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Pauly und das verschwundene Geld
„War 'ne blöde Idee, um diese Jahreszeit hier hochzukommen“, sagte ich und schloss mit klammen Fingern die Tür ab. Kurz überlegte ich, die Taschenlampe einzuschalten, aber der Mond schien hell genug, ein klarer Sternenhimmel hatte die Sicht auf die Himalaya-Wipfel abgelöst.
Arjun lachte, zog den Reißverschluss seiner Trainingsjacke bis unters Kinn, die Schultern hoch und lief durch den Gang, der von unserem Gästehaus zur Hauptstraße führte.
„Bald geht die Saison los. Besser, früh hier zu sein, sonst sind die guten Jobs weg.“
Ich versuchte mit ihm Schritt zu halten. „Und bis dahin soll ich meine Übersetzungen mit Fäustlingen tippen?“
„Das kann sich ganz schnell ändern. Vertrau mir. Ich war schon öfter hier oben.“
„Aber ich muss ... Uuuuh …“ Wir hatten die Straße erreicht, und ein eisiger Wind fegte uns entgegen. Die Luft roch nach Schnee. Jetzt im März schien der Touristenort nur aus Läden mit dicken Vorhängeschlössern vor robusten Jalousien zu bestehen. Ich warf Arjun einen durchdringenden Blick zu.
„Da!“ Er zeigte auf ein Restaurant schräg gegenüber. Es lag im ersten Stock eines Gästehauses, durch die Fenster fiel funzeliges Licht.
„Na wenigstens verhungern wir nicht“, sagte ich, ließ die Hände in den Ärmeln meines Parkas verschwinden und lief die Treppe zur Terrasse hinauf.
Als ich die letzte Stufe erreichte, hörte ich unten jemanden schnaufen und drehte mich um. Ein kahlköpfiger Tourist um die fünfzig stapfte die Straße herauf. Die kräftigen Arme waren von oben bis unten tätowiert, unter seinem weißen Schlabber-T-Shirt zeichnete sich der Bauch ab.
„Diese verfickten Berge killen mich, mate!“, rief er einem jungen, indischen Paar auf der Terrasse zu und kickte einen Stein zur Seite. Das Paar lachte.
Arjun zog die Schiebetür zum Innenraum auf. Ofenhitze, dicke Rauchschwaden und gedämpfte Musik. Indische Wochenendtouristen in Polohemden und Hippies aus aller Welt hockten auf Matratzen vor niedrigen Holztischchen. Als mit uns ein Schwall Kälte in den Raum fegte, ging ein Quengeln durch die Reihen. Schnell zog ich die Tür hinter mir zu. Direkt daneben war eine Matratze frei.
Wir waren gerade mit dem Essen fertig, als die Tür erneut aufgeschoben wurde und der kahlköpfige Tourist mit gehetztem Blick im Raum stand. Er warf mir einen kurzen Blick zu und wandte sich an Arjun. „Ich ... ich bin ausgeraubt worden“, sagte er. Wir starrten ihn an. Er setzte sich auf den Rand der Matratze uns gegenüber, sah auf den Boden und rieb sich mit der Hand über die Glatze. „Dass mir sowas passiert, ich … ich wollte was Gutes tun.“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Ich zuckte zusammen und rückte näher an Arjun heran.
„Beruhig dich erstmal“, sagte Arjun. Der Mann atmete zitternd durch, dann stellte er sich als Pauly aus Birmingham vor und schüttelte uns die Hände.
„Bringt wohl nichts, wenn ich zu den Bullen geh“, sagte er. „Die stecken hier doch alle unter einer Decke, das bringt nichts.“
„Waren das die beiden, die eben auf der Terrasse standen?“, fragte ich.
Pauly nickte und erzählte, dass er zuerst den Mann kennengelernt hätte. Gleich zu Beginn seines Urlaubs auf einer Tranceparty in Goa. Weil er nett zu sein schien, zahlte Pauly die Drinks und lud ihn am nächsten Tag zum Essen ein.
„Ich wollte was Gutes tun“, sagte er erneut. „Die meisten Leute haben hier doch nichts.“ Wieder atmete er tief durch. Der Typ hätte sich als guter Reiseführer erwiesen, ihm in den nächsten Tagen Goa gezeigt und angeboten, für Kost und Logis mit ihm durchs Land zu fahren. In Bombay wäre auch noch die Freundin von dem Typen dazugestoßen. Die hatte auch nichts.
„Ich hab 'n Textilbusiness auf Bali“, sagte Pauly. „Geld ist kein Thema für mich, und die haben sich 'n Zimmer geteilt, also warum nicht. Gerade wollten wir bisschen chillen oben.“ Er sah kurz zur Decke. „Ich war pissen, und als ich fertig war … ja … da sind die verfickten Arschlöcher mit meiner Kohle abgehauen.“
Arjun und ich warfen uns einen Blick zu.
„Du musst vorsichtig sein, Mann“, sagte Arjun. „Gerade bei Leuten, die dich einfach so anquatschen und sich als Führer anbieten.“
Pauly sah vor sich auf den Tisch. „Karte hab ich sperren lassen, Zimmer muss ich erst zahlen, wenn ich auszieh, und ich muss … ich muss meine Angestellten anrufen, dass die mir was schicken, in einer Woche geht mein Flug nach Thailand, dann muss …“
„Mit Western Union ist das Geld in einer Viertelstunde da“, sagte ich und sah wiederholt zu einem gedrungenen Mann mit freundlichen Augen hinüber, dem das Café zu gehören schien. Er saß an einem Tisch am anderen Ende des Raumes und hatte uns seit Paulys Auftritt nicht aus den Augen gelassen. Jetzt erhob er sich und kam mit besorgtem Gesicht zu uns.
„Pauly“, sagte er. „Was ist los?“
„Die sind mit meiner Karte abgehauen, Sanjay, fünfzehntausend Pfund“, sagte Pauly, während er auf seinem iPhone herumtippte. Ich schluckte und griff nach meiner Bauchtasche.
„Die?“, fragte Sanjay.
Pauly hielt ihm die Handfläche entgegen und rief: „Hallo, hallo“ ins Telefon. Dann quälte er sich hoch und ging auf die Terrasse. Die Tür ließ er offen. Wieder ging ein Quengeln durch den Raum. Ich hörte Pauly gerade noch ins Telefon schreien, dass ihm jemand dreitausend Pfund überweisen müsse, dann zog ich die Tür mit einem Ruck zu.
„Pauly hat Textilgeschäfte auf Bali“, sagte Sanjay zu mir.
„Hab ich schon gehört“, sagte ich.
„Und drei Häuser in Australien.“
Aus der Box über mir säuselten Crosby, Stills, Nash & Young, und ich fing gerade an, mich zu entspannen, als Pauly zurückkam.
„Alles klar“, sagte er breit grinsend. „Ich geb einen aus.“ Er schob die Karte über den Tisch und forderte uns auf, auszusuchen, was wir wollten. Den restlichen Abend unterhielt er uns mit Geschichten aus seiner Zeit bei den Special Forces.
Erst mittags trotteten wir verkatert die Dorfstraße herunter, um für die nächsten Wochen einzukaufen. Die Sonne stach auf der Haut, ich war nach kürzester Zeit durchgeschwitzt. Als ich stehenblieb, um meine Jacke auszuziehen, sah ich Pauly. Er wich einer Riksha aus, lief ein Stück hinterher und schrie irgendwas. Dann erblickte er uns.
„Ich muss da hoch!“, rief er atemlos und deutete mit dem Kinn die Straße hinauf. „Ja - guckt nicht so blöd. Die Typen, die mit meiner Kohle abgehauen sind, sind in 'ner Riksha direkt an mir vorbei den Berg rauf.“ Er lachte ungläubig. „Aber … ich hab echt null Kondition mehr, mate.“ Er spuckte auf den Boden.
„Oben ist nur ein Hotel“, sagte Arjun. „Wenn du willst, können wir mit dir da hingehen.“ Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. „Einkaufen können wir auch später noch“, sagte er.
„Ihr müsst mir helfen“, sagte Pauly. „Ist echt wichtig für mich.“ Er musterte mich ungeduldig. Ich wich seinem Blick aus.
„Aber wenn du willst können wir auch ... ich meine ...“, sagte Arjun und kratzte sich hinterm Ohr. Ich seufzte und stapfte in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
Am Ende der Straße bog Arjun auf einen schmalen Pfad, der zur Spitze führte. Nach kürzester Zeit war nicht nur Pauly außer Atem. Während ich mich hinter ihm den Berg hinaufquälte, wuchs der Druck in der Brust, und mein klebrig-trockener Mund erinnerte mich immer penetranter daran, dass wir kein Wasser dabei hatten. Die Sicht auf die frisch gepuderten Wipfel hätte mich sicher ablenken können, aber der Himmel war viel zu blau, und gleißendes Licht ließ mich den Blick wieder auf den Pfad senken. Keine Ahnung, warum ich mir eingeredet hatte, eine Verbrecherjagd könne spannender sein als einkaufen zu gehen. Alles war besser, als mir in ballernder Sonne den Schweiß aus den Augen zu wischen, nur damit sich Paulys Arschfalte erneut in aller Dankbarkeit herausschälte. Ich klatschte mir eine Fliege aus dem Nacken.
Als erstes sah ich den kleinen Tempel, der am Rand des Plateaus stand. Arjun blickte zum Eingang, legte die Handflächen aneinander, deutete eine Verbeugung an und wartete dann auf uns. Ich hörte Pauly „Boah“ rufen und pumpte die letzte Kraft aus mir heraus. Selbst wenn es da oben kein Wasser gäbe - die Aussicht würde mich Durst und Schweiß vergessen lassen.
Der Durst war tatsächlich weg und den Schweiß spürte ich nicht mehr, als ich das Plateau überblickte. Vor mir lag eine riesige Hotelanlage. Sie füllte die gesamte Fläche aus.
Wir betraten die grau geflieste Halle. In der Mitte stand eine Zimmerpalme in einem großen Tontopf und trocknete vor sich hin. An der Rezeption wurden wir von einem Jungen in Pagenuniform vor einem vollen Schlüsselbrett begrüßt. Er bot uns Wasser an und fragte, ob wir ein Zimmer wünschten. Pauly schüttelte den Kopf und erzählte, warum wir hier waren.
„Tut mir leid, Sir“, sagte der Page. „Wir haben im Moment keine Gäste.“
„Das kann nicht sein“, sagte Pauly.
Der Junge blätterte im Gästebuch, schob es zu Pauly herüber und zeigte auf den letzten Eintrag. Dritter Februar. Ohne ein weiteres Wort marschierte Pauly auf den Eingang zu.
„Wo willst du hin?“, rief Arjun.
„Ganz rauf“, sagte Pauly.
Der Weg endete an einer Talschneise. Pauly sah sich mit zuckenden Kopfbewegungen um, dann blieb er am Rand stehen. Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und blickte über das matschgrüne Tal. Ich stoppte hinter ihm, stützte mich auf den Knien ab und japste nach Luft. Pauly gab keinen Laut von sich.
„Vielleicht - sind sie wieder zurückgefahren“, stieß ich hervor.
„Nein, ich stand die ganze Zeit auf der Straße und hab alle Rikshas angehalten“, sagte Pauly, ohne sich umzudrehen. „Die müssen hier noch irgendwo sein.“
„Aber der Weg ist hier zu Ende, und du willst doch nicht die ganzen Wälder nach denen absu...“
„Schsch.“ Pauly hob die Hand, fuhr herum und sah mich an wie einen Kinobesucher, der an der spannendsten Stelle mit der Chipstüte raschelt. „Die haben sich versteckt.“ Er blickte wieder in die Ferne. Arjun sah zu mir herüber, drehte den Zeigefinger vor der Schläfe und lachte lautlos. Ich grinste ebenfalls und wollte ihm gerade zuflüstern, dass wir umkehren sollten, als er aufsprang und an mir vorbei auf die Kante zuschoss. Ich wich zurück und schlug mir die Hand vor den Mund. Pauly stützte sich an einem Felsbrocken ab, ein Bein bereits im Abgrund.
„Jetzt reiß dich mal zusammen, Mann“, rief Arjun und packte Paulys Arm. „Die können hier doch unmöglich runter.“
Pauly schien einen Augenblick nachzudenken.
„Die können überall sein“, sagte Arjun.
„Hast Recht“, sagte Pauly. „Lass uns umkehren.“ Er marschierte los. Am Hotel blieb er kurz stehen und steuerte dann auf den Eingang zu. Arjun begann zu laufen.
Beim Aufdrücken der Glastür mit dem Schriftzug: Himalayan Views sah ich, dass der Page Pauly verständnislos anblickte. Dann sah er zu Arjun und mir. Ich zuckte die Schultern und gab Arjun ein Zeichen hinter Paulys Rücken, dass ich jetzt los wolle. Pauly drehte sich um.
„Ich muss den wohl schmieren“, sagte er zu Arjun, fummelte an der Tasche seiner Jogginghose und zog eine Stange Charras hervor, das beste Haschisch Indiens. Sie war lang und breit wie eine schwarze Havana. Der Junge sah abermals von einem zum anderen. Arjun trat einen Schritt vor, drückte Paulys Arm runter und zischte: „Pack das weg. Und jetzt komm.“
„Was hat der denn genommen?“, raunte ich Arjun aus dem Mundwinkel zu, als wir erneut hinter Pauly hertrotteten.
Arjun grinste. „Scheinst ja doch Geld zu haben“, rief er Pauly zu.
„Ach“, Pauly winkte ab. „Ich hab dir doch gesagt, ich hab die schon dreimal angerufen, aber bis jetzt ist noch nichts passiert.“
„Kannst ja mal einen drehen“, rief Arjun.
Diesmal achteten wir nicht auf das Gequengel. Pauly schob uns abermals die Karte über den Tisch.
„Chicken Masala“, sagte Arjun, ohne einen Blick darauf zu werfen. Pauly sah mich fragend an.
„Hab grad keinen Hunger“, sagte ich und rieb mir die Füße.
„Nun komm“, sagte Pauly. „Ich kann das auf die Rechnung setzen.“
Ich schüttelte den Kopf. Er zuckte die Achseln, wiederholte nochmal Arjuns Bestellung und verschwand hinter einem geblümten Vorhang in die angrenzende Küche.
„Wir können hier nicht dauernd auf Paulys Kosten essen“, sagte ich.
„Wieso denn nicht?“ Arjun lehnte sich in die Kissen zurück, verschränkte die Arme hinterm Kopf und legte seinen rechten Fuß auf dem linken Knie ab. „Ich hab grad keinen Job, und du bist auch nicht gerade reich — der kann sich das doch leisten.“
„Trotzdem. Ich mag sowas nicht. Und ihm sind grad fünfzehntausend Pfund weggekommen.“
Arjun lachte. „Da kommt’s ja auf zehn Pfund mehr auch nicht mehr an.“
Ich stieß ihn in die Seite, weil Pauly aus der Küche kam. Im Vorbeigehen informierte er uns, dass er zum Western Union ginge und verschwand die Treppe hinunter.
Erst als Arjun den leeren Teller von sich schob, kam er zurück, grinste verschwörerisch und legte drei Stangen Charras auf den Tisch. Arjun blickte sich um, obwohl außer uns niemand da war.
„Das sind ja mindestens dreißig Gramm“, zischte er. „Wie willst du das denn alles rauchen in einer Woche?“
„Das ist weich wie Lakritz“, sagte Pauly. „Hier, riech mal.“
„Geld da?“ Sanjay trat hinter dem Vorhang hervor und wischte sich die Hände daran ab.
Paulys Gesicht wurde ernst, er schüttelte den Kopf. „Ich bin da eben runter und ...“ Mehr verstand ich nicht, denn Arjuns Lippen waren plötzlich an meinem Ohr. „Wenn wir dranbleiben, schenkt er uns zum Abschied vielleicht sein Dope“, raunte er mir zu. „Dann können wir im Bett bleiben bis die Saison losgeht.“
Als ich erwachte, wurde es gerade hell. Am ganzen Körper zitternd, zog ich einen Teil der Wolldecke zu mir herüber, in die Arjun sich eingewickelt hatte. Er schmatzte, drehte sich mit dem Gesicht zu mir und ließ den Kopf unter der Decke verschwinden. Seine Hände tasteten nach meinen Hüften und zogen mich hinunter, bis ich in seiner Achselhöhle lag. Die Nase in seiner Brust vergraben, schloss ich die Augen, sog seinen Geruch ein und spürte die Wärme durch meinen Körper fließen. Wenige Augenblicke später kämpfte ich mich unter der Decke hervor und rang nach Luft. Ich zog eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Nachttisch, drehte mich auf den Rücken und starrte in das fahle Morgenlicht. In vier Tagen musste die Übersetzung für Ochs & Co fertig sein, sonst gäbe es kein Geld. Durch die Watte im Kopf drang Vogellärm. Nach ein paar Zügen drückte ich die Zigarette aus. Sie schmeckte ekelhaft.
„Liebste, lass mich nicht allein“, rief Arjun, als ich die Tür hinter mir zuzog. Nach kurzem Zögern marschierte ich in den schmalen Gang. Luft. Sie war kalt, aber wenn ich einmal um den See herumlief, würde ich bestimmt klarer im Kopf sein.
Als ich die Straße erreichte, sah ich Sanjay auf die Terrasse des Restaurants treten. Er steckte die Fäuste in die Taschen seiner engen, schwarzen Lederjacke, blickte auf die Straße hinab und zog kurz die Schultern hoch. Mit einem Schritt war ich wieder im Gang und presste meinen Rücken an die Mauer. Bloß nicht reden müssen jetzt. Ich trat auf der Stelle, hauchte mir in die Hände und lugte um die Ecke, bis ich mir albern dabei vorkam. Sanjay sah auf die Straße. Ich beschloss gerade, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, als sich die Tür abermals öffnete und Pauly erschien. Die Hände auf dem Rücken, blieb er an der Brüstung stehen, wippte auf den Zehenspitzen und sah ebenfalls auf die Straße. Dann sagte er etwas. Sanjay blickte sich kurz um, zog ein Portemonaie aus der Innentasche seiner Jacke und drückte Pauly einen Batzen Scheine in die Hand. Wieder presste ich mich an die Mauer. Nach einer Weile spähte ich zur Terrasse hoch. Sie waren verschwunden.
„Bist du sicher?“, fragte Arjun.
„Ganz sicher. Sanjay gibt Pauly Geld. Die sind in irgendwelche Drogengeschäfte verwickelt, ist doch logisch.“
Arjun sah mich nachdenklich an. „Glaubst du ihm eigentlich, dass er drei Häuser in Australien hat?“, fragte er.
„Ich glaube, der ist einfach kacknaiv.“
„Fast acht. Komm, lass uns drüben frühstücken gehen. Vielleicht finden wir irgendwas raus.“
Das Café war leer, neben der Tür stand eine Reisetasche. Arjun saß neben mir und rieb sich über die Knie. Er spekulierte immer noch auf Paulys Dope, aber inzwischen hatte auch ich meine Zweifel, dass noch was übrigblieb.
Pauly polterte herein, ließ seine Pranke auf Arjuns Schulter niederfahren und rüttelte daran. Arjun sah zu mir herüber und zog ein gespielt schmerzvolles Gesicht.
„Kohle ist auf'm Weg“, sagte Pauly. „Meine Sekretärin hat's bestätigt.“ Die beiden klatschten die Handflächen aneinander. „Ich hau heute schon nach Delhi ab.“
„Jetzt schon?“, fragte Arjun.
„Brauch 'nen neuen Pass. Der alte ist nass geworden.“
Ich schnappte nach Luft. „Du kannst doch mit 'nem Notfall-Pass nicht nach Thailand fahren! Oh, nee, also …“ Arjun legte mir die Hand auf den Unterarm. Seine Augen leuchteten, als Pauly sich in die Hosentasche griff. Er zog eine zerfledderte Schachtel Marlboro hervor, eine Zigarette heraus und fragte ihn nach Feuer. „Ey Sanjay!“ Er hob die Hand, sah zur Tür. „Ich überweis dir die Kohle gleich, wenn ich in Delhi bin.“
Sanjays Gesicht erhellte sich, er zückte sein Portemonaie direkt bei uns am Tisch und gab Pauly ein paar Scheine. „Das ist für die Fahrt, und für den Rest kannst du essen und dir ein Hotelzimmer nehmen.“
Ich sah zu Arjun hinüber.
„Marlboro“, raunte er mir zu. „Westzigaretten sind teuer. Wieso geht er nicht jetzt zum Western Union?“
„Er hat doch keinen Pass, der Idiot.“
„Danke“, hörte ich Pauly zu Sanjay sagen. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir für die ganze Hilfe danken soll, ich …“ Er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Du kannst in dem Hotel bleiben, wo mein Cousin arbeitet“, sagte Sanjay und legte die Hand auf Paulys Schulter. „Ich hab ihn schon angerufen. Er holt dich vom Bus ab.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „Jetzt müssen wir aber los. Ich hol das Motorrad und bring dich zum Busbahnhof.“
Pauly nickte. „War cool mit euch“, rief er Arjun und mir zu, schüttelte uns die Hände. „Vielleicht sieht man sich ja irgendwann nochmal.“ Er schnappte sich die Reisetasche. Kurz darauf hörten wir eine alte Enfield knattern. Der Auspuff knackte und knallte, als würde er Platzpatronen husten.
„Yes! Geschafft!“, rief ich, als ich vier Tage später neben Arjun im Café saß und den Laptop zuklappte. „In ein paar Tagen gibt's Geld.“ Ich sah ihn erwartungsvoll an. Er hatte die letzten Stunden schlecht gelaunt neben mir gesessen und es bereut, in der Vorsaison hier hochgekommen zu sein. Es würde noch ewig dauern, bis er was zu tun bekäme, sagte er. Ich rollte mit den Augen und machte mich auf den Weg zum Klo. Bei meiner Rückkehr saß Sanjay an unserem Tisch.
„Gibt's Neuigkeiten von Pauly?“, fragte ich.
Er wiegte den Kopf hin und her. „Mein Cousin meinte, dass er sich ein Zimmer mit Klimaanlage genommen und nur geschlafen hat. Er hat das Hotel zwei Tage nicht verlassen. Dann hat er ausgecheckt.“
„Ohne Pass wird er nicht weit kommen“, sagte ich.
„Ein paar Stunden später hat er mich aus irgendeinem Telefonladen angerufen. War jedenfalls nicht seine Handynummer. Er meinte, er kann das Geld innerhalb des Landes nicht mit Western Union schicken. Er schickt es aus Thailand.“
Triumphierend sah ich zu Arjun hinüber. „Ich sag doch, der ist kacknaiv. Mit 'nem Notfall-Pass nach Thailand. Alles klar. Er muss …“
In dem Moment ging die Tür auf und ein junges, indisches Paar kam herein. Sanjay sprang auf, ging zu den beiden hinüber und begrüßte sie herzlich.
Ich stieß Arjun in die Seite. „Das sind doch die, die Paulys Geld geklaut haben“, flüsterte ich. „Unglaublich, dass die sich hier noch blicken lassen.“
Arjun sah mich verständnislos an. „Na, weißt du nicht mehr? Die da auf der Terrasse rumstanden, als wir Pauly zum ersten Mal gesehen haben.“
„Die? Nee. Die haben den Gemischtwarenladen. Die Straße runter. Da sind wir doch schon hundert Mal dran vorbeigelaufen.“
Ich winkte ab. Sanjay reichte den beiden die Karten und kam zurück an unseren Tisch.
„Das ist das Paar, von dem Pauly abgezockt wurde“, sagte ich.
„Die?“ Sanjay lachte. „Niemals. Das sind enge Freunde von mir, hier aus dem Dorf.“
„Ist das nicht das Paar, das mit Pauly gekommen ist?“
„Pauly ist alleine hier angekommen“, sagte Sanjay. „Er hat von einem Paar erzählt, aber gesehen habe ich die nie.“