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One-Night-Stand
One-Night-Stand
Niklas hörte plötzlich auf, sich auf Nadja zu bewegen. Stattdessen weiteten sich seine Augen.
„Was ist los mit dir?“
Betroffen blickte er nach unten, wo ihre Körper eins waren.
„Hallo!“, rief Nadja. „Entschuldige, wie war dein Name - Nick, Nick was?“ Agil schnippte sie mit den Fingern um seine Nase herum.
„Niklas.“ Den Mann, der sie so entsetzt anschaute, kannte sie erst seit ein paar Stunden, und formal gesehen hatten sie sich einander noch nicht vorgestellt.
„Aha. Angenehm, Nadja. Nun, Niklas: Was ist?“
Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Ich bin gekommen“, sagte er.
„Was?“ Sie stützte sich auf ihre Ellbogen hoch.
Niklas kippte zur Seite. „Oh Gott.“
Sie sahen sich an und sagten nichts.
„Meine Idee war“, meinte Nadja dann entrüstet, „dass du ihn reinsteckst, ein bisschen rumspielst, ihn wieder herausholst und das da benutzt!“ Sie deutete auf das Kondom auf dem Nachtisch.
„Meine auch“, erwiderte er ehrlich.
Ärgerlich rückte sie von ihm ab. „Hör mal, Babyface, ich bin zwar ein bisschen älter als du, aber meine Tage kriege ich schon noch!“
Nadja war über Vierzig und Niklas, na wie alt war der wohl, irgendetwas Anfang Dreißig.
„Wann?“, fragte er hoffnungsvoll. „Morgen? Übermorgen?“
„Wenn ich noch ein Kind wollte“, - sie beugte sich zu ihm hinüber, um ihren Punkt kristallklar herüberzubringen -, „dann wäre im Moment der perfekte Zeitpunkt!“
Von ihrem ungestümen Liebhaber war jetzt nur noch der blonde Haarschopf zu sehen, der Rest hatte sich unter Kissen und Decken vergraben. „Das freut mich für dich“, sagte er dumpf und landete eine Sekunde später krachend auf den Holzdielen.
„Mann!“, protestierte er und rieb sich den Hintern. Erschrocken blickte Nadja zu ihm hinunter und entschuldigte sich, dass sie so heftig gewesen war; er könnte jederzeit wieder zurückkommen, wenn er wollte.
Als er unten sitzen, blieb zog sie ihn wieder herauf.
Sie hatte wie Susanne von Borsody ausgesehen. Niklas war erst spät zu der Party seines Bruders gekommen, die, um ehrlich zu sein, nicht gerade der Bringer war - na, sein Bruder eben - aber inmitten all der Käsegesichter hatte er plötzlich Susanne von Borsody gegenübergestanden: Wer wäre da nicht ausgeflippt? Niklas auf jeden Fall. Schon oft hatte er sich vor dem Einschlafen vorgestellt, wie er sie vielleicht doch einmal kennen lernen würde und wie unterhaltsam sie sein müsste: ihr Witz, ihre Schärfe und ihr Körper, aber gleichzeitig fand er sich immer zu jung für sie.
Als er Nadja ansprach - die inmitten der Käsegesichter müßig eine Zeitung durchblätterte - erwischte er einen guten Moment bei ihr, denn sie hatte gerade eine Ähnlichkeit zwischen Gregor Gysi und Danny de Vito einerseits sowie Rudolf Scharping und Homer Simpson andererseits festgestellt und war hingerissen von ihrer eigenen Beobachtungsgabe.
Nadja suchte nach Fältchen um Niklas`Augen, aber da waren keine. „Wie alt bist du eigentlich, Niklas?“
„Jung!“
„Geht´s ein bisschen genauer?“ Ihre Finger trommelten auf die Bettdecke.
„Achtundzwanzig. Fast!“
„Ach Scheiße, Niklas, du siehst echt älter aus!“
„Danke.“
„Viel älter!“
Er bedankte sich erneut und erhob sich, um in ihrer Wohnung herumzuwandern. Er betrachtete sich alles sehr genau: Die Bilder an der Wand, die Bücher in den Regalen, den Tee in der Küche, die Schuhe im Schränkchen und die Jacken in der Garderobe.
Mit zwei Bailey´s kam er zurück ins Bett. „Schön bei dir.“ meinte er und reichte ihr ein Glas.
„Das ist doch alles nicht möglich!“, schimpfte Nadja, unkonzentriert mit ihm anstoßend. Nichts läge ihr ferner, erklärte sie, im Moment ihr Leben zu ändern, es sei perfekt. Denn nachdem sie jahrelang um ihre Unabhängigkeit gekämpft, endlich die Freiheit in ihr Leben gezerrt hatte - der auch ihr langjähriger Freund Uli zum Opfer gefallen war, leider, aber er habe keine Geduld mit ihrer Unabhängigkeit gehabt - habe sie diesen grandiosen Punkt erreicht: Alles stimme, alles fließe, und wenn nichts dazwischenkäme, stünde ihr eine glänzende Laufbahn in der Kardiologie bevor.
„In der Kardiowas?“, fragte Niklas, seinen Likör schlürfend, aber es war keine ordentliche Antwort von ihr zu bekommen, im Gegenteil; sie setzte sich nur höher im Bett auf, um desto verächtlicher auf ihn herunterschauen zu können.
Wusste er, Niklas, dass weltweit 22,5 Millionen Menschen an Herzinsuffizienz litten?
Nein.
Unverzeihlich!
Höflich wies er sie nun darauf hin, dass auch er nicht gänzlich biographielos sei und ein Kind ebenso wenig in seinen Zeitplan passe wie in ihren.
Wie sein toller Zeitplan aussähe, wollte Nadja wissen, gäbe es so etwas schon in seinem Alter?
Niklas ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: Er schauspielere in einer Freien Off-Theater-Gruppe in Köln und jobbe nebenher als Taxifahrer.
Nadja klatschte begeistert in die Hände: Das waren ja großartige Neuigkeiten; er war schon siebenundzwanzig Jahre alt, hatte trotzdem keine Arbeit, lebte aber 150 Kilometer weit weg in Köln - und sei höchstwahrscheinlich kaum imstande, irgendetwas durchzuziehen.
„Magst du mich, Nadja?“, fragte er, nachdem sie ihm in einem einstündigen Vortrag im Detail auseinander gesetzt hatte, wie prachtvoll ihre Pläne für das kommende Jahr aussähen und andere - insbesondere neue - Menschen nur darin störten.
„Mag ich dich, mag ich dich!“, eiferte sie. „Hatte ich eine Chance, das herauszufinden?“
Sie musste ihm ja nicht auf die Nase binden, dass bei ihr die Hälfte der Ernte schon eingebracht war, wenn überhaupt ein Mann in ihrem Bett landete.
Ebenso wenig band er ihr auf die Nase, dass er nur deshalb so früh gekommen war, weil sie ihn an Susanne von Borsody erinnerte.
„Verstehe. Nicht so richtig, hm?“ meinte er. „Ich bin ganz nett!“ Fröhlich sah er sie an.
„Du bist un-fä-hig!“
Er erkundigte sich, ob er unter den gegebenen Umständen trotzdem bei ihr schlafen dürfe: Er wolle nicht unhöflich sein, aber ihm fielen gerade dauernd die Augen zu.
„Was ist denn die Alternative, noch schön hoch nach Köln?“, fragte sie patzig.
Vielleicht könnten sie morgen weiterreden, schlug er geduldig vor und zurrte die Decke um seinen Rücken fest. „Du bist doch bestimmt ...“, sagte er.
„Was?“
„... bestimmt ...
„Was denn?“
„... manchmal ....“
„Bist du lang-sam, Niklas!“
„... auch etwas lieber, oder?“
Sie schüttelte bedauernd den Kopf: Nein, das sei sie nie. Es gäbe auch gar keinen Grund dafür, jetzt noch weniger als früher. Ihr ganzes Frauenleben lang sei sie nicht schwanger geworden und nun kam er und konnte sich nicht beherrschen.
Er seufzte und fragte schläfrig, was er denn morgen zu sehen bekäme, wenn er bei ihr zum Fenster hinaus gucke.
Nichts, war die Antwort, dann: Einen Garten vielleicht.
Ein Garten. Über sein Gesicht huschte ein Lächeln.
Ein Garten, wie schön, dachte er. Keine seiner Freundinnen hatte bisher einen Garten gehabt, und er selbst auch nicht. Da konnte man abends einen Liegestuhl hineinstellen und seinen Gedanken freien Lauf lassen, und den Schwalben beim Flug zusehen.
Diese Sache mit Susanne von Borsody gefiel ihm. Dank ihr hatte er mit einer fünfzehn Jahre älteren Frau geschlafen, die er Klasse fand, die einen Garten hatte, Bailey´s und richtige Bilder an den Wänden.
Er legte den Arm um ihre Taille. „Ich hab´s doch noch nicht ganz vermasselt, oder, Nadja? Normalerweise habe ich das besser im Griff, ich schwöre. Ich fand dich so toll, ich war weg, ich war ab-ge-lenkt.“
Vorsichtig platzierte er einen Kuss auf ihrer Wange; es funktionierte einigermaßen, zwar nicht das sanfte Zuwenden eines Frauengesichts, das er sonst gewohnt war, aber die Wange blieb immerhin in Reichweite. „Und das wäre doch echt ein Riesenzufall, wenn du schwanger wärst“, tröstete er.
Erst ein unmutiges Knurren in seinem Arm, aber dann ein freundlicheres Drehen ihres Körpers in den seinen und ein tiefer Aufseufzer.
Und kurz bevor er einschlief, war er sich plötzlich sicher, dass er nicht wegen Susanne von Borsody mit Nadja ins Bett gegangen war. Er hatte sie gemocht, sie hatten auf der Party Spaß miteinander gehabt, ihre Worte waren nur so hin- und hergeflogen - jeder Satz ein Treffer - und er hatte einfach nicht gewollt, dass sie ohne ihn ging. Also hatte er sich an sie angehängt, sie bis zur Tür gebracht, die Treppe runter, eine Straße entlang, noch eine zweite, ein paar Ecken, bis sie endlich vor ihrer Haustür standen und sie ihn grinsend durchwinkte.