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Rabenschwarz

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01.03.2004
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Rabenschwarz

Bevor ich erzähle, was am Abend des 13. März 1983 geschah, möchte ich erst einmal meine Familie vorstellen und sagen, daß ich es mir nie ausgesucht hätte in ausgerechnet diese Familie hineingeboren zu werden. Hätte mich irgendjemand gefragt, so hätte ich um eine Familie mit hohen Idealen und entsprechendem Intellekt gebeten. Meine Mutter ist eine einfache Hausfrau ohne Abitur. Sie trägt ihr gelbstichiges Haar meist zu einem Pferdeschwanz gebunden. Im Alter von gerade mal 18 Jahren lernte sie meinen Vater auf einer Kirmes kennen, sie waren wohl schon etwas betrunken und trieben es hinter einem Karussel. Auf diese wenig romantische Art entstand mein Bruder und kurz vor seiner Geburt, als meine Mutter schon kugelrund war, wurde geheiratet. Es ist mir unbegreiflich, wie mein Vater jemals zu solch einem Übermaß an Leidenschaftlichkeit imstande war. Er war ein riesiger, behäbiger Mann, der sich in erster Linie dadurch auszeichnete ein abwesender Vater zu sein. Kaum kann ich mich daran erinnern ein gemeinsames Wochenende mit ihm verlebt zu haben. Sowas wie Grillabende im Garten oder Ausflüge an Seen gab es in unserer Familie nicht.Alkohol hat er auch nie wieder angerührt, zu sehr schien der Kirmesfehltritt in seiner Erinnerung verhaftet zu sein. Wenn er überhaupt mal zu Hause verweilte, saß er auf dem Sofa, schaute fern und wenn mein Bruder oder ich ihm über den Weg liefen, schüttelte er den Kopf und seufzte kaum hörbar „Meine besten Jahre!“, um sich gleich wieder dem Fernseher zu widmen. Manchmal kam es meiner Mutter in den Sinn zu schreien, er solle nicht so viel arbeiten, sich um uns kümmern, doch diese Ausbrüche waren recht selten. Meistens ging sie ihm aus dem Weg wie er uns. Nun zu meinem Bruder, ich schämte mich für ihn am meisten. Er ist sechs Jahre älter als ich . Die Blüte der Pubertät hat bei ihm eine Menge Moder hervorgebracht. Er dachte nicht daran jemals zu duschen oder auch nur seine Klamotten zu wechseln. Stets lief er in der selben abgewetzten Jeans und dem löchrigem Manowar-T-Shirt herum. Die Bürgersteige waren es gewohnt von ihm bespuckt zu werden. Sein klappriges Mofa verpestete die Gegend, wenn er es nicht gerade auf den Gehweg geworfen hatte, um irgendeinen anderen Idioten zu verprügeln oder mit einem , der wenigen Mädchen herumzuknutschen, die blöd genug waren, sich mit diesem stinkendem Kerl abzugeben, der Comichefte für literarische Ergüsse hielt und dessen Bettlaken Mutter wöchentlich wechselte ohne zu murren. Meine Mutter war ihm ohnehin in nahezu blinder Hingabe und Zuneigung verfallen. Niemals hätte sie es gewagt ihn zu kritisieren. Ich vermute, daß diese gnadenlose, verblendete Liebe darin wurzelte, daß mein Bruder einfach der zweite Mann in ihrem Leben ist, ein anwesender endlich, der sie mit seinen Bedürfnissen beschäftigt hält. Ich selbst war ein blasses Mädchen von 10 Jahren. Blass, unterernährt mit rabenschwarzem, langem Haar. Das sollte sich ändern am Abend des 13.März, doch davon berichte ich später. Meist saß ich in meinem Zimmer und las alles, was ich in die Finger bekommen konnte. In unserem Haus war das nicht viel, also verbrachte ich viele Nachmittage in der Stadtbibliothek, um meine Bücher sorgfältig auszuwählen. Ich liebte Melville und Jack London, weil sie mich in andere Welten entführten, die so viel aufregender waren als die muffige Enge meiner Familie. Manchmal saß ich auch nur auf der Fensterbank und stellte mir vor ein Orkan würde unser Haus wegfegen mit allem, was darin war, während ich beim Einkaufen war und später würde ich arme Waise von einem gebildetem, kinderlosem Ehepaar adoptiert werden. Solche Gedanken trösteten mich. Der Abend des 13. März war so ein Gedankenfluchtenabend, nur daß ich irgendwann Durst bekam und in die Küche gehen wollte, um mir ein Glas Orangensaft zu holen. Mein Weg führte an der halbgeöffneten Zimmertür meines Bruders vorbei, ich warf einen halbgelangweilten Blick hinein, war sicher nur das gewöhnliche Chaos zu erblicken, doch was ich sah, ließ mich erstarren, den Orangensaft vergessen. Was ich sah, verwandelte von einem Moment zum anderen mein rabenschwarzes Haar in silbriges Grau. Erst starrte ich nur stumm, dann schrie ich und rannte in mein Zimmer, warf mich aufs Bett und schluchzte. Irgendwann schlief ich vor Erschöpfung ein. Das plötzliche Ergrauen meiner Haare bemerkte ich erst am nächsten Morgen genauso wie meine Mutter, die äußerst erstaunt darüber war. Immer wieder erklärte, sie könne dies nicht verstehen, ich sei doch noch ein Kind. Sie zwang mich mit Mütze in die Schule zu gehen und kaufte in meiner Abwesenheit Haarfärbemittel, welches sie mir abends ins Haar kämmte. Es ziepte, aber nach dem Auswaschen waren meine Haare wieder schwarz. Allerdings hielt dieser Zustand nicht lange an, denn am nächsten Tag waren meine Haare wieder grau. Meine Mutter erbleichte, als sie mich sah. Ich sagte, ich wüßte, warum das so sei, ich trüge die Schande auf meinem Haupt. Darauf erreichte die erste Ohrfeige meines Lebens klatschend meine Wange, mein Bruder, der dies beobachtet hatte, lachte schelmisch. Als ich wieder in meinem Zimmer war, überlegte ich abzuhauen, aber wo sollte ich hin. Ich wußte es nicht. Erst 7 Jahre später fand ich einen Ort und ging fort. Grau sind meine Haare noch immer.

 

Hallo mia.mo,

und erst einmal herzlich willkommen auf kurzgeschichten.de :thumbsup:

Deine erste Geschichte hier gefällt mir durchaus, aber ich habe trotzdem eine Reihe Anmerkungen.

- Der Titel ist groß zu schreiben, auch wenn es ein Adjektiv ist.

- Ein paar Absätze täten Deinem Text gut.

- Zwei Drittel des Textes ist eine Einführung, darin passiert fast nichts und insbesondere nichts seltsames. Dieser Abschnitt wäre, wenn er nicht sprachlich gewitzt geschrieben wäre, ziemlich langweilig.

- Was genau sieht die Hauptfigur denn da im Zimmer ihres Bruders? Das bleibt im Dunkeln. Da es die Ursache für das seltsame Ereignis mit der Haarfarbe ist, wäre es doch wichtig, das zu erfahren. So bleibt mir am Ende nur ein Schulterzucken, da der Aha-Effekt fehlt. Und jetzt komm nicht mit der Standardausrede, jeder Leser könne sich ja selbst überlegen, worum es sich handelt. Du hattest etwas bestimmtes im Kopf. Es ist der entscheidende Punkt der Geschichte. Den kannst Du nicht einfach verschweigen.

- Diese unausgesprochene Pointe ist inhaltlich das einzige, was Deiner Geschichte besonderes abzugewinnen ist. Der Rest ist die Schilderung einer nicht allzu außergewöhnlichen Familiensituation.

Fazit: sprachlich prima, inhaltlich etwas dünn und mit unvollständiger Pointe.

Uwe
:cool:

 

Lieber Uwe,
Hast du schon mal was von Raymond Carver gelesen? Ich möchte dir seine Geschichten wärmstens empfehlen! Der Autor hat durchaus das Recht Dinge unausgesprochen zu lassen. Meine Lieblingsautoren schreiben nahezu ausschließlich so ( Judith Hermann, Ian McEwan) und ich habe auch nicht vor anders zu schreiben, deshalb wirst du dies wohl immer wieder auch in meinen zukünftigen Geschichten zu bemängeln haben. Ich möchte dich nicht weiter langweilen und entschuldige vielmals dir kostbare Lebenszeit gestohlen zu haben.

Sei gegrüsst, m.

P.S.: Für dich öffne ich gern den Blick hinter die Tür: Mutter und Sohn in keuchender Verschlingung auf dem Bett!

 

Sorry, da wäre ich nie drauf gekommen.

Ich sehe auch nicht den geringsten Hinweis darauf. Vielleicht habe ich ihn ja übersehen.
Jedenfalls ist es entscheidend, dieses Detail zu kennen. Kennt man es nicht, kann man mit der Geschichte nichts anfangen.

Nun, da ich es kenne ... Inzest verdient m.E. nach eine intensivere Auseinandersetzung, als bloß einem neutralen Beobachter graue Haare wachsen zu lassen, ohne den Anlass preiszugeben. Wo ist die Suche nach Ursachen, wo ist der Versuch, das aufzuarbeiten, wo ist ein Gespräch, wo ist der Konflikt? Der scheint sich doch nur auf die Haarfarbe zu beziehen.

Wenn andere Autoren so ähnlich schreiben, ist das kein Grund, dass es mir gefallen muss. Ob ein Vergleich Deines Textes mit dem von Dir genannten Autor angebracht ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es geht hier um Deinen Text, um keinen anderen.

Du hast mir keine Lebenszeit gestohlen, ich habe Deine Geschichte freiwillig gelesen und Dir freiwillig meine Meinung dazu geschrieben. Dafür bin ich hier und dafür hast Du den Text hier gepostet. Falls nötig, mach Dich in den anderen Threads damit vertraut, wie hier meist mit Kritik umgegangen wird - man freut sich drüber, weil man was draus lernen kann. Wenn Du sowieso nicht anders schreiben willst, wieso willst Du dann überhaupt einen Kommentar?

Trotz, wie er in Deinem letzten Satz mit der Lebenszeit rüber kommt, ist jedenfalls völlig unangebracht - wenngleich verständlich.

Warten wir doch mal weitere Meinungen ab.

 

hallo uwe,
Natürlich hält meine Geschichte dem vergleich mit R. Carver nicht stand,denn wenn sie das täte, würde ich nicht hier veröffentlichen sondern zwischen Buchdeckeln.
Ich werde mich bemühen Kritik freudiger entgegen zu nehmen!!!!

 

hello mia.mo,

eine interessant geschriebene Geschichte lieferst Du da ab.
Nur so richtig seltsam ist sie eigentlich nicht, das Seltsame ergibt sich für den Leser nur aus Nicht-Verstehen. Zwar deutest Du mit 'der zweite Mann in ihrem Leben' etwas an, aber deutlich wird es an keiner Stelle. Natürlich ist es seltsam, wenn jemandem nach unerwarteten Ereignissen graue Haare wachsen - es kommt aber tatsächlich vor. Ob das Gesehene für eine solche Reaktion ausreicht...?

Viele Grüsse vom gox

 

Die grauen Haare wachsen ja nicht langsam:
"verwandelte von einem Moment zum anderen mein rabenschwarzes Haar in silbriges Grau"
Das ist seltsam genug (wenn auch etwas plakativ übrigens...), dass die Geschichte hier stehen bleiben darf ;)

 

Hej zusammen,

die fehlenden Absätze ließen mich irgendwie durch den Text hetzen, der mir sprachlich recht gut gerfällt.
Dass aber nichts auf den Grund des Ergrauens hinweist, ist auch mir nicht genug - eine Pointe muss nicht mit den Holzhammer daherkommen, da gebe ich Dir absolut Recht, mia.mo, aber die eine oder andere geschickt ausgelegte Fährte sollte schon da sein.

Was das spontane Ergrauen angeht, so gibt es dieses Phänomen wirklich. Ralph Giordano hat es in seinem Roman "Die Bertinis" beschrieben, und so weit ich weiß, hat auch er sich das nicht ausgedacht (da der Roman autobiographisch ist, kann es sein, dass sein Bruder wirklich davon betroffen war, das weiß ich aber nicht).

Liebe Grüße

chaosqueen

PS: Irgendwo ist ein Leerzeichen vor einem Komma, welches selber überflüssig ist. Suchen und eliminieren, bitte! ;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mia.mo,
mir hat deine Geschichte gut gefallen, vor allem die Beschreibung der Familie.
Bezüglich der Auflösung hatte ich mir schon etwas Inzestuöses ausgemalt, war aber diesbezüglich tatsächlich etwas unsicher, da du ja sozusagen alles offen lässt. Jedenfalls lässt mich deine Geschichte mit einem seltsamen Gefühl der - ja was eigentlich? - zurück, so als hätte mir einen Leckerbissen vorgehalten, und dann wieder weggezogen. Allerdings enthält deine Geschichte beim zweiten hinsehen genug Hinweise, auf den Inzest. Also, was will ich eigentlich sagen - freu mich auf deine nächste

Geschichte.
Gruß Susleyka

P.S. Wer sagt eigentlich, dass Titel unbedingt groß geschrieben werden müssen? Ich kenne Autoren, die sich ausschließlich der Kleinschreibung bedienen.

 

Wer sagt eigentlich, dass Titel unbedingt groß geschrieben werden müssen?

Der Duden. :rolleyes:

Autoren, die alles klein schreiben, tun dies aus künstlerischen Gründen mit voller Absicht. Daher ja meine Frage, ob es sich hier um ein Versehen oder Absicht handelt - eine Frage übrigens, die Du, mia.mo, noch nicht beantwortet hast, glaube ich.

 

Hallo Uwe,
Um deine Frage zu beantworten, die Kleinschreibung des Titels ist ein schlichtes Versehen! Im Internet verwende ich sonst nur die Kleinschreibung.

Danke für Deine Recherchen zum Thema Ergrauen.

Allen Anderen danke ich ebenfalls für ihre Kritik und freundlichen Worte!

Bis bald, mia

 

Mir hat rabenschwarz besser gefallen, ob nun Absicht dahintersteckte oder nicht. Aber egal. Die Geschichte hat mir gefallen. Gerade das Unausgesprochene macht ihren Reiz aus. Ich bin deswegen auch schon kritisiert worden und kann damit leben. Es ist klar, wenn man viel lesen möchte, was ein berechtigtes Anliegen ist, kann man nicht so intensiv lesen und Zwischentöne werden nicht wahrnehmbar. In diesem Fall habe ich mir die Mutter-Sohn-Geschichte denken können und das hat mir gereicht. Die Tatsache, dass es nicht offen gesagt wird, verstärkt den Reiz des Ungeheuren, der vom Inzest ausgeht und der sich in den grauen Haaren manifestiert. Die Erzählerin erzählt distanziert und fast ein wenig agressiv, man möchte sie lieber nicht unterbrechen, sondern lauscht still ihrer Tragödie, die sie knapp und kurz zu einem Ende bringt. Zurück bleibt das Unausgesprochene.

 

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