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Pierre, Gaff und ein Regisseur
PIERRE, GAFF UND EIN REGISSEUR
Gelangweilt kaute Pierre auf seiner Zigarette herum. „Schon mal über Selbstmord nachgedacht?“ fragte er und drehte sich lächelnd zu Gaff um.
„Was?“
„Schon mal darüber nachgedacht?“
Gaff spuckte aus und zuckte mit den Schultern. „Klar, wer hat das nicht?“
„Ja, genau. Wer hat das nicht, hm?“
„Worauf willst du verdammt nochmal hinaus?“
„Was?“
„Worauf willst du hinaus?
„Ah... Gestern in der Zeitung habe ich was gelesen...“ Pierre lachte. „Weißt du, so ein armer kleiner Drecksack, oh man.“ Er warf die Zigarette weg. „Hat sich sein Scheißhirn mit Daddy´s Waffe weggepustet. Immer das selbe, weißt du.“
„Ja. Ich verstehe das nicht. So ein Schwachsinn. Sich wegen irgendeiner Schlampe umzubringen... Schwachsinn!“ Gaff hustete. „Aber es ist viel zu kalt, um über so eine Scheiße zu reden.“ Er spuckte wieder aus. „Außerdem ist mir das egal! Ich hab das auch durchstehen müssen, und du wahrscheinlich...“
Pierre nickte. „Und ob. Das kannst du mir glauben!“
„Also, warum können es die anderen dann nicht auch?“ Gaff´s Hustenreiz wurde immer heftiger. „Oh... Sch... warum... immer den einfachsten Weg wählen!“ Er atmete tief durch.
„Besser?“ fragte Pierre besorgt.
„Ja, danke.“
„Tja, manchmal ist der einfachste Weg der naheliegendste, meinst du nicht?“
„Pierre!“
„Ja, was?“
Gaff schüttelte den Kopf. „So ein Unsinn! Da muß es doch andere Lösungen geben. Ich hatte damals Freunde, die mir geholfen haben.“
„So?“
„Ja, verdammt! Mit denen konnte ich reden.“ Gaff überprüfte das Magazin. „Ich meine, die haben mir wirklich geholfen. Weil ich mich denen auch anvertraut habe, verstehst du?“
Pierre stand auf. „Ja.“
„Und bei dir?“ fragte Gaff.
„Oh, bei mir waren es auch meine... Freunde. Ja und dann hatte ich da auch noch die Familie, weißt du?“
„Hm, ja.“ sagte Gaff und stand ebenfalls auf. „Ja, weiß ich.“
„Die Familie!“ bekräftigte Pierre. „Naja, schließlich habe ich den Mistkerl vergessen können. Möchte nicht wissen, wem er heute das Herz gebrochen hat.“ sagte er leise.
Gaff lachte. „Was?“
„Gaff?“
„Das Herz gebrochen? So eine Müll! Nichts weiter als eine abgedroschene Phrase“
„Also hör mal! Damals war ich in den Kerl echt verliebt, okay!“ sagte Pierre verärgert. „Scheiße, so sagt man das doch, oder nicht?“
Gaff nickte. „Ja, natürlich.“ Wieder überprüfte er das Magazin.
„Das machst du jetzt schon wieder!“ sagte Pierre und deutete auf Gaff´s Waffe.
Gaff zuckte mit den Schultern. „Und?“
„Ach, vergiß es!“ Pierre holte seine Waffe hervor und sah sich nun sein Magazin auch an. „Ist vielleicht besser so.“
„Ja, du sagst es.“ Gaff deutete zum Eingang des Ladens. „Okay, Thema Selbstmord vorbei?“
Pierre nickte. „Okay.“
„Gut. Dann los!“
Sie standen an der Kreuzung. Die Ampel zeigte Rot.
„Oh man, ich hoffe, der Arsch hat Feuerzeuge... oder Streichhölzer.“ sagte Pierre.
Gaff sah ihn entsetzt an. „Ja warum soll es denn dort keine Streichhölzer geben? Oder Feuerzeuge? Was ist los mit dir?“ Er spuckte aus. „Du wirst doch jetzt keinen Rückzieher machen!“
„Nein, ganz ruhig.“ sagte Pierre. „Ganz ruhig. Ich hab nur seit Stunden keine mehr geraucht, okay?“
„Ach... Du und deine Scheißraucherei!“
„Ja was!“
„Schon gut! Schon gut! Da wird es schon was zum Rauchen geben, okay?“ Entnervt fuhr sich Gaff durch´s Haar. „Oh man.“ Er schüttelte den Kopf. „Okay, wir werden das ganz locker durchziehen.“
Die Ampel schaltete auf Grün.
Sie standen vor dem Laden.
„Bereit?“ fragte Gaff und sah zu seinem Freund.
„Ja, ich denke...“ Pierre wirkte verunsichert.
„Was ist los, verdammt?“ Gaff sah sich um. „Was ist los, verdammte Scheiße!“
„Gaff... ich...“
„Was? Was!“
Pierre sah zu Gaff. „Ich...“
Gaff stöhnte. „Oh Kacke. Ich glaub das nicht. Ich glaub das einfach nicht.“ Pierre fing an zu weinen. „Oh Gott, nein! Pierre!“
„Tut mir leid!“ schluchzte Pierre. „Ich...“
„Und... Aus!“ Trevor nickte zufrieden. „Sehr schön, Jungs! Gute Arbeit!“ Er winkte zu Glen und Howard. „Gute Arbeit!“ Erschöpft setzte er sich auf seinen Stuhl. Oh Scheiße, dachte er. Wo bin ich hier gelandet? Jemand berührte ihn am Arm. „Was!“
„Äh... Sir. Hier sind die Mitteilungen vom Studio, ähm...“
„Ja, geben Sie schon her.“ Scheiße. Immer neuere Anweisungen. Budget zu hoch. Story zu flach. Oh Gott, was hatten die denn erwartet?
„He, Trevor?“
„Ja? Oh... Glen.“
„Kam ich gut rüber als...“ Glen lächelte.
„Natürlich, Glen. Keiner spielt die Schwuchtel überzeugender als du. Okay?“ Trevor versuchte freundlich zu sein. „Und jetzt entschuldigst du mich bitte?“ Er sah, wie Howard auf ihn zukam. „Und sag Howie, ich bin die nächste Stunde nicht ansprechbar, okay? Ja?“
Glen nickte. „Okay, ich sag´s ihm. Und wann machen wir weiter?“
„Wenn ich soweit bin, okay?“ Trevor versuchte wirklich... freundlich zu sein. „Wenn ich soweit bin. Ich brauch mal ´ne Stunde für mich, ja? Okay?“
„Oh...“ Glen hob abwehrend die Hände hoch. „Okay, Trevor. Ganz wie du willst.“
„Ja, ganz so wie ich will, verdammt!“ Trevor nickte Glen zu und ging dann zum Trailer.
Glen sah ihm lächelnd hinterher. „Süß!“ murmelte er.
„Was ist denn mit Trevor?“ fragte Howard, als er Glen erreicht hatte.
„Ach, das übliche. Künstlerische Krise!“
„Aha.“ Howard zuckte mit den Schultern. „Okay. Sollen wir den Text für die nächste Szene durchgehen?“
„Von mir aus!“ Glen lächelte. „Okay.“
„Gut... wir hätten dann Pierre und Gaff im Laden...“
Trevor saß in seinem Trailer. „Komm schon, tu mir das nicht an.“ Verzweifelt wartete er darauf, daß Kyle den Hörer abnahm. „Komm schon... Kyle!“
Dann klickte es kurz in der Leitung... „Hallo?“
„Kyle?“
„Trev?“
„Ja.“
„Was ist los?“
„Kyle... ich... das kotzt mich alles an!“ Trevor war den Tränen nahe. „Die ganze Scheiße...“
„Trev? Was ist denn los?“
„Ich... wie konnte es nur? Wie? Ich...
„Jetzt beruhig dich doch mal, Trev! Hast du Probleme am Set?“
„Scheiße... ich war mal so ein guter....“
„Hast du Probleme am Set?“
Trevor sah in den Spiegel. „Kyle?“
„Ja? Trev! Trev... Was?“
„Vor ein paar Jahren, da habe ich noch richtig gute Filme gemacht... Und heute?“
„Heute inszenierst du Trash für Schwule. Na und?“
„Verstehst du nicht... Früher...“
„Trevor!“
„Kyle, ich... Ich halte das nicht mehr aus... Ich, Scheiße!“ Trevor schlug mit der Faust gegen den Spiegel.
„Was war das für ein Geräusch?“
Trevor hielt eine der Scherben hoch und sah sie fasziniert an. „Kyle? Weißt du, ich...“
„Trev?“
„Ich... Früher habe ich richtige Filme gemacht. Richtige Filme. Und heute?“ Er dachte an sein aktuelles... Werk. „Nur noch Schund. Nur noch einen Scheißdreck!“
„He, komm doch erst einmal zurück. Wir können doch über alles...“
„Nein!“ schrie Trevor. „Es ist längst vorbei! Verfluchte Scheiße!“
„Tu mir das jetzt nicht an, Trev... Trev?“
„Kyle... ich...“ Trevor legte auf. Er hörte, wie sich vor seinem Trailer Glen und die Maskenbildnerin stritten. „Das ist ja alles nicht mehr wahr!“ Das Stück Glas fühlte sich gut an in seiner Hand. „So ein Mist!“ Und dann hörte er auch noch die Stimme von Howard. „So ein Mist!“ Trevor lächelte gequält, und seine letzten Gedanken galten Kyle...
„Nein! Nicht so!“ sagte Faith. „Auf keinen Fall so einen Schwachsinn!“ Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich. „Ich wollte einen Film im Film, okay?“
Ich sah ihn überrascht an. „Ja gut, aber...“
Er unterbrach mich. „Nicht so eine Kacke, verdammt.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein! Das ist Müll! Scheiße! Schwachsinn! Scheiße verdammt!“
Ich stand auf. „Mister Faith! Sie wollten eine 0815-Story! Und die habe ich Ihnen geliefert! Verdammt, nicht mehr und nicht weniger wollten Sie doch haben?“
„Ich wollte eine Liebesgeschichte, die in der Schwulenszene spielt, klar!“
„Ja... aber...“
„Und dann kommen Sie mit so einer Scheiße!“ Faith zog an der Zigarette. „Wenn Sie erwarten, dafür Geld zu bekommen... Das können Sie vergessen! Klar!“ Er grinste mich an.
„Mister Faith, ich...“
„Was soll das? Zwei Schwule reden über Selbstmord und wollen einen Laden überfallen? Ein schwuler Regisseur trauert über sein Dasein? So ein... Mist! Verdammt!“ Faith drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. „Alles was ich wollte, war ein Film im Film über diese verdammten Schwuchteln, klar!“
„Ja gut, aber den habe ich doch...“
„Und alles, was ich bekomme, ist ein blödes minderbemitteltes Schwuchtelpärchen bei einem Überfall... und einen schwulen Regisseur, der über sich selbst zweifelt.“
Ich verstand Faith nicht. „Entschuldigen Sie, aber ich verstehe Sie nicht?“
„Wo verdammt ist die Liebe?“
War Faith bescheuert? Ich sah ihn ungläubig an. „Äh...“ Ich konnte es nicht fassen. „Nur weil... weil die beiden Handlungsstränge im Selbstmord...“
Faith winkte ab. „Hören Sie mit diesen Scheißselbstmorden auf! Wen interessiert das? Wen?“
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. „Ich weiß nicht... Da gibt es bestimmt einige...“
„Hören Sie auf!“
„Ja, aber...“
„Mich interessiert es nicht, klar!“
„Oh...“
„Ist es so schwer, eine Liebesgeschichte zwischen diesen Homos spielen zu lassen?“ fragte mich Faith und zündete sich eine neue Zigarette an. „Ist das wirklich so schwer?“
„Sie haben ja keine Ahnung!“ sagte ich und sah ihn herausvordernd an.
„Bitte?“
Ich verstand. „Ja, es ist schwer, Romantik und den ganzen Kram unterzubringen.“
„Na, Sehen Sie. Wir verstehen uns doch.“ Faith stand auf und ging zu dieser Nacktstatue, die mich die ganze Zeit schon zu beobachten schien. Er berührte den Kopf. „Wie wäre es, wenn ein junger Typ sich in ein Mädchen verliebt. Anschließend erkennt er, daß er schwul ist. Und bringt sich um. Das nenne ich doch Romantik! Und dann kommt der Film im Film!“
Ich weiß, eigentlich hätte ich heftig protestieren müssen. Aber letztendlich war ich scharf auf das verdammte Geld. „Okay. Schreibe ich also alles um, okay?“
Faith lächelte. „Ah, Sie sind ja doch nicht so ein Arschloch, wie ich dachte.“
„Ja, danke.“ sagte ich.
„Gut.“ Faith nickte mir zu. „Also nehmen wir diese Story, daß sich ein Junge in ein Mädchen verliebt... erkennt daß er schwul ist.... sich in einen Jungen, den Bruder von dem Mädchen...“
„Oh, sehr gut!“ sagte ich.
„...und als es die beiden miteinander versuchen, kommt der Punkt, wo alles nur ein Film ist, okay?“ Faith war von seiner Idee begeistert.
Ich konnte nur zustimmen. Verdammt, ich brauchte das Geld. „Oh, ja... so könnten wir es machen.“
„Ja. Und dann bringen sich alle selbst um. Die Darsteller im Film. Und die Leute im eigentlichen Film. Alle bringen sich um!“
„Gegenseitig?“
„Ja, die meisten schon...“
Ich verstand die Welt nicht mehr. „Also letzten Endes doch Selbstmord?“
Faith sah mich an. „Natürlich! Die Masche zieht doch immer! Und in Verbindung mit Romantik... da klingelt doch die Kasse... und erzeugt Reaktionen!“
Ja natürlich. Letzten Ende zählt nur das Geld. Auf die Reaktionen konnte ich verzichten. Ich war am Tiefpunkt angelangt. „Also gut.“ sagte ich. „Dann machen wir es so!“ Ich stand auf und ging zur Tür.
„He!“ rief Faith.
„Ja?“
„So machen wir es, okay?“ Er sah mich an. „Sie verdienen gutes Geld bei mir. Das wissen Sie. Das wissen Sie doch, nicht wahr!“
Ich nickte und lächelte. „Ja, das weiß ich, Mister Faith. Das weiß ich!“ Ich verließ Faith´s Büro und fuhr nach Hause um die komplette Story umzuschreiben. Scheiße! Faith, dieser Drecksack! Hatte er denn wirklich nicht die Liebe erkennen können? Mist!
Ein paar Wochen später hatte der Film „Pierre, Gaff und ein Regisseur“ Videopremiere. Tja, was soll ich sagen? Hm? Scheiße! Nur gut, daß Faith mich vorher bezahlt und anschließend kein sinnsloses Theater gemacht hat. Kacke! Von Anfang an war das ein Reinfall gewesen! Wer wollte denn schon so einen Film sehen? Scheiße!
ENDE
copyright by Poncher (SV)
06.10.2001