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Raumpfleger im All
Mike und ich hängen beide gut verpackt in Schutzanzügen an der Aussenwand unseres alten Raumgleiters.
"Geh auf du alte Blechdose", schnarrte es in meinem Helmlautsprecher.
Mike hämmert mit seinem Handschuh gegen die Tür, was in 400 km Höhe irgendwie peinlich wirkt. Aber es ist ja auch sein erster Tag als Raumpfleger im All. Eigentlich ein langweiliger Job, aber hey, die Aussicht ist super!
"Ganz ruhig, probier es doch einfach mit dem Schlüssel", versuche ich ihn zu beruhigen.
"Schlüssel?"
"Hallo, dein Badge? Diese kleine Plastikkarte mit Simsalabim-Funktion?"
Mike dreht sich halb herum und ich sehe, wie sein Visier anläuft. Gleich hyperventiliert er.
"Und wie soll ich die mit diesen dicken Fingern aus der Tasche ziehen?"
Er hält mir seine Rechte vor das Visier.
"Mike, der Badge gehört ja auch in den Handschuh".
Ich zeige ihm meine linke Hand mit der durchsichtigen Plastiktasche auf der Aussenseite.
"Ok, und warum ist die leer?"
Verdutzt drehe ich die Hand vor mein Visier.
"Uff, steckt wohl noch im Kaffeemodul."
Nachdem sich die Ernsthaftigkeit der Lage sich in Mikes Helminhalt manifestiert hat, zerrt er erneut an diversen Halterungen herum, als wäre einer davon ein geheimer Öffner.
"Wäre ich doch nur nicht nach draussen gegangen", schnarrt es keuchend in meinem Helm.
"Tja, hättest du mal nur nicht unsere Antenne geschrottet."
Mike schaut betreten zur Erde hoch.
"Denn was zieht man zuerst ein?", frage ich.
"Ja, ja, den Teilchenstabilisator."
"Genau, und erst dann schwenkt man den ..."
"ICH WILL JETZT DA REIN."
Mikes Visier ist jetzt komplett beschlagen. Er hämmert erneut auf die Schleusentür ein.
"Hör auf und spar deinen Sauerstoff!"
"Und warum bist du überhaupt herausgekommen?".
"Weil du dich in deiner Leine verheddert hast, schon vergessen?"
Mike senkt den Kopf, hatte er doch mich um Hilfe gerufen wie ein Frischling.
"Heulst du?"
"Quatsch, mir ist was ins Auge geflogen."
"Hier im All?"
"Kannst du nicht Darmstadt um Hilfe bitten?"
"Wie denn, ohne Antenne. Ganz grosse Klasse, Mike! Uwe sitzt nun taub im Kontrollzentrum und schaut uns durchs Teleskop beim Sterben zu."
"Oh nein! Das ist das Ende!", stöhnt Mike und klopft in kurzen Intervallen seinen Helm gegen die Wand.
Ich muss plötzlich an Karin denken, sie liegt sicher im Bett und schaut "Gute Zeiten" in 3D. Ich sehe Tina in ihrem Bettchen, über ihr das Raumgleiter - Mobile, spüre die kalte Schnauze von Flip, sehe unser Haus im Mondschein ...
"Das ist es!"
"Sag ich doch, das ist das End..."
"Nein, noch nicht." Ich hangle mich langsam zum unteren Rand der Schleuse. "Uwe hat kürzlich beim Bier was von einer Fussmatte gefaselt, mal sehen ..."
***
Inzwischen drängen sich ein Dutzend ESA Mitarbeiter der Kontrollstation Darmstadt um Uwes Bildschirm.
"Was machen die da eigentlich, Kowalski?", fragte Helmsteeg, ein grossgewachsener Hühne aus dem Norden und Chef des europäischen Raumpflegekompetenzzentrums.
"Und warum hören wir sie eigentlich nicht?"
"Äh, Funkloch, Chef! Sieht so aus, als hätten sie sich ausgesperrt", nuschelt Uwe, sichtlich bemüht, den Lapsus seiner Kollegen zu kaschieren.
"Geht das denn?"
"Wie es aussieht ..."
"Dieser verdammte Security-Blödsinn. Für was braucht es da draussen Zugangsbadges?"
"Also ich habe da immer einen unter der Fussmatte ...".
"Kowalski!", poltert Helmsteeg. "Das ist nicht die Zeit für Spässe! Das ist eine echte Notsituation."
"Ich meine ja nur ..."
"Bringen sie das in Ordnung, die haben höchstens noch für zwei Stunden Sauerstoff, schicken Sie von mir aus jemanden von der IIS rüber!"
"Aber Sir, die sind doch diesen Monat auf Betriebsausfl..., ich meine Teambildungsflug zum Mond."
Helmsteeg verzieht das Gesicht und lässt sich in den Sessel plumpsen.
"Verdammt, kein schönes Ende."
***
Ich hangle mich an der Seite des Raumgleiters hinunter, bis zu der Stelle mit dem grossen ESA Logo. Darunter befindet sich eine Klappe für Ersatzwerkzeug, Uwes ominöse Fussmatte. Ich ziehe einen Hebel und die Klappe schiebt sich langsam zur Seite. Zum Vorschein kommen ein Elektroschrauber, ein Sechzehner Schraubenschlüssel und - Uwes Schokoriegel. Auf der Verpackung klebt eine weisse Plastikkarte, unser Ticket zum Feierabend. Na, wer sagt's denn, danke Uwe, die nächste Runde geht auf mich.
Vorsichtig packe ich den Riegel mit zwei Fingern, ziehe ihn aus der Klappe und halte ihn triumphierend in Mikes Richtung.
Ein Schatten im Augenwinkel, ein Schlag an die Hand, und Uwes Kartenriegel trudelt davon.
Daneben driftet eine zerknautschte Werkzeugtasche mit blauem NASA Aufnäher.
"Ist das nicht die Tasche dieser Endeavour-Astronautin?", krächzt Mike geschockt.
"Oh, super!", entfährt es mir.
"Ha, genau das Gleiche hat sie auch gesagt, wie hiess sie noch mal?", krächzt Mike hysterisch.
"Heidemarie", als ob das jetzt noch eine Rolle spielt. "Heidemarie Stefanyshyn-Pipers".
Und Mike fängt wieder an zu Hämmern.