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Rock muß rulen!

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03.11.2003
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Rock muß rulen!

Sie sitzt ein paar Meter weiter im Schneidersitz über ihr Buch gekrümmt. Menschenüblich schmarotzt sie vom Schatten eines Baumes, Sommerbräune hin oder her. Hast schon gehört, daß man im Schatten auch braun wird? Beiläufig gehört oder in der BILD gelesen, ist egal.
Ich halte nichts von derlei lebensverlängernden Tipps – meist hört man sie auf Parties von besoffenen Rauchern, die ihren Kopfschmerz am nächsten Tag mit Aspirin zu betäuben pflegen. Auf dem Grill in der Sonne wende ich mich wie das Würstchen aus dem ALDI. Dabei läßt sich der ein oder andere Kontrollblick nicht vermeiden, und sie bemerkt es fast jedes mal. Von Zeit zu Zeit sehe ich sie die Position leicht verändern: die Schultern von der einen zur anderen Seite geneigt oder brav das Kreuz durchdrückend, Baumschattengewächsen gerecht werdend. Nur eines verändert sich überhaupt nicht: mit der rechten Hand das Buch lesend, den Daumen in der Falz, popelt sie genüßlich mit einer menschlichen Zange aus Daumen und Zeigefinger der linken Hand in der Nase. Per – ma – nent. Ohne Scheiß, das geht jetzt seit 10 Minuten so. Nicht, daß mich das stört, man popelt eben in der Nase, manche mehr, manche weniger, und, ja, manche essen es auch auf. Soll man das verschweigen? Vor wem? Es stört mich also nicht, aber ich kann auch meinen Blick nur schwer davon abwenden, denn dieses ewige Bohren ist schon ungewöhnlich. Was müssen das für Popel sein? Hat man das schon mal als UHU-Ersatz benutzt? Oder als Haftcreme? Ihh Pfui!
Der Schatten des Baumes ist schon ein gut Stück gewandert, und sie – braver Nutznießer, der sie ist – folgt ihrem Wirt, popelnd. Sowas kann einen verrückt machen, allein vom Zusehen! Tut das nicht irgendwann mal weh? Schläft einem da nicht irgendwann mal der Arm ein? Ich befehle mir, wegzusehen und erkenne, weiß gekleidet, den Engel Gabriel auf mich zukommen. Er fragt mich, ob ich Eis will – aber klar doch, popelgrünes Apfeleis bitte. Beim Zahlen schaut er seltsam, der Gute. Nicht genug Trinkgeld? Wo steht geschrieben, daß ich ihm überhaupt Trinkgeld geben muß?
Meine Liegeposition ändere ich mit der Geschmeidigkeit eines Seeelefanten, der Rücken will auch gebräunt sein. Bin ja auch kein Fisch, der oben ne andere Farbe hat als unten. Außerdem mußte ich das popelnde Wesen hinter mir dann nicht ertragen.
In der nächsten halben Stunde passiert nichts. Das Gras wächst, und ja, es ist grün.
Die darauffolgende hingegen hat immerhin einen kleinen Jungen zu bieten, der von seiner Mutter ermahnt wird, nicht in der Nase zu bohren. Aha, welch ein Glück. Da dreht man sich um und sieht genau das Gleiche wie zuvor. So, als schalte man von Jauch auf Gottschalk, oder von Arabella auf Sonja. Alles Leute, die Nase popeln, möchte ich wetten. Und der Jauch frißt es sicher auf, wenn keiner zusieht. „Nee, den Popel möchte ich nochmal zurückstellen und nehm stattdessen den Ohrenschmalz...“. Wann hat der die Nase voll von seinen Quizshows?
Der Kleine heult, schließlich wird er gerade an einem Grundbedürfnis gehindert.
Sie erklärt es ihm. „So ziemlich alles, was Spaß macht, schickt sich nicht. Das wirst Du noch rechtzeitig genug rausfinden, wenn hormonell bedingte Veränderungen in Deiner Physis Verhaltensänderungen bewirken, weswegen Du Dich von sowohl der Kinder- als auch der Erwachsenenwelt abgrenzen wirst, um in der Twighlight-zone der Teenager das Leben lichtscheuer Gestalten zu führen.“ Also so inetwa lege ich ihr das in den Mund.
Was immer sie sagt, es ist sowieso nur blabla für den Bub. Habt Ihr zugehört, damals? Ich nicht, zumindest nicht seit ich mit 13 erwachsen war. Hab mein Gehör wie wohl alle anderen auch unseren Teenie-Idolen geschenkt und so getan, als hätten mir meine Eltern nichts und die fahrenden Leute der singenden Zunft alles zu sagen. Touch me, sun always shines on TV, das war die Aussage.
Aber jetzt erinnere ich mich an die Popelfrau. Ihre Mutter hatte wohl auch die falschen Worte gefunden, damals, denn unerschütterlich popelt sie weiter. Natürlich bricht der Damm in der Jugend igendwann einmal, aber die Flut wäre umso schlimmer, wenn die Eltern das Popeln, Fluchen, Ausdrücke-Sagen, Schlägern, Rauchen und Saufen billigen würden, nur, weil sie es eh nicht verhindern können. Also wird sich aufgespielt und verboten, bei wachsendem Alter des Schützlings mit schwindendem Erfolg. Bis man sich beim Elterngespräch in der Schule des 14-jährigen Nowhere-Mans fast schon wünscht, Popeln und Scheiße-Sagen seien das Thema des Tages, und nicht das smokin´ in ze boys-room oder die Schwänzerei. Aber niemand endet mit 25 ohne Bausparvertrag - wie uncool -, alle landen im sicheren Fahrwasser des Stromes Mitte, keiner bleibt für immer ein 14-jähriger Rebell. Die gesamte Rebellion des Teenageralters ist nichts weiter als eine Phase von vielen. Im Grunde also die Bestätigung des Systems, vielleicht gerade deshalb, WEIL das Ausflippen so tut, als hätte es vor, aus dem System auszubrechen. Mein Gott, ist dieses Leben vorbestimmt.
Jemand tippt mich an der Schulter an. Sie ist es. Sie steht vor mir und grinst. „Hi.“. Meine Antwort ist eine Art Echo ihrer Begrüßung. Nett sieht sie aus – nicht wirklich schön, aber anziehend – wenn sie mal nicht die Linke in ihrer Nase hat. Ich warte kurz, bis ich merke, daß das Gespräch nicht ganz ins Rollen kommt – sie schaut erstmal. Also keine vorher überlegten Sätze oder so. Jetzt allerdings beginne ich, zu überlegen, was ich sagen könnte. Ich beschließe, frech zu sein und sie direkt auf ihre Popelei anzusprechen – soviel Rock ´n´ Roll muß einfach sein ob der Aussichtslosigkeit der Teenie-Idylle. Aber sie kommt mir zuvor. Sie hält mir ein Taschentuch hin. „Sorry, aber Du hast da nen Riesen-Popel in der Nase. Das hat mich allein vom Zusehen schon die ganze Zeit so hibbelig gemacht, daß ich mich gefragt habe, ob ich selbst auch so ein fettes Teil da hängen habe.“.
Ist nicht wahr, denke ich. Ich greife apathisch nach dem Taschentuch und währenddessen stammele ich, meiner Frechheit beraubt: „Ich habs gemerkt.“. Nee, das wirkt nicht mehr. Sie hat „es“ angesprochen, nur „es“ war MEIN “es“, meines sozusagen. Oh Mann, wo bleibt der Karton, in den ich mich verkriechen möchte? Was muß mich der Eismann für nen Heini gehalten haben? Und ich bestelle auch noch grünes Eis bei ihm! Und das Kind hat einfach nur meinen Popel gesehen und das getan, was ich hätte machen sollen – Suggestivkraft, wir verehren Dich!
Ich kratze das bißchen Rock zusammen, das ich noch habe und sage: „Danke, aber ich brauche keins!“, gebe ihr das Taschentuch zurück und popel mir das Ding mit den bloßen ingern aus der Nase.

Rock muß rulen.

 

Hi Borna,
kleine nette Schmunzelgeschichte. :)
Ein bisschen lehrreich auch.
"Bemängele an anderen nicht, was du selbst nicht besser machst." So eine Weisheit von meiner Mutter und da hab ich mal zufällig hingehört. :D
Hat mir gut gefallen. ;)
Liebe Grüße, Susie
PS:

bloßen ingern
Da fehlt das F

 

Vielen Dank, das Lob freut mich.

Das mit dem "F" ist so, daß ich mal was über meiner Tastatur verleert habe und beim schnellen Schreiben die Taste nicht so ganz funktioniert. Deshalb kommt es immer wieder zu unvorhergesehenen orkommnissen. Höhö.

Bis bald.

 

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