernünftige Jeans anhätte. Aber die hängen seit Monaten ungetragen im Schrank. Keine Chance, dass die noch passen. Manu dagegen ist von Kopf bis Fuß makellos gestylt, klar, sie kommt ja auch vom Salsa-Kurs.
Lateinamerikanisch. Grit hat ein Faible für Tango.
„Erzähl mir was von den Frauen, die mitmachen. Kenne ich die? Sind die von der Gemeinde? Und ist sie schwierig, die Salsa? So sagt man doch, oder? Und was zieht man dazu an?“
Plötzlich hat Grit ganz viele Fragen, sie merkt, dass sie Feuer gefangen hat. Es ist reichlich nach zwölf, als sie Manu zur Haustür begleitet.

Im großen, nüchtern und spärlich möbilierten Saal der Herz-Jesu-Gemeinde begrüßt der Vikar vier Neulinge. Die stehen abwartend zusammen, während die anderen bereits Tanzpaare gebildet haben. Unter den Neuen sind zwei blutjunge Frauen, eine langhaarige mit rotgefärbten Strähnchen, eine mit schwarzen Rastazöpfchen. Sie könnten glatt aus Grits Friseurklasse stammen. Die dritte Neue ist eine üppige Hausfrau in den Vierzigern, wie sie gleich in den ersten Minuten preisgibt. Mit der wird Grit mithalten können.
Die Begrüßung durch den Vikar ist kurz, aber herzlich.
„Schön, dass noch ein paar hierher gefunden haben. Tonio ist euer Tanzlehrer. Er wird euch garantiert in Schwung bringen. Und ja, wir duzen uns hier alle. Nachnamen kann man sich sowieso nie merken. Ihr könnt mich Borro nennen“. Der Vikar klatscht in die Hände, „Tonio, vamos!“
„Bitte stellt euch in einer Reihe auf, die Damen und Herren gegenüber. Wir üben die basics, zuerst den Schritt nach vorne, dann den side step. Achtet auf eure Haltung. Der Oberkörper bleibt gerade, die Bewegung kommt vor allem aus der Hüfte. Die Arme sind locker angewinkelt. Ich mach's nochmal langsam vor.“
Dann gibt Tonio dem Vikar am CD-Player ein Zeichen. Mit einem Trommelsolo setzt die Musik ein.
Grit hat sich neben Manu platziert, da kann sie wahrscheinlich was abschauen.
Die ersten Schritte misslingen komplett. Wenn Grit ihren Fuß nach vorne setzt, tritt Manu nach hinten. Beim side step rempelt sie ihre Nachbarin links an. Das Tempo ist für deutsche Verhältnisse rasend hoch. Die Herren gegenüber tanzen dagegen perfekt on the line. Es sieht großartig aus. Den Hüftschwung beherrschen sie wie Profis.
Nach fünf Minuten hat Grit den Rhythmus halbwegs eingefangen und sie bewegt sich, ohne auf die Füße zu starren. Ein Gefühl von Freude und Genugtuung steigt in ihr hoch. Ich kann es ja doch noch, mein Gott, wie habe ich das vermisst! Manu lächelt breit und nickt ihr zu. Nach zehn Minuten gibt es die erste Pause und etwas zu trinken. Neben den Flaschen mit Orangensaft und Sprudel steht ein Körbchen, in dem Fächer für die Damen liegen. Tonio hat sie mitgebracht. Keine schlechte Idee.
„Man müsste etwas mehr Deko haben und auch die Beleuchtung runterdimmen, so discomäßig halt“, schlagen die zwei Mädels vor. Borro nickt.
„Nächste Woche gibt’s erstmal Weihnachtsdekoration. Aber dann geht’s Richtung Fastnacht. Ich denke, da lässt sich was machen. Helfer sind immer willkommen.“
„Nächste Runde, bitte paarweise nebeneinander. Und, meine Damen, denkt daran, dass ihr Hüften habt.“
Die Paare vom letzten Mal haben sich schon gefunden. Grit stellt fest, dass Manu schon wieder mit dem dunkelhäutigen, geschmeidigen Afrikaner aus Gambia tanzt. Ein wirklich hübscher Kerl. Wahrscheinlich der beste Tänzer hier. Die Hausfrau hat sich den Vikar geangelt. Als der Tanzlehrer auf Grit zukommt, fühlt sie, wie ihre Beine zu Holzstelzen werden. Bloß nicht, denkt sie, ich möchte um Himmels willen nicht im Mittelpunkt stehen. Aber es hilft nichts, er lächelt sie an und sagt: “Nur keine Panik, jede kommt mal dran.“
Und dann funktioniert es besser, als sie befürchtet hat. Wenn sie aus dem Takt kommt, passt sich Tonio sofort an, die anderen sind ohnehin mit sich selber beschäftigt.
In der dritten Runde geht es um die übliche Tanzhaltung als Paar. Tonio winkt Lamin heran, er soll mit Grit tanzen. Der Gambier schüttelt den Kopf. Erst nach einem von lebhaften Gesten begleiteten Wortwechsel bewegt sich Lamin auf Grit zu. Mit hängenden Armen bleibt er vor ihr stehen. Grit kann seinen schrägen Blick an ihr vorbei nicht deuten. Als die Musik beginnt, streckt sie die Arme nach vorne. Der Gambier zuckt zurück, dreht sich zur Seite und fängt schallend an zu lachen. Grit wird heiß und kalt, sie versteht überhaupt nichts. Macht sie etwas falsch? Sie hat noch nie mit einem Schwarzen getanzt. Zum Glück ist die Musik so laut, dass die anderen Paare keine Notiz von dem merkwürdigen Paar nehmen. Also nochmals auf Anfang. Grit hebt erneut die Arme und auch Lamin rückt bis auf einen halben Meter heran. Doch wieder dreht er ab, lacht und lacht, er kann überhaupt nicht mehr aufhören. Da wird es Grit zu viel. Sie stolpert wortlos davon, holt Tasche und Mantel aus der Garderobe, zieht im Treppenhaus ihre Stiefel an. Im Schneeregen auf dem Weg nach Hause kühlt sie allmählich ab. Das Experiment Salsa ist gescheitert. Der lachende Lamin begleitet sie bis in die frühen Morgenstunden. In den Traumphasen bilden die anderen um sie und Lamin herum einen Kreis, ebenfalls lachend, mit höhnisch verzerrten Fratzen.

Erst eine Woche später, in der letzten Schulwoche vor Weihnachten ruft Manu an.
„Ich dachte, du würdest dich mal melden. Lamin war völlig verstört. Es hat eine Weile gedauert, bis ich herausgefunden habe, warum er so unkontrolliert gelacht hat.“
„Was heißt 'verstört'? Wenn jemand verstört sein konnte, dann doch wohl ich. Wahrscheinlich hatte er keine Lust, mit der blöden grauen Maus zu tanzen. Tonio musste ihn ja fast hinprügeln zu mir.“
„Sag mal, spinnst du? Lamin ist ein sehr liebenswürdiger Mensch. Und er hat's nicht gerade leicht. Hab ich dir erzählt, dass er zur Zeit hier im Kirchenasyl lebt? Er hat wahnsinnig Angst vor der Abschiebung.“
„Aber das erklärt doch nicht, warum er sich geweigert hat, mit mir zu tanzen.“
„Nein, natürlich nicht. Gelacht hat er, weil der dich vom Sehen her kannte, aus deiner Schule, wo er in der Putzkolonne arbeitet. Verstehst du, er findet es unmöglich, dass der Putzmann mit der Lehrerin tanzt. Es passt überhaupt nicht in sein Weltbild. Lehrer sind für ihn Respektspersonen. Und weiße Lehrerinnen sind für ihn tabu. Es war ein Verlegenheitslachen, Grit, er konnte sich ja nicht verständlich machen in der Situation.“
„In meiner Schule, sagst du? ... Oh je, da habe ich wohl überreagiert. Es war halt eine ganz miese Situation für mich. Verdammt, da muss ich doch noch gründlicher darüber nachdenken. Tut mir Leid.“
„Und … kommst du im Januar wieder zum Kurs? Der Vikar würde sich freuen und ich natürlich auch.“
„Was ist mit Lamin?“
„Weiß ich nicht. Seine Lage kann sich jeden Tag ändern, der arme Kerl. Aber ich gebe dir Bescheid. Ach ja, ich wünsche dir noch Fröhliche Weihnachten. Du bist übrigens keine graue Maus.“

Die Weihnachtskonferenz ist zu Ende. Einige haben es sehr eilig, sich zu verabschieden. Es gibt ja noch so viel zu erledigen. Grit gehört zu den Letzten, sie musste das Protokoll übernehmen. Umständlich sortiert sie ihre Unterlagen, sammelt Geschirr ein und rückt Stühle zurecht. Schließlich wartet zuhause niemand auf sie. Ein letzter Blick ins Fach. Vielleicht hat ja jemand noch eine Botschaft für sie hinterlegt. Aber da findet sie nichts, auch nicht die Stofftasche für alle Fälle. Ausgerechnet sie hat das größte Hexenhäuschen gewonnen. Ein Glückslos, andere hätte es zu gerne gehabt. Aber es gehört zu den ungeschriebenen Regeln, keine Tauschgeschäfte. Die mit Zuckerguss und bunten Smarties fantasievoll verzierten Lebkuchengebilde werden jedes Jahr von den Azubis der Bäckerfachgruppe produziert, die damit ihre Klassenkasse füttern.
Vorsichtig trägt sie den Gewinn vor sich her, Richtung Ausgang. Von weitem sieht sie die Putzkolonne anrücken. Ihr Herz setzt kurz aus, als sie Lamin in der Gruppe entdeckt. Hoffentlich stolpere ich nicht, das gäbe eine schöne Bescherung, denkt sie, also ist er noch nicht abgeschoben. Gott sei Dank.
Sie nickt der Putzchefin zu. Lamin hat Grit ebenfalls gesehen, er zögert und will sich an Grit vorbeimogeln. „Hallo … Lamin“, sagt sie und stellt sich ihm direkt in den Weg. „Warte doch einen Moment, bitte. Ich möchte dir etwas sagen.“
„Du böse mit mir?“ Lamins Augen schauen überall hin, nur nicht zu Grit.
„Ich böse mit dir? Aber nein, ganz im Gegenteil. Ich möchte dir etwas geben. Hier, das ist ein Hexenhäuschen aus Lebkuchen. Die Schüler haben es gebacken. Es hält lange, man kann es aber auch essen. Es ist hier Tradition.“
Sie streckt es ihm entgegen, Lamin hat keine Chance abzulehnen.
„Schöne Weihnachten noch und vor allem viel Glück.“
Beschwingt eilt Grit dem Ausgang entgegen. Sie muss sich nicht umschauen, um zu wissen, dass Lamin mit offenen Mund, das Häuschen auf den Armen, hinter ihr herschaut. Und erstmals freut sie sich über die Ferien und ihr gemütliches Heim.

 

Hallo @zigga,

es freut mich sehr, dass du dich meiner Geschichte widmest. Im Vergleich zu deiner letzten, die ich natürlich gelesen habe, aber Bammel hatte, sie zu kommentieren, kommt mir meine Grit so bieder vor mit ihren Problemchen. Andererseits ist das in der Tat eine Welt, die ich gut kenne.

Besonders das erste Viertel, in dem du beschreibst wie deine Prot lebt, die Charakterisierung, hat mir gut gefallen. ... Mir ist diese Welt etwas fremd, aber dadurch, dass sie so echt wirkte, war es für mich interessant.

Leiden ist halt sehr subjektiv, Angst und Scham sind aber zwei starke Gefühle, Empathie kann man in den äußerlich unterschiedlichsten Milieus empfinden.

Aber anfangs (bis zu dem Wortlaut "graue Maus") konnte ich nicht ganz einschätzen, wie alt Grit ist.

Für mein Gefühl hätte das auch eine 40-jährige Freundin von Grit sein können, vielleicht sogar jünger. Wenn du ihr Alter etwas klarer herausstellen würdest, wäre - so finde ich - dem Text etwas geholfen.

Ich sehe beide Frauen zwischen vierzig und fünfundvierzig. Der Altersunterschied muss mMn gar nicht so groß sein. Grit fühlt sich als alte Frau, deren Leben nichts mehr zu bieten hat. Manu hat ihre Trennung besser überwunden, angedeutet ist das durch ihr Interesse am jungen, attraktiven Lamin.
Aber mir ist aufgefallen, dass der Tänzer ja Kirchenasyl hat - und gleichzeitig in einer Putzkolonne arbeitet? Geht das?

Da hast du mich erwischt! Lamin kann keine Arbeitserlaubnis haben, aber denkbar ist, dass die Putzchefin, ebenfalls Mitglied der Gemeinde, den Gambier in die Putzkolonne geschmuggelt hat, damit er was zu tun hat und etwas Deutsch lernt.

Der Leser merkt das auch! Ich fände diese Szene stärker, wenn du das Unterstrichene streichen würdest

Ja, für den Leser könnte man den Nachsatz streichen. Für Gritkommt noch die Erkenntnis dazu, dass sich was geändert hat, dass der Selbstmitleidskokon aufbricht.

Das Lachen wirft sie dann richtig aus der Bahn. Da passiert etwas in ihr. Ich finde, das ist mehr als Scham. Zumindest spüre ich das in die Richtung. Dass da noch etwas anderes mitschwingt. Für mich ist das die Trennung.

Absolut richtig. Es ist ein schlimmer Rückfall in die Wunden, die die Trennung geschlagen hat. Ablehnung durch einen Partner, um nur mal die Richtung zu skizzieren. Ja, das ist schon meine Intention. Vielleicht finde ich noch eine kurze Sequenz, um sie zu verdeutlichen. Vielen Dank für den Hinweis.

Lieber zigga, ich hatte großen Spaß mit deinem Kommentar:thumbsup:, gerne wieder;)

wieselmaus

 

Liebe @Chai,

du bist wirklich eine treue Leserin mit Verständnis für meine Themen.

Du hast hier also nicht nur alltägliche Missverständnisse sondern auch kulturelle Differenzen verarbeitet und beides geschickt miteinander kombiniert.

Ja, das trifft es ganz genau, und es ist interessant, dass ungeniertes Lachen in anderen Kulturkreisen durchaus möglich ist. Aus Verlegenheit lachen gibt's aber auch bei uns. Für unsichere Menschen kann dies durchaus eine Option sein, zum Beispiel, um Zeit zu gewinnen für eine Antwort oder um auszuweichen. Wie schlimm muss es erst sein, wenn man auf Grund von Sprachschwierigkeiten sich gar nicht erklären kann.

Einzig Manu will mir nicht gefallen, womit ich meine, dass sie mir nicht wirklich sympathisch ist. Gut, sie holt die Prota aus ihrem Schneckenhaus, zeigt aber wenig Verständnis für ihre Situation und ruft ja dann auch erst sehr spät an, scheinbar nur, um Lamin zu verteidigen.

Manu könnte sicher noch präziser charakterisiert werden. Ich unterstelle ihr mal ein persönliches Interesse an Lamin. Worin dies besteht, kann sich jeder ausmalen, wie er mag. Jedenfalls verhält sie sich nicht eindeutig als Freundin.
Wie immer musste ich entscheiden, wie ausführlich ich auf Seitenstränge eingehen soll. Es ist mir aber lieber, ein Leser möchte gerne mehr erfahren, als dass er zusammenstreichen möchte.

Das ging mir ein wenig zu schnell. Vor allem das mit dem Mantel. Andererseits könnte man es natürlich auch so sehen, dass sie unsicher ist, grad, weil der Besuch so überraschend kommt und sie sich eh nicht gesellschaftsfähig fühlt.

Die zweite Deutung gefällt mir hier sehr gut. Unsicherheit in jeder Beziehung prägt Grits Verhalten. Ich danke dir für den einfühlsamen Kommentar.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 
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Hallo Friedel, @Friedrichard ,

heute (!) habe ich einen Bericht in der Badischen Zeitung gelesen über Berufsanfänger in der Region. Da gibt es einen Lamin aus Gambia (38), der das Bäckerhandwerk erlernen möchte. Was sagst du nun? Wer hat von wem abgeschrieben? Im Gegensatz zu dir werden meine Geschichten bis zur Kenntlichkeit entstellt. Die Salsa-Begegnung stammt von den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.:rotfl:

Gruß wieselmaus


Lieber @Bas


Es fühlt sich ein bisschen an wie eine @Kanji-Geschichte, finde ich, man darf einer Frau beim Menschsein zusehen, darf sich in ihr wiederfinden und denken ja, so geht's uns wohl allen

Ja, das habe ich auch gedacht, nachdem ich Kanjis Geschichte gelesen (und kommentiert) habe. Frauenleben in der heutigen Zeit. Manchen Männern dürfte es genau so gehen. Es soll ja auch alleinerziehende Väter geben ... und windige Ehefrauen.
Wenn es zu gegenseitigen Verständnis beiträgt, kann es ruhig mehr Geschichten dieser Thematik geben.

Passenderweise habe ich vor ein paar Minuten das hier über eine andere Frau gelesen:

Da bitte ich dich um die Preisgabe dieser Quelle. Diese Kit ist offensichtlich eine nahe Verwandte von Grit. Ich möchte sie unbedingt kennenlernen.

Am versöhnlichen Ende habe ich nichts auszusetzen, auch wenn ich mir natürlich gewünscht hätte, dass ... Ich weiß gar nicht, was ich mir gewünscht hätte.

Ach Bas, das reale Leben hat ja schon eine Lösung kreiert, siehe meine Botschaft an Friedel. Womöglich hast du, der mit dem Zeitalter, als Wünschen noch geholfen hat, so vertraut bist, heimlich nachgeholfen:xmas::xmas::xmas:?

Ich danke dir sehr für den herzwärmenden Kommentar

wieselmaus

 

heute (!) habe ich einen Bericht in der Badischen Zeitung gelesen über Berufsanfänger in der Region. Da gibt es einen Lamin aus Gambia (38), der das Bäckerhandwerk erlernen möchte. Was sagst du nun
Baff isser, der Friedel, und die 1990-er passen zur Auflösung der Union "Senegambia" (Senegal + Gambia), als Mensch mit vier linken Extremitätern ist Salsa mir ein Geheimnis ...

Im Gegensatz zu dir werden meine Geschichten bis zur Kenntlichkeit entstellt.

So soll's sein,

liebe wieselmaus,
und auch ein schönes Wochenende nebst Gruß aus'm Pott vonnet

Dante Friedchen

 

Liebe @wieselmaus

ich stürze mich mal wieder ins Geschehen und schreibe was zu deinem Text, den ich schon vor einer Weile gelesen habe.
Die Kommentare habe ich mir nicht angeschaut, weiß aber, dass du aus welchen Gründen auch immer einen meiner älteren Texte erwähnt hast.

Das Thema, über das du schreibst, finde ich relevant. Viel zu viele Texte beschreiben ja Belanglosigkeiten, zielen zu sehr auf das Innere und lassen das Große und Ganze außer acht. Das Spannungsverhältnis zwischen Lamis und Grit, die Missverständnisse mitsamt der persönlichen Situation verknüpft die Geschichte sehr deutlich. Dabei ist die Schlussszene so stark, so ergreifend, dass sie den ganzen Text alleine tragen könnte. Du weißt, was ich gleich sage: Mut zum Kürzen. :D

Du verfügst über eine klare, prägnante Sprache, die Dialoge passen weitgehend und ich fühle mich deshalb beim Lesen wohl.


Paar Textstellen:

Grit hat es schon wieder getan.
na ja, wenn man daran denkt, was erste Sätze mit dem Leser machen können, werde ich in der Folge enttäuscht. :lol:

Ich komm' gerade vom GZ. Wir bieten dort einen Salsa-Kurs an für Frauen. Ziemlich cool. Heute war der zweite Abend. Hat Spaß gemacht. Leider haben sich bisher nicht so viele angemeldet, wie wir erwartet haben.“
hier führst du hin, ebnest den Weg zum Wesentlichen, aber davor?

Im großen, nüchtern und spärlich möbilierten Saal der Herz-Jesu-Gemeinde begrüßt der Vikar vier Neulinge.
hier zoomst du dich näher heran. (wobei mir da ein paar Sinneseindrücke fehlen)

Der Gambier zuckt zurück, dreht sich zur Seite und fängt schallend an zu lachen. Grit wird heiß und kalt, sie versteht überhaupt nichts. Macht sie etwas falsch? Sie hat noch nie mit einem Schwarzen getanzt.
o je, wenn ich das isoliert lese, klingt's ganz schön rassistisch (klar, in der Folge wird der Eindruck revidiert)

„Nein, natürlich nicht. Gelacht hat er, weil der dich vom Sehen her kannte, aus deiner Schule, wo er in der Putzkolonne arbeitet. Verstehst du, er findet es unmöglich, dass der Putzmann mit der Lehrerin tanzt. Es passt überhaupt nicht in sein Weltbild. Lehrer sind für ihn Respektspersonen. Und weiße Lehrerinnen sind für ihn tabu.
also ich kenne eine Frau aus Eritrea, die erst vor kurzem das Kirchenasyl verlassen konnte, anerkannt wurde, sich aber solange sie dort war, nicht rausgewagt hat, schon gar nicht für einen Job.


„Du böse mit mir?“ Lamins Augen schauen überall hin, nur nicht zu Grit.
„Ich böse mit dir? Aber nein, ganz im Gegenteil. Ich möchte dir etwas geben. Hier, das ist ein Hexenhäuschen aus Lebkuchen. Die Schüler haben es gebacken. Es hält lange, man kann es aber auch essen. Es ist hier Tradition.“
Sie streckt es ihm entgegen, Lamin hat keine Chance abzulehnen.
„Schöne Weihnachten noch und vor allem viel Glück.“
richtig schön, der Schluss:Pfeif:

viele Grüße und einen Zauberwochenstart
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Isegrims

Das Thema, über das du schreibst, finde ich relevant.

Das ist ja mal ein eindeutig positives Urteil. Das freut mich wirklich, weil ich mich oft frage, ob meine Themen hier überhaupt von Interesse sind. Ich habe deshalb diesmal nur mit "Gesellschaft" getaggt, denn darum geht es mir in erster Linie.

na ja, wenn man daran denkt, was erste Sätze mit dem Leser machen können, werde ich in der Folge enttäuscht. :lol:

Na ja, ich wollte unbedingt in @hell's Liste der besten Anfangssätze kommen:D. Nein, es geht mir darum, Grit als eine Person zu zeigen, die sonst eher penetrant korrekt ist und jetzt etwas den Boden unter den Füßen verloren hat. Daher auch die minutiöse Beschreibung ihrer Befindlichkeit. So erklärt sich für mich eher, dass sie so wenig souverän im Tanzkurs reagiert.

Du weißt, was ich gleich sage: Mut zum Kürzen. :D

hier zoomst du dich näher heran. (wobei mir da ein paar Sinneseindrücke fehlen)

Siehst du, gerade diese beiden Absätze werden zum Kürzen bzw. zum Ausbauen empfohlen. Ich glaube, es hängt ganz davon ab, unter welchem Aspekt man diese Geschichte liest: Geht es um privates oder gesellschaftlich-politisches Unglücklichsein? Hier habe ich eine Schnittstelle gefunden. Der Leser soll aber selbst wählen, was ihn mehr berührt.

o je, wenn ich das isoliert lese, klingt's ganz schön rassistisch (klar, in der Folge wird der Eindruck revidiert)

Ja, da hast du recht. Kann schon sein, dass auch in den reflektiertesten Köpfen archaische Vorurteile aufbrechen, wenn sie unter Druck geraten und sich irgendwie angegriffen fühlen.

also ich kenne eine Frau aus Eritrea, die erst vor kurzem das Kirchenasyl verlassen konnte, anerkannt wurde, sich aber solange sie dort war, nicht rausgewagt hat, schon gar nicht für einen Job.

Ist bestimmt so, wie du schreibst. Hier habe ich mir überlegt, dass die Putzchefin, ebenfalls Kirchenmitglied, Lamin in die Putzkolonne geschmuggelt hat, damit er nicht wegen Nichts- tun-können durchdreht.

richtig schön, der Schluss:Pfeif:

Auch der Schluss kann entsprechend der Fokussierung des Lesers unterschiedlich aufgefasst werden. Die einen finden es eine schöne spontane Geste, die anderen erst recht eine arrogante Selbstabsolution. Ist doch, wie @Friedrichard sagt, ein sehr offener Schluss, der nach einer Fortsetzung schreit. Aber die hat, wie du weiter oben lesen kannst, schon das wirkliche Leben geschrieben. :teach:

Herzlichen Dank und herzliche Grüße
wieselmaus

 

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