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Phantasia
Ich wasche meinen Körper.
Es brennt.
Ich schließe die Augen und zähle die Sekunden.
Erneut brennt es.
Der Dreck geht nicht ab.
Ihre toten Augen spotten. Sie leben noch. Eine alte Frau zittert mit den Lippen, will mir etwas zurufen. Ich höre nicht hin. Nie hin. Niemand hört. Alle taub. Eine Generation der Gehörlosen.
Ich gehe durch die Straßen, höre das Jaulen der Hunde. Das der Kinder. Ich kann sie nicht unterscheiden. Sie kriechen alle auf allen Vieren. Lecken. Sterben.
Es gibt nur Grau. Eine Generation der Hoffnungslosen.
Ich sehe mich um – man muss auf der Hut sein. Die Bettler stehlen. Gierige, dünne Finger.
Sie sehen mich an. Umkreisen mich. Kriechen. Lecken. Sterben.
Ares wartet auf mich. Ich beeile mich.
Wandle durch die Gassen wie ein Schatten. Jeder der klug ist, meidet die großen Straßen, die Alleen, die Parks. Wie Ratten fühlen sie sich sicher, wenn die Sonne sie nicht erreicht.
Er wartet in der Bar Phantasia. Der Name gefällt mir. Ich erinnere mich.
„Du bist spät.“
Ich setze mich. Er hat für mich bestellt. Gallensaft. Gallensaft. Mehr nicht.
Ich trinke. Sehe ihm in die weißen Augen. Wohin sieht er? Was sieht er? Ich lege den Kopf schief.
„Wer?“
Langsam wachsen die Adern in seinen Augäpfeln, durchziehen sie sichtbar. Wie ein Virus, eine Ameisenkolonie, wie Hoffnung.
Er grinst. Seine Zähne sind grau. Es gibt nur grau.
„Sein Name ist Moses. Ein kluger Mann, dieser Moses. Er kam. Er sah. Er nahm sich.“
Rauchschwaden. Meine Augen brennen. Ich bin den Qualm von Zigaretten nicht mehr gewohnt.
War es nie.
„Wie?“
Graues Grinsen.
Meine Beine tragen mich. Tragen mich weiter – dabei sagt der Rest meines Körpers, dass ich nicht weitergehen will. Stehen bleiben, die Situation nüchtern evaluieren. Nein. Keine Rast.
Ich sehe die toten Leiber am Straßenrand. Irgendjemand stapelt sie frühmorgens, damit die Händler, die Pendler, die Penner – damit sie nicht hinüber steigen müssen. Es wäre egal. Die Stadt ist auf Leichen gebaut. Eine Generation von Leichenschändern.
Nur Kinder. Nur Kinder. Fliegenaugen. Tausende Augen. Fliegenleiber fressen sich in ihre Schädel.
Es stinkt nach vergorenem Apfelsaft. Es stinkt nach Vergorenem.
Ich sehe die toten Leiber am Straßenrand und gehe weiter. Keine Rast.
Ich weiß nichts über Moses. Er stirbt. Heute Nacht. Vielleicht Morgen Nacht. Ein Sturm zieht auf.
Der Himmel ist gelb. Es gibt nur grau. Spitz zulaufende Türme. Kilometerlange Gassen, so eng, dass kaum zwei Kinder aneinander vorbeilaufen könnten. Skelette verhaken sich. Brustkörbe brechen. Nur schnell weg.
Wer klug ist meidet die Straßen. Die großen Straßen auf denen man leichte Beute derer ist, die sich das nahmen, was die anderen wollten. Revolution.
Sie standen auf, schüttelten sich, schüttelten sich den Dreck von den ausgemergelten Körpern und riefen nach Veränderung. Sie standen auf und hoben die Fäuste, schrien. Schrien Parolen deren Worte sie nicht kannten. Alles war Gold. Alles war Blut. Alles war Nacht.
Und dann zerfiel die Ordnung. Dann zerfiel das Chaos. Und dann gab es nichts. Und das nahmen sie sich und bauten darauf einen Friedhof. Einen Friedhof aus Kinderkörpern. Einen Friedhof mit Grabsteinen so eng, dass sich die Leiber verhaken. Rippen brechen. Nur schnell weg.
Revolution.
Es regnet. Dicker Staub wird von den Blechdächern gespült. Es tropft in beruhigendem Gleichmut. Irgendwo singt jemand ein Schlaflied. Blitz. Donner. Irgendwann singt jemand mein Schlaflied.
Ich verschiebe meine Pläne und träume.
Ich träume von Revolution. Träume von Veränderung. Dicker Staub wird von meinen Gedanken gespült.
Am nächsten Morgen greife ich nach meiner Tasche. Zähle die Klingen. Vier Klingen. Eine für Haut. Eine für Muskeln. Eine für Sehnen. Eine für Knochen. Nur schnell weg.
Ich jage durch die Gassen, schiebe die Menschen beiseite, lebende Leichen zerfallen zu Staub. Ich meide die großen Straßen, will nicht, dass sie mich finden, mich jagen und fangen. Keine Klingen erlaubt. Revolution.
Die Zeit drängt. Senffarbener Himmel. Irgendwo jault jemand ein Schlaflied. Kriecht. Stirbt.
Moses lebt in einer anderen Welt. Dort scheint Sonne. Ein großes Haus. Ich atme. Ich lebe. Kein Geist. Von jetzt an bleibt die Zeit stehen. Ich hole tief Luft. Dann erstarre ich. Kein Geist.
Ich klettere über den Zaun, spüre die Wärme eines Körpers. Ich greife nach meiner Klinge und nähere mich. Kauere. Er dreht sich um. Sieht mich. Ich will sie sehen. Will wissen, dass sie tot sind. An den Augen sieht man es sofort. Tote Augen. Warmes Blut spült dicken Staub von meinem Körper.
Ich gehe weiter, wieder greife ich zur Klinge. Die Temperatur steigt. Haut. Muskeln. Sehnen. Knochen.
Moses hat Angst. Ich weiß, dass ich beobachtet werde. Die Kameras sehen mich. Kein Geist. Er sieht mich.
Egal. Diese Stadt ist auf Leichen gebaut.
Ich höre ihn rennen und folge.
Canis Canem Edit.
Warmes Blut – Schicht um Schicht legt es sich auf meine Haut. Moses zuckt.
Moses zuckt. Eine Klinge für Blut. Moses zuckt. Eine Klinge für Blut. Moses zuckt. Eine Klinge für Blut. Moses zuckt. Eine Klinge für Blut. Moses zuckt.
Ich lecke.
Ich krieche.
Ich stehe auf und schüttle mir den Dreck vom Körper.
Revolution.
Moses ist nun ein Teil von uns. Die Sonne scheint für uns alle. Erreicht die Maden in den Augenhöhlen. Das verkrustete Blut an den Brustwarzen der Frauen. Das verkrustete Blut an den Lippen der hungrigen Kinder. Die verzweifelten Bisse.
Die Sonne scheint für uns alle.
Meine Füße tragen mich.
Bald werde ich sie rufen hören. Bald werden sie genug haben. Sie werden aufstehen.
Sie werden lecken.
Sie werden kriechen.
Sie werden die Hände zu Fäusten ballen, die Namen ihrer Kinder schreien, Worte die sie nicht verstehen.
Ares wartet.