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Ohrgeräusche
Ohio, Big Ear, SETI-Projekt, 15. August 1977, 23:16 Uhr Ortszeit
Jerry Ehman lehnt sich hinüber zur Druckausgabe seines Radioteleskops und erstarrt beim Anblick des Charts. Eine ungewöhnliche Aufzeichnung läuft in diesem Moment, eine Zahlenkombination, die nur durch interstellare Schmalbandsendungen entstehen kann. 72 Sekunden Hochspannung, dann erlischt das Signal. Aufgeregt reißt Ehman den Papierstreifen ab, fängt an zu analysieren, markiert die fraglichen Zahlen und schreibt in seinem Enthusiasmus ein dickes rotes „Wow!“ an den Rand. Doch schnell legt sich die Euphorie, denn er erkennt, dass der auf Schmalband eingestellte Breitbandempfänger des Teleskops zu schwach ist, das Signal ist nicht interpretierbar.
Hawaii, Biggest Ear Ever, SETI-Projekt, 2. Juli 2137, 8:43 Uhr Ortszeit
„Geschafft!“ Kaleo lehnt sich zurück und streckt Rücken und Arme durch.
Am Nebentisch stemmt Ian seine hundertdreißig Kilo aus dem ächzenden Stuhl.„Gar nicht übel, in zwei Stunden alle Archivdatenträger eingepflegt, das soll uns erst mal einer nachmachen. Wir haben jetzt eine Pause verdient. Ich geh mal Kaffee holen.“
„Wie machst du das eigentlich? Arbeitest erst drei Tage hier und kannst schon jederzeit von der Kantinen-Crew alles kriegen, was du willst“, fragt Kaleo.
„Tja, Wissenschaft ist eben nicht alles,“ grinst Ian und macht sich auf den Weg, „hübsch muss man auch noch sein.“
Kaleo überfliegt noch einmal die Auflistung der Datenträger. Ja, alles fertig, der Boss wird zufrieden sein. Alle SETI-Daten des 20. Jahrhunderts sind nun im neuen System erfasst und bereit zur Überprüfung. Kurz überlegt er, ob er ohne Ian weitermachen soll. Aber er hat wirklich eine Pause nötig, deshalb greift er lieber nach dem Buch, das er sich mit viel Überredungskunst vom Archivar ausgeliehen hat. Bücher sind selten geworden im digitalen Zeitalter, man findet sie nur noch in Museen und Archiven. Trotzdem gibt es immer noch Themen, die digital nicht erfasst sind und das Thema dieses Buches gehört dazu. Kaleo macht es sich so gut es geht gemütlich und vertieft sich in seinen Lesestoff, bis er nach gut zwanzig Minuten das leise Zischen der sich öffnenden Glastür hört. Ian kehrt zurück, mit einem vollbeladenen Tablett in der linken und einem halb verspeisten Donut in der rechten Hand. „Wasch hasch'n da“, fragt er mit vollem Mund, stellt das Tablett ab und greift nach dem Buch.
„Spinnst Du?“ Kaleo zieht das Objekt der Begierde hastig aus Ians Reichweite. „Wenn du da Fettflecken drauf machst, krieg ich nie wieder was aus dem Archiv!“
„'Tschuldige, nicht nachgedacht“, antwortet Ian zerknirscht, „dann erzähl mir doch, was es ist.“
„Eine steinalte Dokumentation. Heißt Pioniere der Luftfahrt und erzählt die Geschichte der Piloten im 20. Jahrhundert. Ich fand das passend zu unserem Projekt und spannend ist es auch.“
„Hast du den Prüfvorgang schon gestartet?“ fragt Ian etwas abgelenkt, aber immerhin mit inzwischen leerem Mund.
„Nein, hab auf dich gewartet, mach du mal.“
„Öh, sag mal,“ druckst Ian verlegen, „was genau prüft der Computer jetzt denn an den Daten?“
„Typisch Praktikant“, seufzt Kaleo, „große Klappe, aber Null Durchblick. Er soll die Daten auf Defekte abklopfen und auf besonderen Wunsch unseres Chefs prüft er auch gleich, ob bisher unentdeckte Hinweise auf außerirdische Signale vorhanden sind.“
„Wäre das denn möglich? Das sind doch uralte Daten, wenn es solche Signale gegeben hätte, wüssten wir das doch.“
„Naja, ganz ausgeschlossen ist es nicht. Die Technik damals lässt sich mit unserer heutigen doch gar nicht vergleichen, denkbar ist es schon, dass etwas übersehen wurde. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen, die Wahrscheinlichkeit ist eher gering. Und nun leg los, sonst werden wir nie fertig.“
Ian gibt dem Computer den verlangten Startbefehl und fragt: „Wie war das jetzt mit diesen alten Piloten? Und was ist daran spannend?“
„Ich habe schon ein paar Bücher drüber gelesen, im Archiv unten findet man erstaunliche Sachen, du solltest dich da auch mal umsehen. Diese ersten Flieger haben Unglaubliches geleistet. Sie sind über Ozeane und unerforschte Kontinente geflogen, obwohl sie nur ganz dürftige Instrumente hatten. Ein paar von diesen Piloten überlebten nicht, weil sie …“
„Datensatz markiert, Dateiname Wow!-Signal, alle Parameter positiv“, meldet sich in diesem Moment der Computer zu Wort.
Kaleo und Ian sehen sich fassungslos an. Mit einem Satz ist Kaleo am Holoschirm, greift sich die Darstellung des gemeldeten Datensatzes heraus und zeigt sie Ian.
„Was hältst du davon?“
„Ich weiß nicht recht. Ziemlich wirr. So habe ich mir immer den Gordischen Knoten vorgestellt.“
„Hm“, grübelt Kaleo und schaut sich nun selbst das Datenknäuel von allen Seiten an, „Knoten stimmt wohl, sieht gestaucht aus, komprimiert. Ich glaube, das hat eine Reise durch eine Raum-Zeit-Falte hinter sich.“
Vorsichtig setzt er die Daten wieder ein und stupst mit den Fingern einige Befehlsketten an. „So, mal sehen was der Computer draus macht. Ich habe ihn gebeten die Daten zu entwirren und wenn nötig, logische Sequenzen einzufügen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat das Knäuel alle Merkmale einer Audiodatei.“
„Dekomprimierung abgeschlossen. Datei bereit zur Wiedergabe“, meldet der Computer.
„Na dann, abspielen bitte.“
Beide Männer beugen sich mit vor Spannung verkrampften Fingern zum Lautsprecher.
Rauschen, Knacken, dann: „Kann mich jemand empfangen? Irgend jemand? Mein Navigator und ich sind hier gestrandet. Wir flogen durch Nebel, ein grell leuchtender Wirbel erfasste unser Flugzeug und riss es mit. Unglaubliche Beschleunigung, wir wurden ohnmächtig. Sind neben unserer Lockheed aufgewacht. Seltsame Landschaft hier, das kann nicht die Erde sein. Blaues Licht, rote Vegetation. Fred hat durchs Fernglas Lebewesen erspäht, Zweibeiner, aber bestimmt keine Menschen. Zu groß, zu viele Arme. Zu viele Zähne. Wir wissen nicht … Moment. Was ist los, Fred? … Oh mein Gott, sie kommen. Sie kommen auf uns zu, was sollen wir tun? Fred, was soll ich … Ja, gut. Wenn mich jemand hört, bitte sucht uns, helft uns. Mein Name ist Amelia Earhart.“
Knacken, Rauschen.
Stille.