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Punchlines
Punchlines
I
Ihre Rechte tastet nach dem Smartphone, doch diesmal verfehlt sie die Snoozefunktion und es knallt auf den Boden.Es hilft ja doch nichts. Ächzend setzt sie sich auf und greift nach dem nervtötenden Teil. Endlich Ruhe.
Sie steht auf. Selbst verwundert, dass ihr Körper diesem Befehl folgt, denn eigentlich will sich alles in ihr direkt wieder in der Bettdecke vergraben. Ein Schmerz fährt ihr dabei in den linken Rippenbogen. Lässt ihr den Atem stocken.
Barfuß geht sie ins Bad, stützt sich aufs Waschbecken und betrachtet ihr Spiegelbild im ungnädigen, grellen Licht des Spiegelschranks.
Robin hatte das sicher nicht so gewollt. Aber geblutet hatte es wie Sau. Ihr rechtes Auge war von dem blutigen Riss an der Braue aus angeschwollen und auch die rechte Seite des Kinns war von einem Bluterguss dunkel verfärbt. Letzteres war mit etwas Schminke zu beheben, aber in dieses geschwollene Auge zu blicken und die Vorstellung, dass nicht nur sie das tat, sondern etliche andere, kotzte sie jetzt schon an. Das war definitiv schlimmer als das Ziepen und Brennen, das von der Wunde ausging. Zum Glück gab es keinen Anlass, ihren Eltern in den nächsten zwei Wochen unter die Augen zu treten.
Ihr Spiegelbild weckt längst verdrängte Erinnerungen. So ähnlich hatte sie schon einmal ausgesehen, nach dem Streit mit George. Er hatte sie gepackt und geschlagen – nur einmal, aber dafür so richtig. Das hatte sie umgeworfen, in jeder Hinsicht. Nie hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren würde. Er vermutlich auch nicht, denn er hatte sich sofort entschuldigt. Vielleicht war er ähnlich erschrocken wie sie. Hatte sie angefleht, ihm zu verzeihen. Ihr geschworen, dass das nie wieder vorkommen würde. Ja, das hatte sie sich auch geschworen. Dass das nie wieder vorkommen würde und war gegangen. Hatte bis heute kein Wort mehr mit ihm gewechselt und einen Scheiß auf seine Beteuerungen und Entschuldigungen gegeben. Sie hatte versucht, ihre Würde irgendwie zu bewahren, aber eigentlich hatte sie sich nur schrecklich wehrlos gefühlt. Lange.
Sie wirft sich zwei Hände kaltes Wasser ins Gesicht und spült die Erinnerungen in den Ablauf. Widersteht dem Wunsch, ausgiebig zu duschen. Das macht jetzt keinen Sinn. Sie muss raus an die frische Luft. Rennen. Danach würde sie sich besser fühlen, wie fast immer. Laufen im Freien hatte eine kathartische Wirkung.
II
Die Sonne hatte ein Loch in den sonst unversehrt blauen Himmel gestanzt, doch die Nacht war ebenso klar und kalt gewesen und ihr Atem dampfte stoßweise mit den Gullideckeln der Hunderzweiundsiebzigsten um die Wette, als sie aus der Tür trat, sich die Kapuze ihres Hoodys tief ins Gesicht zog und ihre Schritte beschleunigte. Gierig saugte sie die kalte, klare Luft in ihre Lungen. Die monotone Erschütterung ihrer Schritte und die Bässe in ihren Ohren machen sich daran, nach und nach den Gedankenstrudel aus ihrem Schädel zu klopfen. Sie würde den Fluss entlanglaufen, dessen schwarzes Wasser an solchen Tagen die glitzernde Morgensonne langsam in die City trägt.
III
Als sie das nächste Mal auf die Straße tritt, die große Sporttasche um die Schulter hängend, versteckt sich die Sonne bereits hinter einer aufziehenden Front grauer Schleierwolken. Rasch bemerkt sie, wie die entgegenkommenden Passanten sie anstarren. Zumindest die Hälfte, die nicht auf ihr Smartphone schaut, aber zum Glück kennt sie niemand. Sie eilt die Treppe zur U-Bahn hinab, findet einen Sitzplatz, nimmt die Tasche auf ihren Schoß und hält sie fest.Als sie aufsieht, trifft ihr Blick den einer Frau in ihren 50ern. Gehoben gekleidet mit Oversize-Schal, großen, runden Ohrringen und genauso runder Brille, deren eulenhafter Blick an ihrem geschwollenen Auge festhängt. Sich dorthinein krallt und sie so die Schwellung erst wieder richtig spüren lässt. Ja gefühlt schwillt ihr Auge sekündlich an. Sie wendet den Blick, in die andere Richtung, aber auch von dort gaffen sie ein Teenagerpärchen ungeniert an. Immerhin sahen die nicht so aus, als würden die sie auch noch darauf ansprechen. Aber die Eulenfrau hatte dreingeblickt, als würde sie sich gleich in großmütterlicher Güte zu ihr setzen, ihren Arm um sie legen und etwas zu sagen, das mit einem mitleidigen Seufzer und »Ach Schätzchen…« begann.
Bevor es so weit kam, funkelte sie diese so ablehnend an, wie sie nur konnte, und starrte fortan vor sich auf den Boden. Wie sie mitleidige Blicke hasste. Die hatten doch alle keine Ahnung. Wenn die nur wüssten, warum sie so aussieht, würden sie sich ihr Mitleid wohl sparen.
Sie war selbst schuld.
Sie hätte den Schlag kommen sehen müssen. Aber sie war einfach zu überheblich gewesen – zu arrogant. Hatte sie sich für unverwundbar gehalten?
An der nächsten Station steigt sie schnell aus. Eilt im Stechschritt durch die belebte Station, sodass keines der vorüberziehenden Gesichter länger Zeit hat, sich mit ihrem zu beschäftigen.
IV
Nach 10 Minuten Fußweg ist sie da. Schiebt die schwere Stahltür auf und betritt die Halle.Schon in der Umkleide trifft sie auf Robin, die gerade ihr Trainingstop überzieht. »Ach du scheiße, …«, lacht diese los, als die sie erblickt, und hält die Hand erschrocken vor den Mund.
»Halt dein Maul, bitch!«, erwidert sie kühl, kann ein breites Grinsen aber nicht unterdrücken.
»Es tut mir leid!«, lachend umarmt sie Robin.
»Schon okay. Sieht schlimmer aus, als es ist.«
Ich hoffe, bis zu deinem Titelkampf in 2 Wochen bist du wieder so schön wie eh und je.
»Das will ich auch hoffen. Für dich.«, erwidert sie und beginnt die Bandagen, fest um ihre Handgelenke zu binden.
»Aber so oder so. Ab heute ist die Schonfrist für dich abgelaufen.«
Lachend laufen die beiden Arm in Arm in die Halle.