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Otto und der Hering

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19.06.2002
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Otto und der Hering

Ein kurzes Pochen, dann öffnete sich die hohe Tür und ein Mann huschte durch den Spalt. Die steifen Bewegungen, mit denen er sich in Richtung des schweren Schreibtisches bewegte, wurden durch seinen eng anliegenden Gehrock, den hohen bis zum Kinn ragenden Kragen sowie dem akkuraten Mittelscheitel unterstrichen.
Abwartend verharrte er vor dem Arbeitsmöbel.
„Was gibt´s, Friedrich?“
Der Patriach hinter dem Schreibtisch hatte seinen bulligen Kopf gehoben, auf dessen Haupt die Glatze von einem grauen Haarsaum umkränzt wurde. Unter buschigen Brauen hervor traf den Eindringling ein durchdringender Blick. Beim Sprechen vibrierte leise der an den Mundwinkeln herabhängende Seehundbart.
Friedrich verbeugte sich leicht und streckte die Hand mit dem silbernen Tablett entgegen.
„Eine dringende Depesche für Euch, Durchlaucht“ erklärte er, um sogleich zu ergänzen: „Von seiner Majestät!“
„Danke, Friedrich.“ Mit einer Handbewegung war der Privatsekretär entlassen.
Vorsichtig betrachtete der Reichskanzler das Kuvert, bevor der das kaiserliche Siegel erbrach.
Dann rückte er sein Monokel zurecht und las:

„Berlin, den 20. März 1890.

Lieber Otto,

du hast dir nicht nur große Verdienste um die Einigung Preußens und des Deutsches Reiches erworben, sondern auch erfolgreich die Dänen aus Schleswig-Holstein verjagt und den Ösis die Tür gewiesen. Der gewonnene Krieg gegen Frankreich hat dich schließlich veranlasst, in Versailles meinen Vorfahren, Wilhelm I., zum Deutschen Kaiser auszurufen. Damit ist der Name dieser Stadt unlöschbar als Ort Deutschen Triumphes festgeschrieben.
Unzweifelhaft sind deine Verdienste als Reichskanzler, in der Außen- und Handelspolitik.
Das führte letztlich auch dazu, dass du nicht dem Parlament, sondern nur dem Kaiser verantwortlich warst.
Deine Erfolge um die Einigung und Industrialisierung unseres Landes unter preußischer Führung sind unbestritten, selbst deinen Streit mit den Sozialisten habe ich dir nicht übel genommen, auch nicht den Kulturkampf mit der Ausdünnung der kirchlichen Rechte.
Nur mit der allgemeinen Sozialversicherung hast du etwas in die Wege geleitet, was noch im übernächsten Jahrhundert das Deutsche Volk intensiv beschäftigen, ja sogar verunsichern wird.
Da wir hierüber keine Einigkeit erzielen können, entbinde ich dich, lieber Otto, mit dem heutigen Tag von deinen Pflichten als Reichskanzler.
Für deinen beschaulichen Lebensabend wünsche ich dir alles Gute.

Dein Willi“

Wütend warf der Fürst das Papier auf den Tisch.
„Diese armselige Kreatur“, schimpfte er, „möchte als Lichtgestalt aus den Schatten seiner englischen Großtante heraus und die Vormachtstellung in Europa antreten. Dieser Nichtsnutz wird mit seiner Großmannssucht bestimmt als Käseroller enden.“
Er klingelte nach seinem Privatsekretär und beschied diesem, dass er noch heute aus Berlin abreisen werde. Heim sollte es gehen, auf das Gut Friedrichsruh mitten im Sachsenwald, sein persönliches Eigentum und das größte Waldgebiet im geliebten Schleswig-Holstein.
„Doch zuvor, Friedrich, möchte ich gerne speisen. Sofort und unverzüglich.“
Der Privatsekretär nickte.
„Sehr wohl, Durchlaucht. Wunschgemäß hat der Koch frischen Hering vom Markt besorgt und diesen in einer Marinade aus Essig, Zwiebeln, Senfkörnern und Lorbeerblättern eingelegt. Ich fürchte, der Herr Reichskanzler wird sich noch ein wenig gedulden müssen, bis der Fisch gebraten ist. „
„Nein!“ Des Fürst Antwort donnerte dem Sekretär entgegen.
„Die Abreise duldet keinen Aufschub. Wenn der Fisch eingelegt ist, so werde ich ihn eben roh verspeisen. Die Marinade muss als Würze reichen.“
„Nun“, dachte sich Friedrich, „wenn es denn sein Wille ist... Ich fürchte, sein Name wird auf ewig mit dem Verspeisen von rohem Hering verbunden bleiben.“

Otto von Bismarck: Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.

 

Hallo Hannes!

Nach den Würsten bekommt der Leser jetzt auch erklärt, wei das mit dem Hering so war... :D

Ich habe Deine kurzweilig Geschichte gern gelesen. Serh interessant fand cih Deine Sprache, den Stil: einerseits voll "alter" Worte, Forumulierungen und leicht umständlich, auf der anderen Seite aber sehr locker und tiels im Kontext recht witzig. (z.B. : "Dein Willi“", "und den Ösis die Tür gewiesen" "Dieser Nichtsnutz wird mit seiner Großmannssucht bestimmt als Käseroller enden.“) :D
Insgesamt flüssig und unterhaltsam geschrieben, mit einer interessanten Mischung aus Stil und Sprache. :)
Fehler hab ich keine gefunden.

schöne Grüße
Anne

 

Ehrenwerter Herr!

Hiermit möchte ich Ihnen verkünden, das Ihre Wortgewandheit nun nicht zu tadeln ist. Höchst erfreut erblickte ich diese Zeilen und muß hüstelnd gestehen: Echt goil!

LG Joker

 

Hallo Anne,
hallo Joker,

ein artiges Dankeschön für eure Kritik, zumal auch noch zum Schmunzeln von Anne in eine "Bildergeschichte" eingekleidet.

Ihr habt Recht, die gewählte Sprache passt nicht in "unseren Alltag", obwohl ich vermute, dass Otto und seine Zeitgenossen sich möglicherweise so unterhalten haben. Als Schreiberling bereitet es mir ein stilles Vergnügen, einmal in eine andere Sprachwelt einzutauchen und sich dabei ungeniert hölzern zu bewegen. Würden wir diesem Verlangen in der täglichen Gegenwart nachgeben, würden wir sicher genauso "doof" erscheinen wie Otto, der seinen Fisch roh verspeiste.

Liebe Grüße aus Münster
Hannes

 

Hallo Hannes,

tut mir leid, dir das wieder mal antun zu müssen, aber deine Geschichte gefällt mir inhaltlich so gar nicht. Erstmal ist mir als störend aufgefallen, dass der Reichskanzler von Ösi redet, ich glaube das tat man damals nicht.

Was mir aber am meisten nicht gefällt, ist deine Art mit dem Hering umzugehen. :rolleyes:
Wieso legt der Koch die Heringe erst in eine Marinade, um sie dann später zu braten? Man brät die Heringe frisch, also ausgenommen, mit Salz gewürzt und höchstens leicht mit Mehl bestäubt in viel heißem Fett in der Pfanne.
Sie vorher zu marinieren ist gewiss auch in der damaligen Zeit unüblich gewesen.
Man kann sie dann noch schlicht in sauer einlegen, das wäre quasi eine Kaltgarmethode und das braucht dann, insoweit stimmt deine Geschichte inhaltlich wieder, etwas Marinierzeit, weil die Säure erst in den Fisch ganz eindringen muss.
Und dann gibt es noch die Pökelmethode, also den Matjes bzw. Salzhering.
Ich denke, dein Plot hängt also an dieser Stelle inhaltlich. Klär mich auf, wenns damals anders gewesen ist mit den Heringen.
Dann geht es weiter. Der Sekretär wird sich eine derartige Frechheit gegenüber dem Reichskanzler nie erlaubt haben, eine solche Wertung über sein Eßverhalten zu äußern. Er wird es gedacht haben, aber gesagt? Bestimmt nicht.
Du hast selbst den Satz als Gedanke es Sekretärs benannt gehabt, machst dann aber die wörtliche Rede draus.
Und der letzte Satz steht derartig unzusammenhangslos zur Geschichte, dass ich den Eindruck hatte, du hattest keine Puste mehr, die Geschichte auf deine übliche humorige HannesNygaardweise zu beenden, aber der Satz sollte noch dringend mit rein, nur deswegen steht er da.
Also, lieber Hannes, die Geschichte sollte aus meiner Sicht eine viel fulminanteres Ende erhalten.
Wie wäre es denn z.B. , wenn der Kanzler beschließt auf der Stelle abzureisen, aber noch vorher zu speisen. Die Küche aber kalt ist, also keine Herdstelle angefacht worden ist und es unverhältnismäßig lang dauern würde, bis Feuer gemacht wäre, der Kanzler also kalt essen muss. Der Koch in seiner Verzweiflung, weil er hört, der Tross geht nach Friedrichsruh, er aber mit den Heringen, weil sie frisch sind, nicht so einfach auf der Fahrt rumhökern kann, verfällt auf die Idee, sie in sauer einzulegen, weil er sich denkt, dass man das mal ausprobieren könnte, mit den Gewürzgurken tut man es ja auch. Deswegen verwendet er dieselben Zutaten, nämlich Essig, Zwiebeln und Senfsaat. Gerade als die Heringe in der Marinade liegen, will der Kanzler essen und so ...du verstehst?

Ansonsten, lieber Hannes, kann ich dir wie immer nur sagen, dass deine Art zu schreiben, eine sehr gute stimmige Atmosphäre zu schaffen vermag. Das gefällt mir gut an all deinen Geschichten. So auch hier.

Lieben Gruß
elvira

 

Hallo Jo,

danke für deine Kritik. Es stimmt natürlich, dass er auch in der Vergangenheit "klingelte".

Tja, und den Inhalt des Briefes könnt eman natürlich statt in "Tüttelchen" auch kursiv darstellen... Aber - irgendwie - wollte ich ihn vom restlichen Text absetzen.

Liebe Grüße aus Münster
Hannes

 

Hallo Lukas,

herzlichen Dank für deine interessante Aufklärung hinsichtlich des Originaltextes. Du hast Recht, wenn du vermutest, dass es mir nicht um die bis zum letzten Punkt authentische geschichtliche Darstellung geht. In allen meinen kg´s habe ich geschichtliche Eckpunkte um deiner eigenen Fantasie entprungener Abläufe erweitert und zu (hoffentlich) zum Schmunzeln anregende Geschichtchen verwoben.

Natürlich hätte "Majestät" sich die eines solches Tones bedient, weder von Ösis gesprochen noch davon, die Dänen verhauen zu haben. Ebenso hätte er zu keiner Zeit "Lieber Otto" geschrieben oder mit "dein Willy" gezeichnet.

Nun ja, dass Bismarck gut bei mir abschneidet hängt vielleicht damit zusammen, dass ich ihm die (angedichtete) Erfindung des Herings hoch anrechne.

Lieben Gruß aus Münster
Hannes

 

Liebe Elvira,

du hast dir wieder einmal viel Mühe mit deiner Kritik und der - sicher notwendigen - Aufklärung rund um den Hering gegeben.

Dazu gibt es meinerseits nichts zu ergänzen. Es stimmt natürlich alles, was du zur Zubereitung ausgeführt hast. Lediglich in einem Punkt, den du aber nicht kennen kannst, habe ich Recht. Bismarck (und nur er), hat den Hering in der von mir beschriebenen "ungewöhnlichen" Zubereitungsweise (erst marinieren, dann braten) genossen. Wir machen es heute umgekehrt (beim Brathering).

Und genausowenig habe ich Verhalten und Gedanken der Subalternen historisch exakt dargestellt (s. hierzu auch die Anmerkungen zum "Brief" weiter oben). Das entspricht aber der Linie in allen meinen Geschichten zu diesem "Themenkomplex".

Bleibt zu guter Letzt das Bismarche (Original-) Zitat zur Wurst und den Gesetzen: Ich fand es einfach nachdenkenswert und wollte es den Lesern nicht vorenthalten. Und wenn "man" jetzt über die Herkunft des Bismarckherings aufgeklärt ist, so dachte ich mir, kann ein wenig staatsbürgerliche Aufklärung auch nicht schaden. Schließlich gehörten alle drei (Hering, Wurst und Gesetze) gemeinsam in die Kategorie der schwer verdaulichen Dinge.

Liebe Grüße an die Alster
Hannes

 

Gut, liebster Hannes,
die Kröte, dass Bismarck perverserweise die vorher in sauer gelegten Heringe noch gebraten gegessen hat, die schluck ich mal, ich weiß darüber nix, erfahre es erst jetzt.
Aber selbstredend hat mich der Bismarckhering nicht losgelassen und ich habe im Internet herausgefunden, dass das Originalrezept für Bismarckheringe aus Rügen von Herrn Wiechmann stammt, der es wohl als erster erfunden und publik gemacht haben soll und der seinem verehrten Kanzler dann ein Fäßchen voll davon schickte.
Bismarck soll sich bedankt sowie gefreut haben und als dann wohl nochmals später ein Fäßchen geschenkt wurde, bat Wiechmann darum, diese Heringe Bismarckheringe nennen zu dürfen. Dies wurde ihm schriftlich !!! bewilligt.
Aber das tut deiner Geschichte keinen Abbruch, denn, wie du selbst einräumst, soll sie nicht authentisch sein. :)

Lieben Gruß
elvira

 

Liebe Elvira,

natürlich hast du Recht - die Entstehung des Bismarckherings, so wie ich sie dargestellt habe, ist ausschließlich meiner Fantasie entsprungen.

Herzlichen Dank für die korrekte Aufklärung des Rätsels, die nicht minder interessant ist.

Liebe Grüße
Hannes

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Hannes,
eine amüsante Geschichte, die mir sehr gefallen hat. Auch die Sprache finde ich toll, aber hier an dieser Stelle musste ich wirklich lachen, selbst wenn man das früher so ausgedrückt haben mochte.

Vorsichtig betrachtete der Reichskanzler das Kuvert, bevor der das kaiserliche Siegel erbrach
:rotfl: hat er das Siegel nun erbrochen :sick: oder zerbrochen.
Die Idee, die Deiner Geschichte zu Grunde liegt, finde ich witzig, egal ob sie nun authentisch ist oder nicht. Wo bleibt denn da die Fantasie, wenn man alles so schreibt , wie es ist, war oder wird?
Fazit: Spritzig-amüsant und absolut lesenswert. :D
Liebe Grüße, Susie

 

Hallo Susie,

herzlichen Dank für deine freundlichen Worte.

Stimmt! Es klingt heutzutage etwas merkwürdig, aber er "erbrach" wirklich das Siegel. selbst wenn man sich (heute) schmunzelnd vorstellen mag, dass er es zuvor probiert haben könnte... aber lassen wir das lieber.

Liebe Grüße aus Münster
Hannes

 

Moin Jynx,

vielen Dank für deine kritischen und aufmerksamen Anmerkungen.

Ich habe auch überlegt, den Beitrag unter "Historik" zu veröffentlichen, mich allerdings davor gescheut, anbetracht der Diskussion um Pisa ein mit zu sehr der Realität entwichenen Fragmenten durchsetzten Text in dieser Rubrik zu veröffentlichen.

Deine Vorschläge sind sehr interessant und nachdenkenswert. Sie sind mit Sicherheit alle nahtlos umsetzbar. Ich habe -besondern im Brieftext - den Spagat zwischen "altertümlicher" und flapsiger Formulierung gewagt und dieses als reizvoll empfunden. Natürlich wäre es genauso interessant, den kompletten Brief "leger" zu gestalten. Da stimme ich dir zu.

Ebenso ist dein Vorschlag zur Formulierung" an- und eintreten" nachdenkenswert.

Ein artiges Dankeschön für deine Mühe und ein fröhlicher Gruß aus Münster
Hannes

 

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