Dear @Proof ,
hehe, ich gehöre auch zu denen, die nicht auf die tags geschaut haben und wartete, welches Thai-Monster den Onkel Johann holen kommt ... ? Dann erinnerte ich mich, dass du auch reinen Realismus schreibst. Meine Anmerkungen beziehen sich aufs zweite Lesen.
An sich hat mir der Text durch die Ruhe sehr gut gefallen (die sonst vllt. nicht so stark mit SoMe assoziiert wird), und die persönliche, no-nonsense Betrachtung, aus der sich nach und nach ein - von mir jedenfalls nach dem Intro nicht unbedingt erwartetes - Drama entwickelt. Durch die knappen Formulierungen wird mir keine Empathie aufgezwungen, ich kann meine Haltung zu den Personen (und dem Erzähler, der ja nahezu vollständig hinter seinen Aussagen verschwindet) selbst bestimmen. Sowas mag ich jedenfalls sehr gern.
Nicht ganz so gut gefällt mir die starke kindliche Naivität des Erzählers, weil ich davon ausgehe, dass es mindestens ein Teenager, wenn nicht Erwachsener erzählen wird. Naiv erscheinen mir nicht nur die Schlichtheit des Vokabulars und des Satzbaus, sondern auch Betrachtungen selbst - möglicherweise hast du das so konzipiert, um nicht volle Kanne Emotionen / Tragik auspacken zu müssen, aber der Ausschlag geht für mein Lese-Empfinden nun zu extrem in die andere Richtung. Dazu unten mehr ...
Einmal mit nacktem Oberkörper, da sind Schmetterlinge tätowiert auf Brüste, die von seinen Schultern hängen wie Jacken am Kleiderhaken.
Nenn mich blond, aber ich stehe volle Kanne auf dem Schlauch: Der nackte Oberkörper ist der des Onkels, korrekt? Er hat Schmetterlinge tätowiert - aber beim Mann sagt man doch
Brust (auch, wenn die manchmal durchaus 'Brüste' haben). Und die Brüste hängen von seinen Schultern? Häh, WTF?
Manchmal ist eine Frau dabei, eine von da. Sie ist jünger, aber keine zwanzig und keine dreißig.
Also hier wirkt der Erzähler etwas minderbemittelt, sorry. 'Eine von da' gebongt. Aber er hat null Plan, wie alt sie ist? Wenn keine 30 mehr, ist sie über 40 - und das ist doch schon weit von 20 entfernt, warum beginnt er so niedrig? Und was ist denn eigentlich seine Einordnung in 'jung'? Ist sie nicht eher im mittleren Alter?
Unter 20 kann sie ja nicht sein, denn der Erzähler sagt, so eine Minderjährige kann sich der Onkel nicht leisten. (Dann hat er sie also von einem Menschenhändler gekauft. Aber so leben sie recht gleichberechtigt zusammen, oder sehe ich das falsch?)
Also: Die Altersangabe würde ich weniger verklausuliert besser finden.
Als mein Vater gehen musste, weil die Holländer den Laden geschluckt hatten, hat Onkel Johann gesagt,
'sagte' ist dir vermutlich zu hochgestochen, aber das sind ganz schön viele Hilfsverben. Man würde bei einem gesprochenen Satz im RL sicher nicht stolpern, aber selbst unter der Prämisse der Authentizität (der Erzähler denkt wie er sprechen würde, wobei ich nicht unbedingt mitgehe, dass das so passiert) ist grad das hatten / hat unschön. Vllt.
nachdem ... schluckten, hat ... ?
Dann hat er immer am Wochenende angerufen und berichtet, wie die Aktien nach oben gehen.
gingen (
gegangen sind, wenn du es umgangssprachlicher willst, aber dann ist da noch ein weiteres Hilfsverb).
Thomas plays 45 NP. I have only 35. Ich weiß nicht genau, was das heißt, nicht auf Englisch und nicht auf Deutsch, aber der Thomas spielt wohl besser.
Ich weiß ebenfalls nicht, was das heißt.

Der Onkel veröffentlicht einen Gamestatus auf seiner Timeline?
Drauf stehen zwei kalte Bier von da,
Das hast du oben ja schon mit der Frau (bei der es passt), aber hier würde ich das dem Leser überlassen (ich meine, soweit ist genug Lokalkolorit drin, um das gewünschte Bild auszulösen). Hier klingt das wie ein Vierjähriger, dein Erzähler wird da doch irgendwie geeignete Worte finden, oder?
Da frage ich mich, wie das geht, wegen Jule. Vor Pattaya hat er quasi bei ihr auf dem Friedhof gewohnt. Wahrscheinlich sind die Wäscheleinen in Thailand ganz andere und du musst nicht dran denken, dass man sich die auch um den Hals binden kann.
Hier wäre mein Hauptkritikpunkt, was die starke Naivität / Beschränktheit angeht. Das klingt imO einfach unglaubwürdig unbedarft, tatsächlich so verdreht um das Thema geredet, dass ich es auch nicht als Verdrängung unangenehmer Themen o.ä. lesen kann.
Statt 'wie das geht' vielleicht eher in der Richtung 'er hat es geschafft' und den Satzteil mit den 'anderen Wäscheleinen' rate ich zu kicken. Das mit dem um-den-Hals-Binden ist doch ausreichend und zeigt ja genau, dass der Erzähler das alles schnallt.
Weiß nicht, ob das hier als
show, don't tell gedacht war, aber das Prinzip sollte nicht zu solchen Verrenkungen führen.
Ein Foto vom Tisch der Außenküche, darauf ein Schreiben mit Schnörkel, so ein Asien-Fantasievogel, als hätte Onkel Johann die 36 Kammern der Shaolin geschafft. Gestern Termin beim Konsul gehabt, Jahresvisum eingetütet. Gefällt mir.
Das mit den Chillischoten und hier den Bildern/Design hat mir sehr gut gefallen, da hab ich sofort alles vor Augen, passt. Im allerersten Moment dachte ich, dass der letzte Satz bedeuten soll, der Erzähler habe sich inspirieren lassen und sich selbst ein Jahresvisum geholt - das 'gefällt mir' macht die Leseweise aber doch nicht möglich (da hab ich dann umgedacht, weil ich davon ausgegangen war, dass der Onkel die Thai-Lady aus Einfachheitsgründen bereits geheiratet hätte, das ist wohl nicht der Fall).
Verstehe, es ist ein kurzer Text, aber die ersten Sätze folgen ja eigentlich genau aufeinander, von Zeit, Kontext, Aussage, Setting und Erzählstimme her - da würde ich die beiden Sätze nicht so allein auf weite Flur stellen. Eher:
Eine Freundschaftsanfrage von Onkel Johann, Facebook ist auch Rentnerparadies inzwischen. Bestätigen.
Posts aus Thailand, immer so drei am Tag. Golf spielen, Street Food, die Außenküche ist fertig. Kartoffelsalat mit Würstchen, kennen die gar nicht. Einmal mit nacktem Oberkörper, da sind Schmetterlinge tätowiert auf Brüste, die von seinen Schultern hängen wie Jacken am Kleiderhaken. Manchmal ist eine Frau dabei, eine von da. Sie ist jünger, aber keine zwanzig und keine dreißig. So ein dicker Fisch war er nicht bei der Bank.
Insgesamt finde ich solche Texte durchaus spannend, mit mehr Humor und ganz anderer Prämisse hatte Horni sowas in der Anfangszeit des Forums gemacht, den Text liebe ich total:
*Glück such*.
Dir noch einen schönen Sonntag, alles Liebe,
Katla