Ohne Namen
Wenn du die Möglichkeit hättest in die Zukunft zu sehen, die Gelegenheit ein Schicksal zu wählen, was würdest du tun? Was würdest du opfern für diese Gabe?
Du wähltest die Dunkelheit als Preis.
Ich gebe dir die Gabe im Gegenzug.
Doch achte auf die Dinge die du sehen wirst. Nichts ist das was es scheint. Niemals greife ein in anderer Schicksal. Wage es nicht zu warnen.
Zeuge wirst du sein. Herr deines eigenen Schicksals.
Doch ist die Erkenntnis so weit.
Selbst wenn du deinen Arm ausstreckst wirst du Meilen entfernt sein.
Rufe nicht in dieser Dunkelheit. Die einzigen die dich hören werden sind deine Schatten.
Und sie werden da sein zu aller Zeit. Stetig bereit dir einen letzten Wunsch zu erfüllen.
Den Weg werden sie dir bereiten.
Nun sage mir mein Freund.
Was siehst du?
Seelenloses Licht. Es brennt in den Augen. Selbst das Schließen der Lider bringt keine Erleichterung. Es bricht sich seinen Weg durch alles und nichts. Erbarmungslos strahlt es eisig von der Deckenlampe. Auch das weiße Tuch das darum gebunden ist minderte das Licht nicht im geringsten. Es sieht vielmehr danach aus, als würde es das Licht noch verstärken. Ein harter unbarmherziger Kontrast zu der milden Dunkelheit der Nacht. Fast schon wünscht er sich nicht zugesagt zu haben. Aber nun ist er hier. Hier um einen Schritt zu tun, der ihm die Erlösung bringen soll. Und die nächste Verzweiflung.
Es ist ein Schritt vom Regen in die Traufe. Es würde nicht viel anders werden als sein bisheriges Leben. Nur ohne diese Bürde.
Sehnslichst wünscht er sich dieses Licht möge verschwinden. Genügte es nicht das die Straßenlaternen ein solches Licht austrahlten? So tot?
Unruhig sucht er nach etwas um seine Augen zu beruhigen von dem Reiz des Hellen. In dem weiten Raum steht nur ein kleiner Couchtisch mit einem kitschigen Blumengesteck. Darunter liegen einige alte Zeitungen.
Er kennt sie bereits auswenig.
Auch die beiden Bilder an der Wand bringen seinen Augen keine Erleichterung. Nur die Nacht. Die Nacht draußen vor den Fenstern gibt ihm diese Ruhe die er suchte.
Nervös stellt er sich vor eines der riesigen Fenster und zündet sich eine Zigarette an. Rauchen ist in diesem Gebäude verboten, doch er braucht sie jetzt. Um seine Nerven zu beruhigen. Und sein Gewissen.
Der Mond scheint diese Nacht ungewöhnlich hell. Als ahnte er was diese Nacht passieren würde.
Unten in den Straßen fahren nur noch wenige Autos. Ihre Lichter blinken auf wie kleine rote und gelbe Sterne und fahren davon wie Kometen um in der Vergessenheit zu verschwinden.
Vergessenheit.
Er würde nie vergessen können. Nicht nach all diesen Jahren. Dazu hatte er zuviel gesehen. Und seit dem letzten Monat immer wieder das gleiche. Rot. Funken. Flammen. Ein Phönix vom Himmel. Wieder erwacht aus seiner Asche nach so langer Zeit. Dann dieses Läuten. Schon zerfällt er wieder zu Staub und aus allen Himmelsrichtungen Dunkelheit. Stille. Nichts.
Selbst sein Herzschlag verstummt. Er hört das Fließen seines Blutes nicht mehr, das sonst so deutlich ist.
Nur einsame Stille. Er steht inmitten dieser Stille. Nackt. Ganz allein. Die Dunkelheit umfängt ihn und er spürt es. Hört es nicht aber fühlt es. Dieses Pochen. Das leise auf und ab eines Wesens das schläft. Leise, ganz leise beginnt es dann. Wird schlagartig zu tosendem Lärm. Undefinierbares Kreischen.
Er weiß was es bedeutet. Genau deshalb ist er heute hier.
„Du hast dich also entschieden.“, hinter ihm steht eine alte Frau. Ihr Gesicht ist zerfurcht von der zeit. Zu lange wandelte sie nun unter den Lebenden. Eigentlich wäre ihre Uhr längst abgelaufen. In ihren grauen Augen spiegelt sich die Sehnsucht nach dem Tod. Sie hat das gleiche gesehen wie er. Damals. Und auch sie hat erkannt.
Zwei Wissende die nicht teilen können.
„Ja.“, hastig drückt der noch die Zigarette aus in einem kleinen Ascher. Sie hat ihn dort extra für ihn aufgestellt. Heimlich.
Einen letzten Blick wirft er noch aus dem Fenster. Die Sterne. Wie Pailletten auf einem dunklen Samtkleid stehen sie am Himmel. Er weiß es, auch wenn er sie nicht sieht. Nicht in dieser Stadt.
Zuviele dieser seelenlosen Lichter stören den Blick auf sie.
Eine einzelne Träne. Sie liegt in seiner Erinnerung so tief verwurzelt, diese Träne. Geweint um seines Willen und nun würde er weinen um des Nächsten willen.
Endlich löscht sie das Licht. Beide sehen einen Augenblick nichts.
Ein leichter Schimmer liegt auf dem Blumengesteck. Sie verblassen so schnell, diese Schimmer.
Mit dem Leben schwinden sie.
„Aber eins würde mich noch interessieren.“, sagt sie. Er spürt ihren Blick. Durchdringend bis auf sein Innerstes.
Noch immer steht sie vor der Tür ins nächste Zimmer. Bereit zu gehen. Sie war schon immer bereit. Hat nur auf ihn gewartet. Die ganze Zeit. Hat über ihn gewacht und ihn geleitet. Sein Dank wird ihr Friede sein.
„Nein.“