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Oliver
Bei meinem abendlichen Rundgang durch die Sümpfe ist mir schon wieder einer über den Weg gelaufen. So ein kleiner Dicker mit knallroten Wangen, der mich an einen überreifen Apfel erinnert und so aufgedunsen ist, dass er die Augen kaum aufbekommt.
Hat alles falsch gemacht, was man im Sumpf falsch machen kann, der Bengel. Erstens, er ist zu fett. Bei dem Viehzeug, das hier durchs Unterholz kriecht, willst du flink sein und nicht in jeder Schlammgrube stecken bleiben. Zweitens, er hat sich den Rucksack mit Fressalien vollgestopft. Süßkram und so ein Zeug, bloß nichts Gesundes. Ich nehme an, der hat sich vor seiner Abreise Gedanken gemacht, dass er auf seinem Weg ein Gramm abnehmen könnte und dementsprechend vorgesorgt. Drittens, er ist hier runter gekommen. Irgendein Spaßvogel im Norden muss den Straßenbengeln erzählt haben, dass es bei uns etwas zu holen gäbe und jetzt kommen sie alle hier runter geschissen, um nachzuschauen, ob es stimmt.
Tut es nicht, das weiß ich.
Er hat Glück gehabt, dass ich ihm über dem Weg gelaufen bin, tadele ich den Specknacken. Der sagt nichts und lässt mich weiter schimpfen. Soll froh sein, dass es nicht die Anderen waren, sage ich. Die wollen nur fressen und heulen.
Er hält seinen Rand. Macht sich wahrscheinlich Gedanken darüber, was er sich später in den Trog kippt. Soll mir recht sein. So kann ich ihm sagen, wie die Sachlage aussieht.
Heute Nacht könne er bei mir bleiben, schlage ich vor. Wenn es dunkel ist, willst du echt nicht im Sumpf sein, füge ich hinzu. Da kommen sie gekrochen und suchen Sachen zum Fressen und Gründe zum Heulen.
Keine Widerworte. Braver Bengel. Cleverer Junge.
Als wir die Ortschaft erreichen, ist es bereits stockfinster. In keinem Haus brennt Licht. Die Laternen sind aus. Es ist totenstill. Jedes Gebäude ist nur eine dunkle Silhouette, die sich in die Schatten der großen Sumpfbäume kuschelt, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Die Leute wissen, was Sache ist. Da kommt keiner mehr raus und es macht keiner einen Mucks.
Ich packe das riesige Stück Speck und eile auf mein Geschäft zu.
Unser Städtchen ist klein, aber wir haben alles, was wir brauchen. Na klar, wir machen uns den Kram selbst und keiner ist wirklich in dem Beruf ausgebildet, dem er nachgeht, aber Not macht erfinderisch. Berthram steht an der Schmiede. Der war vorher in den Fabriken der Hauptstadt und weiß ein bisschen was über Metall. Das ist mehr als andere von sich sagen können. Elizabeth kümmert sich um die Schneiderei. Die haben wir da rein gestellt, weil sie eine Frau ist. Die hat ein Auge für so einen Mist, hat der Joseph gemeint. Joseph ist unser Bürgermeister, weil er am pragmatischsten denken kann. So läuft das bei uns. Mach dich nützlich und du darfst bleiben. Zu verschenken haben wir nichts. Das Leben im Sumpf ist hart.
Noch härter, seit sie aufgetaucht sind.
Ich war keine zwei Wochen hier, als sie zum ersten Mal kamen.
Zuerst haben sie den Friedhof umgegraben und sich die Frischen geholt. Als die weg waren, ging es ans Trockenfleisch: Die Mumien, die schon ein paar Jahrzehnte im Torfboden herumlagen und beim besten Willen nicht verrotten wollten.
Da dachte sich keiner was dabei.
Sollen sie die Leichen haben, meinte Joseph. Ein Problem weniger für die Stadt. Irgendwann wäre es eng geworden und wir wollten die Leute nicht unbedingt wieder aus der Erde holen, um Platz zu schaffen.
Seitdem glauben sie, dass es bei uns immer etwas für sie zu holen gibt.
Zuerst haben sie sich nur vor der Stadt herumgetrieben und geheult, inzwischen sind sie tapferer geworden und rennen in den Straßen herum. Da wird geheult und gekratzt, bis du den Verstand verlierst.
Vor drei Wochen haben sie Jane geholt, die Mistkerle. Sie wollte nochmal mit dem Hund raus, ist um die falsche Ecke gebogen und weg war sie. Wir haben sie tagelang gesucht und nichts gefunden. Nicht mal ihr Kleid oder so, das müssen die Viecher gleich mit gefressen haben.
Letzte Woche hat es Hemet erwischt. War das Heulen und Kratzen leid, macht die Tür auf, um den Viechern mal gehörig die Meinung zu sagen und weg war er.
Seitdem macht keiner mehr die Tür auf.
Und jetzt schickt uns irgendein Idiot die ganzen Straßenkinder aus dem Norden runter. Haben vermutlich gehört, dass es hier unten ein Problem gibt und haben sich gedacht, dass sie ihr eigenes beheben können, indem sie den Stöpseln irgendwas erzählen.
Dass die damit die Viecher durchfüttern, interessiert die auch nicht. Ist schließlich unsere Sache, nicht ihre. Mistkerle!
Ich führe den Speck durch die Hintertür hinab in den Keller. Ich bin umgezogen, seit die Viecher auch an den Fenstern kratzen. Nicht, dass plötzlich einer durchs Fenster kommt. Dann stehe ich schön blöd da.
Der Junge gehorcht, braucht aber etwas Hilfe bei den Stufen. Klar, wenn man sich hier nicht auskennt, fliegt man ganz schnell die Treppen rein und dann findet dich so schnell auch niemand. Da liegst du gut und gerne zwei Tage herum und rufst, bis einer reagiert. Wenn du Glück hast, bist du nur leicht verletzt, ansonsten bist du ruck, zuck ein Bein los, weil wir keinen Arzt haben – aber Sägen!
Ich erkläre ihm, dass ich keine Gästebetten habe und dass er sich auf den Tisch legen muss, um zu schlafen. Das wäre immer noch besser, als draußen im Sumpf zu übernachten, versichere ich ihm. Da holt dich eine Superspinne oder eine Plapperechse schießt sich auf dich ein.
Mit etwas Hilfe schafft er es auf den Tisch und ich kann damit anfangen, den Keller abzusichern.
Ich schließe die schwere Tür und schiebe einen Werkzeugtisch davor, um ganz sicher zu gehen. Danach sind die Kellerfenster dran. Da kratzen sie gerne dran herum und lecken die Scheiben ab, es ist eine elende Sauerei.
Das letzte Mal sind sie über meine Beete gestampft und haben die ganze Ernte zerstört, die Mistviecher. Ich bin der Ansicht, dass sie nicht mehr reinschauen, seit ich die Vorhänge angebracht habe, die ich jede Nacht zuziehe.
Ich hätte noch zu arbeiten, erkläre ich meinem Gast, er solle sich von dem Krach nicht stören lassen. Er antwortet mir nicht. Herrlich, der Bengel. Der hat kapiert, wie die Sache läuft. Ich füge hinzu, dass die Arbeit einige von den Viechern anlocken wird und dass er sich vom Gekratze und Geheule nicht aus der Ruhe bringen lassen soll. Die kämen hier nicht rein.
Das Licht einer Kerze ist der größte Luxus, den ich mir gönne, aber das reicht. Die meisten Handgriffe habe ich schon verinnerlicht. Ich sei kein Fleischer, habe ich Joseph gesagt, aber er war der Meinung, dass ich nur Übung brauche. Er hatte Recht.
Das Meiste ist reine Routine. Du musst nur aufpassen, dass du dir selbst nicht in die Finger schneidest oder an einem Knochen hängen bleibst.
Die.
Mitunter.
Extrem.
Widerspenstig.
Sein.
Können.
Da geht es schon los. Das Schmatzen des Fleisches, als das Messer hindurch gleitet und das Brechen der Knochen, als ich mit der Knochensäge arbeite, lockt einige von ihnen an.
Heulen und Kratzen.
Kreischen und Hauen.
Ich habe die Tür zu meinem Geschäft offen gelassen, stelle ich fest - aber ich bleibe ruhig. Uns passiert nichts, versichere ich meinem Gast. Durch die schwere Kellertür kommen sie nicht.
Die Viecher jaulen und werfen sich gegen die Tür, während ich Steaks zurechtschneide.
Davon könnten sie nichts haben, rufe ich ihnen zu. Das sei für die Menschen. Die müssten auch etwas zu sich nehmen.
Natürlich ernte ich dafür wütende Heulorgien.
Ich entscheide, dass es das Beste wäre, wenn ich sie ignoriere. Sie kommen nicht rein und ich gehe mit Sicherheit nicht zu ihnen raus.
Die Arbeit wird die ganze Nacht dauern und in den Morgenstunden ziehen sich die Viecher in den Sumpf zurück. Ich hoffe inständig, dass sie unzufrieden und hungrig verschwinden und widme mich meiner Aufgabe für die Gemeinschaft.
Morgen werde ich meinen Mitbürgern frisches Fleisch und Speck anbieten können. Das werden sie mir aus den Händen reißen, denn hier unten ist das Leben hart und wir haben nichts.
Nichts außer Heulen und Kratzen, Kreischen und Hauen, Beißen und Reißen.