- Beitritt
- 01.09.2005
- Beiträge
- 1.142
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 24
Psycho II ist richtig gut
George öffnete den Koffer. Die Mumie darin glotzte durch halb geöffnete Lider. Sie war grau wie Mörtel und faltig wie die Trockenpflaumen, die Theresa sich morgens ins Müsli mischte.
Sie schüttelte den Kopf. „Es ist nur ein toter Zwerg.“
George zuckte die Schultern. Langsam schloss er den Kofferdeckel. „Wenn du willst, bleibt es ungesühnt.“
Sie spürte Andreas in sich, roch den Pfeffi in seinem Atem. Der Geruch begleitete sie seit dieser Nacht. Alles stank nach Minze. Bücher, Haare, die Autos von Freunden. Wie er sie festhielt, als sie aufstehen wollte. Nee, Blocho. Er nannte sie so, weil er ihre Promotion über das Frauenbild in Robert Blochs Psycho betreute.
Theresa griff nach dem Deckel, bevor George ihn ganz schließen konnte. „Was muss ich tun?“
Er musterte sie kritisch. Der Priester und die Zweiflerin. Diese Hinterraumkirche mit Telefontarifen aus aller Welt an der Wand. Blechern klingender Rap aus den Lautsprechern von Telefonen. Du Nutte, du Hure, du Fotze. Vorne der Laden, ein Internet-Café, jetzt noch. Dubios. Terroristen und Drogenhändler, sagten die Leute. Sachen, die du anderswo nicht findest, hatte der Junge aus ihrem Deutschkurs gesagt. Talib. Er hatte einen Satz für sie gelernt: Ich bin verliebt in die Lehrerin. Er hatte gemerkt, etwas stimmte nicht mit ihr, und sie hatte ihm erzählt, was passiert war. Nur ihm. So lange hatte sie es in sich gehalten. Es platzte raus, als würde sie in die Hose pissen. Weil Talib sonst nicht mit kam, pisste sie Englisch: He didn't stop.
Sie wollte nicht zur Polizei. Der Asta würde eine Heilige aus ihr machen. Eine Märtyrerin. Monatelang würde das Arschloch Internet die Suppe am Köcheln halten. Vielleicht Jahre. Sagen, sie sei nur auf den #metoo-Zug aufgesprungen, weil sich sonst niemand für sie interessiert. Dabei wünschte sie sich nichts mehr als das. Uninteressant zu sein. Das, und dass sie nicht zur Mensaparty gegangen wäre, Andreas dort nicht getroffen hätte, nicht mit ihm hoch in sein Büro sei. Er hatte ihr Gras versprochen, als wäre es ein Fass Amontillado. Sie wünschte sich, sie hätte Nein gesagt, als noch all die Leute um sie herum gewesen waren und tanzten und tranken und über Arminia redeten. Was für eine verkackte Saison.
Das alles wünschte sie sich. Das, und Andreas' Tod.
George hob den Deckel wieder. „Du bringst ihn hin und gehst.“
Eines der Mumienaugen zuckte. „Ist das ein Affe?“ Theresa blickte zu George. „Es sieht aus wie ein Affe.“
George schüttelte den Kopf. „Warum ist das wichtig?“ Er strich seiner Ware über die Brust. Der Koffer selbst war auch eine Mumie. Hellbraunes Leder mit Rissen. Alte Filme gingen Theresa durch den Kopf. Mann und Frau winkten einander. Der Zug fuhr los. Tränen und dramatische Musik, schwarz-weiße Welt.
„Hast du etwas von ihm dabei?“ George streckte die Hand aus.
Die Fortsetzungen von Psycho hatten sie nicht interessiert. Für ihre Forschung waren die Filme uninteressant. Sie wusste nicht mal, wie viele es außer Hitchcocks gab. „Drei“, hatte Andreas ihr erklärt. Remake und Serien außen vor. Er war der Meinung, es könne nicht schaden, sie gesehen zu haben, „für deinen Hintergrund“ oder auch für eine spätere Arbeit: Kontinuität und Wandel des Frauenbildes in den Psycho-Filmen. „Außerdem“, hatte er gesagt und sein hübsches Lächeln gelächelt, „das glaubt immer keiner, aber der Zweite ist echt richtig gut.“ Er hatte ihr den USB-Stick über den Schreibtisch gereicht, den Theresa jetzt George geben wollte.
Er wies sie zurück. „Du legst ihn rein.“
Sie zögerte. George blickte an ihr vorbei, als ginge ihn das alles nichts an. Sie roch Pfefferminz. Spürte Finger wie Schraubzwingen um ihre Handgelenke. Hörte Andreas lallen, sie solle sich entspannen, er mache langsam. Scht, Blocho.
Sie legte den USB-Stick auf die Brust des Schrumpelzwergs. George schloss den Koffer. Kurz bevor der Deckel unten war, glaubte sie zu sehen, wie die kleinen Finger nach der Beigabe griffen. Die Krallen waren so lang wie Streichhölzer. Darum war der Koffer innen mit Metall verkleidet.
George nahm sechshundert Euro.
Eben erst angekommene Gast-Dozenten hatten manchmal ihre Rollkoffer dabei. Der Wachmann, der am späten Sonntagnachmittag am Haupteingang stand, fand den Anblick Theresas gewöhnlich genug. Er sah kurz zu ihr und dann wieder auf sein Telefon, das in der Dunkelheit leuchtete wie eine kleine Fackel. Was immer dort ablief, brachte ihn zum Grinsen.
Theresa schleppte den Koffer hoch in die Haupthalle. Der Boden war nass und schmutzig, die Leute hatten Novemberdreck an den Schuhen hineingetragen. Hier und da ein Gesicht, jemand auf dem Weg in die Bibliothek oder zurück. Der alte Fahrstuhl machte Geräusche, als hätte er Lungenkrebs im Endstadium. Theresa wünschte sich, sie hätte die Treppe hoch in den Vierten genommen. Seit dem ersten Semester hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, in dem Scheißding steckenzubleiben. Jetzt wäre sie hier drin gefangen mit dem Inhalt des Koffers, den sie neben sich abgestellt hatte. Etwas darin klang, als würde jemand die Spitze eines Messers über ein Tablett ziehen.
Der Gang lag im Dunkeln, rechts und links Türen zu den Dozentenbüros. Ihr letztes Mal hier oben war auch weit außerhalb der normalen Sprechzeiten gewesen. Danach hatte sie sich in der WG unter der Dusche verbrannt, weil sie einfach immer heißer gedreht hatte. Der Gedanke ließ sie die Finger fester um den Griff des Koffers schließen. In der Stille des Flures gab es keinen Zweifel mehr. Es bewegte sich. Sollte es. Dafür war es hier. Das und mehr. Es wollte mehr. Ihr passt zusammen.
Sie hatte ein Exemplar von Andreas' Schlüssel. Wie er ihn hochgehalten und gesagt hatte: „Einzigartiger Vertrauensbeweis.“ Sein Lächeln wieder. „Keinen Scheiß damit machen.“
Das Büro roch nach Aftershave, altem Papier und dem Pizza-Karton im Mülleimer. Theresa legte den Koffer auf den Schreibtisch, sodass er die Bilder verdeckte. Andreas beim Berlin-Marathon, Andreas mit seiner Mutter, Andreas schüttelte die Hand von T. C. Boyle. Aufgeregt leuchtende Augen.
Sie sagte die Worte, wie George es ihr aufgetragen hatte. Sie kannte ihre Bedeutung nicht und George hatte sie ihr nicht gesagt. Er wusste angeblich selbst nicht, welche Sprache es war. Wann Menschen sie gesprochen hatten. Ob es überhaupt Menschen gewesen waren.
Der Krallenzwerg im Koffer schlug gegen den Deckel, als hätte Theresa ihn aus dem Halbschlaf geweckt. Er fauchte wie eine Klapperschlange.
Sie legte den Zettel auf den Koffer: Für dich! Darunter ein Smiley. Später hatte sie noch ein Herz dazu gemalt.
Das Fauchen verstummte. Stille im Koffer. Still wie ein Sarg. Das ist es wirklich, nicht wahr?
Theresa ging raus auf den Flur und schloss die Bürotür. Kurz bevor sie nach rechts zum Fahrstuhl abbog, drehte sie sich noch einmal um. Ihr Herz pochte heftig, obwohl sie sicher war, sich den Geruch wie immer nur einzubilden. Pfefferminz. So stank der Schmerz zwischen ihren Beinen. Es gab keinen Grund, zu zögern. Sie tat es nicht für sich. Sie tat es für alle. Nie wieder Pfeffi. Nie wieder ganz langsam. Sie drückte auf den Knopf. "E".
Am nächsten Tag stand ein Krankenwagen stand vor dem Haupteingang, ein Leichenwagen daneben. Polizisten leiteten die Studentenströme um, die sich von den Haltestellen der Stadtbahn und der Busse auf sie zu bewegten. Eine Frau lehnte an einem Polizeiwagen und rauchte mit zitternden Fingern. Reporter, die Fotos machten, konkurrierten mit Studenten, die mit dem Handy draufhielten. Ein Polizist sprach in ein Megafon, der Staatsanwalt habe soeben das gesamte Gebäude zum Tatort erklärt, es würden jetzt alle Ein- und Ausgänge geschlossen und gehen Sie bitte nach Hause.
Theresa war eine der ersten, die taten, wie ihnen geheißen. Auf dem Weg zur Bahn drehte sie sich um und sah hoch zu Andreas' Büro. Das Fenster war gesplittert. Ein Mann oder eine Frau in einem weißen Schutzanzug lehnte sich kurz raus und sah nach unten. Dort standen drei Polizisten in Uniform und eine Frau in Zivil, vielleicht eine Kommissarin. Der Schutzanzug im Fenster winkte. Die Frau sah zu ihm, dann zu einem der Polizisten, zu dem sie etwas sagte. Er zuckte die Schultern. Die Frau sah zurück zum Schutzanzug und machte eine Geste, die wohl bedeutete: Auch keine Ahnung. Die drei Männer und sie standen um ein paar Glasscherben herum. Von dort oben aus ergoss sich ein starrer, roter Wasserfall die Wand hinunter, als hätte jemand nach der Mensaparty aus dem Fenster gekotzt.
Einer der Polizisten sah kurz zu Theresa und sagte etwas zu einem der anderen. Ein uniformierter Junge nicht viel älter als sie kam auf sie zu und zeigte in Richtung der Bahn-Haltestelle. Er entschuldigte sich, aber sie solle bitte weitergehen.
Niemand in der Bahn sprach von etwas anderem. Jeder wusste ein bisschen mehr als der andere. Jemand sagte, im Vierten sähe es aus wie in einem Schlachthof. Ein Mädchen wollte gesehen haben, wie ein Polizist einen Finger nach draußen trug. Einer sagte, zuerst hätten sie es für eine Aktion gehalten. Die Tierschützer. Kunstblut, weil die Mensa immer noch nicht ganz vegan war. „Aber dann haben sie ein paar Zähne in der Suppe schwimmen sehen und die waren von einem Menschen.“
Theresa steckte Kopfhörer in die Ohren, ohne Musik anzumachen. Sie wollte sich gut fühlen, aber ihr war schlecht. Vielleicht musste das bisschen Müsli raus, das sie runterbekommen hatte. Der Gedanke brachte das Bild vom roten Wasserfall zurück.
Ihr Blick traf den eines Mannes, der sich im Fenster spiegelte. Sie fuhr herum, aber jetzt saß er hinter Fahrgästen, die keinen Sitzplatz mehr bekommen hatten. Die Uni so plötzlich zu schließen hatte Folgen gehabt. In den Cafés der Innenstadt würde es in einer halben Stunde eng werden.
Das war er nicht.
Wie auch? Was von Andreas geblieben war, trocknete an der Wand des C-Turms.
Der Zug hielt. Die Studentenwohnheime in der Nähe des Stadions. Ein ganzer Tross stieg aus, aber es war immer noch voll. Theresa hatte die Augen geschlossen, als die Türen sich öffneten. Bitte treten Sie von den Türen zurück. Ein Ruck, als die Bahn wieder anfuhr. Sie öffnete die Augen.
Andreas war immer noch da. Saß dort und starrte sie an. Sie drehte sich um. Auch davon verschwand er nicht. Stattdessen rang ihr Doktorvater sich ein verkrampftes Lächeln ab und winkte ihr zu.
Du bist tot. Wahrscheinlich lächelte er deshalb nicht mehr so schön.
An der nächsten Haltestelle blieb sie zunächst sitzen. Als es hieß, zurück von den Türen, sprang sie auf und rannte raus. Ihre Schuhspitze blieb am Spalt zwischen Bahn und Bahnsteig hängen. Ein Moment der Schwerelosigkeit, dann krachte ihr Kinn auf den Boden. Kurz wurde ihr schwarz vor Augen. Der Asphalt schlug ihr die Luft aus der Brust.
Einige drehten sich zu ihr um. Ein Typ kicherte. Ein anderer sagte, er sei ein Arschloch. „Tut mir leid, aber es hat einfach geil ausgesehen.“ Ein Mädchen fragte, ob alles in Ordnung sei. Der Fahrer hatte den Sturz auch bemerkt. Die Bahn blieb noch einen Moment lang stehen.
Andreas stieg aus und beugte sich zu ihr runter. Er berührte ihre Schultern und streifte dabei an ihrer Wange entlang. Seine Hände waren kalt. Theresa wollte schreien, aber sie konnte kaum atmen.
„Alles in Ordnung.“ Andreas gab den anderen ausgestiegenen Fahrgästen ein Zeichen. „Ich gehöre dazu, alles unter Kontrolle.“
Der Zug fuhr an. Die Studenten gingen nach Hause oder zu den Cafés. Andreas half ihr hoch.
„Geht's, Blocho?“
Sie schüttelte den Kopf und drückte ihn von sich.
„Warum bist du zurückgekommen?“
Er kniff die Augen zusammen. „Was?“
„Du hattest es verdient, also warum?“
Er schüttelte den Kopf. „Du hast dich ganz schön lang gemacht, Blocho. Komm, wir setzen uns.“
Er bot ihr einen Platz an, eine der orangefarbenen Plastikschalen der Haltestelle. Dann setzte er sich neben sie.
„Alles okay?“
Sie sagte nichts. Hielt ihr Kinn. Kein Blut. Andreas räusperte sich.
„Hast du das mitbekommen in der Uni?“
Sie schwieg weiter. Geh weg. In die Hölle. In den Himmel. Nirwana. Nur weg.
„Natürlich hast du. Es war mein Büro. Sie werden reden wollen mit mir. Ich hab dich draußen gesehen und ich musste mit dir zuerst sprechen.“
Sie sah ihn an. „Bist du tot?“
„Was?“ Er setzte an, ihr über den Kopf zu streichen, zog die Hand aber wieder zurück. „Gute Güte, Mädchen, du hast echt was abbekommen. Wir gehen ins Krankenhaus gleich. Aber erst muss ich mit dir reden. Es war Regina, sagen sie alle. Ihre Brille war da, dieses hässliche grüne Ding.“
Sie sah ihn an. Er nickte. „Die Putzfrau hat sie gefunden.“ Er rieb sich die Augen. „Sie war wohl aus Zürich zurück, von ihren Vorträgen. Wusste ich nicht. Wir hatten was zusammen, aber es war schon wieder vorbei. Ich hatte auch vergessen, dass sie noch einen Schlüssel hatte. Jedenfalls, dass das nichts mit mir zu tun hat, muss ich wohl nicht sagen. Aber erst mal sieht das natürlich aus ... der Gedanke ist halt schnell da. Und wenn sie dann mit dir sprechen, als meine Doktorandin, und du erzählst von ...“ Er schluckte. „Es tut mir leid, okay? Ich glaube, ich habe die eine Flasche mit dem Pfefferminzscheiß ganz allein gekillt.“
Regina. Zurück aus Zürich mit ihrer grünen Brille. Nur noch Zähne und ein Finger und ein Blutschwall an der Wand.
„Ich weiß, warum du mich so ansiehst.“ Er wollte ihre Hand nehmen. Sie zog ihre in Sicherheit. „Ich weiß, dass das keine Entschuldigung ist, und wenn es drei Flaschen gewesen wären. Aber wenn die jetzt ermitteln und du erzählst, ich hätte ... und dabei war ich eigentlich nur besoffen. Im Ernst, ich war voll und es tut mir leid und in dem Moment hätte ich schwören können, du willst auch.“ Er zeigte in Richtung der Uni, etwa einen Kilometer nach Westen. „Das bin ich nicht.“ Er hatte jetzt Tränen in den Augen.
Theresa stand auf. Er schluchzte und griff nach ihrer Hand. Sie wedelte seine Finger weg wie ein lästiges Sommerinsekt. „Warum war sie da?“
Er sah hoch zu ihr. „Was?“
„Warum war sie in deinem Büro?“
Er ließ seinen Hinterkopf gegen die Scheibe der Haltestelle krachen, zog ein Taschentuch aus der Hose und schnäuzte sich. „Wahrscheinlich hat sie ihren Aufsatz gesucht und hatte keinen Bock, mich zu sehen. Ihre nächste Veröffentlichung. So, wie ich sie kenne, hatte sie keine andere Kopie als die auf dem Stick. Den hätte sie lange suchen können. Weißt du? Der, auf den ich dir die Filme gezogen habe.“
Die nächste Bahn fuhr ein. Theresa machte einen Schritt auf das Gleisbett zu. Dann noch einen.
„Blocho?“ Andreas' Stimme hinter ihr, ganz weit weg. Noch ein Schritt und noch einer. Die Bahn wurde sehr schnell viel größer. Theresa sah den Fahrer in der Kabine rumschreien und gestikulieren. Hoffentlich, dachte sie, war es gleich einfach nur schwarz und still und roch nach gar nichts, kein Pfeffi, keine Kommentarspalten, gar nichts.
Aber von irgendwo mussten Sachen wie der verschrumpelte Zwerg im Koffer doch kommen. Als ihr Gleichgewicht bereits kippte, ihr Schwerpunkt über die Bahnsteigkante gerutscht war, es kein Zurück mehr gab, die Bremsen der Bahn panisch quietschten, da dachte sie kurz an die Hölle und hatte Angst davor. Vielleicht war es ja ein Dämon, der gerade seine Finger in ihre Jacke krallte wie ein Raubvogel, der ihre Seele mitnahm, um sie abzuwerfen über einem Nest voller hungriger Mäuler.
Sie drehte eine Pirouette. Nein. Sie wurde gedreht, ihr Körper von der einen in die andere Richtung gerissen. Im Fallen sah sie Andreas, der diesen Sekundentanz mit ihr getanzt hatte und gerade noch stoppte, bevor er selbst mit seinem Schwerpunkt über die Kante rutschte.
Es folgte ein dumpfer Schlag, ein Klang fast wie unter Wasser. Die wenigen Zentimeter, die Andreas' Kopf über die Kante hinausragte, hatten gereicht. Er flog ein Stück wie ein Superheld, kam noch einmal auf die Beine und machte ein paar Schritte, ein unruhiger, zuckender Gang über den Bahnsteig, als hätte er sich überlegt, doch lieber zu Fuß zu gehen. In der Bahn schrien Menschen, ein Mann riss ein Mädchen mit Hello Kitty-Pudelmütze vom Fenster weg.
Theresa konnte Andreas' Gesicht nicht sehen, aber wahrscheinlich war es nicht mehr da. Er stakselte von ihr weg, der Kopf oval, Blutstöße wie bei einem Springbrunnen. Das kluge Hirn mit T. C. Boyle und so viel mehr darin tropfte auf seine Kleidung und den Bahnsteig.
Wie die Ameisen auf einem weggeworfenen Lolli wurden die Menschen um Theresa herum mehr. Sie kamen nicht nur aus der Bahn, sondern auch von der Straße.
„Hast du das gesehen?“, sagte einer. „Der hat ihr das Leben gerettet!“ Ein anderer sagte, vorsichtig und leise aber nicht ohne Stolz, er habe es sogar gefilmt.
Ein Dritter flüsterte, das sei der Schock, als Theresa anfing zu lachen.