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Otto und der Hering
Ein kurzes Pochen, dann öffnete sich die hohe Tür und ein Mann huschte durch den Spalt. Die steifen Bewegungen, mit denen er sich in Richtung des schweren Schreibtisches bewegte, wurden durch seinen eng anliegenden Gehrock, den hohen bis zum Kinn ragenden Kragen sowie dem akkuraten Mittelscheitel unterstrichen.
Abwartend verharrte er vor dem Arbeitsmöbel.
„Was gibt´s, Friedrich?“
Der Patriach hinter dem Schreibtisch hatte seinen bulligen Kopf gehoben, auf dessen Haupt die Glatze von einem grauen Haarsaum umkränzt wurde. Unter buschigen Brauen hervor traf den Eindringling ein durchdringender Blick. Beim Sprechen vibrierte leise der an den Mundwinkeln herabhängende Seehundbart.
Friedrich verbeugte sich leicht und streckte die Hand mit dem silbernen Tablett entgegen.
„Eine dringende Depesche für Euch, Durchlaucht“ erklärte er, um sogleich zu ergänzen: „Von seiner Majestät!“
„Danke, Friedrich.“ Mit einer Handbewegung war der Privatsekretär entlassen.
Vorsichtig betrachtete der Reichskanzler das Kuvert, bevor der das kaiserliche Siegel erbrach.
Dann rückte er sein Monokel zurecht und las:
„Berlin, den 20. März 1890.
Lieber Otto,
du hast dir nicht nur große Verdienste um die Einigung Preußens und des Deutsches Reiches erworben, sondern auch erfolgreich die Dänen aus Schleswig-Holstein verjagt und den Ösis die Tür gewiesen. Der gewonnene Krieg gegen Frankreich hat dich schließlich veranlasst, in Versailles meinen Vorfahren, Wilhelm I., zum Deutschen Kaiser auszurufen. Damit ist der Name dieser Stadt unlöschbar als Ort Deutschen Triumphes festgeschrieben.
Unzweifelhaft sind deine Verdienste als Reichskanzler, in der Außen- und Handelspolitik.
Das führte letztlich auch dazu, dass du nicht dem Parlament, sondern nur dem Kaiser verantwortlich warst.
Deine Erfolge um die Einigung und Industrialisierung unseres Landes unter preußischer Führung sind unbestritten, selbst deinen Streit mit den Sozialisten habe ich dir nicht übel genommen, auch nicht den Kulturkampf mit der Ausdünnung der kirchlichen Rechte.
Nur mit der allgemeinen Sozialversicherung hast du etwas in die Wege geleitet, was noch im übernächsten Jahrhundert das Deutsche Volk intensiv beschäftigen, ja sogar verunsichern wird.
Da wir hierüber keine Einigkeit erzielen können, entbinde ich dich, lieber Otto, mit dem heutigen Tag von deinen Pflichten als Reichskanzler.
Für deinen beschaulichen Lebensabend wünsche ich dir alles Gute.
Dein Willi“
Wütend warf der Fürst das Papier auf den Tisch.
„Diese armselige Kreatur“, schimpfte er, „möchte als Lichtgestalt aus den Schatten seiner englischen Großtante heraus und die Vormachtstellung in Europa antreten. Dieser Nichtsnutz wird mit seiner Großmannssucht bestimmt als Käseroller enden.“
Er klingelte nach seinem Privatsekretär und beschied diesem, dass er noch heute aus Berlin abreisen werde. Heim sollte es gehen, auf das Gut Friedrichsruh mitten im Sachsenwald, sein persönliches Eigentum und das größte Waldgebiet im geliebten Schleswig-Holstein.
„Doch zuvor, Friedrich, möchte ich gerne speisen. Sofort und unverzüglich.“
Der Privatsekretär nickte.
„Sehr wohl, Durchlaucht. Wunschgemäß hat der Koch frischen Hering vom Markt besorgt und diesen in einer Marinade aus Essig, Zwiebeln, Senfkörnern und Lorbeerblättern eingelegt. Ich fürchte, der Herr Reichskanzler wird sich noch ein wenig gedulden müssen, bis der Fisch gebraten ist. „
„Nein!“ Des Fürst Antwort donnerte dem Sekretär entgegen.
„Die Abreise duldet keinen Aufschub. Wenn der Fisch eingelegt ist, so werde ich ihn eben roh verspeisen. Die Marinade muss als Würze reichen.“
„Nun“, dachte sich Friedrich, „wenn es denn sein Wille ist... Ich fürchte, sein Name wird auf ewig mit dem Verspeisen von rohem Hering verbunden bleiben.“
Otto von Bismarck: Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.