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Nur nicht den Mut verlieren

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10.11.2003
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Nur nicht den Mut verlieren

John Grisham, 55, hat bis heute weltweit 250 Millionen Bücher verkauft, seit dem er vor 20 Jahren seine Anwaltskanzlei schloss. Drei Jahre schrieb er, nach 26 Absagen erbarmte sich 1988 ein Kleinverlag und veröffentlichte seinen Erstling: Die Jury. Davon wurden 5000 Exemplare verkauft und es wäre wohl so weiter gegangen, hätte Paramount nicht die Filmrechte für den Nachfolger „Die Firma“ gekauft. Danach ging alles wie von selbst.

Grisham schreibt jeden Tag von 6.30 bis 12 Uhr, außer Sonntags – da geht er in die Kirche. Telefon, Fax oder Internet gibt es da nicht, den Inhalt der Kapitel legt er auf Zetteln fest, davon wird nur veröffentlicht, was seiner Frau gefällt. Seine Romane sind schnell geschrieben – genauso schnell liest man sie. Es ist Konfektion nach immer gleichen Strickmuster: David gegen Goliath, Gut gegen Böse, Ehrliche gegen Kartelle – und am Ende wird alles gut. Die Charaktere bleiben blass, denn „die Handlung treibt den Thriller voran, nicht die Menschen.“, sagt Grisham. Er könne sich nicht mit komplizierten Charakterstudien aufhalten, er verstehe sich auch als Unterhaltungsarbeiter, nicht als Schriftsteller.

Es gibt keine Vulgärsprache bei Grisham, Sex nur in Andeutungen. Er könne darüber nicht schreiben, sagt er, und seine Frau sagt: „Weil er keine Ahnung davon hat.“ Seine Figuren sind frustrierte Provinzanwälte wie er einer war, bornierte Richter, geldgierige Firmenanwälte, Weltverbesserer in Roben.

Dies alles nach einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung von diesem Wochenende.

 

Klingt nach einer immer wieder neu aufgewärmten Geschichte, was Herr Grisham produziert, mich haben Titel und Cover immer derartig abgeschreckt, dass ich kein Grisham'sches Prosastück je probierte. Aber man kennt das ja, besonders bei Krimis und Thrill, jemand findet ein Rezept, das die Leserschaft schmackhaft findet, wird Sklave des eigenen Erfolgs und produziert am Fließband. Wie James Patterson, ein sauerfolgreicher Schriftsteller, der laut Spiegel mehrere Bücher gleichzeitig schreibt. Sollen sie machen, ist doch schön, wenn jemand Erfolg hat. Aber meistens kommen diese Serien über den Lindenstraßen-Effekt nicht hinaus. Man freut sich, dass man Bekannte trifft und beim Lesen nicht denken muss. Klar hab ich Mankell und Vargas ne Weile gern gelesen, auf ne einsame Insel würd ich jedoch keinen von denen mitnehmen. Niedlich, was seine Frau über ihn sagt.

 

Ich war mal auf einem Literaturseminar. War sehr interessant, nebenbei. Aber die eine Hälfte der Autoren war seit zwei Jahrzehnten dabei, die davor liegenden zwei Jahrzehnte zu verarbeiten, und die andere jieperte danach, endlich groß rauszukommen und vom Markt erkannt zu werden, endlich nicht mehr dem profanen Job nachgehen zu müssen. Anstatt authentisch zu sein und nach dem einzigartigen zu suchen, was sie leisten können, versuchten sie ihr Glück in Anpassung. Ein Verlagslektor moderierte das ganze, ambitionslos gab er Hinweise, wie man es besser machen könne, bei einem Verlag zu landen. Ich habe nicht wahrgenommen, daß ihn irgendeine Geschichte oder Literatur überhaupt interessierte. Ach ja, dann war da noch einer, der einzige, der schon mehrere Bücher veröffentlicht und gut verkauft hatte: er schrieb Krimis nach Strickmuster, ohne innere Beteiligung; seinen Erfolg konnte er fühlen, eine Beziehung zu seinen Romanen nicht. Er war noch jung und hatte nicht zwanzig Jahre in einem langweiligen Job gebraucht, um so abgebrüht zu werden. So in diesem Sinne?
Schön, wenn man vom Schreiben nicht leben muß.

 

Wäre Grisham ein erfolgreicher Anwalt, würde er wahrscheinlich keine Bücher schreiben. Aber immerhin war er 10 Jahre Anwalt und kann daraus bis heute schöpfen. Dazu kommt, dass Amerika Anwaltsbesessen ist – das dortige Rechtssystem bringt das mit sich.

Wenn man etwas aus dem Beispiel Grisham lernen kann, dann dies:

1. Schreibe nur über das, worüber du einigermaßen Bescheid weißt.
2. Mache dir Gedanken darüber, was du mit dem Text erreichen willst und plane entsprechend
3. Betreibe das Schreiben wie eine gewöhnliche Arbeit, d.h. schreibe stetig und diszipliniert
4. Schaffe dir eine Kontrollinstanz, auf deren Urteil du hörst
5. Lasse dich auch von zig-Absagen nicht von deinem Ziel abbringen

 

1. ist leicht zu beherzigen, wenn man ehrlich mit sich selbst ist,
4. : dafür ist doch Kg.de da,
2., 3. und 5.: daran muß man wohl hart arbeiten!

 

Egal wie man zu John Grisham steht, man lernt eine Menge darüber, wie (merkwürdig?) die Amerikaner ticken!
Er arbeitet täglich 5,5 Stunden an sechs Tagen – das macht 33 Stunden-Woche. Und das auch nur das erste Halbjahr bis zum Abgabetermin am 1.7. des Jahres. Den Rest des Jahres lässt er sich wohl gut gehen und recherchiert für den nächsten Bestseller. Das typische Leben eines Schriftstellers, der es geschafft hat.
Angefangen hat er wie alle hoffnungsvollen Autoren – Schreiben neben der Arbeit. (Die Kanzlei hat er erst geschlossen, als er schon erfolgreich war – weil ‚danach ging alles wie von selbst’)
Die allermeisten jedoch müssen zunächst für ihren Broterwerb sorgen, bevor sie sich schöpferisch an den PC setzen können, falls sie noch nicht zu erschöpft sind vom Alltag.
Die ‚fünf Punkte’ können mich übrigens nicht überzeugen (wegen ihrer Kürze) – ich beherzige lieber die ausführlichen Tipps u. a. von Andreas Eschbach und Rainer Wekwerth.
Frohes Schaffen!
kinnison

PS: Herr Grisham selbst hat wohl noch kein einziges Buch verkauft – er hat nur ein paar geschrieben … ;-)

 

Egal wie man zu John Grisham steht, man lernt eine Menge darüber, wie (merkwürdig?) die Amerikaner ticken!
Er arbeitet täglich 5,5 Stunden an sechs Tagen – das macht 33 Stunden-Woche.
(...)
PS: Herr Grisham selbst hat wohl noch kein einziges Buch verkauft – er hat nur ein paar geschrieben … ;-)
Nee, das Zauberwort heißt Schreibprogramm, just ask Mr King and such. Würde eher sagen, Grisham hat ne Masse Bücher verkauft, aber wenig davon tatsächlich geschrieben.
:Pfeif:

Für mich ein sehr schlechtes Beispiel für Literatur, bzw. einen kreativen Arbeitsprozeß.

 

Diese "Schreibprogramme" sind nur ein Zeichen für einen festen strukturellen Aufbau von Kapiteln. Das ist die klassische Aktaufteilung aus dem Drama der Antike differenzierter.
Ich bin auch kein Fan davon, weil Texte, die danach geschrieben werden, dazu neigen, durchschaubar zu sein, aber schreiben tut er schon selbst.
Und letzlich: Es ist egal, wie die Wurst gemacht wird, hauptsache, sie schmeckt.

Zu dem Thema: Ich hab von Grisham nichts gelesen, ich hab die Filme gesehen, die auf seinem Zeug beruhen und mochte die.
Ich hab einige Male den Fehler gemacht und zu Filmen, die nach Bestsellern verfilmt wurden, dann das Buch gelesen.
Tom Clancy konnte ich keine 20 Seiten lesen, weil das furchtbar technokratisch war.
Robert Harris ging, da fehlte aber den Figuren genau jenes Charisma, das die Schauspieler dann hatten.
Und Dan Brown hatte einen furchtbar aufgeblähten Mittelteil, bei dem ich ständig das Gefühl hatte: Okay, das hat mit dem Plot nichts zu tun, das schreibt er, weil er einen Vertrag über 600 und nicht nur 300 Seiten hatte (dieser ganze Kram da mit den Da Vinci-Puzzles war einfach überflüssig und hatte mit der Hauptgeschichte nichts zu tun).

Um die Kurve zu kriegen: Dan Brown hätte ein Schreibprogramm gut getan.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hehe, Brown ist das schiere Grauen.

Bei Schreibprogrammen gibt es verschiedene Varianten. Einmal die, die Du ansprichst. Dann welche, die einiges mehr tun, dort werden Phrasen und Motive eingegeben, und das wird vom Programm vorgepatchworkt. Der Autor schleift dann drüber. Es gibt ein Interview mit King, in dem er das sehr anschaulich beschreibt. Innerhalb einer Doku, in der das auch an Eingabebeispielen gezeigt wurde. Das ist ziemlich gruselig.

Solche Programme lassen sich leicht rauslesen, weil sich nicht nur der Aufbau, sondern sprachliche Versatzstücke im Buch wiederfinden lassen, die nicht alleine mit Eigenart eines Autoren zu tun haben können. Genau wie man herauslesen kann, ob jemand einen Text von google-translation hat übersetzen lassen - es ist schon möglich, organische von mechanischer Sprache zu unterscheiden.

Gut zu sehen u.a. in Simmons Olympos. Bei einer gewissen Überproduktion kann man eh davon ausgehen, irgendwelche tausendseitigen Trilogien in wenigen Jahren und all das Zeug.

 
Zuletzt bearbeitet:

Quinn:Es ist egal, wie die Wurst gemacht wird, hauptsache, sie schmeckt.

Und das schmeckt noch? Bei Lebensmitteln finde ich Industrieproduktion auch unbehaglich.

Katla: es ist schon möglich, organische von mechanischer Sprache zu unterscheiden.
Ich kann ja auch den Rhythmus eines Synthesizers von dem eines menschlichen Schlagzeugers unterscheiden.

Mir ist das alles so fremd, daß ich gern Beispiele lesen würde - das Thema etwas vertiefen. Seit der Romanschreibstube von Dumas mit seinen Schreibern hat sich wohl einiges getan; die Automatisierung ist nicht aufzuhalten. Wie steht es denn mit der Produktionstechnik der Vielschreiberinnen Zimmer-Bradley und Rowling?
Aber die Diskussion gleitet ab. Mit "Nur nicht den Mut verlieren" sollten tragfähige Ziele verbunden werden; einer eingespielten Massenproduktion nachzueifern, kann eigentlich kein literarisches Ziel sein, höchstens ein kommerzielles.

 
Zuletzt bearbeitet:

Quinn:Es ist egal, wie die Wurst gemacht wird, hauptsache, sie schmeckt.

Und das schmeckt noch? Bei Lebensmitteln finde ich Industrieproduktion auch unbehaglich.

Es scheint ja Leuten zu schmecken. Sonst wären das keine Bestsellerautoren. Ich habe nur gesagt: Wie jemand schreibt, ob mit Kladde (die ja auch ein Autorenfetisch geworden ist) unterm Apfelbaum oder mit Sol Steins Literaturprogramm auf dem Laptop im ICE, das interessiert keinen. Das Endprodukt zählt.
Man kann sich ja über die Auswüchse des Literaturbetriebs mit Recht beklagen, dass Schätzing u.a. so erfolgreich ist, weil er - für einen Autoren - ordentlich etwas hermacht und reden kann - das kann Ingo Schulze, der von der Kritik geliebt wird, eben nicht.

Das Phänomen des "Schnellen Schreibens" z.B. wird ja oft als Qualitätsmangel angeführt, weil einige Autoren es gern so hätten, dass man sich jeden Satz rauspresst wie ein 12Pfund-Baby. Aber manche können das nunmal, deren erste Fassung odr wenigstens ihre zweite, ist so gut, dass ihre Leser ihnen die abnehmen und ihnen ihre Verlage dafür Geld geben.
Andere brauchen sehr viele Fassungen, müssen den Text länger liegen lassen, verfransen sich in Plotfäden oder müssen mittendrin eine Pause machen, weil sie sich in eine Sackgasse geschrieben haben. Als Autor, der vom Schreiben leben möchte, gut leben möchte, kann man sich - ich denke das leuchtet jedem ein - sowas halt nicht leisten. Zumal man dann ständig damit kämpft, seine Stammleserschaft zu halten und auszubauen. Wenn ich im "Markt" bin, an den Bahnhofshandlungen, und hab da ein Buch, das sich gut verkauft, muss ich möglichst bald eins nachschieben, denn in 3,4 Jahren haben mich die Leute wieder vergessen und ich muss die Marke erneut aufbauen.
Das hat natürlich mit der hohen Kunst und dem Jahrhundertroman nichts zu tun. Sondern das ist der Bereich der Literatur, der marktanalysiert, durchgestylt und zugeschnitten ist. Da schreiben die Autoren auch nicht frei. Da gibt es in den Genreverlagen oder Buchreihen klare Vorlagen: Sex zwar alle 50 Seiten, aber straight und Abblende beim Licht-Aus, der Held darf nicht beschädigt werden, darf keine Angewohnheiten oder Makel haben, die ihn als Fantasieobjekt für die Leserschaft (natürlich auch sexuell) unattraktiv machen würden, Happy-End ist oft vorgeschrieben.
Das sind lauter so Sachen, bei denen man zu Recht den Kopf schütteln kann.
Mal davon ab, muss man auch klar sagen: Die Leute, die so regelmäßig schreiben, das sind schon keine Idioten oder Stümper, die haben mehr Bücher gelesen und mehr Talent als die meisten anderen. Vor allem aber haben sie Disziplin, auch so regelmäßig zu schreiben, und nehmen das viel ernster als Hobbyautoren.
Wenn hier einer im Monat zwei Texte á 15.000 Zeichen einstellt, ist das schon viel und er wird argwöhnisch beäugt. Normal schreibt ein professioneller Autor, wenn er schreibt, je nach Tempo, irgendwo zwischen 7 und 12 Normseiten am Tag. Das sind andere Dimensionen.


Natürlich tut ein Autor gut daran, wenn er die Leser nicht schauen lässt, wie die Wurst gemacht wird. Die möchten, dass dem Autor der Roman in einem Geniestreich einfällt und dass er ihn dann, wie von der Muse geküsst, fieberhaft schreibt, ohne abzusetzen, aber als er dann aus seinem Schreibkämmerlein kommt, ist darüber Winter geworden.

 

Was Quinn da schreibt, unterschreibe ich auch. Das alles ist sicher wichtig, doch mit meinem ersten Posting wollte ich vor allem sagen, dass auch Autoren, die heute groß und erfolgreich erscheinen, mal klein angefangen haben – 26 Absagen für das erste Buch, das muss einer erst verkraften.

Und dann der Hinweis auf Inhalt: Grisham hat Erfolg, weil er packende Stories schreibt – da ist es beim Lesen egal, wie spät es ist, und dass man morgen früh aufstehen muss, man will einfach wissen, wie es weiter geht bzw. endet.

Und wie viele Kurzgeschichten sind bei uns so geschrieben? Es gibt sie, aber sie sind selten, was auf Missachtung der Leser hindeuten könnte. Was hat man von perfekt komponierten Sätzen, wenn der Inhalt den Leser langweilt? Und wenn sich schon normaler Leser langweilt, wie sieht es dann beim Lektor aus? Der liest wahrscheinlich nicht mal die erste Seite zu ende.

 

Auch wenn es etwas am Thema vorbei geht.

Bei Schreibprogrammen gibt es verschiedene Varianten. Einmal die, die Du ansprichst. Dann welche, die einiges mehr tun, dort werden Phrasen und Motive eingegeben, und das wird vom Programm vorgepatchworkt. Der Autor schleift dann drüber. Es gibt ein Interview mit King, in dem er das sehr anschaulich beschreibt. Innerhalb einer Doku, in der das auch an Eingabebeispielen gezeigt wurde. Das ist ziemlich gruselig.

Was bitte ist ein "Schreibprogramm"?
Ich denke mal, ihr meint damit nicht so etwas wie WORD oder OpenOffice.

Viele Grüße
Floy89

 

:google:
Kurze Zeilen kommen per PN, will keine Nebendiskussion aufmachen. Bin allerdings aus Geschmacksgründen anti, andere sehen das - wie Du hier siehst - halt anders.

 

Bei der Programmdiskussion geht schnell unter, wofür man den Mut nicht verlieren soll: geht es nur um den Erfolg an sich? Wenn man schon von sich weiß, daß man nur den Mainstream bedient, daß man nichts aussagt, was nicht andere genau so gut schreiben könnten, was ist die Mühe dann wert? Geld läßt sich vielleicht doch anders leichter verdienen.
Ich habe einmal in einem Film von den ersten Reaktionen gehört, die ein Verlag 1944 auf die neu eingereichte erste Geschichte von Pipi Langstrumpf gezeigt hatte. Die Geschichte sei "psychisch krank", "verrückt", die Autorin selbst müsse "wahnsinnig" sein, hieß es da - als Antwort auf eine Geschichte, in der ein Mädchen auch ohne Eltern stark und einfallsreich ist. Der spätere Erfolg ist ebenso eine Reaktion auf die ungewöhnliche neue Qualität der Lindgren-Geschichten. Beide, die Abwehr wie der Erfolg, zeigen den notwendigen Durchbruch an. John Grisham hat beide Reaktionen nicht erhalten, erst wurde er übersehen, dann hat man gemerkt, daß man ihn doch vermarkten kann, wie viele andere auch; alles im Bereich des gewohnten.
Astrid Lindgren wird Mut gehabt haben; bei Grisham finde ich das Wort unpassend. Vielleicht besser Chuzpe?

 

Astrid Lindgren wird Mut gehabt haben; bei Grisham finde ich das Wort unpassend. Vielleicht besser Chuzpe?
War es wirklich Chuzpe, dass Grisham eine einmalige Gelegenheit (Verfilmung seines Buches „Firma“) nicht ungenutzt vorbeigehen ließ? Ich denke, es wäre schlicht dumm, nicht zu tun, was Grisham getan hatte: Einen Thriller nach dem anderen zu produzieren, schließlich kann er das ganz gut, zumal er aus den Erfahrungen als Anwalt schöpfen kann.

Ein anderes Beispiel: Gestern kam während des Abendessens bei Freunden das Gespräch auf Paul Coelho und seinen Erfolg – allein sein schmales Bändchen „Alchimist“ verkaufte sich 30 Millionenmal (von der Erstauflage wurden jedoch nur 900 verkauft). Die Gastgeberin schwor auf ihn: Er läge voll auf ihrer Linie, sie wisse schon jetzt, dass sein nächstes Buch genauso toll sein würde wie alle anderen. Auf meinen Einwand hin, sein Jakobswegbuch (das einzige, das ich von ihm gelesen hatte) sei doch langweilig bis geht nicht mehr, räumte sie zwar ein, dass das sein schwächstes Buch gewesen, aber der „Alchimist“ sei so was von toll, das müsse ich unbedingt lesen. Sie brachte mir auch gleich das Buch, und als ich daran blätterte, stieß ich auf ein Zwiegespräch zwischen Wind und dem Jüngling, dem Protagonisten. Das hat mir schon gereicht, aber anstandshalber nahm ich das Buch mit. Ich werde es nicht lesen, denn es interessiert mich nicht eine Bohne, was Coelho da Mystisches zu sagen hat.

Aber 30 Millionen waren da anderer Meinung und haben das Buch gekauft und sicher zum größten Teil auch gelesen, sonst würden sie oder andere nicht die weiteren Bücher Coelhos kaufen, die er wie am Fließband produziert, langsamer zwar als Grisham, aber ihm in der Stetigkeit nicht unähnlich.

Coelho gehört wie Grisham zu den Autoren, die weltweit die meisten Bücher verkaufen. Doch im Gegensatz zu Grisham gelten seine Bücher als Literatur, zumindest werden sie von der Kritik als solche gefeiert. Und nun stellt sich die Frage, ob aufgrund dieser wohlwollenden Literaturkritik Coelhos kommerzieller Erfolg anders zu bewerten ist als der von Grisham? Hieße Coelho nachzueifern nicht auch „einer eingespielten Massenproduktion nachzueifern, kann eigentlich kein literarisches Ziel sein, höchstens ein kommerzielles“?

 

Über gewisse Schriftsteller

Sie fahren das Erlebte und Erlernte
nicht in die Scheuer ein und nicht zur Mühle.
Sie zeigen ihre Felder statt der Ernte,
die noch am Halme wogenden Gefühle,
und sagen zu den Lesern stolz und fest
"Das wärs - nun fresst!"

Erich Kästner

;-) kinnison

 
Zuletzt bearbeitet:

Coelho gehört wie Grisham zu den Autoren, die weltweit die meisten Bücher verkaufen. Doch im Gegensatz zu Grisham gelten seine Bücher als Literatur, zumindest werden sie von der Kritik als solche gefeiert.

Ich habe nur "11 Minuten" gelesen. Wenn jemand sich an ernste Themen ran macht, wie Liebe oder die Seele des Menschen, bekommt er viel Vorschuß, er rührt ja die Suppe tief um. Mir war es dennoch zu flach. Coelho ist sicher anders als Stieg Larsson etc., aber trotzdem mit allem, was Kommerzialisierung eben ausmacht.

Sie zeigen ihre Felder statt der Ernte,
die noch am Halme wogenden Gefühle

Das wurde hier im Forum schon unter eine entsprechende Geschichte geschrieben.
Genau, ich finde die wogenden Felder ja auch schööön. Aber von einem Schriftsteller erwartet man Verarbeitung, Essenz. Kennt jemand ein Schreibprogramm, das Essenz anbietet? Möchte ich kaufen.

 

„Jedes Jahr erreichen uns bei DuMont gut 1500 unverlangt eingesandte Manuskripte. Wir prüfen die alle, allein, um das Gefühl zu haben, alles richtig gemacht zu haben. Trotzdem haben wir noch kein einziges Mal ein unverlangt eingesandtes Manuskript zum Buch gemacht.“ – schreibt Jo Lendle, Verlegerischer Geschäftsführer bei DuMont in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 2./3.Oktober 2010.

Das ist eine klare Aussage, finde ich, da kann man sich in Zukunft Kopierarbeit und Porto sparen - zumindest für DuMont Verlag. :D

 

Das ist eine klare Aussage, finde ich, da kann man sich in Zukunft Kopierarbeit und Porto sparen - zumindest für DuMont Verlag.
Es gibt noch eine zweite klare Aussage: Jedes Manuskript wird gelesen! Dass davon noch keines zum Buch geworden ist, spricht eher für den Verlag als für die Autoren. Was bisher noch kein einziges Mal war, kann schon morgen werden! Jede Serie reißt irgendwann … – also lasst reißen Leute!
kinnison (schickt sein erstes Manuskript zur Zeit an einige kleine Verlage)

 

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