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Replika

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21.04.2014
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Replika

Ich stand etwas abseits, unter einer kahlen Eiche, deren Äste mit Raureif überzogen waren, und zuckte zusammen, als Krähen hinter mir davonstoben. Es roch nach Schnee und nasser Erde. Blassrote Schlieren am Himmel wie Narben von Peitschenhieben.
Die Grabrede des Pfarrers war nicht zu hören – ganz gleich, wie sehr ich mich auch konzentrierte. Meine Hände spürte ich kaum mehr, ballte sie zu Fäusten, pustete hinein und suchte die Trauergemeinde nach bekannten Gesichtern ab. Ich fragte mich, ob ich den Mann wiedererkennen würde, der inzwischen in seinem bitterkalten Loch lag, und musste an diesen Film denken: 'Fireman', nein, 'Backdraft – Männer, die durchs Feuer gehen'.

Die Sonne war gut gelaunt, strahlte mit mir um die Wette und verwandelte den Mittwoch in einen echten Sommertag. Mutter hatte Eintrittskarten besorgt, ich durfte die Schule schwänzen, und wir feierten meinen Geburtstag in einem Freizeitpark.
Wenn ich in der Achterbahn an ihr vorbeisauste – Tränen vom Fahrtwind in den Augen –, riss sie die Hände nach oben, rief laut meinen Namen und johlte.
Am Abend sollte ich ihr eine weitere Flasche Wein aus dem Keller holen, da fand ich ein Polaroid in einer Schuhschachtel. Ein Mann war darauf zu sehen. Grübchen auf dem Kinn, schwarzes Haar – offenkundig schwer zu bändigen – und rote Augen, als blickte er nicht auf das Objektiv der Kamera, sondern in ein glühendes Inferno. Wie ein Firefighter in Amerika, der Buschbrände bekämpfte oder Feuersbrünste in New York. Einer der 'Männer, die durchs Feuer gehen'. 'Backdraft', der Film hatte mich damals gefesselt und wir Jungs unterhielten uns oft in der Schule darüber.
Als ich meiner Mutter das Foto zeigte, riss sie es mir aus der Hand, zerfetzte es und warf es in den Abfall.

Meine Zehen wurden taub, ich rieb sie am glatten Leder der Einlegesohlen. Mir war nach einer Zigarette, ich hatte genug von all dem hier – was sollte das auch bringen! Ein Mann löste sich aus der Gruppe und steuerte auf mich zu. Wie ein Signal zum Aufbruch war das. Ich wandte mich ab und marschierte Richtung Ausgang, trat durchs rostzerfressene Tor, steckte mir eine an und hielt auf die nächste Haltestelle zu.
»Jorma?«
Ich drehte mich um. Der Mann stieß Dampf aus wie eine alte Maschine, hielt die Hände in den Hüften und sagte: »Du bist es, oder?«
Ich nahm noch einen Zug, schmiss die Kippe zu Boden und drückte sie mit dem Absatz aus. »Wer will das wissen?«
Er pumpte noch ein-, zweimal nach Luft. »Dieselbe Statur wie dein Vater.« Er lächelte. »Als er in deinem Alter war, versteht sich.«
Was ich erst für einen Leberfleck neben dem rechten Auge gehalten hatte, entpuppte sich nun – bei näherem Hinsehen – als eintätowierte Spinne.
»Und du siehst ihm verdammt ähnlich«, sagte er. »Bei Gott! Wirklich wahr!« Er streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin der Harald. Hab' dir geschrieben.« Die Spinne begann zu tanzen, während sein Lächeln noch breiter wurde.

Am dunklen Tresen saßen nur wir beide, John Coltrane blies im Hintergrund das Sopransaxofon.
»Pils?«, fragte Harald.
»Wasser, wenn es hier so was überhaupt gibt.«
Seine Stirn legte sich in Falten, ich zuckte mit den Schultern. Dann lächelte er. »Das hier war eine der Stammkneipen deines Vaters.«
Harald bestellte, ich sah mich um. Rauchschwaden hingen in der Luft, vergilbte Film- und Konzertplakate zierten die Wände. Das Mobiliar sah aus, als sei es Stück für Stück zusammengetragen worden, vielleicht vom Sperrmüll – so wie die Gäste hier.
»Nett«, sagte ich, Coltrane setzte zum 'Olé' an.
»Wie geht es deiner Mutter?«, fragte Harald, Schaum vom Bier hing an seiner Oberlippe. Er wischte ihn mit dem Jeansärmel ab und schob das Wasser in meine Richtung.
»Die kennen Sie auch?«
»Du.«
Ich stutzte.
»Sag doch du zu mir – also Harald, okay? Lass einfach diese Siezerei-Scheiße.«
»Alles klar. Harald, ja?« Wir stießen an.
Er spitzte den Mund und nickte kaum merklich. »Also, ich kenne sie nicht persönlich, deine Mutter, aber dein Vater hat von ihr erzählt.«
»Und du kanntest meinen Vater ... woher? Aus dem Knast?«
Die Spinne tanzte wieder. »Nein, nein.« Er winkte ab. »Alte Freunde.«
»So«, sagte ich. »Alte Freunde.«
»Das will ich meinen.«
Das Wasser war lauwarm, schmeckte nach Eisen. Ich spuckte es ins Glas zurück, winkte den Wirt herbei und bestellte ein Export. »Ich hatte mal ein zerfleddertes Foto von ihm.« Mein Blick wanderte wieder zur Spinne, ich konnte mich nicht dagegen wehren.
»Deinem Vater?«
Ich nickte. »Hab' es oft heimlich angesehen. Im Bett. Als ich noch klein war.« Meine Finger tasteten nach der Zigarettenschachtel in der Jackentasche. »Mutter hat's zerrissen und ich hab’s aus dem Müll gefischt. Mit Tesa zusammengeklebt. Mann! Wenn ich sie im Flur gehört hab' ... Das Foto war dann so was von schnell unter der Decke.« Ich zündete mir eine Kippe an, Rauch stieg auf, ich kniff ein Auge zusammen. »Richtig Herzrasen hatte ich. Und immer das Gefühl, was falsch gemacht zu haben.«
Harald stützte sein Kinn auf die Hand, mit der anderen ließ er die Biertulpe um die eigene Achse drehen.
»Manchmal hat sie gesagt: Du bist wie dein Alter.« Ich schüttelte den Kopf. »Konnte nicht wirklich was damit anfangen, Sie verstehen, warum – du verstehst, warum. Und als ich sie letzte Woche im Heim besuche, sagt sie echt, sie wär’ stolz auf mich.« Ich lachte kurz auf. »Naja, sie wird's beim nächsten Mal vergessen haben. Vergisst alles. Alzheimer.«
»Hm. Das tut mir leid«, sagte Harald.
»Das muss es nicht.«
»Thorsten hat auch seinen Alten verloren – deinen Opa. Allerdings durch einen Unfall, da war er noch kaum auf der Welt. Ich weiß nicht, ich hatte manchmal das Gefühl, er wär’ nie darüber hinweggekommen.«
Ich schnaubte. »Wie kann man was vermissen, das man kaum kennt?«
»Keine Ahnung«, sagte Harald, »war halt so ein Gefühl.«

Mir war Osteuropa gut vertraut, ich war in China unterwegs und im Urlaub schon sonst wo, aber Berlin hatte ich nie zuvor besucht. Dabei kannte ich die meisten Großstädte Deutschlands recht gut – das brachte der Job so mit sich. Ausgerechnet die Beerdigung meines Phantom-Vaters führte mich hin – ich hatte gleich mehrere Übernachtungen eingeplant. Wollte mir eine Auszeit gönnen, wusste nicht, was die ganze Geschichte mit mir machen würde. Also war ich damit einverstanden gewesen, mich ein weiteres Mal mit Harald zu treffen. »Ich hab' da noch was, das dich interessieren wird«, hatte er gesagt und ein Café zwischen Berliner Dom, der Alten National- und Gemäldegalerie vorgeschlagen. Vielleicht mochte ich ja Museen, hatte er auf meine hochgezogene Augenbraue erwidert und ins Schwarze getroffen. Das Pergamonmuseum interessierte mich. Vor allem die Rekonstruktionen – Markttor von Milet, die Mschatta-Fassade – , die Statuen.

Das Fenster des Cafés reichte bis zum Boden. Ich beobachte das Treiben ringsum, löffelte Milchschaum und gabelte Kuchen in mich rein. Eine Frau mit eisengrauem Dutt raschelte mit der Zeitung, hinter mir zischte die Siebträgermaschine und ich genoss den Duft nach Kaffee.
Klassisch in Schwarz – Ringelhemd, weiße Handschuhe und Barrett – heftete sich ein Pantomime draußen an die Fersen der Fußgänger. Einen Mittfünfziger im Businessmantel spiegelte er präzise wider. Der Imitierte blieb stehen, sah auf seine Armbanduhr und der Mime rempelte ihn von hinten an.
»Jorma?«
Der Teelöffel fiel mir aus der Hand und fiel klappernd auf die Untertasse. Die Frau mit Dutt blitzte mich über die Schulter hinweg an. »Entschuldigung«, sagte ich, dann: »Harald.« Der sah mir fragend in die Augen, ich erhob mich und reichte ihm die Hand, deutete mit der anderen eine einladende Geste an.
»Alles in Ordnung?«
Ich nickte. »Ja, klar, alles gut.« Dann setzten wir uns.
»Okay.« Er lehnte sich im Stuhl zurück. »Haste Lust auf Biedermeier? Was Zeitgenössisches?« Harald ließ den Blick umherschweifen, der Laden war geschmackvoll aus- und eingerichtet. Kleine Details, in Anlehnung ägyptischer Kultur hier und da. »Wir wär's mit Antike?«
»Nimm's nicht persönlich«, ich tupfte mir den Mund mit einer Serviette ab, schob den leeren Kuchenteller an den Tischrand, »aber, dass du so ein Kunstmensch bist, hätte ich ehrlich gesagt nicht vermutet.«
Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, wieder schlug mich die Spinne in ihren Bann. »Tja, manchmal steckt eben mehr in Menschen, als man glaubt. Stimmt's?«
»Die Spinne«, sagte ich und nickte in die Richtung.
Harald traf sie exakt mit dem Zeigefinger und kniff kaum merklich das Auge zusammen. »Die? Sie erinnert mich an ein anderes Leben. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sehe.«
»Verstehe.« Ich nickte. »Was willst du trinken?«
Harald kramte in seinen Hosentaschen und legte einen Schlüsselbund auf den Tisch, ein billig aussehender silberner Totenschädel hing daran. »Wir können auch gleich aufbrechen.«
»Was ist das?«
»Ich hab' einen Zweitschlüssel von Thorstens Wohnung. Ich dachte ... Vielleicht willst du mal sehen, wie dein alter Herr so gehaust hat, bevor sie die Bude ausräumen.«
Die Schlüssel lagen vor uns – die Bedienung trat an den Tisch – und ich fragte mich, welcher wohl in die Wohnungstür meines Vaters passte. »Zahlen, bitte.«
Harald spitzte die Lippen, griff nach den Schlüsseln und steckte sie ein.

Keine Hochglanzfassade – roter Backsteinklinker, aufgesprühte Schriftzüge –, ein Wohnhaus, wie es für Berlin wohl typisch ist. Vaters Reich befand sich im zweiten Obergeschoss. Der Name ‘Bode’ neben dem Klingelknopf irritierte mich.
Harald schloss die schwere Holztür auf und verschwand im Inneren. Ich folgte nicht gleich.
»Na, was denn? Kommst du?« Er stand wieder im Türrahmen.
»Ich weiß nicht. Was soll ich hier?«
Harald gab den Weg frei, verbeugte sich leicht und machte eine Geste, wie sie ein Hotelboy machen würde. Ich schüttelte den Kopf, trat aber ein.
»Na, also«, sagte er und klopfte mir von hinten auf die Schulter, »war doch gar nicht so schwer.«
Der Flur war hell. Abgeschliffener, geölter Dielenboden, hohe Decke, Stuckrosette und Industrielampe. An der Wand hingen Banksy Kunstdrucke – ‘Follow your dreams’, ‘Don’t forget to eat your lunch’.
Harald ging voraus, Richtung Küche. Ich setzte behutsam einen Fuß vor den anderen, sah nach rechts ins Wohnzimmer. Die antikbraune Ledercouch hatte schon bessere Tage gesehen, Bücherregale gaben kaum was von der Wand frei. Links das Schlafzimmer, Holzbett – vermutlich selbstgezimmert –, weißer Bauernschrank, floral bemalt.
In der Küche saß Harald bereits am kleinen Tisch. »Und?«
»Nett«, sagte ich.
»Setz dich doch, oder sieh dich um – irgendwas.«
»Hör zu, mir kommt das irgendwie nicht richtig vor, okay. Er hat meine Mutter geschwängert, hat einen umgelegt und das war’s dann. Ich hab’ den Mann nie kennengelernt und hier ist nichts, das irgendwas mit mir zu tun hätte. Außer dem Namen an der Tür vielleicht. Also ...«
»Warte mal einen Moment, ja?«
Ich schnaubte, setzte mich aber. Harald verschwand im Wohn-, gleich darauf im Schlafzimmer und kehrte mit ein paar eingerahmten Fotografien zurück, die er vor mir auf den Tisch drapierte. Da war ich, vielleicht drei Jahre alt und kickte gegen einen dieser aufblasbaren Wasserbälle mit Regenbogenmuster. Ein Klassenfoto daneben, kurz nach der Einschulung aufgenommen – ich konnte mich gut an die Schultüte erinnern, die ich zusammen mit meiner Mutter gebastelt hatte. Ein Foto von ihr war auch zu sehen. Eine noch kinderlose Frau strahlte in die Kamera. Sie war jung. Blonde Haarsträhnen und ein blaues Tuch um ihren schmalen Hals wehten wie Gebetsfahnen im Wind. Graue Gischt im Hintergrund, der Himmel wie aus Marmor.
»Woher hat er die?«
»Von deiner Mutter, schätze ich.«
»Das glaub’ ich nicht.«
Harald zuckte mit den Achseln.
Ich stapelte die Bilder zu einem schiefen Turm auf und schob ihn in die Tischmitte. »Was hat er eigentlich gemacht?«
Harald runzelte die Stirn.
»Nachdem er rauskam, meine ich.«
»Hat einen Job bei der Stadt bekommen. Straßendienst, Grünarbeiten und so.«
»Und du? Was machst du so – beruflich?«
»Bin ein waschechter Berliner Taxler und Ex-Fernfahrer.«
Ich nickte.
»Ich hab’ deinen Namen gegoogelt. Spedition Bode. Bist du das?«
»Spedition und Großhandel, ja, das bin wohl ich.«
»Hast es zu was gebracht, hm?« Harald sah auf meine Cartier am Handgelenk.

***​

Man nannte mich 'der Finne', klar, wegen 'Jorma', und tatsächlich hatte ich einen finnischen Urgroßvater, der genauso hieß. Ich spreche allerdings weder die Sprache, noch habe ich das Land je besucht. Schon Mutter verstand kein Suomi mehr.
‘Finnische Ware’ bedeutete für meine Abnehmer: gute Qualität, unter falschem Label, zu einem fairen Preis. Die Hersteller saßen in Indien, Afrika und China. Ich bevorzugte die Chinesen. Die dachten so: Wer wenig Geld hatte, bekam Schrott. Wer mehr hinblätterte, bekam auch ordentliche Ware. Und die Chinesen liebten Geld ebenso wie ich.
Ich hatte Schrott auf Flohmärkten und Kleiderbörsen verkauft, einiges auf eBay. Dem Verbraucher ging es ausschließlich um die Marke – Material und Verarbeitung waren ihm egal. Heuer belieferte ich, neben Auftragsbestellungen, sogar Einzelhändler. Die achteten auf Qualität und die bekamen sie halt auch, und wenngleich meine Gewinnmarge nicht mehr wie früher bei dreihundert, sondern nur noch um die zweihundert Prozent lag, ich hatte es vom Kleindealer zum Großhändler und Spediteur gebracht und gutes Geld damit verdient. War sogar lukrativer, als mit Drogen zu dealen, und niemand konnte sagen: Der da hatte seine Million mit Rauschgift gemacht. Höchstens: Der da hatte sie mit Klamotten und Taschen eingefahren. War schon ein großer Unterschied. Wer auf gefälschte Mode umstieg, veränderte sein ganzes Leben. Er musste nicht fürchten, bei Revierkämpfen eine Kugel einzufangen, und wenn man ihn erwischte, fuhr er höchstens für ein paar Jährchen ein.

Harald hatte mir mehrere Mails geschickt, noch einen Brief geschrieben. Wie hätte ich anders können, als ihn einzustellen? Die Schnauze voll von Taxen, Berlin, dem ganzen Scheiß um sich herum, hatte er darin zum Ausdruck gebracht. Er wollte neu anfangen, und ich respektierte das, mir war klar gewesen, dass sich da einer an mich ranmachte, der den Tod meines Alten dazu benutzt hatte. Aber hey, etwas am Schopf ergreifen war ja auch mein Ding. Wie gesagt, ich respektierte das und besorgte ihm sogar eine Bleibe für den Anfang.
»Hier holst du den Container, und da«, mein Finger wanderte zu der Adresse auf dem Schriftstück, »fährst du den Kram hin.«
»Kann ich ... Ärger bekommen?«, fragte er.
Ich runzelte die Stirn, einer meiner MAN fuhr heran, der Fahrer hupte, ich hob die Hand zum Gruß. »Wieso solltest du?« Die Papiere rutschten mir aus der Hand, ich stöhnte, als ich mich danach bückte, hob sie auf und ließ Harald erneut reinsehen. »Die Fabrik hier, nein, ich spreche das jetzt nicht aus, jedenfalls aus Zhengzhou«, er lachte auf, »liefert bestellte Ware an diese Firma in Marsdorf. Clemens August Heckmann heißt der Unternehmer. Meine Spedition hat dazu den Auftrag erhalten, und du, Harald, fährst nur den Laster. Wo liegt das Problem?«
»Kein Problem, ich dachte nur ... Keine Ahnung, ich hab’ hier ein bisschen was mitbekommen, und ...«
»Mach dir nicht so viele Gedanken, okay? Dir wird nichts passieren.«

Harald wuchs mir ans Herz, ja, hätte ich anders nicht sagen können. Er hatte sogar meine Mutter besucht und sie zum Lachen gebracht. Meine Mutter und Lachen. Keine Ahnung, wie er das geschafft hatte, Mutter übrigens auch nicht. Die konnte sich natürlich an nichts mehr erinnern.
Ich erzählte Harald bald, wie ich mich von ganz unten hochgearbeitet, ein Unternehmen gegründet hatte; dreißig, vierzig Mitarbeiter, zudem mehrere Firmen, auch wenn sie nicht immer auf mich eingetragen waren.
»Clemens August Heckmann?« Ich lachte. »Schau mal auf Wikipedia. War ein Verwaltungsarsch, längst verbuddelt.«
Er sprach über meinen Vater, wie ihn der Knast verändert hatte, dass er nach der Entlassung so was wie ein Geläuterter gewesen sei. Ich hörte mir das alles an, aber eigentlich interessierte es mich nicht.
»Sag mir, warum hat er den Mann umgelegt, Harald, hm? Hätte er ihm nicht ins Knie schießen können oder so was?«
»Ich weiß nicht. Der Mann stand halt zufällig zwischen Thorsten und dem, was er sich erhofft hat.«
»Und dafür einfach abknallen? Mann! Wusstest du, dass der Feuerwehrmann war? Der wollte ihn halt aufhalten. Muss man sich dafür gleich den Kopf wegschießen lassen? Ich versteh’s nicht.«
Harald hob nur die Schultern. Mein Blick war auf die Spinne gerichtet, sie blieb völlig regungslos.

Harald fuhr bald nicht mehr im Dreißigtonner, sondern neben mir im Benz. Er trug weiße oder schwarze Hemden – kein Denim, kein Fake, echte Ware – und seit Neuestem so eine lächerliche Texas-Krawatte, ein Bolotie, auf dessen Brosche ein silberfarbener Stern strahlte. Na ja, ihm gefiel das eben.
Er flippte schier aus, als ich ihn mit nach Hongkong einlud, auch wenn ich ihm klar gemacht hatte, dass kaum Zeit für eine Besichtigungstour sein würde. Es ging um eine größere Sache, ich kaufte Waren im Wert von dreihunderttausend Dollar ein. Harald war nicht nur bei den Vorgesprächen, sondern auch in der Sauna mit dabei. Immerhin musste ich dort die Schnürsenkel-Krawatte nicht ertragen. Wenn er wenigstens waschechter Texaner gewesen wäre. Egal. Details besprachen Chinesen jedenfalls stets in der Sauna, und mir gefiel das, ich mochte Saunen, schließlich war ich ja auch ‘der Finne’.
Der Deal wurde abgeschlossen. Hochwertige No-Name-Taschen, edle No-Name-Schuhe. Lief wie am Schnürchen.
Das nächste Geschäftsgespräch führten wir gleich am darauffolgenden Abend im hoteleigenem Dampfbad – dort ging es um Labels: Gucci, Prada. Der Mann verlangte zu viel, letztendlich einigten wir uns dann aber doch. Sogar die Strichcodes waren perfekt, ich musste einfach zuschlagen.
Zurück in Deutschland wurde gefeiert. Nur die engsten Mitarbeiter. Ich ließ mich nicht lumpen, es gab Schampus, Langusten, französischen Wein – und leichte Mädchen.
In der Bar fragte Harald: »Wieso hast du eigentlich keine Frau an deiner Seite?«
Ich drückte die Brünette in schwarzen Seidenstrümpfen noch enger an mich heran: »Hab ich doch!«
»Nein, du weißt schon.«
»Ich hab’s einfach nicht so mit Frauen, okay?«
Etwas gefror in Haralds Gesicht, er sah beinahe so ausdruckslos aus wie eine dieser Statuen im Museum. Dann verstand ich, lachte auf und schlug ihm aufs Knie; die Mädchen kicherten. »Nicht so wie du meinst, Mann! Ich bin kein Beziehungsmensch, wollte ich sagen.«

Und dann der Samstag. Alles war unter Dach und Fach und verkauft und überhaupt. Die Gewinnmarge lag nicht wie sonst bei etwa zweihundert, sondern dreihundert Prozent! Ich hatte mich in Schale geworfen, stolzierte leichtfüßig übers Firmengelände und rief Harald ins Büro.
»Hier«, sagte ich, der Umschlag war prall gefüllt, »dein Anteil. Gönn’ dir mal was Schönes!« Ich schob ihn Harald in die Innentasche des Sakkos, dann trat ich einen Schritt zurück. »Oh Mann! Jetzt vermisse ich doch tatsächlich schon deine Scheiß-Krawatte. Ist das zu glauben?« Ich prustete los, doch er verzog keine Miene, griff nach der Kohle und schmiss sie auf den Schreibtisch.
»Ich will dein Scheiß-Geld nicht, okay!«
Mir stand der Mund offen, ich schüttelte den Kopf, Harald drehte sich um und verschwand. »Hey!«, rief ich ihm noch nach, dann kreischten Bremsen und Blaulicht flackerte durch mein Büro.

Die Akte vor ihnen war dick, sie zeigten mir Videos: Lagerhäuser, Geschäftspartner, Waren, Labels. Auch von den Chinesen, die mich nicht gleich ernst genommen hatten, ein spöttisches Grinsen hier, eine gönnerhafte Geste da – mir fiel das erst jetzt auf, während ich mich selbst und die Asiaten auf einem Tablet betrachtete. Und all das aus einer kindlichen Perspektive heraus, als könnte ich die Filmszenen aus den Augen eines Sohnes oder einer Tochter mitansehen. Dann kapierte ich, die Scheiß-Krawatte! Der lächerliche Halsschmuck!
Ich hätte auf meinen Anwalt warten sollen, ich wusste das, konnte aber nicht widerstehen. »Fünfhundert Milliarden werden jährlich auf dem Schwarzmarkt umgesetzt, ich bin da bloß ein kleines Licht. Und«, ich legte die Hände auf den Tisch, die Handschellen klirrten, »ich hab’ niemandem wehgetan. Im Gegenteil.«
»Der Schwarzmarkt ist parasitär, ich muss da kotzen! Wissen Sie, wie viel Steuereinnahmen dadurch verloren gehen? Was das ihn«, der Scheiß-Beamte zeigte auf Harald, »und mich kostet?«
»Dreiunddreißig Angestellte arbeiten für mich. Alle zahlen Steuern, alle haben ein Auskommen, bestellen Kram im Internet und gehen bei Aldi einkaufen – oder bei Prada.« Ich zwinkerte den Männern zu.
Der Beamte schüttelte den Kopf, erhob sich und ging Richtung Tür, Harald, wenn er überhaupt so hieß, im Schlepptau.
»Hey!«, sagte ich.
Harald drehte sich um, den Mund wieder lächerlich zugespitzt.
»Eine Frage noch, Scheißkerl!« Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Kanntest du meinen Vater überhaupt?«
Der Judas erwiderte nichts, nur die Spinne regte sich.

 

Hey Peeprkorn,


Am Himmel zeichneten sich blassrote Schlieren wie Narben von Peitschenhieben ab.
Gutes Bild, der Satz aber erscheint mir etwas umständlich. Schade auch, dass er mit „Am Himmel“ beginnt und mit „ab“ endet.
Ja, stimmt schon, ich hab' etwas umgestellt und den Satz jetzt zum Peitschenhieb verkürzt. Mal sehen.

Und dann weiß ich nicht, ob es besser wäre, wenn du die Aufmerksamkeit des Lesers neu justierst, bevor du mit den Krähen kommst: „Ich stand etwas abseits, unter einer kahlen Eiche deren Äste mit Raureif überzogen waren. Hinter mir stoben Krähen in alle Richtungen davon und ich zuckte zusammen.“ Ich habe das Zusammenzucken nämlich für eine Millisekunde mit den Ästen in Verbindung gebracht.
Vielleicht, auch hier verstehe ich dich, ich hab' da auch ein wenig hin- und hergedreht - trotzdem, ich lasse das mal so. Die Millisekunde nehme ich in Kauf :).
Obwohl mir ...
... ich formuliere mal die These, dass man im Versuch, Atmosphäre aufzubauen, möglichst organisch arbeiten, keine Irritationen, die den Verstand kitzeln, einbauen sollte.
... die These logisch erscheint. Den Gedanken unterstütze ich.

Die Grabrede des Pfarrers war nicht zu hören – ganz gleich, wie sehr ich mich auch darauf konzentrierte.
Das „darauf“ kann sich nicht auf „Grabrede“ beziehen, denn die hört er ja nicht, also kann er sich auch nicht darauf konzentrieren. (Das ist die Konsequenz davon, dass du das „kaum“ gestrichen hast.) Man kann das jetzt schon so lesen, dass er sich darauf konzentriert, überhaupt etwas zu hören. Aber ginge es nicht eleganter ohne das „darauf“?
Toll!, das du so genau hinsiehst. "Darauf" ist weg. Danke.

pustete Atemwolken in sie hinein
Ich glaube, ich würde zwei Bilder daraus machen, das hört sich irgendwie falsch an. Denn wenn ich in meine Hände puste, bildet genau nur der Atem Wolken, der nicht zwischen die Hände gerät.
Streng genommen, ja, aber er sieht das halt nicht :). Ach, ich will's so lassen, sonst wird mir das too much irgendwie, wenn ich da mehr als ein Bild zeichnen muss.

hinein und suchte die Trauernden nach bekannten Gesichtern ab.
Müsste es nicht heißen: „die Trauergemeinde“? Denn so lese ich das so, als würde der Prota jeden einzelnen auf vertraute Gesichter absuchen, als gäbe es da mehrere Gesichter pro Person.
Jepp, stimmt, merci.

Ihre Zähne glänzten nur für mich und beinahe so hell wie die Sonne über uns.
Hm. Ich muss an Zahnpastawerbung denken. Im Ernst, „beinahe so hell wie die Sonne über uns“ ist mir etwas too much, obwohl natürlich klar ist, dass du das Wort „hell“ irgendwo unterbringen musst, hast du dir ja zur Aufgabe gemacht.
Lese ich da etwa einen ironischen Unterton heraus, gar Spöttelei :susp:?
Ich hab's geändert.

Mein Vater war darauf zu sehen.
Weiß er das sofort? Das würde bedeuten, dass er schon ähnliche Fotos gesehen hat, oder nicht? Vielleicht könnte man das noch ein wenig hinauszögern. Da ist ein Mann drauf und dem Prot dämmert so langsam, dass das sein Vater sein muss. Nur so eine Idee.
Gute Idee, die klaue ich dir.

Wie einer der 'Männer, die durchs Feuer gehen'. 'Backdraft', der Film hatte mich damals gefesselt, und wir Jungs unterhielten uns oft in der Schule darüber.
Unnötige und auch etwas schwerfällige Info. Ich würde hier beim Vater bleiben, im Moment, nicht abschweifen. Ich glaube, was du schreibst, ich glaube, dass er sich an den Film erinnert, da brauche ich keine Erklärung.
Ich rede mich mal damit heraus, dass es weniger um eine Erklärung geht, ist eher so was wie ein Erinnerungsblitz - also das mit den Jungs und der Schule.

Als ich meiner Mutter das Foto zeigte, riss sie es mir aus der Hand, zerfetzte es und warf es in den Abfall.
Ich finde die ganze Erinnerungsszene gut. Ist sehr klassisch, dieser Blick auf ein altes Foto und auch das Zerreißen des Bildes ist eine typische Geste. Aber weil du hier sehr konzentriert arbeitest, mit sparsamen Mitteln, funktioniert das gut für mich. Du tust nicht so, als hättest du als Autor das Rad neu erfunden und du walzt diese Szene auch nicht aus. Passt.
Das freut mich.

Mir war nach einer Zigarette, ich hatte genug von all dem hier – was sollte das auch bringen! Mit mir selbst hadernd, bemerkte ich,
Hast du eben gerade gezeigt. Kann weg.
Ist weg.

Abrupt blieb ich stehen, drehte mich um.
Jetzt wird’s oberpingelig. Für mich ist „abrupt“ kein Wort, mit dem ich meine eigenen Bewegungen beschreiben würde. Dass eine Bewegung abrupt endet, ist doch eher etwas, das man beobachtet, nicht etwas, das man spürt. Ach, vielleicht mag ich das Wort einfach nicht. Ich empfinde das hier auch so als Fülladverb, damit der Satz nicht mit „Ich“ beginnen muss. Dabei fände ich: „Ich blieb stehen, drehte mich um“ viel direkter und im Fluss.
Ja und ja. Du hast ja recht :). "Abrupt" ist nun Geschichte.

Ich nahm noch einen Zug, schmiss dann die Kippe zu Boden, drückte sie mit dem Absatz aus.
Da willst du aus rhythmischen Gründen auf das dann nicht verzichten. Wie wäre es mit: „Ich nahm noch einen Zug, schmiss die Kippe zu Boden und drückte sie mit dem Absatz aus. Hast du wohl nicht gemacht, weil du diesen Satzbau oben schon hast.
Stimmt, danke.

Was ich erst für einen Leberfleck neben dem rechten Auge gehalten hatte, entpuppte sich nun – bei näherem Hinsehen – als eintätowierte Spinne.
Finde ich etwas suboptimal, das in einem Satz auszudrücken. Denn so kann der Leser das nicht wirklich miterleben. Könnte man nicht zunächst den Leberfleck einführen und den dann später sich entpuppen lassen?
Könnte man sicher, aber ich lasse das vorerst trotzdem so - behalte deinen Vorschlag jedoch im Hinterkopf.

Die Spinne begann zu tanzen, während sein Lächeln noch breiter wurde.
Schön!
Merci.

Dann lächelte er. »Weißt du, das hier war eine der Stammkneipen deines Vaters.«
Ich habe selbst die Tendenz, in Dialogen ein „weisst du“ einzuschieben, damit es authentischer klingt. Aber nachdem ich es jeweils gestrichen habe, stelle ich fest, dass gar nichts fehlt.
Geht mir jetzt auch so :).

Harald bestellte, ich sah mich um. Rauchschwaden hingen in der Luft, vergilbte Film- und Konzertplakate zierten die Wände.
Bewusst so gewählt?
Ja, ich wollte hier einen ironischen Klang, auch was Abwertendes, deshalb auch das mit dem Sperrmüll in Folge.

Mein Blick wanderte wieder zur Spinne, ich konnte mich einfach nicht dagegen wehren.
Würde ich streichen. Ich glaube, du hast das Wort zudem oben schon mal.
Done.

Klassisch in Schwarz – Ringelhemd, weiße Handschuhe und Barrett – heftete sich ein Pantomime draußen an die Fersen der Fußgänger. Einen Mittfünfziger im Businessmantel spiegelte er präzise wider. Der Imitierte blieb stehen, sah auf seine Armbanduhr und der Mime rempelte ihn von hinten an.
Gefällt mir. Das Motiv der Replika schön aufgegriffen! Obwohl diese Imitation hier ja gelingt.
Und dennoch rempelt er ihn an.
Danke, das freut mich, Peeperkorn.

Dennoch habe ich leise dramaturgische Bedenken bezüglich der Szene. Und zwar deshalb, weil du hier ein Dialog in einem Café unmittelbar auf einen Dialog in einer Kneipe anschließen lässt. Also, du lässt da einfach etwas Zeit vergehen und setzt dann an der genau derselben Stelle (psychologisch, dramaturgisch) wieder ein. Für mein Gefühl müsste zwischen diese beiden Szenen noch was rein.
Ich denke, du hast auch hier recht. Mit etwas mehr Abstand schaue ich mir das noch mal an.

Keine Hochglanzfassade – roter Backsteinklinker, aufgesprühte Schriftzüge –, ein Wohnhaus, wie es für Berlin wohl typisch ist. Vaters ehemaliges Reich befand sich im zweiten Obergeschoss.
Vielleicht überpräzise? Eventuell könnte er einfach von Vaters Reich reden, so wie man von den Toten manchmal noch in der Gegenwart spricht.
Überpräzise geht doch gar nicht :). Ich übernehme gerne die Idee. Danke auch hierfür.

Der Name ‘Bode’ neben dem Klingelknopf irritierte mich. Er gehörte einfach zu mir. Das war schon immer eine Tatsache gewesen.
Damit komme ich nicht so recht klar. Er ist irritiert, weil andere Menschen so heißen wie er? Vor allem das „einfach“ verwirrt mich. Und dann dieses „schon immer eine Tatsache gewesen“. Warum nicht: „das war schon immer so (gewesen). Ich würde eh nach dem „irritierte mich“ aufhören, den Rest kann sich der Leser ja selbst denken (und Verschiedenes denken).
Das ist schon lustig, ich hatte das nämlich erst: Punkt nach "irritierte mich". Dann wurden Bedenken und Verständnisprobleme geäußert, weshalb ich etwas unterfüttern wollte. Aber du bestärkst mich: Ist jetzt (beinahe) so, wie in der Urfassung.

An der Wand hingen Banksy Kunstdrucke – ‘Follow your dreams’, ‘Don’t forget to eat your lunch’ und weitere.
Nullinformationsanhängsel. Kann weg.
Weg damit.

»Hör zu, mir kommt das irgendwie nicht richtig vor, okay.
Streichen, vor allem auch, weil daraufhin eine ziemlich präzise Begründung folgt.
Ist eine Schwäche von mir, glaube ich, ich mache das gerne, setze dann regelmäßig den Rotstift an - so wie jetzt auch.

»Hast es zu was gebracht, hm?« Harald sah auf meine Cartier am Handgelenk.
»Mir geht’s ganz gut, ja.«
Gefühlsmässig würde ich den letzten Satz streichen. Schließ den Teil doch mit der Uhr am Handgelenk ab, das muss vom Prot nicht bestätigt werden. Würde in meinen Augen viel stärker wirken.
Gekauft.

Bisher ein Text, wie ich von dir erwartet habe, das hat mir sehr gut gefallen. Ich finde, du hast solche Szenen gut drauf, auch die Dialoge, da schwingt viel mit, also bisher von mir großes Lob.
Yeah!

Und ich finde es cool, dass du hier was ausprobierst, diesen Bruch in der Erzählweise austestest. Das ergibt ja jetzt auch eine ganz andere Geschichte, das liest sich, als würdest du neu ansetzen. Fand ich spannend.
Danke. Finde ich eben auch spannend. Man hört und liest ja immer, das solle man nicht tun, konnte's aber dennoch nicht lassen, da auszutesten. Ich weiß nicht. Vermutlich mache ich so was derart nicht mehr in Zukunft. Irgendwie hat es aber ja auch funktioniert, also, dass wird jetzt nicht vollends abgelehnt (bisher), das finde ich schon auch spannend. Man muss ja im zweiten Teil ganz neu ansetzen als Leser, da könnte man schon aussteigen, der Flow geht ja dann verloren. Trotzdem, ja, ganz verloren habe ich nicht alle.

Wenn ich ehrlich bin, hätte ich die ganze Geschichte, wie du sie weiterspinnst am Ende aber doch lieber ohne diesen Bruch gelesen, also im selben Stil weitererzählt. Der Text würde dann sehr lange werden, aber, glaub mir, ich hätte den auf alle Fälle weitergelesen.
Verstehe ich. Empfinde ich auch als großes Kompliment! Und ja, ich hätte das alles auserzählen können, vielleicht mache ich das auch irgendwann. Würde deutlich umfangreicher werden, klar, sehr deutlich, wenn ich alles verwursten würde, was so in meinen Kopf noch ist. Ich hab' das in einer anderen Antwort schon erwähnt: mindestens einen Kurzroman hätte ich im Schädel - wage ich mal hinzuschreiben, wenngleich ich sehr großen Respekt vor Roman als solchen habe.

Aber wenn ich dich richtig verstehe, war die Kürze nicht der Grund, weshalb du hier den Erzählstil wechselst. Also, interessant auf alle Fälle.
Ich würde es Experiment nennen.
Die Flamme ist heiß, ja, ich kann es nicht mehr hören, ist bestimmt auch richtig, ja, ich kann mich verbrennen, weiß ich, dennoch greife ich hinein und so muss das manchmal auch :).

Man nannte mich 'der Finne',
„Der Schwede. Das war in den Kriegsjahren, als ich noch …“ So fängt Philip Roths Amerikanisches Idyll an. Ist jetzt kein hilfreicher Kommentar, musste ich aber loswerden, einfach, weil ich Roth verehre.
"Mein Name ist Ismael", "Man nannte mich der Schwede" ... Bestimmt haben mich solche Highlights inspiriert. Bewusst habe ich das aber nicht gemacht. Replika von Philip Roth? Oh je, das fiele dann wohl ruckzuck auf :).

Wer wenig Geld hatte, bekam Schrott. Wer mehr hinblätterte, bekam auch ordentliche Ware. Und die Chinesen liebten Geld ebenso wie ich.
Ich hatte Schrott auf Flohmärkten und Kleiderbörsen verkauft, einiges auf eBay.
Da bekam ich einen Knoten im Gehirn. Das doppelte Schrott. Die Chinesen lieben Geld so wie ich. Also, um das zu verstehen, muss man ja dazu denken, dass er mehr Geld verdient, wenn er teurer einkauft. Ist keine Kunst, aber ich brauchte einen Moment.
Ist beinahe ein wortwörtliches Zitat. Brauchte auch einen Moment dazu, um das zu schnallen. Ich schau's mir noch mal an, Peeperkorn.

Er wollte neu anfangen, eine der rar gesäten Chancen nutzen, die das Leben zuzeiten bereithielt. Das nannte man wohl Schicksal. Er nahm es in die Hand
Selbst wenn ich diese Tell-Passagen als solche respektiere. Das hier ist mir zu oberflächlich, floskelhaft erzählt, rar gesäte Chancen, Schicksal in die Hand nehmen.
Entfloskelt und neu hochgeladen.

der irgendwie den Tod
Weg mit dem Unwort.
Kein Unwort, ein wiederkehrendes Darling. Ich nehme den Kampf dagegen auf.

Harald wuchs mir ans Herz,
Floskel.
Ja, bleibt aber erst mal. Ich lasse mir was einfallen.

Er sprach über meinen Vater, wie ihn der Knast verändert hatte, dass er nach der Entlassung so was wie ein Geläuterter gewesen sei. Aber eigentlich interessierte mich das nicht.
Würde ich entweder weglassen oder dann ein „ich hörte geduldig zu“ voranstellen.
Ich hab' das ähnlich abgeändert.

»Der Schwarzmarkt ist parasitär, ich muss da kotzen! Wissen Sie, wie viel Steuereinnahmen dadurch verloren gehen? Was das ihn«, der Scheiß-Beamte zeigte auf Harald, »und mich kostet? Abgesehen von den Qualitätsmängeln, scheißgefährlich kann das sein, sogar minderwertige Maschinenteile werden als Originale verhökert!«
Hm. Der Beamte, der dem Deliquenten erklärt, weshalb schlimm ist, was dieser getan hat. Ja, ich kann mich an die Polizisten erinnern, die mir erklärt haben, weshalb es gefährlich ist, des Nachts ohne Licht unterwegs zu sein, mit dem Rad. Die haben vielleicht so nen Drang. Aber hier? Ich glaube, ich würde das streichen, der einigermaßen informierte Leser weiß das ja alles.
Das Erklärende, Belehrende passt hier schon für mich, hab' es aber eingedampft.

Ja, lieber hell. Ich fand spannend, was du gemacht hast. Mitten im Text noch mal neu ansetzen, erzählerisch, auch inhaltlich, mal einfach eine andere Geschichte erzählen, als die, mit der du begonnen hast. Also, nicht wirklich, aber eben bezüglich Fokus, das ist schon was, das will ich würdigen.
Das freut mich ...
Aber eben, den ersten Teil fand ich halt so viel besser, dass ich am liebsten diese erste Geschichte zu Ende gelesen hätte, auch wenn mich der zweite Teil ebenfalls ganz gut unterhalten hat. Diesen ersten Teil fand ich sogar ausgesprochen gut, spannend, atmosphärisch gut, gute Dialoge, man wird neugierig, wie es weitergeht, welches Geheimnis dahinter verborgen liegt.
... und das freut mich. Ich kann aber auch verstehen, dass das etwas enttäuschend ist. Ich hab' ja weiter oben schon was dazu geschrieben. Das Experiment fand ich halt auch spannend, und lehrreich war es allemal.

So wie du das jetzt gestaltet hast, wird der erste Teil ja auch ein wenig entwertet. Klar, die Erinnerung, das Foto, das alles kann und soll erklären, weshalb er Harald vertraut. Aber der Mühe, mit der du das entwickelst, aufbaust, ausschmückst, wird das nicht wirklich gerecht. Und zwar, weil du im ersten Teil auch emotional arbeitest, der Leser entwickelt Sympathie zum Prot, wird reingezogen und am Ende merkt er, dass er das eigentlich nur gelesen hat, damit er den Schluss der Geschichte psychologisch nachvollziehen - aber eben nicht mitvollziehen - kann.
Das kann ich nachvollziehen.

Insgesamt habe ich den Text aber sehr gerne gelesen, der regt auch an, übers Erzählen wieder mal neu und anders nachzudenken.
Das freut mich und finde ich großartig!


Peeperkorn, was kann ich noch schreiben?, du hast dir so viel Mühe gegeben und so viel Zeit in diesen Kommentar investiert, genau hingesehen - so viele Gedanken auch. Ich weiß das echt ungemein zu schätzen, weiß auch gar nicht, wie ich dir das danken kann. Hast mir wirklich weitergeholfen, mich grübeln, kritisch hinterfragen lassen. Einfach nur toll! Toller Komm, ehrlich. Vielen Dank!


Gruß retour


hell

 

hell schrieb:
Peeperkorn schrieb:
obwohl natürlich klar ist, dass du das Wort „hell“ irgendwo unterbringen musst, hast du dir ja zur Aufgabe gemacht.
Lese ich da etwa einen ironischen Unterton heraus, gar Spöttelei ?

Nein, lieber hell. Finde ich cool. Würde ich gerne selbst machen, aber bei mir wäre es etwas auffällig.

Habe mich über deine Antwort sehr gefreut, es war schön zu sehen, wie du dich mit dem Kommentar auseinandergesetzt hast.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hey Bea Milana,


deine Geschichte hat mir gut gefallen, auch wenn jetzt mehr kritische Anmerkungen als lobende kommen.
Das freut mich schon mal - beides übrigens. Kritische Anmerkungen sind immer gut, auch wenn sie nicht immer etwas am Text verändern. Du weißt schon ...

Blassrote Schlieren am Himmel wie Narben von Peitschenhieben.
Hm. Verstehe, dass du Dramatik und Bedeutung in den Himmel projizieren möchtest, aber der Vergleich hinkt. Peitschenhiebe hinterlassen beim Auftreffen dunkelrote, fast schwarze, blutende Schlieren auf der Haut, also nie und nimmer blassrot.
Du schreibst es im Anschluss ja selbst, ich spreche ja von Narben, nicht von Wunden. Da ist was (vermeintlich) verheilt. Narben schaffen jedoch u. U. neue, weitere Probleme - Verwachsungen (Briden), Verhärtungen, Schmerzen, anfälliges Gewebe, mangelnde Geschmeidigkeit ... Für mich passt das hier. Ob man das auf den Himmel übertragen kann? Optisch schon, finde ich :).

Meine Hände spürte ich kaum mehr, ballte sie zu Fäusten, pustete Atemwolken in sie hinein
Wie kann man in Fäuste „Atemwolken“ hineinpusten?
Ja, okay, wurde auch schon mal moniert. Die Atemwolken haben sich jetzt in Luft aufgelöst.

W
ie ein Firefighter in Amerika, der Buschbrände bekämpfte oder eben Feuersbrünste in New York.
Wozu das „eben“?
Wegen der Wiederholung der Aussage. Ich dachte, wenn ich das noch unterstreiche ... Egal, hast recht, ist weg.

Als ich meiner Mutter das Foto zeigte, riss sie es mir aus der Hand, zerfetzte es und warf es in den Abfall.
Find ich gut, dass du den Rückblick kursiv gesetzt hast. Ist besser für die Orientierung des Lesers.
Schön. Ist natürlich immer nur eine Notlösung - eigentlich bin ich da nicht so ein Freund von -, aber hier passt das für mich ganz gut, ja.

Er streckte mir die lederbehandschuhte Rechte entgegen.
Hm, Weiß nicht. Hört sich bedeutungsvoll an, wenn man ein so umständliches (hässliches) Adjektiv benutzt.
Bedeutungsschwanger soll das wirklich nicht wirken. Hast recht, brauche ich nicht.

Die Spinne begann zu tanzen, während sein Lächeln noch breiter wurde.
Hej, die Spinne gefällt mir. Gute Idee, die mitspielen zu lassen – schönes Symbol!
Merci.

»Von Thorsten?«
Blöde Frage, von wem denn sonst! Worüber reden die beiden, warum haben sie sich getroffen und er ihn angesprochen, doch nur wegen ihm, oder?
Ja, stimmt schon, aber ich kenne das so auch von Gesprächen. Ich denke, man möchte seinem Gesprächspartner damit signalisieren, dass man ganz Ohr, voll dabei ist. Den Doppelmoppel brauchts aber nicht. Thorsten ist weg, danke.

Wollte mir erstens eine Auszeit gönnen, wusste zweitens nicht, was die ganze Geschichte mit mir machen würde.
„erstens“ und „zweitens“ wirkt akademisch aufgezählt. Fänd ich besser ohne.
Stimmt, danke auch hierfür.

»Ich hab da noch was, das dich interessieren wird«,
Wenn du konsequent ein Apostroph einsetzt, fehlt es hier.
Schön, wie genau du liest. Hab' den Strich nun gesetzt, auch später wieder.

hinter mir zischte die Siebträgermaschine
„Siebträgermaschine“ musste ich erstmal googeln. Hm, würde der Ich-Erzähler das Wort benutzen oder der Autor, der ein besonderes Wort sucht?
Der Autor musste das nicht suchen, das Wort wird auch in seiner wörtlichen Rede genutzt - was wohl daran liegt, dass er leidenschaftlicher Kaffeetrinker ist. Man könnte auch sagen: Kaffeejunkie :). Ich lasse das erst mal so.

ich erhob mich
Warum so umständlich?
Du meinst, warum er aufsteht? Ach, ein kleiner Charakterzug - Höflichkeit.

der Laden war geschmackvoll aus- und eingerichtet.
"ausgerichtet"? Versteh ich nicht.
Das Fenster bis zum Boden, Aussicht auf historische Gebäude und die Straßenszenerie.

und machte eine Geste, wie sie ein Hotelboy machen würde.
Hm. Was ist das für eine Geste, die ein Hotelboy machen würde?
Ich hab' da schon ein Bild von, vor allem wegen dem "Boy", ist ja recht abfällig, klischeebehaftet auch. Aber ich überdenke das hier noch mal.

Dem Verbraucher ging’s da ausschließlich um die Marke –
Dem Verbraucher ging es ausschließlich um die Marke. Ist ja keine wörtliche Rede, sondern Tell (siehe Kontext).
Gut beobachtet! Danke.

Wer auf gefälschte Mode umstieg, veränderte sein ganzes Leben. Er musste nicht fürchten, bei Revierkämpfen eine Kugel einzufangen, und wenn man ihn erwischte, fuhr er höchstens für ein paar Jährchen ein.
Stimmt das?
Ja, soweit ich weiß. Meine Recherchen belegen das auch so. Übrigens: Ist beinahe wörtlich zitiert. Interessante Doku ist das, unter anderem packt da ein Ex-Drogendealer aus. Strafmaß und Gewalt ist auch ein anderes, ja. Gibt zwar schon mafiöse Strukturen, gerade in Osteuropa, aber das Drogenbuisiness ist schon 'ne andere Nummer.

So richtig einordnen konnte ich das Treffen in der Museumsinsel in Berlin im Gesamtzusammenhang nicht, ist halt ein interessantes Setting, doch in welchem Zusammenhang es zu den Figuren steht, ist mir nicht klar geworden.
Es geht da um Vergangenheit (und den Bezug zur Gegenwart), Jorma interessiert das, dann die rekonstruierten Fassaden, das Markttor ... Replika. Man könnte sich Fragen, wie es kommt, das Harald so genau ins Schwarze trifft. Vielleicht wusste er ja schon davon ...

... im Gegensatz zum zweiten Teil, der einen hohen Tell-Anteil enthält und auf mich ziemlich klischeehaft wirkt. Nun könntest du zu Recht entgegnen, dass solche Geschäftemacher so gestrickt sind (Nutten, Kohle in Briefumschlägen, LKW´s) und ich würde dir sogar zustimmen, aber so wie es erzählt ist, wirkt es nicht überraschend oder anders, als das, was man im TV mitbekommt.
Ich würde dir das wirklich so oder ähnlich entgegnen. Dass das so TV-mäßig wirkt, passt für mich schon (finde ich sogar gut :), Authentizität und so).
Allerdings deute ich im ersten Teil ja auf einen anderen Jorma hin, jemand der sensible Kindheitserinnerungen pflegt, kunstinteressiert ist etc. Wieso geht er überhaupt auf diese Beerdigung? Diese Gegenüberstellung finde ich spannend, das könnte überraschen, meine ich, gleichzeitig auch das Klischee brechen.

Was mir fehlt, ist der zwischenmenschliche Bezug zwischen beiden, der mir den Verrat am Ende verständlich macht (ihn nicht behauptet).
Es wurde schon angemerkt, ich könnte/ sollte die Beziehung zwischen Harald und Jorma vertiefen, um zu erklären, weshalb Jorma Harald in die kriminellen Machenschaften einweiht. Dieses Vertrauen besser erklären, evtl. das Vaterersatzding. Das kann ich nachvollziehen.
Der Verrat trägt schon andere Züge für mich. Vielleicht war der von Anfang an schon so geplant. Also kein Verrat eigentlich, Überführung eher.

Welche Bedeutung hat die Beerdigung des Vaters für den Prot und für den Verlauf der Geschichte? Sie scheint "nur" der sentimentale Aufhänger für die Begegnung im ersten Teil zu sein – also plotbedingt und nicht figurenbedingt.
Charakterisierung, Aufzeigen des wunden Punkts, Bezug von Vergangenheit und Gegenwart und (für mich ganz wichtig): Eintrittspforte. Harald kommt nur deswegen an Jorma ran, weil er sich nicht dem Geschäftsmann nähert, sondern einem anderen Jorma.
Jorma der Geschäftsmann und Jorma der Suchende, Verlustbehaftete, das Kind auch irgendwie. Den Gegensatz finde ich sehr reizvoll.
Jetzt habe ich viel zu viel über meine Intention(en) geschrieben, das mache ich eigentlich recht ungern. Klingt immer so nach Rechtfertigung. Beeinflusst auch die Leserschaft mitunter. Natürlich muss ich jetzt auch darüber nachdenken, ob ich so manches besser rausarbeiten sollte, möchte ... Eigentlich will ich immer nur andeuten in meinen Texten. Manchmal reicht das vielleicht auch nicht. Hm. Ich denke darüber nach.

Auch sprachlich empfinde ich den ICH-Erzähler nicht immer aus einem Guss. Am Anfang eher poetische, stimmungsvolle Sätze, die sich dann stilistisch in eine andere Richtung bewegen.
Na, weil er nicht aus einem Guss ist. Gerade in der Geschichte wollte ich auch ein wenig über den Stil mehrere Seiten des Prota andeuten. Was ist das eigentlich? Aus einem Guss? Gibt's das überhaupt? Redet die Merkel mit ihrem Mann wie mit Macron? Wer macht so was überhaupt?
Aber ich verstehe schon, was du meinst, überdenke das auch kritisch, ja. Andererseits mag ich es sehr, wenn der Stil auch ein paar (runde :)) Ecken zeigt und nicht so feingeschliffen ist, das man darauf herumrutscht. Empfinde ich manchmal als recht monoton und langweilig. Ich neige dann zeitweise dazu, ab einer bestimmten Länge, zu überlesen, quer zu lesen und so.

All das wären Gedanken, die ich in einer Schreibgruppe zu diesem Text äußern würde, im übrigen verbunden mit dem Kompliment für deine guten Dialoge und deiner feinfühligen Art zu erzählen! Vllt. kannst du ja mit dem einen oder anderen Punkt etwas anfangen.
Vielen Dank, und ja, ich kann eine Menge damit anfangen!

Du weißt ja, dass diese Kritik für einen Text auf hohem Niveau ist. Gern gelesen und kommentiert.
Sehr gute Kritik, ebenso auf hohem Niveau, liebe Bea, und gern gelesen hab' ich sie auch :).


Hat mich sehr gefreut, das du dich so intensiv mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast. Ich weiß, was du dafür investieren musstest und bedanke mich ganz herzlich bei dir!
Bringt mich wieder ein Stückchen weiter.


Lieber Gruß


hell

 

Hey Bea,


schön, dass du nochmals reinschaust.


Merkwürdigerweise habe ich nie daran gedacht, dass Harald ein Undercover-Beamter aus z.B. dem LKA für Wirtschaftskriminalität sein könnte, sondern mich gegen Ende gefragt, was er denn eigentlich will (Figurenmotivation). Mir war lange nicht klar, warum er Jorma anspricht. Zuerst dachte ich, er sei ein Teil der gemeinsamen Vergangenheit, weil er den Vater kannte und die Mutter auch, und weil er einen anderen, lukrativeren Job sucht. Die Sache mit dem Zweitschlüssel für die Wohnung ist ja auch merkwürdig und deutet in diese Richtung.
Das sollte ja auch der Twist sein. Jorma dachte das ja auch erst (und der Leser bestenfalls :)). Eigentlich durchschaut Jorma Harald aber recht früh ...
... mir war klar gewesen, dass sich da einer an mich ranmachte, der den Tod meines Alten dazu benutzt hatte. Aber hey, etwas am Schopf ergreifen war ja auch mein Ding.
... aber eben nicht ganz. Diese Vater-Sache - "die macht was mit ihm" -, ist so ein neuralgischer Punkt, begünstigt diesen blinden Fleck ... Erst die Frage am Ende deutet an, dass Jorma Harald durchschaut hat. Ich dachte, da wird das dann klar. Hätte ihn Harald tatsächlich nur verpfiffen, müsste man sich übrigens zu recht fragen, wie realistisch es wäre, dass der Zeuge am Ende an der Vernehmung teilnimmt, nicht? Der scheint also mehr zu sein, deswegen eben auch Jormas Frage.

Jorma scheint doch ein unvorsichtiger Kerl zu sein und ihm recht schnell blind vertraut zu haben.
In meinem Kopf ist er das eigentlich nicht - sonst hätte er wohl kaum so viel Erfolg gehabt. Aber diese Achillesferse - also das mit seinem Dad - macht ihn unvorsichtig. Harald scheint ja auch mit seinem Vater befreundet gewesen zu sein (auch nach dem Knast) - und der war schließlich ein Schwerverbrecher = Vertrauensbonus. Dann noch die Sympathie Jormas Mutter (auch was Neuralgisches). Jorma respektiert, dass jemand seine Chance wahrnimmt (Identifikation?). Harald ist zudem vielleicht wirklich eine Art Vaterersatz. Und zu guter Letzt: Jorma sieht sich nicht als Schwerverbrecher, er versteht bsp. nicht, dass sein Vater auf jemanden schießen konnte, Jorma handelt ja "nur mit Mode" ...
Also ich hab' da schon einiges angelegt im Text, allerdings hat mich so mancher Komm darauf aufmerksam gemacht, ich könnte/ sollte die Harald-Jorma-Beziehung verstärken, um Jormas Vertrauen zu Harald erklärbarer zu machen. Und darüber denke ich noch nach :).

Andererseits frage ich mich, ob die Steuerfahndung ihn nicht auch ohne Jorma hätte hochgehen lassen können. Bei einer Kontenprüfung und falschen Steuererklärungen oder gar keinen geht das bei Wirtschaftskriminellen, die ihr Geld nicht über Scheinfirmen in Steueroasen fließen lassen, relativ schnell
Na ja, wer weiß, wie Jorma sein Geld wäscht, darauf gehe ich jetzt sicher nicht näher ein im Text, immerhin hat er (Schein-)Firmen, eine Spedition und so. Vielleicht ja auch ein/ zwei Konten sonstwo. Also, ich denke, da gibt es durchaus Möglichkeiten (darauf weise ich auch im Text hin - übrigens ist das auch ein Grund für den Umschlag :))
Und bei allem Respekt, Bea, es ist ein wenig naiv, zu glauben, die Steuerfahndung sei hierzulande so erfolgreich. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass jahrelang hinterzogen u.o. gewaschen wurde. Die medienwirksamen Überführungen namhafter Persönlichkeiten bsp. sind sicher nur Kleinsterfolge und bilden mMn höchstens den Gipfel des Eisbergs ab.

Anders gedacht: Wäre Harald "nur" ein Verräter, müsste mE schon klar werden, warum er Jorma hochgehen lässt.
Sehe ich auch so :).

... sie gefällt mir. Weil es um Betrug geht – im doppelten Sinne.
Danke.


Lieber Gruß


hell


PS: Dein PS überdenke ich gerne auch noch mal :).

 

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