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Riders on the storm

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05.10.2016
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Riders on the storm

Riders on the storm

Wie immer schläft er ein, kurz nachdem er sich in den Wagen setzt. Oder eigentlich ist er gar nicht richtig aufgewacht seit er aus dem Bett gestiegen ist. Wobei „steigen“ bei weitem übertrieben ist, in Wirklichkeit kriecht er heraus und schlurft noch halb im Traum ins Badezimmer. Zwischen aus dem Bett Kriechen also und Zähneputzen wacht er kaum richtig auf und für ein Frühstück ist ohnehin keine Zeit. Nicht einmal als Henkersmahlzeit an seinem letzten Tag, aber das weiß er ja nicht. Und dass er es nicht weiß ist sein Glück und seine Schläfrigkeit ebenso, weil dadurch gleitet er fast übergangslos hinüber und spürt vielleicht einen harten Aufprall, aber nicht einmal das ist gewiss.

Vor der Tür zieht ihm die frühherbstliche Morgenluft durch die Nase und macht ihn wacher, als ihm lieb ist. Aber der Wagen, der ihn abholt, biegt schon um die Ecke, der alte Kadett in himmelblau, aus dessen halboffenen Fenstern Rauchschwaden aufsteigen. Rauchen, ja Rauchen. Dafür ist diese Fahrt da. Zu irgendetwas muss die allmorgendliche Route in die Kaserne ja gut sein. Noch zwei Monate, zwei Monate noch Dienst, dann ist es vorbei. Mit diesem guten Gefühl, dass ihn der Bund die längste Zeit gesehen hat, lässt er sich in den Wagen fallen, immer hinten links, das ist sein Platz und gleich rauchen. Selbstgedreht natürlich und dann sich quasi in den Schlaf rauchen, was in der zum Schneiden dicken Luft nicht schwierig ist weil sie auch ohne Zigarette in der Hand die Sinne benebelt. Es wird kaum gesprochen. Der Fahrer bringt ein lässiges „Hey“ heraus, das er mit einem ebenso entspannten „Moin“ quittiert und dann hebt er die Hand dem Beifahrer und dem zweiten Hintermann zum Gruß. Die kennen das Ritual schon und klatschen in seine Hand. „Was ist heute, ohne Musik?“ wird von hinten gefragt und der Fahrer kramt in den Kassetten in der Mittelkonsole und fischt den Song heraus, den sie seit zwölf Monaten auf der Fahrt immer und immer wieder hören in einer Endlosschleife, weil sie sich fühlen, wie Reiter im Sturm, wie „Riders on the storm“ und die Fahrt beginnt mit diesem wohligen Regenrauschen, in das sie sich jetzt einfach fallen lassen. Und dann: der pulsierenden Bass. Den brummt der Beifahrer in den Zigarettendunst, während die hinteren Mitfahrer das nach unten purzelnde Motiv der Orgel mit den Fingern in die Luft klimpern und ihr Spiel mit einem verrauchten Morgenfalsett begleiten. Aus dem Augenwinkel zwinkern sie sich zu. Es ist jeden Morgen gleich und in zwanzig Jahren, wenn sie es erleben würden, hätten sie ihren Kindern etwas zu erzählen gehabt von den gemeinsamen Fahrten in die Kaserne, von dem Freiheitsgefühl, das aufkam, sobald sie Morrisons Stimme hörten „Into this world we're thrown“, ja, genau so fühlen sie sich, geworfen in die Welt, und Morrison legt eine Schicksalsergebenheit in die Melodie und eine Gelassenheit gleichzeitig, die ihnen ungemein imponiert und deshalb ist das ihr Song. Wenn sie wüssten, dass der „Killer on the road“ auf ihrer Strecke lauert. Aber so singen sie diese Passage gemeinsam, wie sie es auch immer tun und denken nicht daran, dass sie heute das Ziel sein könnten. Weil sie glauben noch an das ewige Leben, daran, dass so eine Fahrt in der verrauchten Kiste endlos dauern könnte, über die Kaserne hinaus immer bis zum nächsten Horizont und dann weiter.

Daran denkt vor allem der Beifahrer gerade, wie beengt und klein, ja, kleingeistig ihre Welt doch ist, in die sie ohne gefragt worden zu sein, geworfen wurden. Man müsste nach der Kaserne einfach weiterfahren, immer weiter. Und er fühlt sich in seinen Gedanken den Mitfahrern noch mehr verbunden als sonst, noch eingeschworener und exklusiver empfindet er ihre Gemeinschaft. Gleich wird sie nämlich der Oberfeldwebel mit dem verächtlichen Blick, mit dem er alle Abiturienten von oben herab anschaut, in seine kleinkarierte Welt hereinholen. „Aha, da sind sie ja wieder, meine zukünftigen Führungseliten. Ich hoffe, ihr hattet eine gute Nacht. So wie ich.“ Und mit einem unübersehbaren Zucken in der Hüfte, das er mit einem Pfiff durch die gestrafften Lippen begleitet, wird er zu verstehen geben, wie er das meint. Dass er in der Nacht seine „Alte“, wie er zu sagen pflegt, wieder ordentlich rangenommen hat. Im Autositz zusammengekauert lacht er bei dem Gedanken an den Oberfeld aber in sich hinein, weil er ein Mädchen aus dem Dorf des Oberfeld kennengelernt hat. Allen bekannt sei es, hat sie ihm erzählt, dass die Frau Oberfeld, sobald ihr Mann aus dem Haus ist, mit einem anderen vögelt und zwar in ihrem Haus, und zwar, wie das Mädchen, das ihm schöne Augen gemacht hat und die mit der Geschichte bei ihm punkten wollte, versichert, auf dem Küchentisch oder auch darunter oder daneben. Sie habe es selbst mit eigenen Augen gesehen, dass der, der im Dorf kaum Beachtung findet, weil er so unscheinbar und still ist, sich in die Arschbacken der Oberfeld krallt und ihr Lustschreie entlockt, die man weit ins Dorf hinein hört. Und wenn nur die Hälfte der Geschichte wahr ist und das Gestöhne der Frau Oberfeldwebel in ihrer heimlichen Befriedigung nur halb so laut ist, wie es erzählt wird, dann ist es ist es immer noch so laut, dass es jeder im Dorf weiß, dass es die kleinen Kinder schon erzählen und nur der Oberfeld weiß es nicht. Und genau ihm wird er heute Morgen besonders tief in die Augen schauen, das nimmt er sich fest vor. Ihm, der noch nie irgendetwas von Hesse gehört hat, von den Doors, der sie immer verächtlich mit „meine kleinen Abiturientinnen“ begrüßt. Er wird ihm also in die Augen schauen und keine Miene verziehen und nur ganz hinten, im hintersten versteckten Winkel seines Gehirns denken, dass er ihm letztlich nie etwas anhaben kann, weil zu Hause der Unscheinbare gerade seine Frau vögelt, der Unscheinbare, der niemals seinen aufgeschwollenen Schwanz so arrogant durch die Gegend tragen würde.

Aber zu diesem Blick wird es nicht kommen. Dafür wird der Tod sorgen, denn der ist schon ganz nah. Vielleicht noch ein paar Minuten kann er seine kühle geträumte Rache am Oberfeld genießen. Dann wird das Licht ausgehen. Ohne Vorwarnung. Wie ein Blitz.

Hinten neben dem Schläfer sitzt der, der gestern zum ersten Mal geküsst hat. Und weil die ganze Fahrt nichts gesprochen wird, weil sein Nebenmann ja schläft seit er eingestiegen ist, obwohl er noch versucht hat, eine Zigarette zu rauchen, aber die Zigarette ist ihm zwischen den Fingern abgebrannt und die Asche fiel auf den Boden und der Beifahrer seine Rache still vor sich hingenießt…Weil also nichts gesprochen wird und das monotone Motorbrummen zum Fantasieren einlädt und er, wie gesagt, gestern zum ersten Mal geküsst hat, hat er eigentlich nur Lippen im Kopf. Riesige, rote, fleischige Lippen, in die er eintauchen möchte. Wie lange er sie heimlich angebetet hat. Wie umständlich er sich an sie herangemacht hat und letztlich hat sie seine unbeholfene Art so unwiderstehlich gefunden, dass sie dann in das Treffen am Abend zuvor eingewilligt hat. Und zum Abschied hat sie seinen Kopf in die Hände genommen, weil ihm einfach das Herz in die Hose gerutscht war und er keinesfalls den Mumm hatte, sich ihr zu nähern, obwohl er es sich sehnlichst wünschte, geradezu danach brannte. Aber sie machte ohnehin den ersten Schritt und küsste ihn, den Kopf mit ihren warmen und duftenden Händen haltend, lange, sehr lange auf den Mund. Mehr war es nicht. „Schön ist es mit dir“, sagte sie und ihre Stimme klingt in einer für ihn nie gehörten Sanftheit und Güte in seinen Ohren nach. Er hingegen brachte nichts anderes heraus als ein kehliges „ja, schön“. Und das war so ungeheuer bescheuert, das denkt er sich gerade, einen tiefen Zug aus der Zigarette inhalierend. Aber das Bild oder mehr das Gefühl dieser Lippen „Girl, you gotta love your man“ auf den seinen, die Erinnerung an genau diese Lippen, an keine anderen, diese Erinnerung überwältigt ihn und muss diesen Tag begleiten, muss die nächsten Tage begleiten und von mehr Küssen gefolgt werden „.. take him by the hand...“. Von viel mehr, das weiß er ganz sicher. Er weiß zum Glück nicht, dass nichts folgen wird. Gar nichts.

Weil der Tod rückt noch näher und er braucht nur noch ein wenig seinen Kopf drehen und dann blinzelt er nur ganz kurz, ganz ohne große Geste, weil der Tod ist nicht groß, der ist ein Verwalter, ein Prokurist und er hätte viel zu tun, wenn er jedes Mal einen riesen Aufwand betreiben würde. So vier junge Wehrdienstleistende in der Provinz auf der Bundestraße an den Baum zu jagen, dass sich der Wagen wie ein Hufeisen um den Stamm herumbiegt, das macht der Tod mit links und es kostet ihn nur ein kurzes Zucken. Und wenn der Pfarrer in der Kirche bei der Beerdigung mit großem Theater den Rilke zitiert „Der Tod ist groß, wir sind die seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu lachen mitten in uns“, dann lacht der Tod wirklich. Er lacht weil seine Arbeit so überschätzt wird, seine Profession, die er wie ein Beamter verrichtet. Ganz unspektakulär und nüchtern schaut er, ohne dass man es ahnt, mal kurz in eine Richtung. Und dann ist sein Werk auch schon getan. Er kommt dabei nicht daher als Gerippe, das wäre ihm viel zu aufgedonnert, auch nicht in schwarz. Nein, ganz unauffällig, vielleicht in grau, in einem ganz biederen Cordsacco, möglicherweise auch im Sommer in luftiges Leinen gekleidet, weil er vermeidet Schweiß und Anstrengung, er mag die Leichtigkeit. So steht er unerkannt, unerwartet, unscheinbar und doch ganz bestimmt und ruhig und sich seiner Wirkung absolut gewiss am Straßenrand „…Killer on the road…“ und schaut nur. Das ist seine einzige Tätigkeit. Er schaut.

Aber davon ahnen die vier nichts. Sie ahnen nicht, dass hinter dem Lastzug, der ihnen entgegen kommt, ein roter Wagen fährt, wahrscheinlich ein Golf. Ein junger Mann steuert ihn und daneben sitzt seine Freundin und er will bei Gott kein Hasenfuß sein und unentschlossen vor ihr erscheinen, weil er sie erst seit kurzem kennt und er will sie beeindrucken und zeigen, dass er es drauf hat, dass er die Dinge in die Hand nimmt, dass er weiß, was Sache ist. Er wechselt, ohne sich umzusehen und ohne einen vorsichtigen Blick nach vorne, weil Vorsicht würde ja wieder so unentschlossen wirken und das hat sie ihm ja schon gesagt, dass er immer so unentschlossen wirkt, er wechselt also die Straßenseite und sofort ist ihm klar, dass er gerade den Fehler seines Lebens macht und nie wieder vergessen wird, was er hier anrichtet, nämlich vier junge Leute in den Tod zu schicken, nur weil er vor ihr gut dastehen will aber es eben doch nicht so drauf hat, wie er meint. Niemals wird er diese Schuld von sich abwaschen können. Immer wird das Blut der vier an ihm kleben bleiben und ihn an diesen winzigen Augenblick in seinem Leben erinnern, der entscheidend ist und unaustilgbar. Nicht mit Schnaps, nicht mit Joints, nicht wenn er bis in die Südsee vor dieser Erinnerung wegläuft. Sie ist da, eingedrückt in sein Hirn wie der Wagen mit vier jungen Leuten, der sich gleich in eine Eiche quetschen wird wie eine Zitrone in die Presse. Gerade noch fährt er auf der Höhe des Lastwagens und der entgegenkommende Kadett ist schon viel zu nah, als dass er noch vor dem Laster einscheren könnte. Er drückt das Gaspedal bis zum Boden durch, drückt so fest, als könnte er mit der Muskelspannung seines Oberschenkels noch ein paar Stundenkilometer aus seiner gottverdammten Kiste herausholen. Aber auch das würde nicht reichen und das merkt er und versucht noch, sich mit seinem Wagen ganz dünn zu machen, ganz schmal, damit vielleicht der Kadett passieren könnte auf einem kleinen Reststreifen von Asphalt, was aber nicht gelingt, was nicht ausreicht, auch wenn er den Lastzug mit der rechten Türe streift und dadurch ins Schlingern gerät, was sein Vorhaben, Platz zu machen, wieder vereitelt. Er schreit laut „Verdammte Scheiße“ und seine Beifahrerin schreit nicht. Sie krallt sich krampfartig in den Seitengriff der Tür und stemmt sich gegen den Wagenboden, dass sie meint, sie würde ihn durchtreten, dass sie hinterher einen Muskelkater hat in jedem Muskel von Kopf bis Fuß. Aber sie schreit nicht. Sie reißt stumm den Mund auf und die Augen und kann nicht die Augen zu machen, sie will sehen, was da jetzt passiert und ist gleichzeitig wie gelähmt, weil klar ist, dass eine Katastrophe kurz bevor steht. Wie im Kino, wo man mit einem abstürzenden Flugzeug mitfiebert und sich in den bequemen Kinosessel presst aber doch die Gewissheit hat, dass man hinterher heil aus dem Kino gehen kann. Aber hier kommt man nicht heil heraus, das sieht sie schon voraus, aber die Wagen fahren zu schnell aneinander vorbei, als dass sie das Unglück mitbekommt.

Sie sieht also nicht, wie sich der Kadett mit dem Vorderreifen im Bankett verheddert, aus der Spur gerät, nach rechts kippt und dann in eine spiralförmige Drehbewegung übergeht. Wie ein Korkenzieher würde er sich in den nächsten Baum schrauben, würde die Flugbahn nicht vorher durch einen noch ganz jungen Baum seitlich abgelenkt, wodurch der Wagen sich schließlich wie ein U um den Baum biegt, als wollte er ihn ganz umfassen und ein Teil von ihm werden. Möglicherweise funktioniert gegen jede physikalische Gesetzmäßigkeit der Kassettenrecorder noch und Morrisons Stimme tönt laut aus dem Schrott „..Our life will never end..“, der am Stamm hängt. Der Tod hat geblinzelt und der einzige, der das Blinzeln sieht, ist der Fahrer. Er ist sich, sobald er das andere Auto auf seiner Spur wahrnimmt, sofort der Gefahr bewusst und hat das ganze Ausmaß der Ereignisse genau vor Augen. Um einem frontalen Zusammenstoß auszuweichen, reißt er das Lenkrad auf die rechte Seite herum, sieht zu spät eine sich gerade noch öffnende Gasse, die sich durch die Annäherung des Golfs an den Lastwagen auftut, aber die letztlich zu klein ist, von daher ist es egal, ob er die Gelegenheit nutzt oder nicht, und verliert die Kontrolle über den Wagen. Es ist wirklich ein Klischee, aber während er sich auf die Lippen beißt, dass ihm bereits in der äußerst kurzen Zeit zwischen Flug und Aufprall das Blut zwischen die Zähne rinnt, stammelt er ein Wort in die zerbissene Lippe hinein, das so ähnlich wie „Mama“ klingt. Als hätte jemand die Regler an einem Lautsprecher mit einem Mal auf maximale Stärke gedreht, schießt seine Empfindung für alles, für alle, für jeden, den er kennt, in einer nie erlebten Intensität durch ihn hindurch, ein übergroßes Gefühl von Liebe, von Dankbarkeit und im allerletzten Moment von Wehmut, weil ihm die Endgültigkeit der Situation völlig, absolut und klar bewusst ist.

Auf der Hinterbank hat der Schläfer kaum Zeit, auch nur die Augen aufzumachen, schon ist es passiert. Und neben ihm wird von riesigen, feuchten, fleischigen Lippen geträumt und zunächst erscheint das fast sanfte Abheben von der Fahrbahn wie eine völlig logische Fortsetzung des Tagtraums, in dem der Lippenträumer ohnehin nicht genau weiß, wo oben und unten ist, weil sich alles um ihn herum dreht in einer Art rotem Delirium, wie ein Karussell, das nicht fest auf der Erde verankert ist, sondern permanent Richtung und Standwinkel ändert, das Tempo abbremst und beschleunigt, wovon ihm schwindlig ist, aber schon lange vor der Kollision mit dem Baum. Es gibt einen allerletzten Moment in seiner Wahrnehmung, so kurz wie ein Fingerschnippen vielleicht, in dem die Lippen, von denen er träumt, sich monströs aufblähen zu überdimensionalen Luftkissen, die sich mit enormer Geschwindigkeit auf ihn zu bewegen und in ihrem Spalt gnadenlos zerquetschen. Diese Fantasie hat er kurz vor dem Aufprall, so dass sich für ihn quasi ein doppelter Aufschlag ergibt, wobei der erste die Seligkeit seines Traums zerstört und der zweite sein Leben.

Beim Beifahrer scheint es, als habe der Tod, vielleicht aus Langeweile, vielleicht aber doch aus einem völlig unwahrscheinlichen Anflug von Mitleid, seinen Blick abgewendet. Und so hängt er in dem beengten Raum, den die Wucht des Aufpralls noch übrig gelassen hat, fast in einer stehenden Position auf dem Armaturenbrett und sein Herz schlägt noch, das spürt er an dem pulsierenden Blutstrom, der aus seinem Oberschenkel austritt und in dieser aufgerichteten Stellung kann er das Ausmaß des Geschehens überblicken. Unwahrscheinlich ist, dass er versucht, die Zeilen des Songs, der vielleicht noch aus dem Kassettenrecorder tönt, mitzusingen „..his brain is squirming...“. Sicher ist aber, dass er nicht mehr an den Oberfeld und seinen aufgepflanzten Schwanz und ebenso wenig an seine auf dem Tisch vom Außenseiter genagelte Frau denkt. Er denkt gar nichts mehr und registriert nur noch das nahende Ende, sieht sich selbst beim Ende zu.

Wahrscheinlich ist es aber kein Mitleid, das den Tod noch kurz innehalten lässt. Es ist wohl viel banaler, viel alltäglicher. Er muss sich möglicherweise nur die Schnürsenkel binden und bückt sich, oder er sieht kurz auf die Uhr um seinen dichten Tagesplan durchzugehen. Aber natürlich wendet er sich jetzt wieder um und vollendet am Beifahrer seinen Dienst in aller Frühe in der Provinz auf der Bunderstrasse und verlässt den Unglücksort, der für ihn ja kein Unglücksort ist, vielmehr ein Arbeitsplatz, aber Unglück für die, die da am Baum hängen, begleitet von den letzten Klängen der Doors „..take him by the hand...“, denen jetzt auch allmählich die Luft ausgeht, vom leisen Zischen des Motors und Tropfgeräuschen von Kühlerwasser und Blut.

 
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Hallo rieger

Willkommen bei den Wortkriegern! Bleib hier. Bitte.

und Morrisons Stimme tönt laut aus dem Schrott „..Our life will never end..“

Ich fands grandios, wie du das junge Leben, die Küsse der letzten Nacht mit dem Tod konfrontierst. Klar, das ist kein grosser Plot mit Spannung drin, du sagst ja, wie die Geschichte ausgeht und so geht sie aus. Aber wie du das erzählst, das macht es aus. Ich finde das stilistisch über weite Strecken absolut überzeugend. Du triffst so einen wehmütigen Ton, dem Sujet angemessen. Das hat einen eigenen Sound. Lange Sätze, kurze Sätze, elegante Einschübe. Ich fang erst gar nicht an zu zitieren.

EDIT: Bezüglich Stil habe ich mir überlegt, ob ich dich gleich mit ernst offshore bekannt machen soll. Hat sich mit dessen Kommentar erledigt.

Nur der erste Abschnitt hat mich nicht so ganz begeistern können.

Oder eigentlich ist er gar nicht richtig aufgewacht seit er aus dem Bett gestiegen ist. Wobei „steigen“ bei weitem übertrieben ist, in Wirklichkeit kriecht er heraus und schlurft noch halb im Traum ins Badezimmer. Zwischen aus dem Bett Kriechen also und Zähneputzen wacht er kaum richtig auf und für ein Frühstück ist ohnehin keine Zeit.

Ich denke, du willst hier die Erzähstimme etablieren, die manchmal relativiert, zuweilen Unsicherheit anzeigt, die auch kommentiert und ein Wissen anzeigt, das die Figuren nicht haben. Diese Erzählstimme gefällt mir. Aber hier, gleich zu Beginn, ist mir das zu forciert. Der Text wirkt hier sehr behäbig, sperrig, findet den Rhythmus der folgenden Abschnitte noch nicht. Da würde ich noch mal drüber.

Ganz allgemein kannst du dir noch überlegen, ob du diese Einschübe ("...was sie aber nicht wissen können" etc.) noch etwas zurückfahren möchtest, du bist da für meinen Geschmack an der oberen Grenze.
Und auch sonst bist du an der oberen Grenze, was das Schwärmerische anbelangt. Nimm mal den letzten Satz, da fände ich es z.B. stärker, du lässt das Blut weg, das brauchst du nicht mehr extra erwähnen.

Und dann, meine Güte, schenk dieser Perle die Kommata, die sie verdient!

Und dass er es nicht weiß K ist sein Glück

der zum Schneiden dicken Luft nicht schwierig ist K weil sie auch ohne Zigarette in der Hand

und immer wieder hören K in einer Endlosschleife

Aber so singen sie diese Passage gemeinsam, wie sie es auch immer tun K und denken nicht daran, dass sie heute das Ziel sein könnten.


usw.

Und ach ja, das Bild mit der Zitronenpresse fand ich nicht stimmig. Hier geht nämlich die Kraft von der Presse aus, im vorliegenden Fall aber vom Auto, das in die Bäume fährt.

Sehr gern gelesen! Ich hoffe, da kommt noch mehr.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hi Rieger,

da du schon länger bei den Wortkriegern angemeldet bist, kann ich kaum willkommen sagen :) also Hallo.

Ich fand dein Darstellung des Todes gut, das er ein Prokurist ist und das es ihm egal ist, wer stirbt und wie. Das trifft die Wahrheit glaube ich auch ganz gut, auch wenn ich nicht glaube, das der Tod eine Person ist.

Auch die einzelnen Geschichten, die die Jungs im Auto erleben, wovon sie träumen, etc. finde ich, sind eine gute Idee.

Was mir nicht gefällt sind deine Absätze und Sätze. Diese sind erheblich zu lang. Ein Beispiel:
Um einem frontalen Zusammenstoß auszuweichen, reißt er das Lenkrad auf die rechte Seite herum, sieht zu spät eine sich gerade noch öffnende Gasse, die sich durch die Annäherung des Golfs an den Lastwagen auftut, aber die letztlich zu klein ist, von daher ist es egal, ob er die Gelegenheit nutzt oder nicht, und verliert die Kontrolle über den Wagen.

Hättest du hier nach "auftut" den Satz beendet, wäre es besser zu lesen. Wenn man die Sätze versucht, in einem Atemzug zu sprechen, dann kommt man außer Puste. Das würde ich auf jeden Fall noch ändern.

Dann könntest du evtl. versuchen, in den Sätzen mehr unterschiedliche Worte zu gebrauchen. Beispiel:
Aber der Wagen, der ihn abholt, biegt schon um die Ecke, der alte Kadett in himmelblau, aus dessen halboffenen Fenstern Rauchschwaden aufsteigen. Rauchen, ja Rauchen. Dafür ist diese Fahrt da. Zu irgendetwas muss die allmorgendliche Route in die Kaserne ja gut sein. Noch zwei Monate, zwei Monate noch Dienst, dann ist es vorbei. Mit diesem guten Gefühl, dass ihn der Bund die längste Zeit gesehen hat, lässt er sich in den Wagen fallen, immer hinten links, das ist sein Platz und gleich rauchen. Selbstgedreht natürlich und dann sich quasi in den Schlaf rauchen, was in der zum Schneiden dicken Luft nicht schwierig ist weil sie auch ohne Zigarette in der Hand die Sinne benebelt.

Hier könntest du Smoken oder "Zigarette durchziehen" oder sowas verwenden, dann wird der Text nicht ganz so monoton.

Ein paar Rechtschreibfehler waren auch drin, aber da darf ich nicht meckern denn bei mir seh ich sowas auch nie :)

VG,

Thomas

 

Was für ein Debüt, rieger!
Es klingt, als hättest du beim Schreiben kein einziges Mal Luft geholt, die Worte fetzen dahin, dass ihnen die Handlung kaum folgen kann, und ballen sich zu rasenden Bildern und aberwitzigen Sätzen. Gäbe es das Wort Satzkaskaden nicht schon, für diese Geschichte müsste man es erfinden. Ein syntaktischer Wasserfall quasi, der einen einfach mitreißt. Also mit so einem Stil hast du mich sofort, genau so was will ich lesen, nach genau so was sehne ich mich immer, wenn ich hier nach neuen Geschichten suche. Natürlich sehe ich auch schon die Kleingeister antanzen mit ihren hochgezogenen Augenbrauen, diese Bernhard-und-Jelinek-Verächter mit ihren verdammten Stilratgebern auf dem Nachtkästchen, die dir dann Kommentare um die Ohren hauen werden wie: „Deine Sätze sind sehr lang! Manche gehen über mehrere Zeilen!“, alles schon erlebt hier, kein Witz, ja, selbst die Rufzeichen, mit denen dem Unverständnis noch einmal so richtig Nachdruck verliehen werden soll, aber ich nehme mal an, dass du solchen Kritiken mit einem nachsichtigen Grinsen begegnen wirst. Einer, der so schreiben kann, der grinst vermutlich immer, stell ich mir vor. Zumindest hätte er allen Grund dazu.

Willkommen hier, rieger.

offshore

 

Hallo,
ich bin überrascht, wie schnell hier gelesen und geantwortet wird und danke sehr für die herzliche Aufnahme bei "Wortkrieger".
Herzlich
rieger

 
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Hallo rieger,

ich fand den ersten Absatz wirklich nicht gut, aber dein Text hat dann rasant an Qualität aufgebaut, und zur Mitte und zum Ende hin fand ich das richtig gut und unterhaltsam geschrieben.

Zum Anfang:

Wie immer schläft er ein, kurz nachdem er sich in den Wagen setzt. Oder eigentlich ist er gar nicht richtig aufgewacht seit er aus dem Bett gestiegen ist.
Baut er denn jeden Tag einen Unfall? Ist etwas ungünstig formuliert. Auch das "Oder" würde ich kicken, das verwirrt bloß und erscheint mir überflüssig für den Satz.

Wie immer schläft er ein, kurz nachdem er sich in den Wagen setzt. Oder eigentlich ist er gar nicht richtig aufgewacht seit er aus dem Bett gestiegen ist. Wobei „steigen“ bei weitem übertrieben ist, in Wirklichkeit kriecht er heraus und schlurft noch halb im Traum ins Badezimmer. Zwischen aus dem Bett Kriechen also und Zähneputzen wacht er kaum richtig auf und für ein Frühstück ist ohnehin keine Zeit. Nicht einmal als Henkersmahlzeit an seinem letzten Tag, aber das weiß er ja nicht. Und dass er es nicht weiß ist sein Glück und seine Schläfrigkeit ebenso, weil dadurch gleitet er fast übergangslos hinüber und spürt vielleicht einen harten Aufprall, aber nicht einmal das ist gewiss.
Allgemein finde ich, dass du in diesem ersten Absatz etwas "um den heißen Brei herum redest". Was willst du uns hier sagen? Der Fahrer weiß nichts von seinem baldigen Tod, ist übermüdet und steigt in seinen Wagen. Ende. Das sollte im ersten Absatz stehen, evtl. noch eine charakterisierende Bemerkung, mehr würde ich echt nicht reinpacken, sonst erschlägt das und man liest nicht weiter. Würde dir echt empfehlen, den ersten Absatz zu entschlaken. Im Gegensatz zum restlichen Text fand ich den wirklich nicht gut, um nicht zu sagen, schlecht. Kam mir fast vor, als ob das zwei verschiedene Autoren geschrieben hätten, Anfang und Rest.


Es scheint, als ob man in dieser Story bloß einen Unfall gezeigt bekommt, in Zeitlupe sozusagen, aber ich finde, da passiert hinter den Kulissen sehr viel. Man lernt jeden einzelnen Mitfahrer kennen, man lernt etwas über ihr Leben, das zeichnest du wirklich schön. Auch diese Idee mit dem Tod, dass er sich die Schnürsenkel binden muss usw., das ist originell und wertet das Ganze auf.

Also bis auf den Anfang, den du wirklich noch mal überarbeiten solltest, fand ich das souverän geschrieben und fand mich gut unterhalten. Freue mich auf weitere Sachen von dir.


edit: Ich habe gerade meinen Kommentar noch mal gelesen, und (man kann es auf die späte Stunde schieben :D) jetzt ist mir aufgefallen, dass du im ersten Absatz ja gar nicht explizit den Fahrer des Wagens an sich meinen könntest, sondern einen beliebigen Mitfahrer. Ich weiß nicht, woran es lag, vllt weil du hier von Unfall und Wagen und Einsteigen sprichst, aber gestern war für mich klar, dass das der Fahrer ist, von dem erzählt wird. Du könntest das auch noch etwas deutlicher machen, von wem du hier sprichst, indem du sagst/zeigst, dass dein Prot zB am Steuer/auf der Rückbank sitzt. Ist aber natürlich nur ein Vorschlag, vielleicht hatte ich gestern auch Tomaten auf den Augen. Der Rest meiner Kritik an dem Absatz steht aber noch.

Viele Grüße
zigga

 

Hallo rieger,

auch mich hat der Text gefangen genommen und ich spüre da was rauszulesen, was man in Teilen schon erlebt haben muss. Da ich selber schon zweimal in solchen Unfallsituationen war, hat mich das wieder sehr in die Erinnerung zurück geworfen und ich finde, du hast das grandios beschrieben.
Da stört mich jetzt nicht einmal das zeitliche Einbetten des Textes in eine nicht mehr aktuelle Zeitspanne. Eigentlich gehört der Text fast unter Historisches gepostet. Die Wehrpflicht gibt es nicht mehr, Kassetten auch nur noch im Regalen über 50-Jähriger.

Mit dem Klassiker von den Doors beginnt schon beim Lesen des Titels das Geräusch des Regens in meinen Ohren wie selten bei anderen Songs, also dass da sofort das Lied und die Stimme zu 100 Prozent da sind. Da war ich dann schon auch etwas skeptisch, wie das bekannte Lied "verbraten" wird, wenn der Titel als Lockvogel herhalten muss.

Aber auch das hast du zu meiner Zufriedenheit gelöst. Das Lied bettet sich geschmeidig in den Text ein
Einzig die mehrfache Vorwegnahme der Information, dass es einen Unfall geben wird, fand ich von der Wiederholung etwas zu oft, das merkte auch Peeperkorn an, da bin ich mit ihm einer Meinung.

Klasse finde ich auch, dass die Tatsache der Tragik so trocken, schicksalsergeben, dargestellt wird.

Sehr, sehr schön. Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten gefunden, die man ändern könnte, schreibe aber gerade auf dem Handy und möchte nicht in die konkrete Textarbeit einsteigen, das ist zu mühsam.

Liebe Grüße
Und herzlich Willkommen
bernadette

 

Hallo Rieger,

herzlich Willkommen.
Und auf jeden Fall zieh auch ich meinen Hut vor dieser Geschichte. Was heißt einen, gleich drei Hüte.
Einen für den wunderbaren Sound, einen für den Tod und einen für das Einbauen des Liedes. Ach was, das ist kein Einbauen mehr, das ist ein Verschmelzen.
Ein wirklich bemerkenswertes Debut.

Aber guck mal nach den Kommas; und nach über den Anfang - Hinweise haben die anderen ja schon gegeben haben - denn der kickt wirklich noch raus.
Ansonsten wollte ich wie der offshore dich auch noch mal darin bestärken, diesen Satzstrom mit seinen Wiederholungen, den Einschüben, den ansonsten vorwärtstreibenden Fluss der Worte so zu lassen. Das ist ein sehr lyrischer, musikalischer Text, der braucht eine besondere Satzmelodie.


Novak

 
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Verdammt! Verdammt, Rieger, das ist absolut grandios! Atemlos, an manchen Stellen zieht es einen in den Strudel der Ereignisse, dann lässt sich der Text wieder Zeit für langsame, sorgfältige Details. Das ist eine geniale Mischung. Ich habe keine Ahnung, ob die Sätze lang waren, oder nicht, ich hatte eh nicht mehr das Gefühl zu lesen, es war ein Erlebnis, das eigendlich nichts mehr mit Buchstaben zu tun hatte.

Deshalb kann ich Dir überhaupt keinen Rat geben, was da noch zu verbessern wäre. Lass es einfach so, wie es ist, es funktioniert.
Ich hätte ja gerne, dass Du hier bleibst, damit ich noch viel von Dir lesen kann. Aber ich habe auch ein bisschen Angst, Du könntest Dich auf das hiesige Einheitsmaß zurechtstutzen lassen. Das wäre echt traurig. Es gibt viel zu lernen hier, aber in Deinem Fall würde ich sagen, auch zu verlieren.

Grüßle, Gretha

 

Gretha: von welchem Einheitsmaß redest du da?

Hallo,

für mich ist das zu viel tell. Die Sätze lesen sich schon sehr wie etwas von Thomas Bernhard, wie ich finde, und dann wird der ganze Textfluss zu einem einzigen Effekt, der Text zu einem one trick pony. Einmal kann man das machen. Auch diese Personifizierung des Todes am Ende, ich weiß nicht, dass ist auch so ein Griff in die Kiste, ein Taschenspielertrick, um das Ganze zuende zu bringen. Ich habe eine persönliche Abneigung gegen lange Sätze, die nicht so richtig verschachtelt sind, die Kaskaden sind, mir erschließt sich der Sinn nicht, sie klingen gut, das ja. Aber wie gesagt: Ist Geschmackssache.

Gruss, Jimmy

 
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Zeigen, nicht erklären, keine auktorialen Perspektive, Wordverdichtung, reduzierter Stil, kurze, unkomplizierte Sätze. Eben die Schablone, nach der hier Geschichten überwiegend gemessen werden.

Was nach meinem Gefühl dazu führt, dass alle sehr ähnlich schreiben. Was ich wiederum traurig finde.

Diese hier ist originell, neu, anders. Klar kommt man ziemlich weit, mit dem oben genannten. Aber es gibt auch Talente, bei denen es trotzdem funktioniert. Wenn auch nicht für jeden Leser. Das ist aber normal.

 
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jimmysalaryman schrieb:
Ich habe eine persönliche Abneigung gegen lange Sätze, die nicht so richtig verschachtelt sind, die Kaskaden sind, mir erschließt sich der Sinn nicht, …

Ich sehe hier schon wieder, ähnlich wie unter deiner letzten Story, Jimmy, das Potential für einen eigenen Thread in der Rubrik Textarbeit/Autoren. Weil es gerade zu diesem Thema, also der individuellen Wahrnehmung und Rezeption unterschiedlichster Satzstrukturen wirklich viel zu sagen gäbe.
Also zumindest mir fällt da wahnsinnig viel dazu ein.

Heut ist Feiertag bei uns in Ö-Land, vielleicht finde ich Zeit und zerbrech mir über das Thema noch ein bisschen den Kopf und zettle dann abends eine Diskussion dazu an. Mal sehen.

 

Heut ist Feiertag bei uns in Ö-Land, vielleicht finde ich Zeit und zerbrech ich mir über das Thema noch ein bisschen den Kopf und zettle dann abends eine Diskussion an. Mal sehen.

Finde ich eine sehr gute Idee. Die Aussage ...

Eben die Schablone, nach der hier Geschichten überwiegend gemessen werden.

... hielte ich dabei für einen interessanten Aufhänger (v.a. auch, weil sie nach fünf mehr oder weniger begeisterten Rückmeldungen geäussert wurde).

Hier aber konzentrieren wir uns im Folgenden wieder auf den Text von rieger.

Gruss
Peeperkorn

 
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Himmelsapperment, jetzt hat sich das alles überschnitten, weil ich wieder mal eine lahme Gurke bin. Ich lass es trotzdem mal stehen.

Zeigen, nicht erklären, keine auktorialen Perspektive, Wordverdichtung, reduzierter Stil, kurze, unkomplizierte Sätze. Eben die Schablone, nach der hier Geschichten überwiegend gemessen werden.
Das stimmt doch so nicht, Gretha, da mag ich das Forum mal in Schutz nehmen. Schon allein die Leute, die sich hier gemedet haben, sprechen eine völlig andere Sprache.
Alles das, was du zitierst, das sind handwerkliche Regeln, die ihren Sinn und ihre Bedeutung haben. Die man aber nicht verabsolutieren sollte, genauso wenig wie umgekehrt den Ratschlag, nur noch längere, kompliziertere Sätze zu bauen. Das hängt von der Geschichte ab, von dem jeweiligen Autor, auch von dessen Schreibstand vielleicht und natürlich vom Geschmack. Ich denke, da gibt es keine absolute Wahrheit.

Was nach meinem Gefühl dazu führt, dass alle sehr ähnlich schreiben. Was ich wiederum traurig finde.
Aber Gretha, auch das stimmt doch nicht.
Ich weiß, du hast nur jimmy geantwortet, aber solche Verallgemeinerungen bringen ja nun auch nichts.

Ich plädiere einfach mal dafür, ein bisschen enger am Thema zu bleiben, also bei der Geschichte, und ja, mich selbst erinnere ich auch daran, nicht, dass wir uns jetzt anfangen über das Forum und dessen einheitlichen Schreibstil zu unterhalten.
Den es eh nicht gibt. :D

Und alles Weitere gehört in einen anderen Faden oder zu einem neuen Thema. Interesse an sowas gibts ja.

Hier spielt die Musik. Bei Riders on the storm

 

Gerne möchte ich hierzu noch etwas schreiben. Ich versuche sehr nah am Text zu bleiben. Diese Geschichte dürfte nach den modernen Prämissen gar nicht funktionieren. Sie hat einen altbackenen auktorialen Erzähler, der alles weiß und ständig die Perspektive wechselt. Es wird fast ausschließlich erklärt und es wird wenig gezeigt. Die Sätze sind teils sehr lang, man verheddert sich hie und da.

Nach meinem Geschmack funktioniert sie aber trotzdem. Die langen Sätze vermitteln eine gewisse Atemlosigkeit, es entsteht etwas Getriebenes. Es ist oft notwendig, Anfängern aufzuzeigen, dass solche Konstrukte schrecklich zu lesen sind. Aber hier liest es sich eben nicht schrecklich, denn es ist ein Stil, kein Unvermögen. Erinnert mich ein bissen an Zeruya Shalev, die verwendet pro Seite durchschnittlich zwei, drei Punkte. Wenn man das kann, einsteht da mitunter etwas Außergewöhnliches.

Nun ist das hier ein Debüt. Keine Ahnung, ob wir es mit einem talentierten Anfänger zu tun haben, oder mit einem Mensch, der schon Jahrzehnte schreibt.
Jedenfalls ist das so ein Fall, wo ich den Reflex habe: Lerne nicht, wie man es heutzutage macht.
Dann dann ist es zwar modern, wird aber einbüßen an Individualität.

 

Normalerweise würde ich an dieser Stelle auch sagen, dass das zu viel telling ist, aber wenn man die Geschichte als Gesamtes betrachtet, würde es überhaupt nicht anders funktionieren. Mir gefällt die Erzählstimme, die mir das Bild eines Mannes in den Kopf gesetzt hat, der das Geschehen an verschiedenen Stellen stoppt und uns einen Schwank über die Person erzählt, über die die Kamera gerade fährt. Ja, das kann man eindeutig so machen. Diese Informationen, wenn auch allesamt als Textblock, bringen uns die Figuren näher. Jeder der Jungs bekommt eine eigene Persönlichkeit verliehen, ohne dass auch nur ein Wort gesagt werden muss. Das ist schon dufte gemacht.

Mit den langen Sätzen habe ich überhaupt kein Problem, denn es verstärkt den Eindruck, dass der Erzähler ein geschwätziger Typ ist, der sich in seinen Gedankengängen verstrickt und harmlos vor sich hinpalavert, bis er merkt, dass da noch Leute sind, die wissen wollen, wie es weitergeht.

Normalerweise bin ich ein Meckertyp, aber diesmal hab ich einfach keine Lust darauf. Wenn das Ding in den nächsten Tagen nicht empfohlen wird, mach ichs selbst.

Mir hat das ausnehmend gut gefallen - Hut ab und ein herzliches Willkommen bei den Wortkriegern, min jung.

 

Hallo und Willkommen als (Wortk)rieger, lieber rieger!;)

Starker Text, den du da geschrieben hast. Angesichts der Lobeshymnen und frenetischen Beifallsstürme, die du mit deiner Geschichte erntest (NEIN- das ist jetzt kein kleingeistiger Neid, sondern eine Feststellung:D), weiß ich eigentlich gar nicht, was ich noch groß dazu sagen soll. Dass mir die Geschichte gefallen hat, sagen dir ja auch so ziemlich alle anderen hier.
Insofern kann ich's kurz und knapp halten - gute Story.

Ich finde, ein anderes Lied der Doors beschreibt das unvermeidbare Ende auch ganz gut:

This is the end, beautiful friend
This is the end, my only friend, the end
Of our elaborate plans, the end
Of everything that stands, the end
No safety or surprise, the end
I'll never look into your eyes, again :Pfeif:

Grüße vom EISENMANN

 

Sehr kurz, weil ich einige Tage unterwegs bin und nur selten Netz habe mit einem umständlichen Minihandy. So profunde, inspirierende Gedanken hier!
Herzliche Grüße
rieger

 

Verspätet:
Außerordentlichen Dank für die Zeit und für die so grundlegenden und hilfreichen Hinweise und Gedanken.
Ich habe gerade irgendwo etwas gelesen über die Rückmeldung auf Kommentare. Ich habe wenig Forenerfahrung und da habe ich die Besprechungen einfach so stehen gelassen und nach dem Motto quid pro quo einfach wahllos andere Geschichten zurückkommentiert, was großen Spaß macht. Aber die Rückmeldungen waren mir keinesfalls egal. Im Ernst: Mir ist das Herz in die Hose gerutscht, als ich die ersten Antworten las. Und hab mich saumäßig gefreut.
Herzlich
rieger

 

Hallo Bea Milana,
vielen Dank für die vielen detaillierten Hinweise, mit denen ich eine Menge anfangen kann.
Oh ja, ich verheddere mich liebend gerne in Füllwörter, mit denen man Sichtweien einschränken, aufweichen, realitivieren kann, bis am Ende gar nichts mehr ausgesagt ist, weil sich alle gegenseitig aufheben. Weil man am liebsten alle fünundzwanzig Aspekte einer Problematik in einen Satz packen möchte. Das geht bei mir manchmal bis zu einer hemmungslosen Umständlichkeit und ich bin Dir sehr dankbar, dass Du darauf hinweist aus der Leserperspektive.
Die Übung mit den zwei Varianten ist sehr gut. Das probier ich aus!
Schönen Regensonntag und herzlich
rieger

 

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