Was ist neu

Oberfläche einer Nacht

Mitglied
Beitritt
20.10.2024
Beiträge
83
Anmerkungen zum Text

Bitte die Form des Textes (Bewusstseinsstrom, mehrere Perspektiven) als gegeben betrachten und nur dann kommentieren, wenn diese als Basis des Textes akzeptiert werden kann. Ich bin nicht an einer Meta-Diskussion interessiert, sondern allein an inhaltlichem Feedback.

Oberfläche einer Nacht

Verdammt noch mal! Warum ist es so heiß hier drin? Die gottverdammte Scheißschminke läuft ja direkt wieder runter. Kein Wunder, die Heizung ballert auf fünf! Verdammte Scheiße und verdammter Scheißdrecksrollkragenpullover! Warum? Bin ich eigentlich behindert? So, jetzt noch mal in Ruhe! Erst das Schwarz um die Augen, vorsichtig, ganz in Ruhe. Geht doch! Jetzt die Streifen! Aber warte! Warte! Ich zieh sie nur nach unten, das kommt noch böser. Alter! Und jetzt den Bart auch schwarz. Fuck, das sieht gut aus! Atmen, ganz ruhig atmen! Diese verfickte Hitze hier drin! Was das für eine Scheißidee war, alles! Aber jetzt zieh ich es durch. So, jetzt das Weiß! Fuck, Alter, so kann ich doch nicht vor die Tür gehen, ich mach mir ja schon selber Angst.
„Wie sieht’s aus?“
„Siehst du doch.“
„Also, ich finde das ziemlich extrem, muss ich sagen.“
„Ich hab doch schon gesagt, ich geh zum Gei-ster-zug!“
„Was ist das?“
Willst du mich verarschen? Ich hab’s dir gestern erklärt und ich hab’s dir heute erklärt. Frag mich doch nicht dauernd Sachen, die ich dir schon fünf Mal erzählt hab! Nur weil du nicht weißt, was du mit mir reden sollst.
„Is‘ egal.“
„Naja, musst du wissen.“
„Ich muss jetzt auch los.“
„Gut, aber pass auf, dass du nicht in eine Schlägerei gerätst.“
„Was denn für ne Schlägerei?“
„Du weißt nie bei den ganzen Besoffenen.“
Warum redest du so? Du bist doch selbst jeden Abend besoffen!
„Kann ich mir noch ein paar Zigaretten mitnehmen?“
„Aber nicht alle, ist meine letzte Schachtel.“
„Ich nehm nur zwei.“
„Gut. Wünsch dir viel Spaß.“
„Danke, wird spät.“
„Ich geh dann ins Bett.“
„Ok.“
„Ach, eins noch. Weißt du, wo meine Truffaut-Box hingekommen ist?“
Mach dir doch nichts vor!
„Nein, weiß nicht.“
„Und meine Skippermütze, die ist auch weg. Hast du die?“
Was zum Teufel ist los mit dir?
„Keine Ahnung.“
„Frag mich, wo die wohl hingekommen ist. So, machenses jut!“
Ich rieche das herbe Aftershave meines Vaters und seine Bartstoppeln kratzen an meinen Lippen, als ich ihn zum Abschied auf die Wange küsse. Er setzt sich wieder hinter sein Wurstbrot und den Aschenbecher und ich steige aufs Fahrrad. Mit einer Kippe in der Hand fahre ich den Rhein entlang nach Norden, der schwarze Ledermantel flattert.
Es ist wie damals, mit sechzehn, siebzehn, wenn ich so lange freihändig gefahren bin, wie ich konnte. Das war eine schöne Zeit! Damals war ich irgendwie glücklich. Warum eigentlich? Warum war ich damals glücklich? Weil ich dachte, jetzt geht es los? Jetzt in den kalten Fluss fallen, da wäre man sicher schnell tot. Wie werden sie mein Kostüm finden? Werde ich der Krasseste sein?

„Njaaa?“, dringt es aus der Gegensprechanlage.
„Gestapo, aufmachen!“
„Wer ist da?“
„Ich bin‘s, Mann!“
„Ach so, komm hoch!“
Ich laufe in den 2. Stock. Lars steht in der Tür, blass, weißblond, im Gammelpullover wie immer. Er mustert mich. „Du bist krank, Alter!“
Auf der Couch im Wohnzimmer sitzen Sandra und ein kräftiger Kerl. Ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern und als er ihn sagt, höre ich nicht hin. Außer mir ist er der einzige im Kostüm. Beethoven, mitsamt Perücke.
Nicht gerade schaurig. Was ich doch für ein Idiot bin, mich so düster zu stylen! Jetzt stehe ich hier, der einzige Freak mit einem Psychokostüm. Aber scheiß drauf! Ist mir auch egal. Was kümmert’s mich?
Lars tritt an mich heran. Er nickt zu Sandra rüber, seine neue. Sie bemerkt, dass wir sie ansehen, und lächelt uns zu.
„Habt ihr es endlich getrieben?“
„Nein. Aber heute hat sie mir einen geblasen.“
„Laber nicht!“
„Haben über alles gequatscht und sie meinte, ich solle mir nicht so viele Gedanken machen, sondern einfach mein Leben genießen.“
„Und dann hat sie dir zum Beweis direkt einen geblasen?“
„Ja.“
„Na, gratuliere!“
Wann wurde mir das letzte Mal einer geblasen? Ich weiß es gar nicht mehr.
„Im Wohnzimmer, während mein Vater in der Küche gekocht hat.“
„Laber doch keine Scheiße!“
„Tu ich nicht.“
Ich schaue Sandra noch einmal an. Sie ist winzig. Und sie hat etwas Schweinchenhaftes an sich wegen ihrer vollen Wangen und ihren kleinen Augen.
Sie bläst bestimmt sehr konzentriert, mit viel Lippeneinsatz. Vielleicht etwas hastig.
„Aber jetzt treibt ihr es doch wohl auch endlich mal.“
„Joa, mal sehen.“
„Was ist los mit dir?“
„Will nichts überstürzen.“
„Junge, du hast hier auch eine Bringschuld, ist dir das klar?“
„Was quatschst du da?“
„Keine Ahnung, lass mal einen saufen!“
Ich lege den Ledermantel auf einen Tisch. Meinen Billighut mit der schmalen Krempe lasse ich auf. Ich will ihn zu meinem Markenzeichen machen. Alle machen mir Komplimente für mein Kostüm und Lars will jetzt auch geschminkt werden. Ich schlage vor, ihm eine mexikanische Wrestler-Maske aufzumalen. Er ist skeptisch, aber ich überzeuge ihn. Mit zittriger Hand verwandle ich sein Gesicht in eine Grimasse.
Diese Scheißtabletten!
Die Maske verrutscht mir und Lars sieht aus wie ein wütendes Schwein.
Naja, jetzt passt er zu seiner Freundin.
Gerade als wir fertig sind, kommt Oskar an. Auch er hat ein Mädchen dabei. Anders als Lars lässt er sich nie zwei Mal bitten. Man sieht ihnen an, dass sie vor einer Stunde noch in seinem Bett lagen. Sie wird uns als Dora vorgestellt und studiert mit ihm an der Akademie in Düsseldorf, malt aber nicht – sie fotografiert.
Oho, sie fotografiert! Ruhe, bitte, meine Frau aquarelliert! Woher war das noch mal?
Sie ist klein und blass und hat ein kindliches Gesicht.
Rotgefärbte Haare und Nasenpiercing! Der alternative Typ also. Schon ein bisschen bemüht alles.
Sie schmiegt sich an Oskar, er legt den Arm um sie und sie schließt die Augen.
Schmieg dich mal lieber nicht zu eng an, Kleine! Er hat schon die nächste im Blick. Hat er mir selbst erzählt. Die Tage mit dir in der Waldhütte, all das Gerede von seiner starken Verbindung mit der Natur, das inszeniert er doch nur. Und zwar für sich selbst. Bei der nächsten wird er dieses Theater wieder ganz genauso aufführen. Naja, verbuch es als Lehrgeld!
Dora schlägt die Augen wieder auf und unsere Blicke treffen sich.
Oh, sie hat ja grüne Augen! Schön!
Ich sehe die Beklemmung, die mein Anblick auslöst.
Ja, ich bin die Krähe, die eine hässliche Wahrheit im Schnabel trägt! Jesus, ich brauche endlich auch eine Frau, der ich irgendein Theater aufführen kann!

Wir ziehen los. Meine Nerven beruhigen sich nur langsam. Ich bin noch nicht angekommen in der Nacht. Ich bitte um die Plastikflasche mit Wodka-O und kippe ihn schnell herunter.
„Mach mal langsam, Alter!“
„Halt’s Maul und gib mir lieber ne Kippe!“
Auch der Arzt hat gesagt, ich solle nur in Maßen trinken. Und keine harten Sachen. Aber er meinte auch, körperliche Schäden drohen keine. Das ist aber kein Freibrief! Mhm, is klar! Jetzt bin ich dran!
Immer mehr Menschen tummeln sich auf der Straße. Es gibt Trommler, Punks, Fabelwesen, Demonstranten und eine fette Biene Maja. Krach schlagend ziehen wir durch die Straßen. Nach einer Weile fragen wir uns, ob wir überhaupt beim Zug gelandet sind.
Scheißt doch drauf, wo ist der Unterschied? Sind wir halt noch alternativer als die Alternativen.
„Hey! Hey! Wir sind noch alternativer als die Alternativen!“
Ach, hört mich keiner. War auch gar nicht so lustig. Sieht hier echt aus wie so ein Ort, mit dem kalten Licht und den Konzertplakaten und den vollgespreyten Garagentoren. Bin ich jetzt da? Ist es das jetzt? Sind doch alles Künstlertypen und Musiker, das muss es doch sein! Ich bin doch mittlerweile auch so einer, oder? Das ist genau so eine Nacht, oder? Oder gibt es das alles gar nicht? Vielleicht war es auch in den Büchern und Filmen nicht so. Vielleicht war es schon immer aus der Innensicht ganz anders. Zählt das innere Erleben? Oder zählt die Deutung der anderen, die spätere Erzählung? Ich muss darüber noch einmal in Ruhe nachdenken! Aber nicht jetzt, nicht heute Nacht! Heute Nacht lebe ich einfach! Einfach mal leben! Ich bin so müde. Aber das hat jetzt keinen Platz. Da ist ein Kiosk. Ich kaufe mir einen Red Bull, der wird helfen.
Als ich wieder bei den anderen stehe, ist ein Kumpel von Lars neu dabei.
„Das ist mein Kollege“, sagt Lars. „Der spielt gerne Fäuste verstecken.“
Lars lacht und der Typ grinst blöd.
Was soll das heißen? Dass er Frauen die Faust reinsteckt? Muss ja so sein. Was für ein Freak! Ich mag ihn nicht. Da sind die anderen, scheiß auf den Wichser!
An der Bahnstation erzähle ich Oskar, dass ich gestern „Wem die Stunde schlägt“ geguckt habe.
„Ich liebe Hemingway“, sagt er.
Alle lieben Hemingway. Warum nur? Warum lieben alle Hemingway? Ich glaube, ich mag ihn nicht mehr. Er ist ein Großkotz! Er ist ein verfickter Großkotz, der sich selbst zu wichtig genommen hat. Und eigentlich sind seine Bücher zäh. Ich werde anders schreiben. Schneller! Viel schneller! Wie das Denken und das Erleben. Das Leben ist doch nicht so wohlgesetzt, so bleischwer, wie er immer tut. Aber ich mag es, dass Robert Jordan Maria immer „mein Kaninchen“ nennt. So würde ich auch gerne eine Frau mal nennen. Mein Kaninchen! Im Film sagt er das nicht. Das Buch war besser.
„Pilar ist die Anführerin“, sagt Oskar. „Trotzdem muss sie kochen. Ich find das gut so!“
Hast du das gehört? Wo ist Dora? Sie hat es nicht gehört! So ist Oskar nämlich drauf. Freigeist, my ass! Er ist ein Macho und ein Muttersöhnchen. Nichts weiter. Willst du das? Ach, fick dich doch! Was kümmert es mich? Mein Kaninchen! Irgendwann werde ich das so sagen, aber ich werde nicht sagen, woher ich das habe. Oder ich nenne mein Mädchen Peter, wie der Typ in Wolf unter Wölfen. Das wäre lustig!
Lars und der Perverse schreien und springen auf der anderen Seite der Bahnstation in ein Gebüsch. Sandra lacht laut. Die beiden pissen, ich höre den Strahl auf die Blätter auftreffen. Als sie wieder zurück sind, dreht Lars sich um und springt noch einmal mit Anlauf ins Gebäusch.
„Wo ist mein Jägermeister?“, schreit er. „Mein Jä-ger-meis-ter!“
Er taucht wieder auf und hält das grüne Fläschchen hoch. Die anderen jubeln. Er klettert zu uns auf den Steig, kurz bevor die Bahn einfährt. Ich setze mich Oskar und Dora gegenüber und wir reden weiter. Vor ihr trumpfen wir noch einmal mehr auf. Während um uns herum der Wahnsinn tobt, sprechen wir über Kontraste.
„Mich reizen in der Kunst immer die Extreme“, sagte Oskar und ich widerspreche.
Warum widerspreche ich? Es ist doch seine Meinung! Da kann ich gar nicht widersprechen! Aber diese ständige Neuentdeckung von Zweiseitigkeit und Gegensätzen ist doch einfach platt! Fällt ihm nichts Besseres ein? Gefühl, Verstand, Vernunft, Trieb, tierisch, menschlich, schwarz, weiß, oben, unten, bla, bla, bla! Ich kann sein Gerede einfach nicht mehr ertragen!
Wir steigen an einer Station aus, an der ich noch nie gewesen bin. Lars nimmt keine Rücksicht mehr auf seine Schminke und rennt mit dem Kopf voran in Leute. Bierflaschen zerschlagen auf dem Asphalt. Ich spreche weiter mit Oskar.
„Gefühle sind Momentaufnahmen“, sage ich, „aber die Logik ist ewig. Über unserem Tun thront immer die Logik, ob wir sie wahrnehmen oder nicht. Wir können sie leugnen, aber nicht ignorieren.“
„Aber führt strenge Logik nicht irgendwann in die Unmenschlichkeit?“
Oskar ist immer so verdammt idealistisch. Das kotzt mich an! Aber wahrscheinlich hat er recht. Er ist gesund. Wer gesund ist, hat recht, so ist das wohl. Seine Dora weicht ihm ja nicht von der Seite. Wie schafft er das nur, immer diese Anhänglichkeit zu erzeugen? Seine Mädels sind immer so anhänglich. Vielleicht haben sie wenig Selbstbewusstsein? Aber was er vom Bett erzählt, klingt nicht danach. Ist ja auch egal. Was kümmert’s mich?
„Wie im Nationalsozialismus?“
„Zum Beispiel.“
„Der Nationalsozialismus muss immer für alles herhalten.“
„Echt, ey! Du hast recht!“ Oskar wirft seine Bierflasche gegen eine Hauswand und schreit, „Scheiß Nationalsozialismus!“
Ich glaube, das hat Dora befremdet. Sie guckt so komisch. Ihr Lächeln sieht gezwungen aus. Ach, eigentlich ist Oskar schon in Ordnung.
Wir gehen in einen Kiosk. Ich rempele am Kühlschrank einen Typen an.
„Du bist der Tod!“, sagt er.
„Ich bin nicht der Tod“, sage ich, „Ich habe den Tod überwunden! Ich bin auferstanden! Wie Jesus! Ich bin auferstanden und zurückgekommen. Fragt sich nur, wie lange.“
Der Typ starrt mich kurz an, dann geht er zur Theke. Lars zieht mich ins Freie.
„Niemand hört mir zu!“
„Das ist auch besser so. Hier, trink!“
Er drückt mir ein Bier in die Hand. Wir laufen die Neusser Straße runter Richtung Ebertplatz. Überall sind betrunkene Jecken. Das erste Mal an diesem Abend löst sich Oskar länger von Dora. Sie geht allein zwischen zwei Grüppchen.
„Na, gefällt’s dir?“
„Schon“, sagt sie. „Ein bisschen wild vielleicht.“
Das ist dir schon zu wild? Es ist doch noch gar nichts passiert.
„Kann ich verstehen. Du hättest dich verkleiden sollen!“
„Ja, vielleicht.“
Das Lachen war nicht echt.
„Du hast grüne Augen!“
„Ja.“
Schlag sie doch nicht nieder! So ist besser, schau mich an!
„Grüne Augen sind die schönsten!“
„Ich weiß nicht. Andere Farben sind auch schön.“
„Nein, grüne sind am schönsten.“
„Ok.“
Wie unsicher sie ist! Aber das ist auch süß. Mein Kaninchen! Unsicherheit ist süß, Selbstsicherheit ist sexy. Kann man das so sagen? Ich denke schon. Unsicherheit wollen wir heilen, Selbstsicherheit wollen wir angreifen. Aber oft ist Selbstsicherheit in Wahrheit Unsicherheit. Da hat Oskar wieder seine scheiß Gegensätze! Alles verkehrt sich immer ins Gegenteil. Wir leben in einem verfickten Spiegellabyrinth, nie steht fest, was Schein und was Sein ist. Und ständig rennen wir gegen die Scheibe, am heftigsten, wenn wir denken: Dieses Mal ist alles klar!
„Und du studierst Fotografie?“
„Ja! In Düsseldorf.“
Aha, plötzlich ist sie lebendig!
„So kunstmäßig in dem Fall?“
Was laber ich? Kunstmäßig? Außerdem kann man da doch gar nichts anderes studieren, es ist eine Kunstakademie, du Vollidiot!
„Genau. Also, naja …“ Sie hält inne und denkt nach. „Ich kann gar nicht genau sagen, ob es wirklich Kunst ist.“
„Wieso nicht?“
„Ich mache nur Schnappschüsse.“
„Anstatt?“
„Fotos inszenieren zum Beispiel.“
„Verstehe.“
„Ich muss da mal genauer drüber nachdenken.“
Es scheint sie ernsthaft zu beschäftigen. Sie meint es ernst mit ihrer Sache. Oft sind gerade die Unscheinbaren total in eine Sache vertieft. Nerds! Sie ist ein Nerd! So kommt sie mir vor. Ein Foto-Nerd. Bestimmt kann sie Stunden lang durch die Gegend laufen und nach Motiven Ausschau halten, total vertieft in ihre Gedanken und Empfindungen. Ich beneide das. So was gelingt mir nur selten. Darum kriege ich auch nichts auf die Reihe. Ich brenne für nichts.
„Was ist überhaupt Kunst?“, sage ich.
Halt doch die Schnauze! Diese Endlosdiskussion willst du doch jetzt nicht ernsthaft vom Zaun brechen!
„Wobei das natürlich eine große Frage ist, die man wohl gar nicht beantworten kann.“
„Glaube ich auch.“
Gott sei Dank! Noch mal die Kurve gekriegt! Wird mir jetzt auch zu zäh hier. Was will ich mit Oskars Mädel?
„Sollen wir mal zu den anderen gehen und fragen, wo wir überhaupt hinlaufen. Oder hast du ne Ahnung?“
„Nee.“
„Wohin gehen wir eigentlich?“
„Immer noch zum Zülpicher!“
Oskar legt den Arm um Dora und küsst sie. Sie sieht jetzt glücklich aus.
Sie wäre lieber mit ihm allein. Wahrscheinlich wird sie das bald auseinandertreiben. Er ist viel zu umtriebig für sie. Sie fremdelt ja jetzt schon mit seiner anderen Seite.

An einer Tankstelle kaufen einige Nachschub. Ich lehne mich an eine Zapfsäule und stecke mir eine an.
„Bist du verrückt?“
„Ja!“, rufe ich zurück und ziehe demonstrativ an der Kippe.
Wird schon nichts passieren! Das dürften die doch gar nicht so bauen. Und wenn schon. Dann war es das eben.
Ein Auto will an uns vorbei auf die Straße fahren, aber Lars stellt sich ihm in den Weg. Die Frau hinterm Steuer guckt ihn verdutzt an. Lars geht nicht zur Seite und ich lege mich mit ausgebreiteten Armen auf die Motorhaube. Sie tippt das Gas an und der Motor heult auf. Die anderen grölen und schimpfen, dann zerren sie mich runter und die Frau fährt weg.
Alles gerät aus den Fugen! Ich spüre den Alkohol jetzt deutlich. Wie immer bei Wodka ist die Wirkung zeitversetzt gekommen. Erst ist man nüchtern, dann fühlt man sich wie ein russischer Matrose morgens um vier. Dora geht wieder allein.
„Ich bin auch Künstler!“
„Ach, echt?“
„Ja, ich bin Wortkünstler.“
„Also Schriftsteller?“
Schriftsteller! Was für ein großes Wort. Wann ist man Schriftsteller? Thomas Mann war Schriftsteller. Dostojewski war Schriftsteller. Nein, ich bin kein Schriftsteller.
„Ja, kann man so sagen. Ich stelle Schriften, also bin ich Schriftsteller.“
„Du stellst Schriften?“
„Genau! Ich stelle sie in meinen Notizblock, aber meistens fallen sie schnell wieder um.“
Sie hat gelacht! Das fand sie lustig!
„Nein, ich mach nur Spaß. Ich bin kein Schriftsteller. Irgendwann mal vielleicht.“
„Ach, so.“
Ach, so? So schnell glaubt sie mir? So schnell glaubt sie mir nicht mehr? Die Menschen sind so arglos. Man könnte alles sein, man muss es nur verkaufen können. Ab jetzt bin ich einfach Schriftsteller. Wer will das überhaupt entscheiden?
„Ich bin doch Schriftsteller, hab ich mir grad überlegt.“
„Haha, ok!“
„Ey, Lars, bin ich ein Schriftsteller? Ich bin doch Schriftsteller, oder?“
„Du bist ein Penner!“
„Ja, das auch. So, ich lass dich jetzt in Ruhe!“
Ich gehe einen Schritt von ihr weg, dann wieder einen auf sie zu.
„Nur noch eine Frage. Glaubst du, jedes Gesicht ist schön?“
Da muss sie nachdenken! Ist ja auch so eine Frage. Wenn man die Leute direkt mit so einer Frage konfrontiert, wissen sie erst nicht weiter.
„Ja, ich denke schon. Auf seine Art ist jedes Gesicht schön?“
„Wirklich? Du würdest sagen, jedes Gesicht ist schön?“
„Interessant. Jedes Gesicht ist zumindest interessant.“
„Jedes?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Was ist mit Bill Gates? Der hat doch kein interessantes Gesicht! Oder Rudolf Scharping!“
„Wer ist Rudolf Scharping?“
„Ehemaliger Vorsitzender der SPD, Kanzlerkandidat vor Schröder, also, warte, achtundneunzig, das war folglich neunzehnvierundneunzig. Hat sich dann mit irgendwelchen verliebten Pool-Fotos lächerlich gemacht und wurde Präsident vom Radfahrerverband. Aber egal! Jedenfalls ist dessen Gesicht weder schön, noch interessant, darauf will ich hinaus.“
„Kenne ich nicht.“
Natürlich nicht! Weil die meisten Menschen überhaupt nichts mehr wissen über die ernsten Themen. Alle sind sie politisch, aber mit Politik auskennen, das tut sich niemand mehr. Peinlich! Unerwachsen! Die meisten Leute bleiben Kinder, weil sich keiner mehr fordern lässt. Es macht halt Mühe, erwachsen zu sein. Früher sind die Leute erwachsen geworden. Wie mein Vater. Das muss ich meinem Vater lassen. Er ist erwachsen. Er kennt sich aus mit den Dingen. Man muss sich doch auskennen, wenn man eine Meinung haben will. Aber es liest ja auch keiner mehr die Zeitung.
„Ich geh‘ mal wieder zu Oskar.“
„Mach das!“
Ich gehöre nicht in unsere Zeit. Ich gehöre in die Fünfziger oder in die Dreißiger oder in die Achtzehnhundertachtziger. Die Dinge sind komplex! Man muss sich mit ihnen beschäftigen! Auch in der Kunst. Schnappschüsse? Die Kunst besteht nicht mehr aus Meisterschaft, sie ist zu Schnappschüssen verkommen! Ach, Quatsch! Das ist alles Unsinn. Man kann es auch in Schnappschüssen zur Meisterschaft bringen. Man kann es in allem zur Meisterschaft bringen, sogar im Ficken und Saufen. Casanova, der Marquis de Sade, die haben es im Ficken zur Meisterschaft gebracht, Hemingway, Bukowski im Saufen. Im Saufen haben es eigentlich alle zur Meisterschaft gebracht. Da bin ich ja selbst schon halber Meister drin. Übrigens, ich brauche ein neues Bier, dieses hier schmeckt nach Pisse. Warum verkaufen sie Kölsch überhaupt in Halbliterflaschen? Das letzte Drittel ist immer nur noch Pisse. Ich kaufe mir jetzt nur noch kleine Flaschen. Oh, da ist ja die Bahnstation! Ich nehme die Kippe mit rein. Was guckt ihr so blöd? Heute gelten keine Regeln. Der Pöbel hat übernommen. Darum geht es doch! Um ein paar gute Tage. Ein paar Tage ohne euch. Wenigstens ein paar Tage. Wie laut sie sind! Und Lars als Vorsänger, das hätte ich ja nicht gedacht. Sonst ist er doch eher ruhig.
„Das Trömmelsche jeht, dann stonn m’r all parat!“
Wie die Bahn wackelt! Wahnsinn! Wie früher auf dem Weg zum FC. Ich habe das immer nur gespielt, den Fußballfan. Aber es war trotzdem schön. Man muss alles mal mitgemacht haben. Alles mitnehmen muss man! Gleich geht eine Scheibe kaputt. Bestimmt geht gleich eine Scheibe kaputt und wir müssen rennen. Ich muss pissen. Gut, dass wir zum Zülpicher gehen, da kann ich aufs Urinal. Schon lustig, dass das immer unser Treffpunkt ist. Das Urinal. Ob das MTC heute aufhat? Ich muss wirklich pissen. Wie viele Stationen noch? Nur noch eine, oder? Ah, ja, wir tauchen auf. Gut, dass es nur ein paar Schritte sind. Also los! Raus jetzt hier. Ich schlage auch gegen! Scheiß KVB! Wo kommen die Spanier her?
„He guys, I’ve heard that spaniards have small dicks! Is that true?”
Was denn? Hab ich halt gehört. Sollen sie doch! Spanier haben kleine Schwänze und Angst vor Hunden. Und spanische Frauen haben oft raue Stimmen. Und so verkniffene Gesichter. Oder Pferdegesichter. Sie haben verkniffene Gesichter oder Pferdegesichter, ich sehe sie genau vor mir. Wohin wollen sie? Na gut! Mir ist alles egal. Ist ne geile Nacht! Fick dich, Klosowski! Fick dich einfach! Du kannst dir deinen Alkoholmissbrauch in den Arsch schieben! Ich schaue jetzt nicht mehr auf andere! Fickt euch, ihr wollt mir nur Schranken vor die Nase setzen. Ich will eure Schranken aber nicht. Hab meine eigenen Schranken. Aber alle Schranken sind selbsterzeugt! Aus Angst! Aber die Angst macht mir keine Angst mehr! Was soll jetzt noch kommen? Es kann doch gar nichts mehr kommen! Ich kann jetzt alles tun, was ich will! Ich bin frei, denn es gibt nur das Jetzt! Das Jetzt und das Nichts! Aber solange etwas ist, ist nicht nichts. Und ich bin! Ich bin jetzt hier! Es gibt also nur mich! Für mich gibt es nur mich! Warum gehen wir nicht rein? Nee, wartet! Ja, draußen ist es besser, da stehen zwei Weiber! Direkt gut sehen sie ja nicht aus. Aber ok. Sie sehen ok aus. Doch, eigentlich sind sie ganz hübsch in ihren Stewardessenkostümchen. Saftschubsen! Das ist wirklich lustig. Ich muss mir auch mal solche Wörter ausdenken. Schubse! Das ist die Ficke von Lars! Ficke! Schubse! Richtig ordinär. Aus Duisburg?
„Da hab ich mal studiert. Echte Scheißstadt!“
Die sind schon ganz schön gut dabei. Ich glaub, ich pack mir einfach die Dunkle. Machen doch heute alle so. Scheiß drauf, ist Karneval! Na also, läuft doch! Haha, jetzt schnappt er sich die andere. Kann er nachher wieder Fäuste verstecken spielen. Was für ein Ausdruck! Mit der Saftschubse Fäuste verstecken spielen. Ihr Rücken ist ja nackt. Warm! Nee, weiter gehen kann ich hier nicht. Jetzt nach unten! Ihr Arsch ist fester, als ich dachte. Mann, jetzt hab ich Lust! Es ist viel zu lang her! Komm mir vor wie einer, der gerade aus dem Knast entlassen wurde. Gut, gut, rein ist gut. Auf der Tanzfläche ist es dunkel und wir sind die anderen los. Ich geb mal den Gentleman.
„Auch ein Bier?“
Verdammt ist das voll. Ja, ja, du hast den Platz nicht gepachtet! Hier kämpft jeder für sich, Freundchen. Ah, verdammt, verpasst! Wichser! Jetzt guck schon hierhin! Guck doch, verdammt! Jetzt! Genau! Lasse ich vier da, oder? Ja, vier. Scheiß drauf! Wo ist sie jetzt? Mann, wie es das hasse! Noch mal gut gegangen. Es geht auch keiner einen Schritt … Da!
„Gerne!“
Jetzt muss ich neu ansetzen. Scheiß Bier! Das ist jetzt unpraktisch. Na, dann eben mit einem Arm.
„Was?“
Haha! Ach, der Lars! Spricht er das einfach so aus. Dumm, aber geile Titten! Er kennt da wirklich nichts. Schon sehr pubertär noch. Aber er hat recht! Besonders helle wirkt sie nicht. Und die Titten sind echt ok. Ob sie mitkommt? Da ist ein Platz. Endlich beide Hände frei! Ja, press dich an mich! Ich werde hart. Besser wieder etwas mehr Abstand. Ist noch zu früh. Oder? Vielleicht bin ich zu wenig fordernd. Vielleicht klappt es deshalb nie. Ich muss vielleicht fordernder sein. Was soll das? So ein Wichser! Beim nächsten Mal sag ich was. Ok, jetzt reicht’s!
„Na und?“
Seit Stunden hier, my ass!
„Es gibt Typen, die fuckt man besser nicht ab. Und ich bin so ein Typ!“
Ja, zieh ihn mal besser weg! Wichser!
„Danke, ich kenne den Sinn von Karneval!“
Du Funz! Ja, trollt euch! Ciao! Das war gut von mir. Glaube, er hat’s geglaubt. Aber ist auch so! Heute hätte ich durchgezogen. Oder hat er es nicht geglaubt? Hat seine Ische alles entschärft? Er sah schon kräftig aus. Aber egal, ey! Ich hätte es durchgezogen. Man muss nur verrückter sein. Wie in Shantaram. Verrückter sein und nie den Kopf runternehmen. Das sind die beiden Regeln für die Straße. Fast schade, dass sie ihn weggezogen hat. Fuck, Dora schaut rüber! Hat sie das gesehen? Warum wird mir so warm? Ist mir das jetzt peinlich? Der hat’s doch drauf angelegt! Ach, ich weiß doch gar nicht, ob sie’s gesehen hat. Fuck, ich hab mich grade lächerlich gemacht, oder? Es gibt Typen, die fuckt man besser nicht ab. Und ich bin so ein Typ! Wo kam das her? Hab ich das aus einem Film? Ich hätte wie bei Hemingway reden sollen. Ich spucke in die Milch deiner Mutter! Das wäre lustig gewesen. Ich spucke in die Milch deiner Mutter! Aber es stimmt! Mich fuckt man heute besser nicht ab! Und sie hat das ja gar nicht gehört. Sie hat uns nur beobachtet. Wenn überhaupt. Vielleicht hat sie es ja gar nicht gesehen. Und selbst wenn. Vielleicht fand sie ja gut, wie ich reagiert hab. Hab mich behauptet! Der Wichser ist abgezogen wie ein Feigling! Sie mag bestimmt keine aggressiven Typen. Die Funz hat schon recht, wenn ich ehrlich bin. Karneval sollte friedlich bleiben. Blöde Funz! Mich einfach so belehren! Was kümmert mich das alles eigentlich? Scheiß doch drauf! Ist doch eh die Freundin von Oskar. Ich hab hier jetzt selbst eine. Wo will sie hin? Ich gehe ihr einfach nach. Immer dranbleiben! Mann, bin ich blau!

Mach schon! Morgen kann alles wieder vorbei! Du musst den Moment ausnutzen! Du musst ihn voll auskosten! Morgen kann alles wieder vorbei sein! Nimm wenigstens ein paar schöne Erinnerungen mit! Ha! Wusste ich’s doch! Ist ihre Zunge aber schlaff! Schlaff wie eine Schnecke! Sie ist eine Saftschubse mit einer Schneckenzunge! Aber sie riecht gut. Sie riechen immer gut. Du riechst so gut! Ich steig dir nach! Da gucken welche! Egal! Ist mir alles egal! Ich geh einfach drauf los! Was? Was soll das jetzt?
„Komm schon!“
Jetzt stellt sie sich aber an! Warum sind wir denn hier? Lass mich doch!
„Ist ja gut, ey!“
Blöde Funz, dann geh doch! Hab eh keinen Bock auf deine Schneckenmuschi gehabt! Bestimmt erzählt sie das gleich der anderen. Aber scheiß drauf, seh die eh nie wieder! Ich geh gleich auch wieder rein. Nur noch ein bisschen abwarten, bis sie weg ist. Da steht Dora! Da gehe ich jetzt hin!
„Wetten, ich kann aus dem Stehgreif ein Gedicht über dich dichten?“
Denkt bestimmt, ich krieg‘s nichts hin. Dann pass mal auf jetzt!
„Dora-Dorade! Eine Dorade mit Marmelade! Die ist aus. Ach, wie schade! Keine Dorade mit Marmelade! Von Dora-Dorade!“
Fand sie lustig! Hätte sie nicht gedacht. Mit Worten kann ich einfach. Na, toll!
„Hey, ich hab grad ein Gedicht über deine Freundin gedichtet. Willst du es hören?“
Meint er das so?
„Was meinst du?“
Er meint das so!
„Whatever, man!“
Guck ruhig weg, kann ich verstehen! Was sollst du jetzt auch dazu sagen? Ist mir doch alles scheißegal, ich brauch das hier nicht! Ich geh jetzt nach Hause! Mit mir wäre sie besser dran gewesen! Aber scheiß auf sie! Da sind wieder die Spanier! Ja, ihr mich auch! Wann kommt die Bahn? Keinen Bock hier rumzustehen! Ich will ins Bett. Kaufe ich mir noch ein Bier? Nein, bin schon ganz schön besoffen! Wenn mein Gesicht taub ist, bin ich richtig besoffen! Wenn mein Gesicht taub ist und wenn mir alles so verlangsamt vorkommt, bin ich besoffen. Mit den Tabletten ist es gefährlich. Ich hätte nicht so viel trinken sollen. Ich habe mich vergiftet! Mein Körper zersetzt sich! Vor allem mein Hirn zersetzt sich! Ich fühle es! Aber es ist auch schön! Ich liebe es, wenn alles langsamer wird. Es ist wie ein Kissen, auf dem ich meinen Kopf ablegen kann. Es wird schon nicht so schlimm sein! Meine Angst ist sicher übertrieben. Es trinken doch alle und der Arzt hat ja gesagt, es sei ok. Und wenn schon! Besser richtig gelebt haben, als gesund sterben! Ich muss nur noch ein wenig stärker werden! Akzeptieren, dass es irgendwann sowieso vorbei ist! Ob zehn Jahre früher oder später, ist doch egal! Hauptsache keine Krankheiten! Am besten wäre, wenn ich mir selbst ein Ende setze. Jetzt schon festlegen, mit sechzig ist Schluss! Dann kann ich die Zeit bis dahin voll auskosten. Was für eine Freiheit, wenn man weiß, ich bringe es trotz allem gesund über die Bühne. Höchstwahrscheinlich! Und was für eine Motivation, die genaue Zahl an Tagen zu kennen, die einem noch bleibt. Keine Verschwendung mehr! Das hält man doch gar nicht aus, einen ganzen kostbaren Tag zu verschwenden, wenn man weiß, wie wenige noch bleiben. So muss ich es machen! Sagen, mit sechzig mache ich Schluss! Oder vielleicht schon mit fünfzig? Danach kommt eh nichts mehr. Mit fünfzig ist Schluss! Bis dahin gibt es keine Grenzen! Das wäre genial! Ach, vergiss es! Das hab ich mir doch schon oft gedacht, so was! Das kann nicht klappen! Der Tod macht einfach zu viel Angst. Ich hätte zu Hause bleiben sollen! Jetzt habe ich mich wieder ein Stückchen mehr vergiftet! Mein Gehirn fühlt sich an wie aufgeweicht, das kann nicht gesund sein! Aber der Arzt hat ja gesagt, es ist nicht so schlimm! Und ab und zu muss man doch auch mal loslassen, oder? Wofür lebt man sonst? Man kann doch nicht immer die Kontrolle haben? Nur verklemmte Spießer haben immer die Kontrolle! Aber die verleugnen ihre wahren Wünsche! Alle Menschen wollen den Exzess, ob sie es zugeben oder nicht! Oder ist es doch besser, stoisch zu leben? Wer hat mehr Stärke als jemand, der sich selbst im Griff hat? Niemand! Ich sollte ab jetzt stoisch leben. Ich war doch eigentlich immer sehr diszipliniert. Man hat sich ja sogar schon darüber lustig gemacht, wie diszipliniert ich war, mit dem ganzen Sport und den Diäten. Dann hätte ich auch jetzt nicht dieses Gefühl. Es fühlt sich an, als ob ich mich zersetze, vor allem mein Gehirn! Ach, der Breuninger! Was macht der denn hier? Ist der fett geworden! Gar keine Lust auf den jetzt! Wieso sagt er das so? Ich mache Angst. So sagt man das doch nicht! Du machst Angst! Wem mache ich Angst? Ihm? Du machst mir Angst, muss es doch heißen. Oder meint er, generell? Mache ich generell Angst? Ist es so weit? Mache ich einfach Angst? Das trifft mich. Wieso trifft mich das? Ich weiß nicht, aber es fühlt sich nicht gut an, das gesagt zu bekommen. Bin ich so weit rausgefallen? Ach, vielleicht ist das nur der Breuninger. Der war schon immer komisch. Und warum ist er so fett? Hat er auch Probleme? Bestimmt, wenn er so fett ist. Er war schon immer ein Sensibelchen, der Breuninger. Die Bahn! Endlich! Gott sei Dank, der Breuninger nimmt ne andere. Konzentrieren, Stufe! Ich falle nicht auf, oder? Nein, nein, keiner sieht mich an. Jetzt einfach festhalten und die Augen offenhalten. Keiner kann in mich hineinschauen! Einfach festhalten und Augen offenhalten. Und aussteigen, wenn es so weit ist!

 

Hallo @H. Kopper,

starkes Stück Text und ich fühlte mich um Jahrzehnte zurück katapultiert - hört wohl nie auf, die Erinnerung an solche Zeiten, Tage, Momente. Dieses typisch jugendhafte Großkotzdenken, die überspielte Unsicherheit und das Draufgängertum - das langsame Abdriften in den Suff, die permanent wankelmütige Reflexion und die daraus resultierende Wiederholung der Gedanken - diese Endlosschleifen. Du hast mich überzeugt, nochmal, ein starker Text, der mir zu lesen gefallen hat. Ich will's auch nicht auseinander stückeln oder Tipps geben, wo was zu kürzen wäre. Dazu war's zu gut!
Beste Grüße
Detlev

 

Hallo @H. Kopper ,
ich kann mich Detlev nur anschließen. Habe es gleich mehrmals gelesen, so gut fand ich es. Du hast Dich einfach so treiben lassen und aufgeschrieben, was Dir gerade in den Sinn kam. Diesen Eindruck habe ich bei Miller, in "Wendekreis des Steinbocks" auch. Ist schon mal interessant, was im Inneren von Jugendlichen, die scheinbar ausgelassen im Karneval feiern, in Wirklichkeit so vorgeht. Karneval habe ich in Wasungen - habe darüber hier geschrieben - und in Eisleben mitgemacht. Man rennt auf der Straße rum und wird immer betrunkener und urplötzlich wieder nüchtern und friert, wenn man nicht gerade mal wieder eine Hochphase hat. So was ist entweder Scheiße oder genial. Bei mir war es genial. Diese Karnevalszeit ist eigentliche eine sexuell aufgeheizte Atmosphäre. Mit der großen Liebe wird es natürlich eher nichts. Dafür spontane Aktionen.
H.K, ich finde Deine Karnevalsgeschichte ist in einem viel interessanteren Stil geschrieben als meine / Parkas und Tolle Tage. Die wirkt ja richtig brav und bieder dagegen. Ich muss mir von Dir mal was abkucken,
Gruß Frieda

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom