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Rosenrot
"Männer sind alle Scheiße", seufzte Anna und nahm ihre Freundin fest in die Arme. "Es war das einzig Richtige, diesen Mistkerl zu verlassen." Sarah schluchzte auf.
"Dieser Wichser", brachte sie heiser hervor und putzte sich geräuschvoll die Nase. Anna konnte sich ein kleines Lächeln nicht verbeißen.
"Recht hast du, Süße", sagte sie leise, während sie ihr immer wieder über die verstrubbelten Haare strich. "Du bist viel zu wertvoll für so einen Spinner. Hast ihn hoffentlich ordentlich in den Arsch getreten, bevor du abgehauen bist."
Sarah murmelte etwas Unverständliches, das sich so anhörte, als ob sie ihn am liebsten umgebracht hätte. Dann schwiegen beide einen Moment lang. Nur ihr Atmen und das Knistern des Kaminfeuers waren im Raum zu hören.
"Aber im Ernst, du hast ihm hoffentlich für immer Adieu gesagt", fuhr Anna dann sehr ernst fort. "Der Scheißkerl gehört zu der Kategorie von Männern, die man ein für allemal abhaken muss." Sie sah ihrer Freundin eindringlich in die Augen. "Für immer, hast du gehört?" Sarah nickte gehorsam.
Anna atmete tief durch und fuhr sich durch die kurzen, schwarzen Locken.
"Lass uns drüber reden, wenn du magst. Etwas Tee, hm?"
Anna sah mitfühlend in Sarahs verheulte Augen, bevor sie ihr eine Tasse einschenkte und ihr ein paar Kekse auf den Teller legte. Das Feuer warf zuckende Schatten auf ihr Gesicht, die ihr ein seltsam exotisches Aussehen verliehen.
"Es ist vorbei mit ihm", flüsterte Sarah in die Stille hinein. Anna setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel und blickte sie aufmerksam an.
"War heute Abend wieder bei ihm", begann Sarah ihre Erzählung. "Irgendwie spürte ich schon von Anfang an, dass etwas nicht so ganz stimmte. Zuerst war er ja sehr nett - so wie immer. Ich hatte darauf geachtet, dass mich niemand beobachtete, als ich in seine Straße einbog. Das war ja immer so'n bisschen riskant. Bin dann ins Haus und er hat mich total lieb empfangen." Sie schnaubte verächtlich. "Sagte, ich sähe ja wer weiß wie toll aus und reichte mir direkt einen riesigen Rosenstrauß. Ich sah wirklich toll aus, hatte mein neues Kleid an ... ganz in Rot. Rot stand mir am besten, hatte er immer gemeint." Unwillkürlich kauerte sie sich zusammen und zog die Beine an. Ihr Blick glitt an Anna vorbei an die Wand. Die Schattenspiele darauf waren fast hypnotisierend.
"Er zog mir den Mantel aus und ging schonmal vor ins Wohnzimmer, wo eine Menge Kerzen brannten. Ganz romantische Atmosphäre, sozusagen. Ich guckte noch schnell in den Spiegel, um mein Make-Up zu kontrollieren und war zufrieden mit mir - so gut hatte ich wohl schon lange nicht mehr ausgesehen."
Anna drückte ihre weiche Hand.
"Im Wohnzimmer war es dann ziemlich heiß. Vielleicht auch wegen der vielen Kerzen. Mir stieg die Hitze schnell zu Kopf und ich fand es ein bisschen stickig. Aber es war ja lieb gemeint, und deswegen sagte ich nichts.
Roland hatte sich mit dem Essen reichlich Mühe gegeben. Ein richtiges Menü stand auf dem Tisch, mit Vor- und Nachspeise und allem Drum und Dran. Ich war erst einmal fast sprachlos, denn auch wenn er sich meistens wie ein Kavalier benahm, hatte ich so etwas nicht erwartet." Sie legte eine kurze Pause ein, um sich erneut die Nase zu putzen. Dann fuhr sie mit verschnupfter Stimme fort:
"Ich fragte ihn scherzhaft ob ich meinen, oder noch besser, seinen Geburtstag vergessen hatte und er lachte verlegen. Nein, es solle ja nur ein schöner Abend werden und er wolle, dass ich mich so wohl wie möglich fühlte. Das war ihm fürs Erste gelungen. Ich ließ mir diese Verwöhnerei gerne gefallen und probierte vom Essen - es schmeckte köstlich."
Sarah schwieg und starrte versonnen vor sich hin. Ihre brauen Augen waren halb geschlossen. Anna seufzte.
"Sei froh, dass es vorbei ist", sagte sie leise zu ihr. Sarah reagierte nicht, dann zuckte sie mit dem Schultern und sprach weiter.
"Aber ich war ja nicht blöd, ich ahnte schon, dass es auf irgendetwas Besonderes hinauslaufen würde. Auch Roland war nur ein Mann, und man kennt das ja nur zu gut - wenn sie etwas wollen oder irgendwelche schlimmen Sachen anstehen, packen sie immer ihre besten Manieren aus." Bei diesen Worten verkrallten sich ihre Finger unwillkürlich in das Kissen, das in ihrem Sessel lag. Sie drückte es an ihren schlanken Körper.
"Und natürlich war nicht alles eitel Sonnenschein, so wie das Schwein mir die ganze Zeit verklickern wollte. Nach ungefähr einer Stunde rückte er damit heraus, dass es ein paar Schwierigkeiten gäbe.
Nun, ich hatte mir schon so im Vorfeld meine Gedanken gemacht. Seine Frau war mal wieder für ein paar Tage im Krankenhaus, deswegen konnten wir uns ja auch bei ihm treffen. Ich hatte nie so ganz genau erfahren, woran sie denn eigentlich erkrankt war, es war irgendeine Rückengeschichte, soviel wusste ich. Alle paar Jahre musste sie operiert werden und alle paar Monate gab es einen längeren Krankenhausaufenthalt - und alle paar Wochen fuhr sie übers Wochenende zu ihrer Schwester um sich dort zu erholen, während Roland offiziell im Büro Überstunden machte und inoffiziell mit mir vögelte."
Sie lachte bitter auf.
"Ich hatte mir überlegt, dass es wohl mit seiner Frau zusammenhängen würde. Vielleicht war sie misstrauisch geworden und wir mussten uns ab jetzt woanders treffen? Oder womöglich würde er die nächsten Wochenenden mal mit ihr zu seiner Schwägerin fahren? Alles keine besonders prickelnden Aussichten für mich, aber damit würde ich vermutlich irgendwie leben müssen."
Mit düsterem Gesichtsausdruck trank sie einen Schluck Tee. Das heiße Getränk erfrischte ihre trockene Kehle. Das Feuer war mittlerweile kleiner geworden und der Raum hatte sich noch mehr verdunkelt. Anna war ein einziger, großer Schatten auf einem Sessel. Auch Sarahs Gesicht war kaum mehr zu erkennen.
"Es kam dann aber alles anders. Es war noch viel schlimmer. Er fing an herumzustottern und sagte plötzlich, wie wunderschön er mich fände und was für eine tolle Frau ich sei. Er habe Wahnsinnsglück gehabt, dass ich mich überhaupt mit ihm eingelassen habe. Und überhaupt sei ich das Beste, was ihm je passiert sei." Ihre Stimme begann bedenklich zu schwanken. "Er sagte, er würde alles, was er besäße hergeben, wenn er die Situation dadurch ändern könnte. Das Schicksal habe es verdammt nochmal schlecht mit uns gemeint. Er sei da an seine Frau gebunden, obwohl er am liebsten mit mir ein neues Leben anfangen würde." Sarahs Atmen wurde lauter. "Ich saß da und hörte mir alles an, was er zu sagen hatte. Das meiste war bislang nichts Neues für mich. Ich hatte schon oft von ihm gehört, dass er an Scheidung denken würde, dass ich im Grunde die Einzige für ihn sei. Immer wieder die gleiche Kacke."
Sarah brach ab und schluchzte leise. Sofort rückte Anna an sie heran und legte zärtlich den Arm um ihren zuckenden Körper.
"Schsch ... alles wird gut .... ", raunte sie ihr liebevoll zu und hauchte ihr einen Kuss aufs Ohr. Sarah wischte sich über die tränenden Augen und warf Anna einen dankbaren Blick zu.
"Er raspelte die ganze Zeit Süßholz", fuhr sie in kehligem Ton fort, "bis er dann auf einmal eine Pause machte und anscheinend nicht weiter wusste. Ich ahnte, dass jetzt das dicke Ende kommen würde. Dieser Mistkerl." Sie schniefte. Ihre Lippen bebten. "Dann sprach er von seiner Frau, diesem blöden Weib. Dass es diesmal ein längerer Krankenhausaufenthalt sei. Es stehe ernst um sie, ihre Schmerzen würden immer größer werden." Höhnisch äffte sie Rolands Tonfall nach:
"Meine arme Frau, es geht ihr so schlecht. Du musst das verstehen Liebling, ich kann sie jetzt nicht einfach so im Stich lassen. Sie hat mich gebeten für sie dazusein und dazu stehe ich auch. Ihre Behandlung wird sehr schmerzhaft sein, sie leidet so - ich muss jetzt für sie dasein, verstehst du das nicht?"
Die letzten Worte gingen in einem Weinen unter, aber Sarah fasste sich rasch wieder und sprach schnell weiter, ehe die Tränen sie übermannten.
"Ich saß da wie betäubt. Er brauchte gar nicht mehr zu sagen, ich wusste haargenau, was er damit mitteilen wollte - es war aus. Darauf lief es hinaus. Ich bekam kaum noch Luft, stand wie unter Schock. Alles rauschte, meine Ohren waren wie verschlossen, mein Kopf drehte sich innerlich, das Wohnzimmer, die Kerzen, alles verschwamm ... " Sie schloss automatisch die Augen.
"Er wusste wohl erst nicht, wie er reagieren sollte. Sonst waren wir nach einem guten Essen immer ficken gegangen. Und jetzt hatte er mir den Laufpass gegeben."
"Dieses Schwein", sagte Anna so leise, dass Sarah im ersten Moment nicht sicher war, ob sie es wirklich gehört hatte.
"Und was für eines ... ", gab sie zitternd zurück. "Wie oft hatte er mir gesagt, ich sei die große Liebe seines Lebens, wie oft ... und jetzt hieß es nur noch Ich muss für meine Frau dasein, wir können uns nicht mehr treffen." Sie lachte trotzig auf. "Verarschen kann ich mich doch alleine, dafür brauche ich keinen Kerl. Und das sagte ich ihm dann auch." Sie schwieg kurz. Ihr feingeschnittener Mund verzog sich zu einem unheimlichen Lächeln.
"Ich sagte es ihm mitten in sein dämliches Gesicht: Sag mal, denkst du ich bin wie eine Hure, die man wegschicken kann, wenn es einem passt?" Hasserfüllt spie sie die letzten Worte aus. Sie ergriff das Kissen auf ihrem Schoß mit beiden Händen und schleuderte es in Richtung Kamin. Anna zuckte erschrocken zusammen.
"Beruhig dich, Süße", begann sie unsicher und machte eine hilflose Geste mit der Hand. Sarah schüttelte wild den Kopf, ihr Zopfband löste sich und flatterte zu Boden. Ihre Augen funkelten.
"Ich habs ihm gegeben", zischte sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor, "ich hab diesem Scheißkerl gegeben, was er verdient hat!" Sarahs Stimme wurde höher und drohte sich zu überschlagen. "Ich hab ihm gezeigt wo's langgeht, ich ... ich hab meinen Teller genommen und auf den Boden geknallt. Roland sah so blöd aus, dass ich am liebsten gelacht hätte. Ich hab ihm gesagt, was er für ein verdammter Hurensohn ist und was ich von seiner beschissenen Frau halte!" Ihr Atem ging stoßweise.
"Und er ... dieser Arsch stand einfach nur da und starrte mich an, dann hob er irgendwie die Hände und sagte Liebling, oder irgend so einen Scheiß den er aus'm Fernsehen kennt, und ich schrie, dass ich längst nicht mehr sein Liebling bin und er mir sowieso egal sei und dann kam er an und versuchte mich wohl in den Arm zu nehmen, oder festzuhalten, oder ... oder sowas in der Art, ich weiß es nicht."
Wie ein kleines Kind wiegte sich Sarah vor und zurück, die Arme um die Knie geklammert, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Anna wagte sich nicht zu rühren.
"Ich dachte ich muss kotzen, als er mich anfasste", wimmerte Sarah. "Ich stieß ihn zur Seite und brüllte ihn an was er sich dabei denken würde, er hatte kein Recht mehr, mich zu berühren. Ich wollte noch nicht mal, dass er mich ansieht." Ihr keuchender Atem ging in ein Würgen über.
"Da lief er auf einmal ganz rot an und schrie zurück, dass ich eine Schlampe sei ... dass ich doch gewusst hätte, dass er verheiratet ist und er zu seiner Frau stehen müsse." Sarah stöhnte und krallte ihre Fingernägel in ihre weißen Wangen.
"Ich könne niemals von ihm verlangen sich scheiden zu lassen und mit seiner Frau sei er immerhin seit fast zwölf Jahren zusammen ... und das würde er nicht einfach so aufgeben für ... für eine dahergelaufene -... " Weinend brach sie ab und krümmte sich wie unter großen Schmerzen zusammen.
Augenblicklich saß Anna neben der Freundin und legte den Arm um sie. Unablässig flüsterte sie ihr Koseworte zu und strich dabei die schweißnassen Haare aus der glühenden Stirn.
"Es ist vorbei, mein Kleines", raunte sie Sarah zu, während ihr selbst ebenfalls die Tränen aus den Augen flossen. "Alles ist vorbei, alles wird gut ... du bist ihn los, du bist frei von diesem Scheißkerl ... "
" ... Messer genommen ... "
"Was sagst du?", fragte sie vorsichtig. Sarah befreite ihr verheultes Gesicht aus Annas Pullover. Ihre Zähne klapperten wie im Fieber aufeinander. Die glasigen Augen starrten ins Leere.
"Hab das Messer genommen", wiederholte sie schwach. " ... alles rot ... "
"Was ist? Ich verstehe dich kaum ... "
"Alles rot ... wie die Rosen auf'm Tisch ... ", wiederholte Sarah ohne auf Anna zu achten. "Musste es tun ... hat mir so wehgetan ... wollte mich anfassen ... durfte nicht ... " Sie weinte leise. "Messer lag da ... genommen ... reingestoßen ... alles rot ... seh ihn nie wieder ... nie wieder ... "
Das letzte Scheit im Kamin fiel in sich zusammen.