Hallo Rainer!
Es hat eine Weile gedauert mit meiner Kritik, aber ich hab dich nicht vergessen. Ein ganzes Buch zu lesen und sich Gedanken darüber zu machen, nimmt nun mal einiges an Zeit und Konzentration in Anspruch; beides Dinge, die einem nach langen Arbeitstagen nur noch beschränkt zur Verfügung stehen. 
Um es gleich vorweg zu nehmen: „Nacht über Median“ gefällt mir gut. Obwohl sich alle Kurzgeschichten im Bereich Dark Fantasy und „Science Fiction bewegen, liest man doch eine abwechslungsreiche Mischung, von Endzeitstory über historisch angehauchte Geschichten bis hin zu Zukunftsvisionen. Egal, ob Außerirdische, Zeitreisende – es ist für jeden Leser, der den phantastischen Bereich bevorzugt, etwas dabei. Sehr lesenswert. 
Sprachlich hast du die Ideen, die den Geschichten zugrunde liegen, gut zu Papier gebracht, in deinem Rainer-typischen Stil, den man bereits durch kg.de von dir gewöhnt ist. Die meisten (wenn nicht alle) deiner doch recht zahlreichen Kurzgeschichten kannte ich noch nicht und haben mich gut unterhalten. Ich hatte den Eindruck, durchweg Qualität zu lesen und du hast auf alle Fälle Talent zum Schreiben. Viele der Geschichten haben interessante, unvorhersehbare Pointen.
Klasse fand ich die Autorenbeschreibung:
Sein BWL-Studium scheiterte, nachdem er feststellte, dass BWL nicht die Abkürzung für Bestseller Writers League ist.
Das ist mal ein originelles Autorenporträt!
Weniger gelungen gefiel mir die optische Aufmachung der Lacrima-Anthologie, aber dafür kannst du natürlich.
Der kaum lesbare blaue Klappentext auf schwarzem Hintergrund wurde ja schon angesprochen; das DIN A5-Format ist mir persönlich zu groß für eine Taschenbuchausgabe. Das Lektorat hätte besser sein können – allgemein ist es üblich, die Kommas nach den Schlussstrichen zu setzen. Und was die Anführungsstriche anbelangt, würden diese hier » « einfach edler aussehen als „“. Alles Dinge, die Lacrima noch von größeren, etablierteren Verlagen lernen könnte.
Aber kommen wir zu dem, was wichtiger und qualitativ besser ist – dem Inhalt. Ich hoffe, du hast Verständnis dafür, dass ich keine ausführlichen Kritiken zu den Geschichten abgebe – bei dieser Anzahl wäre mir das ehrlich gesagt entschieden zu viel Arbeit und mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden. Aber ich will zumindest kurz auf die einzelnen Texte eingehen:
Die Königin
Eine poetische Kurzgeschichte über eine Studentin, die Briefe von einem mysteriösen Unbekannten bekommt. Mit steigender Spannung habe ich dem überraschenden Ende entgegengelesen.
Konquisator
Eine historische Geschichte, die Ende des 15. Jahrhunderts spielt, als Amerika zwischen den spanischen und polnischen Kolonialmächten aufgeteilt war. Die Geschichte schafft es, durch die sicherlich notwendige Recherche des Autors glaubhaft in die Zeit hineinzuversetzen, ist atmosphärisch dicht und hat einen hohen Unterhaltungswert.
Perfekter Plan
Eine spannende Krimigeschichte um eine gescheiterte Entführung, deren Ende für mich leider nicht so durchsichtig wie für relysium war.
Stalker
Eine Geschichte über einen mutmaßlichen Mörder, die ich mit Interesse gelesen habe. Durch die Ichform kam der Inhalt sehr überzeugend bei mir an.
Nacht über Median
Die zum Buchtitel gewordene Story. Ich finde sie verwirrend; gleichzeitig denke ich, dass du diese Konfusion des Protagonisten wohl auch beim Leser erzeugen wolltest. Das Ende lässt bewusst Fragen offen.
Dubh
Eine typische Geschichte, in der der Ehemann seine Frau umbringt und diese als Zombiewesen zurückkehrt. Die Idee ist nicht neu und ich hab erst kürzlich (ich glaub in der Zeitschrift „Kurzgeschichten“) eine ähnliche Story gelesen. Das Ende kam dann aber doch überraschend. Zu Beginn einige humoristische Ansätze.
Nachtstimmen
Eine an sich interessante Story, bei der mir persönlich jedoch die Zusammenhänge zwischen Sally und Naomi rätselhaft blieben. Häufiger Szenenwechsel.
Die Invasion
Nette Endzeitstory über einen einsamen Protagonisten, die sich aber leider nicht sonderlich von anderen hervorhebt. Einige Fragen bleiben unbeantwortet.
Das Vaterland vergisst seine Helden nicht
Gut geschriebene Kriegsgeschichte, die Entsetzen im Leser auslöst über das, was inhaltlich geschieht. Habe gehofft, dass die Bombe am Ende doch nicht abgeworfen werden würde. Leider vergeblich ... Der Titel der Kurzgeschichte war mir bereits durch kg.de geläufig und bleibt im Gedächtnis haften. Auf alle Fälle eine der besten Storys in der Anthologie.
Exodus
Endlich bekomme ich die Geschichte zu lesen mit dem Titel, den auch ich für meine in der Pertes-Anthologie erschienen Kurzgeschichte verwendet habe.
Die Idee mit der die Menschheit ausrottende Krankheit ist nicht neu, trotzdem hat mich diese Endzeitstory – da ich selbst gerne Endzeitstorys schreibe und lese – gut unterhalten. Ich hätte sogar noch gerne weitergelesen und mehr über die Charaktere erfahren. Das Ende macht deutlich, dass zumindest Jahre später doch niemand überlebt hat und die Aufzeichnungen deines Protagonisten nicht vergeblich waren.
Werter David
Brieffreundschaften über mehrere Planeten hinweg – eine interessante Zukunftsvision. Das Ende kommt überraschend. Ich habe mich gefragt, warum du immer nur Briefe an David geschrieben hast und nicht auch Briefe an Braacuu in dem Text abgedruckt sind. Nette Story, wenn auch nicht gerade die beste.
Zeitfenster
Das wäre schon praktisch, so ein Zeitfenster ... Ebenfalls eine nette Story, leider aber nicht mehr.
Die letzte Zeitmaschine
Das Thema Zeitreisen scheint es dir angetan zu haben ... *grins* Die Theorie finde ich etwas weit hergeholt, an sich fand ich den Inhalt (das Gespräch, usw.) aber überzeugend. Nicht jedoch, dass die Welt bald nicht mehr existiere. Aber es ist ja auch Science Fiction ... 
Fünf Sekunden vor zwölf
Schon wieder eine Zukunftstory.
Beim Protagonisten „Mr. Anderson“ musste ich zwangsläufig an „Matrix“ denken ...
Etwas eigenartig fand ich, dass dein Protagonist immer da zu sein scheint, wo gerade etwas passiert. Oder löst er die Geschehnisse – wie in dem Fall, als die Tochter sich von der Mutter losreißt – selbst aus? Insgesamt sind es nur Kleinigkeiten, die mir nicht plausibel erschienen. Fünf Sekunden, die man in die Zukunft blicken könnte ... Das wäre manchmal schon praktisch. Gleichzeitig würde das bedeuten, dass alles vorherbestimmt ist und man das Schicksal nicht vollständig in den eigenen Händen hätte.
Kinonächte
Für Filmfreaks absolut empfehlenswerte Story!
Arachnoide Alpträume
Mit großer Spannung habe ich dem Ende entgegen gelesen und wollte wissen, welches Schicksal Beverly zuteil werden würde. Gute Story.
Metamorphose
Historisch angehauchte, gut geschriebene und unterhaltsame Fantasystory.
Alle Wege führen nach Rom
Nette Science Fiction-Story über die Besiedelung fremder Planeten. Die mehreren Pointen waren mir, ebenso wie StarScratcher (im Thread zur Geschichte) ebenfalls etwas zu viel des Guten. Lieber eine Pointe, und die dafür treffsicher. Sehr ansprechend finde ich den Titel.
Die nächste Invasion
Die Idee mit der Alieninvasion ist zwar nicht neu; der Text ist dennoch ansprechend.
Asver
Diese Story gefällt mir gut und die Idee, dass ein Mann einem Killer den Auftrag gibt, ihn selbst zu töten, erscheint mir neu. Als der Auftraggeber nach zwei im Normalfall tödlichen Schüssen immer noch am Leben war, war ich genauso überrascht wie der Killer. Das Ende habe ich zwar verstanden, eine Frage hätte ich aber trotzdem noch gerne beantwortet gehabt: Was hatte es mit dem weißen Licht auf sich?
Vor der schwarzen Tür
Gute Thematik. Jeder Mensch wird kontrolliert, es gibt keine Individuen, keine Abweichungen von der Norm. Wer beispielsweise die falsche Musik hört, wird hart bestraft. Hoffen wir, dass diese Geschichte niemals Wirklichkeit wird. *gleich mal meine Lieblings-CD raushol, solange ich noch darf* 
Kamerascheu
Big Brother is watching you ... Eine kurze Geschichte über eine Verschwörung / einen möglichen Verfolgungswahn des Protagonisten, die mir persönlich ziemlich gut gefallen hat.
Was die bisher eher verhaltene Resonanz anbelangt:
Für eine Taschenbuchausgabe ist die für die meisten Leute doch unbekannte Anthologie dieses Kleinverlags, die wohl leider nur über die Verlagshomepage zu beziehen ist, doch recht teuer – und wenn man Taschenbücher von berühmten Autoren wie Stephen King, Dean Koontz, etc. zu weitaus günstigeren Preisen bekommt, überlegt man natürlich zweimal, für welches Buch man sich letztendlich entscheidet. Gleichzeitig ist es natürlich verständlich, dass nicht gerade mit wenig Arbeit verbundene Kleinauflagen teurer sind.
Insgesamt hat mich „Nacht über Median“ gut unterhalten und ich wünsche dir viel Erfolg mit der Anthologie sowie mit weiteren Kurzgeschichten.
Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen ein bisschen was anfangen.
Viele Grüße,
Michael