- Beitritt
- 12.04.2007
- Beiträge
- 6.487
Portrait of the Artist as an Old Man
”Oh my name it is nothin'
My age it means less
The country I come from
Is called the Midwest
I's taught and brought up there
The laws to abide
And that land that I live in
Has God on its side.”
With God on Our Side (1963)
In einem Restaurant spricht eine Kellnerin den Gast an, sie kenne ihn doch. Er sei doch Künstler. So verlangt sie geradeheraus, dass der Gast sie zeichnen möge, schließlich sei doch jeder richtige Künstler wenigstens Maler. Der Ärmste wiegelt ab, er würd’ ja gern, aber er habe seinen Zeichenblock nicht dabei – was der Frau kein Problem ist: sie zieht einen Stift hinter ihrem Ohr hervor und fordert ihn auf, er könne doch wohl auf der Tischdecke zeichnen. Der ertappte Künstler zieht ein paar Linien und als er der guten Frau die Linien zeigt, meint die: Das sieht mir nicht die Bohne ähnlich (Bob Dylan “Highlands“, 1997), womit die Frau nicht Unrecht haben wird.
In Duluth, Minnesota, tief im mittleren Westen der USA an den großen Seen wird Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941 geboren. Von der Stadt, in der aufgewachsen ist, blieb ihm nichts in Erinnerung außer einer Art von Musik aus tutenden und dröhnenden Nebelhörnern und Nieselregen ("The town I was born in holds no memories / but for the honkin' foghorns / The rainy mist...“) und Hillbillymusic. Der junge Jude trieb sich herum und macht, dass er dem Dasein als Hinterwäldler entkomme: Bob lief weg ("I am still running I guess") und ist wohl heute noch mit seinen 79 Jahren1 auf der Flucht oder auf der Suche nach einem Zuhause, nach Heimat.
Anfang der 1960-er kam er nach Greenwich Village, dem Künstlerviertel von New York ("Ramblin' outa the wild West / Leavin' the towns I love the best. / Thought I'd seen some ups and downs / 'Til I come into New York Town. ..." Talking New York (1962) und noch bevor er weltbekannt wird, hat er seinen eigenen Mythos formuliert (siehe Zitate). Auf seinem zweiten Album erschien die eine der Hymnen der Bürgerrechtsbewegung, die es bis in die Gesangbücher der Kirchen schaffen wird: “Blowin‘ In The Wind" (1963).
Tatsächlich ist der selbstbewusste junge Mann von Folk und Blues beeinflusst. Hank Williams (+ 1953) wie Woody Guthrie ( † 1967), zu dessen Krankenlager er gelegentlich pilgert, heißen zwei seiner Helden. Nennen wird er sich aber nach Dylan Thomas († 1953), dessen rhythmische und metaphernreiche Lyrik ihn über Songs wie Guthrie’s “This Land Is Your Land“ oder Seegers‘ “If I Had A Hammer“ bald hinausträgt.
2Selbst wenn er in der Tradition des amerikanischen Folksongs oder Satiren als Talking Blues zu aktuellen Ereignissen vorträgt, politisch im engeren Sinn ist seine Poetik nicht. Sie zielt weniger aufs tagesaktuelle Geschehen als auf Allgemeingültigkeit. Man sucht vergeblich nach politischer Programmatik. Denn spätestens mit “Another Side of Bob Dylan" (1964) zweifelt Dylan an selbstgewissen Überzeugungen. Die Welt lässt sich zwar schwarz-weiß zeichnen (s. o.), ist aber niemals nur einfach gestrickt und auch nicht auf den binären Code von Gut und Böse zu reduzieren. 3Aktuelle Politik findet in den Texten nur so weit Eingang, als sie dem Text dient. Er beeinflusst die bekanntesten seiner Kollegen, die Beatles, die nach einem ersten Zusammentreffen nichts mehr vom Händchenhalten halten. In den folgenden eineinhalb Jahren verrichtet er parallel zu den Briten ein kreatives und surreales Chaos mit "Bringing it All Back Home", "Highway 61 Revisited" (beide 1965) und "Blonde on Blonde" (1966) und entzieht sich nun allen Kategorien des gläubigen Anhängers. Fans der akustischen Gitarre wenden sich von der Elektrifizierung mit Grauen ab, aber neue füllen die Lücken auf. Popmusik wird erwachsen – um heute wieder beim Radio Gaga zu landen.
Immer wieder wird er aus Rollenerwartungen ausbrechen, sich immer wieder neu erfinden. Möglich, dass er ansonsten wie so mancher seiner Kollegen vorzeitig umgekommen wäre. 1966 hat er einen misteriösen Motorradunfall, zieht sich einstweilen zurück. Dem Summer of Love verweigert er sich gänzlich, obwohl er in Woodstock wohnt. Die so eben gegründete Familie geht vor! Die Ikone der Friedensbewegung pfeift auf Fans und den neuen mainstream, statt Love & Peace interessiert er sich für Country & Western. Die legendären “Basement Tapes“ und das karge Album mit biblisch inspirierten Parabeln “John Wesley Harding“ entstehn.
Zeitgeist – wer oder was soll das sein?
Und dennoch heißt es heute: "Ladies and gentlemen, please welcome the poet laureate of rock 'n' roll. The voice of the promise of the 60's counterculture. The guy who forced folk into bed with rock. Who donned makeup in the 70's and disappeared into a haze of substance abuse. Who emerged to find Jesus. Who was written off as a has-been by the end of the 80's, and who suddenly shifted gears releasing some of the strongest music of his career beginning in the late 90's. Ladies and gentlemen - Columbia recording artist Bob Dylan!" [zitiert nach Hacke, 104] Denn acht Jahre nach dem Motorradunglück ist Dylan seit 1974 auf einer Never Ending Tour, die auch Verschleiß bringt. So stürzt er in den 1980ern in ein schwarzes Loch (wie übrigens parallel dazu der Kollege Neil Young) und produziert Unsägliches. Wie schon zu Beginn der 1970er erweist sich George Harrison ( † 2001) als rettender Freund. 17 Jahre nach dem “Concert for Bangladesh“ holt der den Kollegen in einer „Supergruppe“, bei der zu Beginn jeder Außenstehende mit dem Kopf schüttelt: wie soll eine Gruppe aus fünf Individualisten der Jahrgänge 1936 bis 1952 (neben Harrison und Dylan noch Jeff Lynn, Tom Petty und Roy Orbison, der während des Projekts einem Herzinfarkt erliegt), zudem alles Gitarristen, bestehen können? Die Band aus älteren Herren schafft es als “Traveling Wilburys“ sogar zum Grammy 1989 und Dylan hat wieder Lust (schön in den damaligen Videos zu erkennen; 1991 erhält er dann einen Grammy für sein Lebenswerk – bei der Verleihung sorgt er für einen Eklat, der offen gegen die Bush-Politik4 und den Irakkrieg gerichtet ist: “Masters Of War“ wird als Hardrock-Nummer aufgeführt).
Nun aber greift er ungeniert aufs ältere amerikanische Liedgut zurück und veröffentlicht die hörenswerten Alben "Good as I Been to You" (1992) und "World Gone Wrong" (1993). Freilich fällt mir wie auch beim ersten sog. Alterswerk “Time Out Of Mind“ (1997) eine gewisse Laxheit im Urheberrecht auf (ob nun durch Dylan selbst oder seine Firma ist wurscht): bei wenigstens zwei Nummern wird Dylan fälschlich als Schöpfer angegeben. “Hard Times Come Again No More“ stammt nachweislich von Stephen Foster, ”Rollin’ and Tumblin’" von McKinley Morganfield, besser bekannt als Muddy Waters.
Aber Dylan wollte nie promovieren.
Wer nun glaubt, der Wanderer sei müde, der höre sich "Christmas in the Heart" (2009) an und setze diese Musik gegen den adventlich-weihnachtlichen Kitsch.
Dylan ist der erste Songwriter, dessen Botschaft über Liebe und Triebe oder andern Freuden der Jugend hinausgehen und mit Kritik verbinden. Der heute in allen Altersklassen beheimateten pubertären Vorstellungswelt fällt es schwer sich vorzustellen, wie kraftvoll sich die Popmusik in den 1960er Jahren entwickelte und nicht nur gegenüber der Kulturindustrie künstlerische Ansprüche anmeldete. Die gestaltende Kraft wurde ihr nicht nur „zugeschrieben, sie hat tatsächlich bewusstseinsverändernd gewirkt. Im Vergleich mit nachfolgenden Zeiten mutet es geradezu phantastisch an, dass lyrisch und musikalisch komplexe Stücke wie Dylans "Like a Rolling Stone" oder "Eleanor Rigby" von den Beatles die Top Ten der Hitparaden erreichten“ [Hacke, S. 105], so dass ein Songwriter mit seinem 71. Geburtstag in der einzigen nennenswerten deutschsprachigen Politologischen Zeitschrift ausführlich auftauchen kann. Dylan macht ebenso wenig einen Kotau vor chinesischen Betonköpfen wie vor seinem Publikum, läuft keinen Moden nach und bleibt deshalb auch unabhängig gegenüber einer fordernden Kulturindustrie. „Das goldene Band der Sympathie“ will er wohl gar nicht [was Gross wohl Popmusikern unterstellt]. Der wahre Könner braucht keine Showeffekte!
Zudem hält Dylan Distanz zum Establishment. Zeigt sich mal ein Politiker mit ihm, darf man davon ausgehen, dass Dylan dem nicht nachgelaufen ist. Er gehorcht allein seiner inneren Stimme und bleibt sich selbst treu wie damals, als er dem wohlbehüteten jüdischen Jungen aus der amerikanischen Mittelklasse den Mythos des Hobos andichtete. Seine Texte sprechen für sich, wie sein Organ – bei Gott kein im herkömmlichen Sinne schön zu nennendes – erst zum Markenzeichen und zunehmend selber zum Instrument wird.
Sein Werk ist vielseitig und speist sich aus Folk, Country, Blues, Gospel und Rock, Beatniks und amerikanische Literatur sind ihm so wenig fremd wie Ovid, Petrarca, Shakespeare, Rimbaud und die Bibel. „Bruce Springsteen lag richtig mit seinem Bonmot, Elvis habe der Rockmusik den Körper gebracht, Dylan aber den Geist: Er ist das Nadelöhr, durch das Techniken der europäischen Avantgarde elektrisch verstärkt in die Arenen der Gegenwart Einzug halten. Auf nur einen Schutzheiligen festgelegt allerdings hat er sich nie.“ [Gross] Oder – um es näherungsweise biblisch zu sagen: Alles hat sein Zeit und in dem Maße, wie seine Songs traditionals werden, wird er zum Hüter der Tradition.
Nachtrag 2015
Another bottle’s empty
Another penny spent
He turned around and he slowly walked away
[…]
Another day in your life on your way to your journey’s end
Shine your light, move it on, you burns so bright, roll on John”,
begann Dylan’ys Requiem ”Roll on John” von seinem Album Tempest (2012 veröffentlicht) – aber seine Never-Ending-Tour nimmt der Meister auch im 74. Jahr seines Lebens buchstäblich und veröffentlicht Februar 2015 sein 36. Album “Shadows in the Night“.
Der Titel erinnert nicht von ungefähr an den Sinatra Song „Strangers in the Night“, denn Dylan kopiert nicht Frank Sinatra, er interpretiert die Songs, die Sinatra halt mal gesungen hat, auf seine Weise und die zuletzt immer kratziger werdende Stimme kratzt nicht mehr in den Ohren. Manche halten es für eine Schändung alten Liedgutes – die – hauptsächlich sogenannte „Fans“ eines „Stars“ oder „Sternchens“ - müssen sich aber fragen lassen, ob nicht Coverversionen, durch die Songs bis in den Klang der Stimme hinein eins zu eins umgesetzt werden (also ein fremdes Gefühlsleben oder eine andere Gedankenwelt nur kopieren) nicht eher entbehrlich sind. Und wer nicht weiß, dass Dylan – wie ja auch sein Bruder im Geiste Neil Young – seine Studioaufnahmen auf der Bühne bis zur Unkenntlichkeit immer wieder anders interpretiert, der schaffe sich eine Spieluhr oder einen Leierkasten an oder lausche seinem Klingelton.
Dennoch gestehe ich, als mir das Kleinod an einem Freitag dargereicht wurde – während der 35 oder 36 Minuten eingeschlafen bin. Aber der eine oder andere wird ahnen, gar wissen, dass ich zuvor heftig diverse Schlafmittel der anderen Art in medizinisch zweifelhaften Dosen zu mir genommen hatte, die mich halt übermannten.
Vielleicht doch „Schlafwagen“, oder – wie FAZ e-paper es ironisch formuliert „Das Ergebnis animiert allenfalls zum Wegschlummern.“ (Dylan singt Sinatra: Einmal Seniorenteller, bitte , „Dylan singt Sinatra Einmal Seniorenteller, bitte“), vergisst aber dabei, dass schon durch die Reduzierung der Musiker von 30 auf fünf (incl. Sänger Gitarren, Bass und Schlagwerk) und gelegentlichem Einsatz von Blasinstrumenten - anderes ergeben muss als im pompösen Sinatra-Swing-Theater. Er – Dylan – sehe die Platte auch nicht als „reines“ Coveralbum, „sondern als Wiederbelebung der alten Sinatra-Songs“ (Welt-online) und so werden die Songs zu kleinen Portraits des Meisters selber. Eines eigenwilligen Kopfes, wie wir weiter oben schon erfahren haben.
Nach den zuletzt veröffentlichten Basement Tapes früher Jahre präsentiert sich nun der ganz andere Robert Allen Zimmerman.
Alterweise, eben!
"Pardon me when we say goodbye.
Don't be angry with me if I should cry.
When you're gone, I'll dream a little dream as years go by.
But you know, now and then, there's a fool such as I."
Das musste ja so kommen – 17 Minuten widmet Dylan den sechziger Jahren in "Murder Most Foul" und formal scheint er – wie immer, will man sagen – nicht auf die aktuelle Situation ein, aber was wie Nostalgie klingen könnte sollte man von innen nach außen kehren, wenn der Song beginnt
“ It was a dark day in Dallas, November ‘63 / A day thar will live on in infamy
President Kennedy was a-ridin high / Good day to be livin‘ and a good day to die
Being led to the slaughter like a sacrificial lamb / He said, "Wait a minute, boys, you know who I am?" / "Of course we do, we know who you are" / Then they blew off his head while he was still in the car / Shot down like a dog in broad daylight / Was a matter of timing was right / You got unpaid debts, we‘ve come to collect / We‘re gonna kill you with hatred, without any respect ….“ 5
der wird auch Bezüge zu heute finden! Eine deutsche Übersetzung des gesamten Songs unter Bob Dylan - Murder Most Foul TEXT - SongTextes.de*
Bob Dylan, Songtexte, 1962 - 1985, deutsch von Carl Weissner und Walter Hartmann,, Frankfurt am Main (1987) 32. Auflage 1992 (eine neuere Ausgabe liegt mir nicht vor, wohl aber eine ordentlich zerfledderte ältere)
Thomas Gross, Ein Niemand seiner Stimme. Bob Dylan, der große Flüchtige, ist bis heute aktuell geblieben. Zum 70. Geburtstag des ewigen Avantgardisten in der Zeit Nr. 21 vom 19. Mai 2011, S. 59
Jens Hacke, It’s life, and life only. Bob Dylans Passionsgeschichte der Freiheit in den Blättern für deutsche und internationale Politik 5.2011, S. 103 – 112
Christopher Onkelbach, Der Unzeitgemäße. Der große Barde Bob Dylan wird am24.Mai 70 Jahre alt.Immer noch ist er kraftvoll modern, weil er auf Moden pfeift in der WAZ Wochendbeilage vom 21. Mai 2011
*
Interessant, dass kurze Zeit nach dem letzten Nachtrag eine Rezension von
Setnemides „Robert F. Kennedy: The enemy whithin. 1960. - Judy Mikovits, Kent Heckenlively: Plague of corruption.2020“ (Robert F. Kennedy: The enemy whithin. 1960. - Judy Mikovits, Kent Heckenlively: Plague of corruption.2020.) eingestellt wird, die irgendwie zu Dylan‘s “Murder Most Foul“ passt allein schon wegen des politischen Mordes an Robert Kennedy während des (Präsidenten-)Wahlkampfes 1968