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Ohrgeräusche

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06.12.2016
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Ohrgeräusche

Ohio, Big Ear, SETI-Projekt, 15. August 1977, 23:16 Uhr Ortszeit
Jerry Ehman lehnt sich hinüber zur Druckausgabe seines Radioteleskops und erstarrt beim Anblick des Charts. Eine ungewöhnliche Aufzeichnung läuft in diesem Moment, eine Zahlenkombination, die nur durch interstellare Schmalbandsendungen entstehen kann. 72 Sekunden Hochspannung, dann erlischt das Signal. Aufgeregt reißt Ehman den Papierstreifen ab, fängt an zu analysieren, markiert die fraglichen Zahlen und schreibt in seinem Enthusiasmus ein dickes rotes „Wow!“ an den Rand. Doch schnell legt sich die Euphorie, denn er erkennt, dass der auf Schmalband eingestellte Breitbandempfänger des Teleskops zu schwach ist, das Signal ist nicht interpretierbar.

Hawaii, Biggest Ear Ever, SETI-Projekt, 2. Juli 2137, 8:43 Uhr Ortszeit
„Geschafft!“ Kaleo lehnt sich zurück und streckt Rücken und Arme durch.
Am Nebentisch stemmt Ian seine hundertdreißig Kilo aus dem ächzenden Stuhl.„Gar nicht übel, in zwei Stunden alle Archivdatenträger eingepflegt, das soll uns erst mal einer nachmachen. Wir haben jetzt eine Pause verdient. Ich geh mal Kaffee holen.“
„Wie machst du das eigentlich? Arbeitest erst drei Tage hier und kannst schon jederzeit von der Kantinen-Crew alles kriegen, was du willst“, fragt Kaleo.
„Tja, Wissenschaft ist eben nicht alles,“ grinst Ian und macht sich auf den Weg, „hübsch muss man auch noch sein.“
Kaleo überfliegt noch einmal die Auflistung der Datenträger. Ja, alles fertig, der Boss wird zufrieden sein. Alle SETI-Daten des 20. Jahrhunderts sind nun im neuen System erfasst und bereit zur Überprüfung. Kurz überlegt er, ob er ohne Ian weitermachen soll. Aber er hat wirklich eine Pause nötig, deshalb greift er lieber nach dem Buch, das er sich mit viel Überredungskunst vom Archivar ausgeliehen hat. Bücher sind selten geworden im digitalen Zeitalter, man findet sie nur noch in Museen und Archiven. Trotzdem gibt es immer noch Themen, die digital nicht erfasst sind und das Thema dieses Buches gehört dazu. Kaleo macht es sich so gut es geht gemütlich und vertieft sich in seinen Lesestoff, bis er nach gut zwanzig Minuten das leise Zischen der sich öffnenden Glastür hört. Ian kehrt zurück, mit einem vollbeladenen Tablett in der linken und einem halb verspeisten Donut in der rechten Hand. „Wasch hasch'n da“, fragt er mit vollem Mund, stellt das Tablett ab und greift nach dem Buch.
„Spinnst Du?“ Kaleo zieht das Objekt der Begierde hastig aus Ians Reichweite. „Wenn du da Fettflecken drauf machst, krieg ich nie wieder was aus dem Archiv!“
„'Tschuldige, nicht nachgedacht“, antwortet Ian zerknirscht, „dann erzähl mir doch, was es ist.“
„Eine steinalte Dokumentation. Heißt Pioniere der Luftfahrt und erzählt die Geschichte der Piloten im 20. Jahrhundert. Ich fand das passend zu unserem Projekt und spannend ist es auch.“
„Hast du den Prüfvorgang schon gestartet?“ fragt Ian etwas abgelenkt, aber immerhin mit inzwischen leerem Mund.
„Nein, hab auf dich gewartet, mach du mal.“
„Öh, sag mal,“ druckst Ian verlegen, „was genau prüft der Computer jetzt denn an den Daten?“
„Typisch Praktikant“, seufzt Kaleo, „große Klappe, aber Null Durchblick. Er soll die Daten auf Defekte abklopfen und auf besonderen Wunsch unseres Chefs prüft er auch gleich, ob bisher unentdeckte Hinweise auf außerirdische Signale vorhanden sind.“
„Wäre das denn möglich? Das sind doch uralte Daten, wenn es solche Signale gegeben hätte, wüssten wir das doch.“
„Naja, ganz ausgeschlossen ist es nicht. Die Technik damals lässt sich mit unserer heutigen doch gar nicht vergleichen, denkbar ist es schon, dass etwas übersehen wurde. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen, die Wahrscheinlichkeit ist eher gering. Und nun leg los, sonst werden wir nie fertig.“
Ian gibt dem Computer den verlangten Startbefehl und fragt: „Wie war das jetzt mit diesen alten Piloten? Und was ist daran spannend?“
„Ich habe schon ein paar Bücher drüber gelesen, im Archiv unten findet man erstaunliche Sachen, du solltest dich da auch mal umsehen. Diese ersten Flieger haben Unglaubliches geleistet. Sie sind über Ozeane und unerforschte Kontinente geflogen, obwohl sie nur ganz dürftige Instrumente hatten. Ein paar von diesen Piloten überlebten nicht, weil sie …“
„Datensatz markiert, Dateiname Wow!-Signal, alle Parameter positiv“, meldet sich in diesem Moment der Computer zu Wort.
Kaleo und Ian sehen sich fassungslos an. Mit einem Satz ist Kaleo am Holoschirm, greift sich die Darstellung des gemeldeten Datensatzes heraus und zeigt sie Ian.
„Was hältst du davon?“
„Ich weiß nicht recht. Ziemlich wirr. So habe ich mir immer den Gordischen Knoten vorgestellt.“
„Hm“, grübelt Kaleo und schaut sich nun selbst das Datenknäuel von allen Seiten an, „Knoten stimmt wohl, sieht gestaucht aus, komprimiert. Ich glaube, das hat eine Reise durch eine Raum-Zeit-Falte hinter sich.“
Vorsichtig setzt er die Daten wieder ein und stupst mit den Fingern einige Befehlsketten an. „So, mal sehen was der Computer draus macht. Ich habe ihn gebeten die Daten zu entwirren und wenn nötig, logische Sequenzen einzufügen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat das Knäuel alle Merkmale einer Audiodatei.“
„Dekomprimierung abgeschlossen. Datei bereit zur Wiedergabe“, meldet der Computer.
„Na dann, abspielen bitte.“
Beide Männer beugen sich mit vor Spannung verkrampften Fingern zum Lautsprecher.
Rauschen, Knacken, dann: „Kann mich jemand empfangen? Irgend jemand? Mein Navigator und ich sind hier gestrandet. Wir flogen durch Nebel, ein grell leuchtender Wirbel erfasste unser Flugzeug und riss es mit. Unglaubliche Beschleunigung, wir wurden ohnmächtig. Sind neben unserer Lockheed aufgewacht. Seltsame Landschaft hier, das kann nicht die Erde sein. Blaues Licht, rote Vegetation. Fred hat durchs Fernglas Lebewesen erspäht, Zweibeiner, aber bestimmt keine Menschen. Zu groß, zu viele Arme. Zu viele Zähne. Wir wissen nicht … Moment. Was ist los, Fred? … Oh mein Gott, sie kommen. Sie kommen auf uns zu, was sollen wir tun? Fred, was soll ich … Ja, gut. Wenn mich jemand hört, bitte sucht uns, helft uns. Mein Name ist Amelia Earhart.“
Knacken, Rauschen.
Stille.

 

Danke für die (Er-)Klärung Geschichtenwerker.

Es gibt aus meiner Sicht keine Verpflichtung einen Kommentar zu lesen, zu würdigen oder zu beherzigen.
Beim dritten Punkt stimme ich dir vollumfänglich zu, zu den ersten beiden sehe ich für mich (und das können natürlich alle User für sich selbst entscheiden) eine moralische Verpflichtung. Erstens nehmen sich Menschen, denen mein Text im Grunde egal sein kann, eine Menge Zeit um über diesen nachzudenken und diese Gedanken auch noch niederzuschreiben. Zweitens freue ich mich ja auch, wenn meine Kommentare Beachtung finden. Dieses Forum könnte doch gar nicht funktionieren, wenn es nur solche hier gäbe, die Texte einstellen, Kommentare abstauben und dann erst wieder auftauchen, wenn sie wieder mal wissen wolllen, wie man über ihren Text denkt. Ich glaube, darin sind wir uns einig.

Deine Kritik zu den Jahreszahlen in meinem Text hat durchaus ihre Berechtigung, du hast eben dieses Empfinden, das da was nicht stimmt. Mal sehen, ob ich mit der Zeit eine Version hinkriege, die entweder ohne solche Stolpersteine auskommt oder eine, in der ich sie glätten konnte.
Nochmals danke für deine gerne gelesene und konstruktive Kritik.
Gruß, Blaustrumpf

 

Lustiges am Rande: Ich habe zufällig gestern meine Lieblings-Trash-Serie aus den Achtzigern (neben Airwolf und Knight Rider) wieder rausgekramt, die Misfits of Science. Eine der menschlichen Kuriositäten aus dem Pilotfilm ist der Ice Man, der sich im Juli 1937 (!) selbst kryogenisch einfror, jetzt wiedergefunden wurde und alles zu Eis macht, was er anfasst. Er hat während der langen Zeit in der Kältekammer wohl mental etwas gelitten und fragt immer wieder nach "Amelia" - das einzige Wort, das er spricht. Die Wissenschaftler spekulieren, dass er wohl Earhart meint, aber es wird nie aufgeklärt, warum.

Die Serie war echt der Brüller und ihrer Zeit weit voraus. Und ich glaube, ich war damals ein bisschen in die junge Courteney Cox verknallt ... :shy: Dass Earhart darin vorkommt, hatte ich komplett vergessen.

Grüße vom Holg ...

 

Oy, danke The Incredible Holg,
die Referenz zu Earhart kannte ich noch nicht, nehme ich in meine Sammlung auf. Die Serie ist mir damals komplett entgangen, habe mir nun ein Stück davon auf YT angeguckt - hat was :D

 

Hallo zusammen,
ich habe nun eine überarbeitete Version eingestellt, der zweite Abschnitt ist komplett neu. Leider auch um einiges länger geworden. Ich hoffe, das beansprucht nicht zu viel eurer Zeit, denn ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir bei Gelegenheit euren Eindruck mitteilen könntet: Ist die Geschichte nun nur anders oder auch, wenigstens ein bißchen, besser? Vielen lieben Dank.

 

Hallo Blaustrumpf,

da will ich doch mal schauen ... muss erst mal gucken, was meine Kritikpunkte waren ... ah ja ...

Die Personen kommen mir auf jeden Fall etwas plastischer vor. Ian ist vor allem durch sein Äußeres und seine (fehlenden) Umgangsformen beschrieben, Kaleo durch seine Interessen. Viel tiefer kann und muss man m.E. in so einer kurzen Story nicht gehen. Passt.

Die Dialoge sind wesentlich natürlicher, das gefällt mir gut. Ein, zwei Stellen scheinen noch aus der alten Fassung zu stammen und fallen etwas aus dem Rahmen; aufgefallen ist mir v.a. diese:

Obwohl sie nur sehr dürftige Instrumente hatten, überflogen sie Ozeane und unerforschte Kontinente. Einige dieser Piloten überlebten …“
Präteritum (statt Perfekt) wirkt immer ein bisschen steif in wörtlicher Rede, soweit es nicht die simpelsten Verben sind ("hatten" und "waren" sind natürlich okay). Ein vorangestellter "obwohl"-Satz verlangt gute "Planung" der Gesamtaussage (d.h. der Sprecher muss am Anfang des Satzes schon wissen, wie er enden soll), das hört man auch eher selten. Korrekte Genitive sind eh Glückssache. Diese Stelle hätte ich ungefähr so formuliert:
Die sind über Ozeane und unerforschte Kontinente geflogen, obwohl sie nur ganz dürftige Instrumente hatten. Ein paar von diesen Piloten haben sogar überlebt, als ...
Man kann da auch noch radikaler sein, aber wir haben es hier ja vermutlich mit Akademikern zu tun. ;)

Deine Computer sind jetzt offenbar ganz anders zu bedienen, anscheinend werden Datensätze irgendwie dreidimensional holographisch visualisiert und mit den Händen manipuliert. Ich finde es gut, dass du das ganz selbstverständlich en passant einflechtest, ohne es näher auszuführen. Das wirkt zum einen natürlicher, zum anderen vermeidest du es, dir mit allzu konkreten und dann womöglich nicht 100% stimmigen Erklärungen Probleme einzuhandeln.

Und Amelia teilt uns ein bisschen über den Ort mit, an den es sie verschlagen hat. Man könnte das als Info-Dump kritisieren, aber ich denke, genau so würde man einen Notruf anlegen - als kurz zusammengefasste Information. Passt also auch.

Zwei Winzigkeiten:

„Datensatz 83, Dateiname Wow!-Signal, alle Parameter positiv“
Gibt es so wenige Datensätze, oder steht der fragliche so weit am Anfang des Datenstroms, dass er so eine kleine Nummer bekommt?

Sind neben unserer Elektra aufgewacht.
Die meisten Leser werden nicht raten können, was das ist (selbst wenn sie schon mal von Amelia Earhart gehört haben). Hat vermutlich damit zu tun, dass der Text im allgemeinen und Earharts Funkspruch im besonderen so viel Futuristisches vermitteln, dass man bei so einem Wort gleich die Fantasiemaschine anwirft.

Also, ich finde die Geschichte echt verbessert. :thumbsup:

Grüße vom Holg ....

 

The Incredible Holg

Hallo und vielen lieben Dank, dass du nochmals Zeit und Mühe investiert hast.

Deine neuen Kritikpunkte, drei an der Zahl haben alle ihre Berechtigung. Zum ersten:

Präteritum (statt Perfekt) wirkt immer ein bisschen steif in wörtlicher Rede, soweit es nicht die simpelsten Verben sind ("hatten" und "waren" sind natürlich okay). Ein vorangestellter "obwohl"-Satz verlangt gute "Planung" der Gesamtaussage (d.h. der Sprecher muss am Anfang des Satzes schon wissen, wie er enden soll), das hört man auch eher selten. Korrekte Genitive sind eh Glückssache. Diese Stelle hätte ich ungefähr so formuliert:
Die sind über Ozeane und unerforschte Kontinente geflogen, obwohl sie nur ganz dürftige Instrumente hatten. Ein paar von diesen Piloten haben sogar überlebt, als ...
Stimmt, dieser Satz klingt in meiner Fassung arg geschraubt.
Immerhin zeigt mir dein Einwand auch, dass du ein positiv denkender Mensch bist. In meinem Kopf ergänzte sich der Satz nämlich als "Einige der Piloten überlebten nicht" :D
Ich erlaube mir deine Formulierung mit dieser kleinen Abwandlung zu übernehmen, vielen Dank für die Vorlage.

Zum zweiten:

Gibt es so wenige Datensätze, oder steht der fragliche so weit am Anfang des Datenstroms, dass er so eine kleine Nummer bekommt?
Ich dachte es mir so, dass er ziemlich am Anfang steht, aber das geht, wie mir dein Einwand deutlich macht, aus dem Text natürlich nicht hervor. Es zu erklären wäre zu umständlich und würde den Lesefluss eher aufhalten. Außerdem gefällt mir diese Zahl mitten im Text inzwischen sowieso nicht mehr, deshalb habe ich das abgeändert.

Zum dritten:

Die meisten Leser werden nicht raten können, was das ist (selbst wenn sie schon mal von Amelia Earhart gehört haben). Hat vermutlich damit zu tun, dass der Text im allgemeinen und Earharts Funkspruch im besonderen so viel Futuristisches vermitteln, dass man bei so einem Wort gleich die Fantasiemaschine anwirft.
Stimmt, nicht jeder mag alte Flugzeuge und hat ihre Bezeichnungen parat. Ich ändere das erst mal in Lockheed (die Firma ist vielleicht etwas bekannter als das Modell) und überlege noch, ob ich auf das allgemein bekannte, aber sehr abgelutschte "Maschine" zurückgreifen soll.

Also, ich finde die Geschichte echt verbessert. :thumbsup:
Ganz herzliches Dankeschön:huldig:. Zeigt mir erstens die Qualität der Tipps, die ich bekommen habe und ist zweitens gut für meine Motivation, die ich brauche um an Texten wirklich zu arbeiten.

 

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