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Pausenmord

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06.10.2011
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Pausenmord

PAUSENMORD

Er würde sie umbringen! Heute!

Uwe Mehrfeld, seines Zeichens Schauspieler am Mecklenburgischen Staatstheater, stürmte aus seiner Wohnung. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss, während Eva immer noch schrie:

„Du bescheuerter Versager! Glaubst Du, ich lasse mir von Dir mein Leben ruinieren! Hau endlich ab, und komm am besten nie wieder!“

So rasch er konnte verließ Mehrfeld das Haus und schlug ohne nachzudenken den Weg zum Bertha-Klingberg-Platz ein. Immer nach diesen widerlichen Auseinandersetzungen nahm er nicht den direkten Weg zum Theater, sondern ging durch den Schlosspark, um sich etwas zu beruhigen, bevor er das Theater betrat.

Wie hatte eigentlich heute dieser verfluchte Streit angefangen? Er konnte sich nicht erinnern. Vermutlich wieder irgendeine Nichtigkeit. Aber dann war sie triumphierend damit herausgerückt, dass sie ihrer Busenfreundin Gabi Haus- und Wohnungsschlüssel gegeben hatte. Und auf seine spitze Frage, ob Gabi vielleicht gedenke, bei Ihnen einzuziehen, hatte sie anzüglich bemerkt:

„Wer weiß! Wäre doch ein gutes Gefühl, wenigstens einen Menschen in der Nähe zu haben, mit dem man sich versteht.“

Ausgerechnet Gabi, diese ordinäre, geschmacklos aufgetakelte Ziege, von der niemand so genau wissen wollte, womit sie ihr Geld verdiente. Meine Güte, was war aus Eva geworden, jener Eva, die er vor acht Jahren geheiratet und zu lieben geglaubt hatte. Wahrscheinlich war er damals völlig blind auf ihr unschuldiges Aussehen hereingefallen. Klar hatte es von Zeit zu Zeit kleine Reibereien gegeben, aber seit Gabi aufgetaucht war, verging kein einziger Tag mehr, ohne dass die Fetzen flogen. Und immer häufiger war Sie nicht zuhause, wenn er nach der Vorstellung heimkam. Und dann erschien sie irgendwann mitten in der Nacht in ziemlich desolater Verfassung und lallte, sie sei mit Gabi „unterwegs“ gewesen! Der Einfluss dieser schrecklichen Frau hatte alles kaputtgemacht, einfach alles. Zum Teufel mit ihr!

Der Streit heute Nachmittag hatte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht! Kurz bevor er aus der Wohnung gestürzt war, hatte sie ihm mitleidlos triumphierend mitgeteilt, sie werde sich wohl demnächst einen Liebhaber suchen, um mal wieder einen richtigen Mann im Bett zu haben! Mehrfeld konnte noch immer nicht glauben, dass sie wirklich so weit gegangen war.

Gabi würde freiwillig nicht aus ihrem Leben verschwinden, also musste er Eva loswerden. Endgültig.

Abrupt blieb er stehen. Ja, genau heute würde er den Plan in die Tat umsetzten, den er schon hundertmal nach ihren Streits durchgespielt hatte!

Sein Entschluss ließ ihn mit einem Schlag in die Realität zurückkehren, ganz so, als sei er aus einem bösen Traum erwacht. Er sah sich um. Die Septembersonne verbreitete auch jetzt, am späten Nachmittag, noch wohlige Wärme, Blumen streckten ihre Blüten nach dem hellen Licht, selbst die Bäume schienen seinen Entschluss mit leisem Rauschen zu loben. Genüsslich zündete er sich eine Zigarette an. Der Plan war gut durchdacht. Nichts konnte schief gehen. Und morgen war er ein freier Mann. Kein Streit mehr, keine Vorwürfe wegen seiner angeblichen Lethargie, die eine große Karriere verhindere, keine ständigen Geldsorgen mehr wegen Ihrer Kaufwut, und vor allem: nie wieder Versteckspiel in der Öffentlichkeit, wo Eva mit völliger Selbstverständlichkeit die liebende Ehefrau gab. Selbst der Hauch von schlechtem Gewissen beim Gedanken an seinen Seitensprung vor zwei Jahren konnte die gute Laune nicht dämpfen, und so nickte er scherzend der rundlichen Großherzogin zu, die ihn völlig ungerührt von ihrem Sockel mitten auf dem Rasen aus betrachtete.

Seine Gedanken trieben weiter. Wie gut, dass die schreckliche Gabi heute Abend von ihrer Hamburger „Shopping-Tour“ zurückkam. Wie immer würde sie beladen sein mit Tüten und Taschen voller billiger Fetzen und sofort zu Eva eilen, um ihre Schätze vorzuführen. Eigentlich sollte Mehrfeld seiner Frau dankbar sein, weil sie Gabi die Schlüssel gegeben hatte. Seine Mundwinkel verzogen sich abschätzig, als er dachte:

„In Wahrheit will sie nur keinen Satz ihrer platten Talkshows versäumen, wenn Gabi mal wieder Sturm läutete. So weit reicht die Freundschaft dann auch wieder nicht.“ Auch wenn sie sich mittlerweile in vielen Dingen ähnlich waren wie ein Ei dem anderen, bis hin zu Frisur oder Kleidung.

Tja, und so würde Gabi heute das Drama ihres Lebens erleben. Mehrfeld malte sich aus, wie sie vergeblich anschellte, das Haus betrat, die Wohnungstür aufschloss, nach Eva rief, ohne Antwort zu erhalten, die Freundin schließlich tot vor dem Fernseher fand und laut schreiend auf die Straße lief. Zu schade, dass er das nicht miterleben würde.

„Guten Abend, Herr Mehrfeld! Haben wir heute nicht ein herrliches Wetter!“ riss ihn eine Stimme aus seinen Tagträumen.

Er zuckte zusammen. Hatte er laut gesprochen, ohne es zu merken? Als er aufsah, stand vor ihm die kleine Verkäuferin aus dem Bioladen in der Puschkinstrasse, in dem er sich manchmal nach der Probe etwas zu essen holte. Die passionierte Theaterliebhaberin strahlte ihn erwartungsvoll an. Also hatte sie nichts gehört.

„Äh, ja, wirklich ein schöner Tag!“

Etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein. Für alle Fälle fügte er noch hastig hinzu:

„Ich bin auf dem Weg zur Abendprobe und gehe gerade meinen Text noch mal durch.“

Sie gab sich zufrieden. „Na dann! Einen schönen Abend noch! Bis bald!“

Mehrfeld schlenderte weiter und überließ sich wieder seinen angenehmen Zukunftsträumen. Die Begegnung hatte er nach wenigen Sekunden vergessen.

„Wunderschönen guten Tag!“, begrüßte er überschwänglich den Portier in seinem Glasverschlag, als er das Theater durch den Bühneneingang betrat. Der zog die Stirn in Falten und sah ihn an: „Was ist Dir denn passiert, dass Du so gut gelaunt bist?“

Mehrfeld zuckte mit den Achseln und stieg die Treppe zu den Garderoben hinauf. Eigentlich schade, dass er während der nächsten zwei Stunden an das Theater gefesselt war – am liebsten hätte er seinen Plan ohne Aufschub in die Tat umgesetzt! Wer konnte wissen, ob er in zwei Stunden noch den Mut aufbringen würde…

Doch glücklicherweise lief die Probe ohne größere Probleme ab. Auf dem Programm standen fast ausschließlich Szenen, in denen er nichts zu tun hatte. So konnte er im Dunkel des Zuschauerraumes seinen Gedanken nachhängen.

Vor der Pause, nach wenigen kritischen Anmerkungen, teilte der Regisseur dem Ensemble mit, der zweite Teil der heutigen Probe werde ziemlich kurz ausfallen, da er heute Abend kurzfristig nach Rostock müsse. Das erschwerte Mehrfelds Vorhaben, erst nach Gabi zuhause zu erscheinen, aber darüber würde er sich später Gedanken machen.

Wie geplant erreichte Mehrfeld den Bühneneingang als erster. Darüber würde sich mit Sicherheit niemand wundern, denn alle rauchenden Mitarbeiter des Theaters hasteten in den Pausen vor die Tür, um ihren Nikotinmangel möglichst schnell auszugleichen. Der Pförtner sah von seiner Zeitung auf und grinste ihm anerkennend zu. Alles lief genau nach Plan! Mehrfeld blieb kurz stehen, griff demonstrativ in seine Tasche und sagte laut:

„Mist, ich habe meine Zigaretten zuhause vergessen. Ich laufe schnell hoch zur Puschkinstrasse, bevor der Kiosk zumacht.“ Verständnisvoll nickte der Pförtner ihm zu.

Damit war geklärt, warum er in der Pause nicht wie gewöhnlich mit den anderen zusammenstand.

Er hastete in Richtung Puschkinstraße, bog aber schon nach wenigen Schritten in die Ritterstraße ab, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand von seinen Kollegen ihn beobachtete. Sicher war sicher, also nahm er lieber den kleinen Umweg über die Schlossstraße in Kauf. Während der wenigen Schritte bis zum Durchgang zur Schack-Allee spürte er deutlich die wachsende Anspannung. Sein Magen rumorte, auf der Stirn bildeten sich kleine Schweißtropfen.

„Jetzt nur nicht durchdrehen!“, versuchte er sich zu beruhigen. Sein Ziel war schon in Sichtweite. Bis dorthin musste er unbedingt langsam gehen, um nicht aufzufallen. Hatte er das Haus erstmal erreicht, war das Schlimmste überstanden, dessen war er sich sicher. Die Nachbarn aus dem ersten Stock waren immer bis acht Uhr abends in ihrem Laden. Niemand im Haus würde den Schuss hören können. Und draußen war durch die Arbeiten an der nahen Baustelle immer noch so viel Lärm, dass ein kleiner Knall nicht weiter auffallen konnte.

Endlich die Haustür. Kein Mensch weit und breit! Er schloss auf und betrat den Flur. Jetzt schnell die Pistole aus dem kleinen Verschlag unter der Treppe holen! Er fand sie genau dort, wo er sie schon vor Wochen versteckt hatte, zusammen mit den Handschuhen, die er sorgfältig überstreifte. Derart dumme Fehler würde er nicht machen! Er schlich zur Wohnungstür, drehte vorsichtig den Schlüssel im Schloss und betrat den Flur.

Die Schlafzimmertür am gegenüberliegenden Ende war angelehnt, das sah er mit einem Blick. Vorsichtig schlich er vorwärts, warf rasche Blicke in Küche und Bad und stellte erleichtert fest, dass beide Räume leer waren.

Endlich das Wohnzimmer. Mit einer Mischung aus Genugtuung und fast unerträglicher Spannung sah er sie auf dem schwarzen Sofa sitzen und auf den Fernseher starren, der vor sich hin plärrte. Sie drehte ihm den Rücken zu, nur der Kopf ragte über die hohe Rückenlehne. Als wäre die Zeit für einen kurzen Moment eingefroren, registrierte er, ohne weiter darüber nachzudenken, dass sie offenbar etwas mit ihren grellrot leuchtenden Haaren gemacht hatte, dass auf dem Sessel seitlich des Sofas eine unordentlich hingeworfene Handtasche lag, dass die Verbindungstür zum Schlafzimmer offen stand, und dass der Talkshow-Moderator im Fernsehen gerade etwas von „Gewalt in der Ehe“ faselte.

Dann bewegte sich das Bild wieder. Er hob die Pistole und zielte auf Evas Kopf. Der Schuss fiel genau in dem Moment, als sie sich bewegte und zu ihm umdrehen wollte. Doch die kaum begonnene Bewegung brach unvermittelt ab, und der Kopf verschwand seitwärts hinter der Lehne des Sofas.

Plötzlich brach in Mehrfelds Kopf blanke Panik aus. Ohne ihm einen weiteren Blick zu gestatten, riss es ihn herum, und er jagte aus der Wohnung. Erst vor der Haustür kam er keuchend zur Besinnung. Er hatte es getan! Er hatte es getan und war frei! Frei!

Zögernd begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. Er sah an sich herunter. Die Pistole! Hastig steckte er sie in die Tasche und zog die Handschuhe von den Fingern. Wie spät? Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass seit Beginn der Pause im Theater erst knapp zwanzig Minuten vergangen waren. Gut! Es blieb ihm noch genug Zeit bis zum Wiederbeginn der Probe um halb neun. Unsicher überquerte er die Straße. Zum Glück war es schon ziemlich dunkel geworden, sodass sein Zustand niemandem auffallen konnte, der ihn nur aus der Entfernung sah. In Mehrfelds Kopf wütete ein Tornado. Was kam jetzt? Ach ja, die Waffe! Mit einem kurzen Blick nach rechts und links machte er einen Schritt über die niedrige Begrenzung des Gehweges und ging am Ufer des Burgsees in die Hocke. Hier stand eine Menge Schilf. Selbst wenn man die Pistole hier finden sollte, könnte man sie nicht ohne weiteres mit ihm in Verbindung bringen. Eva hatte keine Ahnung gehabt, dass er sie schon vor ein paar Monaten während eines Gastspiels nahe der polnischen Grenze unter der Hand gekauft hatte. Er vergewissert sich nochmals, dass niemand in unmittelbarer Nähe war, dann warf er Pistole und Handschuhe mit Schwung mitten ins Schilf. Geschafft! Er kehrte zurück zum Gehweg und ging Richtung Theater. Die Anspannung der letzten Minuten war verflogen, und er hätte nicht sagen können, was genau er jetzt empfand. Er fühlte sich ausgebrannt, leer.

Kurz bevor er den Bühneneingang erreichte, zündete er sich eine Zigarette an – schließlich hatte er das Theater verlassen, um Zigaretten zu kaufen. Jetzt tief durchatmen und zusammenreißen! Wozu war er Schauspieler? Vor dem Bühneneingang standen immer noch ein paar seiner Kollegen und amüsierten sich über irgendetwas. Er wurde entdeckt und umgehend über seine Meinung zum neusten Aushang der Intendanz befragt. Während er sich eine mehr oder minder passende Antwort abquälte, suchte Mehrfeld verstohlen nach Anzeichen von Misstrauen in den Gesichtern seiner Kollegen. Nichts! Offenbar war seine Abwesenheit niemandem ungewöhnlich vorgekommen.

Jetzt sprach Hans Maien ihn an:

„Du, Uwe, wenn die Probe wirklich so kurz wird, wollen wir anschließend noch zusammen in den Freischütz. Kommst Du mit?“

Uwe wollte schon den Kopf schütteln, da durchfuhr ihn ein Gedanke: Na klar! Nach einer kurzen Probe kann ich keinesfalls sofort nach Hause gehen, sonst komme ich am Ende noch vor Gabi an. Ich brauche ein Alibi, also sollte ich mitgehen. Das ist die einfachste Lösung. Alle können später bezeugen, dass ich ununterbrochen mit ihnen zusammen war. Und wenn die Polizei erscheint, um mir die traurige Nachricht von Evas Tod zu überbringen, breche ich wirkungsvoll im Kreis meiner lieben Kollegen zusammen.

Laut sagte er: „Ja, gerne. Eva hat heute Abend sowieso Besuch von ihrer Freundin, da bin ich völlig überflüssig.“

„Gut, dann treffen wir uns nach der Probe hier unten“ sagte Hans und verschwand im Bühneneingang. Mehrfeld holte tief Luft und folgte ihm, indem er seine Gedanken auf die vor ihm liegende Probe richtete.

Eine knappe Dreiviertelstunde später traf sich alles am Bühneneingang. Vorsichtshalber ließ Mehrfeld den Portier wissen:

„Ich habe meine Jacke in der Garderobe hängen lassen. Die hole ich aber später noch ab. Jetzt gehen wir erst mal zum Freischütz und besaufen uns.“

Als der Portier freundlich nickend Verständnis bekundete, war er beruhigt. Die Polizei würde erfahren, wo er seinen Abend zugebracht hatte.

Der Freischütz war wie immer gut besucht. Die auf neun Leute angewachsene Truppe besetzte einen schnell für sie frei gemachten Tisch im Zentrum der Kneipe, und innerhalb kürzester Zeit stieg der Geräuschpegel im Lokal beträchtlich an. Nur Mehrfeld war nicht wohl in seiner Haut. Zum einen war ihm dieses Lokal immer etwas zu dunkel und zu laut gewesen, zum anderen wunderte er sich, warum die Polizei auf sich warten ließ. Alle paar Sekunden sah er auf die Uhr. War Gabi vielleicht doch nicht bei Eva erschienen? In diesem Fall würde ihm nichts übrig bleiben, als die Tote selbst zu ‚entdecken’. Aber keinesfalls allein. Jemand musste mit ihm in die Wohnung kommen und später seinen Zusammenbruch angesichts der Toten bezeugen.

Gegen zehn wurde die Anspannung unerträglich. Jetzt galt Plan B. Wer wohnte in seiner Nähe? Richtig, Hans Maien wohnte am Ostorfer Ufer. Aber ob der jetzt schon gehen wollte? Mehrfeld beugte sich zu ihm hinüber und sagte:

„Du, mir ist es heute einfach zu laut hier! Ich gehe nach Hause. Kommst Du mit?“

Erstaunlicherweise hatte Hans nichts gegen einen Aufbruch einzuwenden. Ein paar Minuten später hatten sie bezahlt und gingen die Puschkinstrasse entlang Richtung Markt. Nur ein paar junge Leute lärmten noch an ihnen vorbei, sonst war die Altstadt von einer Stille erfüllt, die Mehrfeld als unangenehm, fast als bedrohlich empfand. Der Umweg am Theater vorbei, wo Mehrfeld seine ‚vergessene’ Jacke abholte, brachte noch einen kleinen Aufschub, dann waren sie auf der Graf-Schack-Allee.

Mehrfeld rechnete mit Polizei oder Leichenwagen vor dem Haus, aber da war nichts. Das Wohnzimmerfenster warf schwaches Licht nach draußen - offenbar immer noch der Fernseher. Gabi war also nicht erschienen. Umso wichtiger, dass Hans Maien bei ihm war, der allerdings von der ihm zugedachten Rolle nichts ahnen konnte.

Als sie das Haus erreichten, fragte Mehrfeld:

„Du, Hans, komm doch noch kurz mit rein! Du hast neulich mal nach meinem neuen Festplatten-Recorder gefragt. Wenn Du gerade mal hier bist, kannst Du ihn Dir auch gleich ansehen.“

„Eigentlich wollte ich direkt nach Hause,“ überlegte Hans, „aber in Ordnung, auf die paar Minuten soll es nicht ankommen.“

Schweigend betraten sie den Hausflur. Ein ungutes Gefühl beschlich Mehrfeld, als er die Wohnungstür aufschloss. Bis auf das Plärren des Fernsehers war alles ruhig. Aus dem Wohnzimmer drang diffuses Licht.

„Eva schläft wohl schon“ murmelte Mehrfeld entschuldigend. Dann hatten sie die Wohnzimmertür erreicht. Mehrfeld setzte einen Fuß hinein und blieb wie versteinert stehen. Das konnte nicht sein! Über die hohe Sofalehne ragte der Kopf einer Frau – seiner Frau! Er hatte doch selbst gesehen, wie sie nach dem Schuss zur Seite gekippt war!

Hinter ihm fragte Hans:

„Stimmt was nicht?“

In diesem Moment erhob sich die Gestalt vom Sofa und drehte sich quälend langsam um, während sie per Fernbedienung den Fernsehton abschaltete.

„Guten Abend, mein Schatz! Ach, ich sehe, Du hast Besuch mitgebracht.“

Mehrfeld konnte kein Wort herausbringen. Eva, deren Lippen wie dünne blutrote Striche aussahen, fuhr eisig fort:

„Vorhin hattest Du es ja offenbar sehr eilig. Schade! Aber ich kann Dir versprechen, dass Du bald alle Zeit der Welt haben wirst.“

Ihre Augen blitzten ihn höhnisch an, und Hans Maien hatte das Gefühl, Medusa persönlich vor sich zu sehen.

„Du fragst Dich bestimmt, was heute schief gegangen ist?“ setzte Eva nach.

Mehrfeld spürte, wie sein Kopf nickte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

„Tja, du hast wieder mal versagt, zumindest teilweise!“

Nach einer Sekunde, in der sie Mehrfelds Erstarrung sichtlich zu genießen schien, fuhr sie fort:

„Weißt Du, ich saß nicht auf dem Sofa, als Du mich erschießen wolltest. Ich“ – sie dehnte das Wort genießerisch - “ich war gerade im Schlafzimmer!“

„Aber da war doch… aber ich hab doch gesehen…“ stammelte Mehrfeld unkontrolliert.

„Ach ja? Da war doch? Du hast doch gesehen? Richtig, ich habe auch gesehen, und zwar Dich mit Deiner Pistole!“

Eva triumphierte.

„Glaubst Du etwa, ich hätte nichts von dem Ding gewusst? Da muss ich Dich enttäuschen: ich kenne alle Deine Verstecke.“

Lauernd sah sie ihn an:

„Hast Du eigentlich schon damals geplant, mich umzubringen? Ich meine, als Du die Pistole gekauft hast? Ja? Ja? Und du hast tatsächlich vorhin den Mut gehabt, damit zu schießen?“

Vor Mehrfeld drehte sich der Raum, als sie drohend auf ihn zukam. Er versuchte krampfhaft, ihrem Blick auszuweichen. Endlich brach es aus ihm heraus:

„Verdammt noch mal, ja! Ja! Ich halte das nicht mehr aus!“

Er ließ sich auf die Knie fallen. Eva hatte sich unvermittelt entspannt, beugte sich vor und zischte ihm zu:

„Vielen Dank! Jetzt werde ich dich endlich los.“

Laut fügte sie hinzu:

„Übrigens, da möchte Dich noch jemand sprechen.“

Das Zimmer wurde schlagartig taghell, als ein Mann durch die Verbindungstür zum Schlafzimmer eintrat und auf den Lichtschalter drückte. Er ging ruhig auf Mehrfeld zu, hielt ihm kurz einen Ausweis vor die Nase und erklärte:

„Kommissar Neumann, Kriminalpolizei. Herr Mehrfeld, ich verhafte sie wegen Mordes an…“

Der Rest des Satzes ging unter, als Mehrfeld losschrie:

„Was wollen Sie denn? Wieso Mord? Da steht sie doch! Sie ist nicht tot!“

Dann brach er zusammen und ließ es willenlos über sich ergehen, dass Kommissar Neumann ihm mit geübten Griffen Handschellen anlegte. Hans Maien sah sprachlos von einem zum anderen sah und versuchte zu verstehen, was er gerade miterlebt hatte.

Der Kommissar nickte Eva kurz zu und sagte:

„Danke für Ihre Mithilfe, Frau Mehrfeld! Ohne dieses Geständnis hätten wir einige Arbeit mehr gehabt.“

Dann schob er Uwe Mehrfeld mit Nachdruck zur Wohnungstür.

Hans Maien stand wie betäubt da. Kaum zu glauben, was er eben miterlebt hatte. Schließlich stellte er seine Frage:

„Wen um alles in der Welt soll Uwe denn ermordet haben?“

Eva warf ihm einen betörenden Blick zu und entgegnete gleichgültig:

„Na wen schon! Gabi natürlich! Was für ein Glück, dass sie früher aus Hamburg zurückgekommen ist!“

 

Hallo lortzing,

und Willkommen bei KG.de!

Ein Theaterkrimi, ein Theaterkrimi! Ich steh drauf ;).

Die Geschichte lässt sich gut lesen, mir scheint, ich habe es hier nicht mit ersten "Gehversuchen" zu tun. Der Ablauf ist gut nachvollziehbar, eine durchaus angenehme Sprachwahl, kurz, der Autor führt den Leser sicher durch sein Werk.

Aber mir kommen da so Zweifel hinsichtlich des Motives. Der Typ denkt nicht zuerst an Trennung sondern entscheidet sich gleich für Mord. Streit in der Ehe, die ewigen Vorwürfe, die Freundin, dass will mir nicht so recht reichen. Jedenfalls nicht bei der Figur, wie ich sie erlebe. Entweder, so denke ich, brauchen wir hier ein bisschen mehr Zündstoff oder eine etwas "krankhafte" Persönlichkeit. Das er sich zum Beispiel bei jedem Streit in seine Mordphantasien reinsteigert, diese durchlebt und es ihm ein befreiendes Gefühl vermittelt. Das klingt kurz durch, aber mehr über den Erzähler erwähnt, als dass ich Deinen Prot. dabei erlebe. Also, ich traue Uwe Mehrfeld weder Entschluss noch Durchführung zu, so wie ich ihn erlebt habe.

Dann der Mord an sich. Echt, seine Freundin liegt im Schlafzimmer und lässt die Freundin abknallen? Warum? Warum tut sie das? Will die die denn auch loswerden? Ich meine, okay, er hat ne Waffe und sie kaum Zeit, aber sie rechnet ja damit, dass er sie umbringt, ich an ihrer Stelle hätte die Waffe schon lange durch ne Spielzeugpistole ersetzt oder ihn darauf angesprochen. So wirkt das ja, als würde sie nur darauf warten, das er es endlich tut. Also, dass sie von der Sache weiß ... schwierig, jedenfalls in der jetzigen Form.

Die Mädels ziehst Du aber ordentlich durch den Klischeekakao. Das ist echt gemein von Dir. Was haben die Dir denn getan? :D

Er würde sie umbringen! Heute!

Wie wäre es ohne den Konjunktiv? Ich bringe sie um! Heute!

„Du bescheuerter Versager! Glaubst Du, ich lasse mir von Dir mein Leben ruinieren! Hau endlich ab, und komm am besten nie wieder!“

Du klein in der wörtlichen rede. Sie bleibt groß, aber Du ist klein. Das ist mir durchgängig aufgefallen.

Ja, nette Story - aber mir sind die Figuren nicht so recht ans Herz gewachsen. Die könnten etwas mehr individuelles, mehr Charakter vertragen. Die sind so universell, so Schablonenhaft.

Ich wünsche Dir hier viel Freude. Hau rein: kommentiere, schreibe und lese! Das macht schon Spaß hier.

Beste Grüße Fliege

 

Willkommen lortzing!

Flieges Kritik kann ich mich (leider) nur anschließen, sie sagt sehr Vieles von dem, das mir auch in deiner Geschichte aufgefallen ist.

Während Fliege das Austauschen der richtigen Pistole gegen eine Spielzeugpistole erwägt, hatte ich die Idee, dass sie die Patronen gegen Platzpatronen austauscht. Immerhin könnte sie sich die ja via Theater besorgt haben. Da wird sie bestimmt auch jemand kennen, der ihr behilflich ist.
Die Aktion mit der Ehefrau im Schlafzimmer und dem Erschießen der Freundin könne auf diese Weise elegant umgangen werden.

Übrigens hatte ich bereits bei deinem Hinweis, dass beide Frauen sich gleich anziehen und fast gleich aussehen, den Eindruck, dass deine Geschichte die ganze Zeit darauf hinauslaufen sollte, dass er die Falsche erschießt.

Diesen Part könntest du allerdings stehen lassen und damit den Leser ein wenig an der Nase herumführen, weil er auf der falschen Fährte ist und am Ende weder noch umgebracht wurde.

Die sog. Pausenlösung gefällt mir auch nicht so richtig gut. Genial sind doch die Alibis, die unverrückbar Bestand haben, man aber weiß, dass da ein Trick dabei sein muss.
Dein Protagonist hat kein richtiges Alibi, denn bereits der Portier wird aussagen können, dass er weggegangen ist. Die Ermittler könnten leicht herausfinden, wie lange man gehen muss, um zu Hause anzukommen und die Zeit messen, die er benötigt, um seine Frau umzubringen.
Das sog. Alibi wäre das erste, das zusammenfiele wie ein Kartenhaus. Ich schlage vor, du denkst dir da etwas Pfiffigeres aus. Zum Beispiel, dass dein Protagonist ankündigt, dass er die Pause im Theater verbringen wird, sich dann aber verkleidet, also getarnt hinaus begibt. Er ist Schauspieler, das würde ich nutzen.

Diesen Satz fand ich unpassend:

Gabi würde freiwillig nicht aus ihrem Leben verschwinden, also musste er Eva loswerden. Endgültig.
Das ist eine höchst verquere Logik. Wenn Gabi aus dem Leben Evas verschwinden soll, dann müsste er konsequenterweise sie umbringen und nicht Eva. Ich würde den Satz anders formulieren.

Dann ist mir aufgefallen, dass du ab und zu ohne wörtliche Rede "Sie" und "Ihnen" groß geschrieben hast, scheinen mir Flusigkeitsfehler zu sein, geh doch bitte den Text daraufhin nochmals durch.
Ach und bei der Gelegenheit hau bitte auch alle Ausrufezeichen weg bis auf die in der wörtlichen Rede. :D

Der Rest des Satzes ging unter, als Mehrfeld losschrie:

„Was wollen Sie denn? Wieso Mord? Da steht sie doch! Sie ist nicht tot!“

Dann brach er zusammen und ließ es willenlos über sich ergehen, dass Kommissar Neumann ihm mit geübten Griffen Handschellen anlegte. Hans Maien sah sprachlos von einem zum anderen sah und versuchte zu verstehen, was er gerade miterlebt hatte.

Der Kommissar nickte Eva kurz zu und sagte:

„Danke für Ihre Mithilfe, Frau Mehrfeld! Ohne dieses Geständnis hätten wir einige Arbeit mehr gehabt.“

Dann schob er Uwe Mehrfeld mit Nachdruck zur Wohnungstür.

Diese ganze Passage würde ich ersatzlos streichen, weil sie die Geschichte nur in die Länge zieht und nichts Neues bringt.


Aufgefallen ist mir, dass du manchmal keine klaren Aussagen triffst. Das führt dann dazu, dass der Text teils etwas verwaschen wirkt oder sogar irritierend ist.

hatte sie anzüglich bemerkt:
Was Eva dann sagt, ist nicht anzüglich, eher anmaßend und überheblich. Anzüglich ist eher wie schlüpfrig.

Sein Entschluss ließ ihn mit einem Schlag in die Realität zurückkehren, ganz so, als sei er aus einem bösen Traum erwacht.
Was willst du mit diesem Satz sagen? Er war vorher keine Sekunde in einem bösen Traum, sondern hatte klare, wenn auch kriminelle Gedanken.

Selbst der Hauch von schlechtem Gewissen beim Gedanken an seinen Seitensprung vor zwei Jahren konnte die gute Laune nicht dämpfen, und so nickte er scherzend der rundlichen Großherzogin zu, die ihn völlig ungerührt von ihrem Sockel mitten auf dem Rasen aus betrachtete.
Ich finde zwar die Idde, dass die Großherzogin( ist es Luise?) ihn betrachtet irgendwie reizend, aber der Hinweis auf seinen Seitensprung für überflüssig. Der verwässert sein Treiben, weil ich als Leser denke:'aha, der ist also fremd gegangen und beschwert sich über seine widerliche Frau? Hat er dann ein Recht auf sie so wütend zu sein?'
Du willst doch eigentlich seinen Entschluss festigen und untermauern, aber das gelingt dir an dieser Stelle mit diesem Satz leider nicht.

Um die Herzogin zu retten könntest du vielleicht schreiben: "Selbst der Blick der Herzogin, die ihn sonst ungerührt von ihrem Sockel aus betrachtete, schien heute zu lächeln."

Doch glücklicherweise lief die Probe ohne größere Probleme ab.
glücklicherweise ? Wozu diese Aussage? Laufen die Proben sonst immer schlecht? Und wenn, wozu muss ich als Leserin das jetzt wissen?

dann warf er Pistole und Handschuhe mit Schwung mitten ins Schilf.
was er so sorgfältig vorher vermieden hatte, nämlich, dass seine Fingerabdrücke auf die Waffe gelangen, hat er nun zunichte gemacht.
Wie wärs, wenn er einen Handschuh dazu benutzt, die Waffe wegzuwerfen?

„Eva schläft wohl schon“ murmelte Mehrfeld entschuldigend.
Wieso sagt er das jetzt? Es macht keinen Sinn.


Ihre Augen blitzten ihn höhnisch an, und Hans Maien hatte das Gefühl, Medusa persönlich vor sich zu sehen.
Hier begehst du einen Perspektivwechsel, der nicht stimmig ist. Bisher wurde immer aus der Sicht deines Protagonisten geschildert. Jetzt wechselst du hinüber zum Kollegen.

„Aber da war doch… aber ich hab doch gesehen…“ stammelte Mehrfeld unkontrolliert.
stammelte Mehrfeld unkontrolliert kannst du ersatzlos streichen. Der Leser, der ja kein verblödeter Ignorant ist, weiß bereits anhand der Worte, dass es erstens Mehrfeld ist, der spricht und, dass diese keinen klaren Satz herausbringen kann.

Hans Maien stand wie betäubt da. Kaum zu glauben, was er eben miterlebt hatte. Schließlich stellte er seine Frage:
wieder der Perspektivwechsel.


„Na wen schon! Gabi natürlich! Was für ein Glück, dass sie früher aus Hamburg zurückgekommen ist!“
Bisher hattest du ohne Zweifel zu säen vorgetragen, die beiden Frauen seien Freundinnen. Wenn ich diesen letzten Satz betrachte, scheint das nicht im Geringsten der Fall zu sein. Das funktioniert so nicht. "Was für ein Glück" würde ich streichen, dann passt es halbwegs wieder. Wenn meine Freundin erschossen wird, bin ich garantiert noch Stunden danach nicht fähig, ausser Trauer etwas anderes zum empfinden. Das patzige Verhalten Evas macht also zudem noch stutzig.

Das sind soweit diejenigen Passagen anhand derer ich dir aufzeigen wollte, wo es Unstimmigkeiten gibt.

Vielleicht hast du ja Lust, deine Geschichte zu verbessern?


Lieben Gruß
lakita

 

lakita schrieb:
Dein Protagonist hat kein richtiges Alibi, denn bereits der Portier wird aussagen können, dass er weggegangen ist. Die Ermittler könnten leicht herausfinden, wie lange man gehen muss, um zu Hause anzukommen und die Zeit messen, die er benötigt, um seine Frau umzubringen.
Das sog. Alibi wäre das erste, das zusammenfiele wie ein Kartenhaus. Ich schlage vor, du denkst dir da etwas Pfiffigeres aus. Zum Beispiel, dass dein Protagonist ankündigt, dass er die Pause im Theater verbringen wird, sich dann aber verkleidet, also getarnt hinaus begibt. Er ist Schauspieler, das würde ich nutzen.

Das stimmt, das hatte ich vergessen zu erwähnen, oder ich wollt Dich nicht erschlagen, aber wo es nun schon dasteht ;).

Ich habe darüber auch nachgedacht. Und ich bin für mich zu folgender Lösung gekommen:

Er gibt vor, in der Garderobe Text zu lernen - ist ja immer beliebt - da stellt er ein Tonband an (allerdings müsste er den Mord dann längerfristig geplant haben) und verlässt das Theater über einen anderen Ausgang. Es gibt ja Rettungs- und Fluchtwege, die nicht an der Pforte vorbeigehen. So wäre mein Alibiplan. Schön laut das Tonband, damit es auch alle im Gang hören.

Und Platzpatronen zu besorgen, auch im Theater ist schwierig Lakita. Da müsste die Freundin schon ein echtes Verhältnis zum Requisiteur haben. Du glaubst nicht, was es da an Vorschriften gibt. Da wird Buch über jede einzelne geführt ;).

Lieben Gruß nochmal

 

Die Idee mit dem Textlernen in der Garderobe ist eindeutig die ausgefeiltere als meine Schlichtgestricktidee mit der Maskerade. *Fliegesideevollunterstütz*

Dass Platzpatronen so schwer zu besorgen sind, ist eine interessante Information. In der vorliegenden Geschichte wärs ja aber geradezu ideal, dass es so ist, weil Eva dann schon jetzt ein Verhältnis mit einem der Theaterplatzpatronenpatronen haben könnte. :D

Aber bevor es so aussieht als würde ich zusammen mit Fliege diese Geschichte neu schreiben, warte ich jetzt erstmal die Ansichten des Autoren ab.

Lieben Gruß

lakita

 

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